Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.04.1982, Az.: 2 UH 2/81

Feststellungen über eine ortsübliche Vergleichsmiete ; Erhöhung eines Mietzinses

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
27.04.1982
Aktenzeichen
2 UH 2/81
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1982, 16018
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1982:0427.2UH2.81.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 2 C 549/80
LG Hannover - 21.10.1981

Fundstellen

  • MDR 1982, 672 (Kurzinformation)
  • WuM 1982, 180-181 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Zustimmung zur Mieterhöhung

In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
am 27. April 1982
auf den Vorlagebeschluß des Landgerichts Hannover
vom 21. Oktober 1981
beschlossen:

Tenor:

Es ergeht folgender Rechtsentscheid:

Für das Gutachten im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 MHG ist eine Besichtigung der betroffenen Wohnung durch den Sachverständigen jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn dessen Feststellungen über die ortsübliche Vergleichsmiete auf der Besichtigung einer genügenden Zahl anderer Wohnungen von nahezu gleicher Art, Größe, Ausstattung und Beschaffenheit innerhalb derselben Mietwohnanlage beruhen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin ist Eigentümerin einer aus 24 drei- bis sechsgeschossigen Häusern bestehenden Mietwohnanlage in Hannover-Anderten. In der Mietwohnanlage befinden sich insgesamt 210 Wohnungen. Hierbei handelt es sich um solche von fast identischer Bauart und Ausstattung, und zwar um 2-Zimmer-Wohnungen, kleinere 3-Zimmer-Wohnungen, größere 3-Zimmer-Wohnungen und 4-Zimmer-Wohnungen. Zu allen Wohnungen gehören Küche, Bad und Balkon.

2

Die Beklagte hat von der Klägerin mit schriftlichem Mietvertrag vom 5./15. April 1972 eine in der Wohnanlage befindliche 3-Zimmer-Wohnung des größeren Typs gemietet.

3

Mit Schreiben vom 25. Juli 1980 hat die Klägerin eine Erhöhung der Monatsmiete (ohne Heiz- und Nebenkosten) von 360 DM auf 463 DM geltend gemacht. Ihr Mieterhöhungsverlangen hat sie auf ein dem Schreiben beigefügtes schriftliches Sachverständigengutachten des Dipl.-Ing. T. gestützt. Diesem liegt die Besichtigung von 58 der 210 Wohneinheiten zugrunde. U.a. wurden von dem Sachverständigen 24 der größeren 3-Zimmer-Wohnungen besichtigt. Unter diesen befindet sich nicht die Wohnung der Beklagten, die der Sachverständige nicht gesehen hat.

4

Die auf Zustimmung zur Mieterhöhung gerichtete Klage hat das Amtsgericht als unzulässig abgewiesen. Es hält das Gutachten für nicht ausreichend, weil der Sachverständige die Mietwohnung der Beklagten nicht besichtigt habe.

5

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den Rechtsstreit gemäß Art. III des Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften vom 21. Dezember 1967 in der Fassung vom 5. Juni 1980 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

"Ist das auf ein beigefügtes Gutachten eines Sachverständigen gestützte Mieterhöhungsverlangen dann unwirksam und die Klage unzulässig, wenn der Sachverständige nicht die streitige Wohnung, sondern nur innerhalb einer Wohnanlage eine Wohnung gleichen Typs besichtigt hat?"

6

II.

Die Vorlage ist gemäß Art. III des Dritten Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften zulässig. Die Vorlagefrage ergibt sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum und ist für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Das Landgericht will in dieser Frage von der Entscheidung eines Oberlandesgerichts abweichen, und zwar von dem Beschluß des Oberlandesgerichts Oldenburg - 5 UH 4/80 - vom 2. Januar 1981 (OLGZ 1981, 200). Die Vorlage war daher geboten.

7

III.

Der Senat verneint in Übereinstimmung mit dem Rechtsentscheid des Oberlandesgerichts Oldenburg (a.a.O.) die Vorlagefrage. Eine Besichtigung der betroffenen Wohnung durch den Sachverständigen ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn sich diese in einer Mietwohnanlage mit Wohnungen von gleicher oder nahezu gleicher Art, Größe, Ausstattung und Beschaffenheit befindet und der Sachverständige bei den Feststellungen für das Gutachten über die ortsübliche Vergleichsmiete genügend andere Wohnungen desselben Typs gesehen hat.

8

Der Ansicht des Landgerichts, ein wirksames Mieterhöhungsverlangen setze in jedem Fall eine Besichtigung der betroffenen Wohnung voraus, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Zwar wird im Schrifttum diese Auffassung von Sternel (Mietrecht, 2. Aufl., 1979, Rdn III 16 und 167) und von Emmerich in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., 1981 - 2. Bearbeitung -, Art. 3 WKSchG, § 2 MHRG Rdn 73) mit unzutreffendem Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1979 (veröffentlicht in Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1981 S. 31) vertreten. Dem sind in der Rechtsprechung das Landgericht Hamburg (Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1980 S. 64) und das Landgericht Hannover (8. Zivilkammer in Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1981 S. 31) gefolgt. Eine individualisierende Begutachtung, die die Besonderheit der betroffenen Wohnung mitberücksichtigt, ist in Fällen der zu entscheidenden Art jedoch weder erforderlich noch möglich. Der Hinweis von Sternel (a.a.O. Rdn 167) auf die Besonderheiten der einzelnen Wohnungen ist bei Wohneinheiten der gleichen oder nahezu gleichen Bauart und Grundausstattung innerhalb derselben Mietwohnanlage nicht überzeugend. Derartige Besonderheiten bestehen wegen der gleichen oder fast gleichen Raumeinteilung, Größe und Grundausstattung nicht. Soweit Sternel beispielhaft auf die Nord- oder Südlage hinweist, sind Feststellungen des Sachverständigen auch ohne Besichtigung möglich. Das gilt ebenso für andere Bewertungsfaktoren, die mit der Außenlage zusammenhängen (Ortsteil, Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrslage, Grünflächen, Umweltbelästigungen usw.).

9

Eine Besichtigung der betroffenen Wohnung ist auch nicht wegen des möglicherweise unterschiedlichen baulichen Zustands der einzelnen Wohnungen des gleichen Typs erforderlich. Etwaige Mängel sind auf die ortsübliche Vergleichsmiete grundsätzlich ohne Einfluß, weil sie zu einer Minderung des Mietzinses gemäß § 537 BGB führen (vgl. LG Mannheim MDR 1977, 140 [LG Mannheim 14.10.1976 - 4 S 79/76]; Palandt/Putzo, 41. Aufl., 1982, § 2 MHG Anm. 3) b) cc); Soergel/Siebert, 11. Aufl., 1980, § 2 MHG Rdn 24). Insoweit wird auch auf Nr. 6.2.3. der Hinweise des Bundesjustizministeriums für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Begründung des Mieterhöhungsverlangens nach § 2 Abs. 2 MHG (ZMR 1980, 161) Bezug genommen, wonach Sachverständige jedenfalls Mängel behebbarer Art nach der im Schrifttum und Rechtsprechung weit überwiegenden Auffassung nicht negativ berücksichtigen sollen (vgl. auch Barthelmess, Kommentar zum 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz, 2. Aufl., 1980, § 2 MHG Rdn. 33; Emmerich in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 12. Aufl., 1981 - 2. Bearbeitung - § 2 MHG Rdn 34; Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 4. Aufl., 1981, Anm. C 65). Zwar hat der Senat Bedenken, in diesem Zusammenhang zwischen behebbaren und nicht behebbaren Mängeln zu unterscheiden. Für die Notwendigkeit einer Besichtigung des betroffenen Mietobjektes ist dieser Unterschied jedoch ohne Belang. Mängel innerhalb der Wohnung und des Gebäudes sind behebbar, während sich Außenmängel, die mit der dauernden Einbezogenheit in die Umgebung zusammenhängen und sich regelmäßig nicht beheben lassen, auch ohne Besichtigung der Wohnung feststellbar sind.

10

Bei einer Vielzahl gleicher oder vergleichbarer Wohnungen innerhalb einer Mietwohnanlage können in der ortsüblichen Vergleichsmiete der verschiedenen Wohnungen des gleichen Typs allenfalls nur unwesentliche Abweichungen auftreten. Diese berühren nicht die Zulässigkeit des Mieterhöhungsverlangens (vgl. LG Braunschweig in Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1977 S. 10). Unter den angeführten besonderen Umständen genügt daher ein generalisierendes Gutachten, das dem Mieter einen hinreichend verläßlichen Anhalt für die Höhe der Vergleichsmiete bietet (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.; vgl. auch LG Braunschweig a.a.O.; vgl. weiter die Erläuterungen zu den oben angeführten Hinweisen des Bundesjustizministeriums zu III Nr. 1.5. a.a.O.). Ein generalisierendes Gutachten genügt unter den besonderen Umständen, um den Vertragsparteien ausreichende Vorstellungen über die Vergleichsmiete zu verschaffen. Durch das Erfordernis der Besichtigung der betroffenen Wohnungen würden dagegen die Anforderungen für das Erhöhungsverlangen überspannt werden.

11

Bei einer Erhöhung der Miete für die einzelnen Wohnungen einer Mietwohnanlage mit einer großen Zahl von Wohnungen wäre es anderenfalls notwendig, alle Wohnungen durch den Sachverständigen besichtigen zu lassen. Für den Vermieter ist ungewiß, welche Mieter später seinem Mieterhöhungsverlangen widersprechen werden. Die Besichtigung jeder einzelnen Wohnung würde bei einer größeren Zahl von Wohnungen - in dem vorliegendem Falle handelt es sich um 210 Wohnungen - zu einem sehr viel größeren Arbeitsaufwand des Sachverständigen und damit zu einem ganz erheblichen Kostenanstieg für die Vermieter führen. Eine derartige Erschwerung und Verteuerung kann dem Vermieter nicht zugemutet werden, weil von der Besichtigung der betroffenen Wohnung keine Rückschlüsse zu erwarten sind, die in Anbetracht der besichtigten Mietobjekte des gleichen oder vergleichbaren Typs in derselben Wohnanlage die ortsübliche Vergleichsmiete beeinflussen können. Unter diesen Umständen würde das Erfordernis der Besichtigung der betroffenen Wohnung auf eine nutzlose Förmlichkeit hinauslaufen, die zum Schutz des Mieters nicht geboten ist, dem Vermieter dagegen die Mieterhöhung in unzumutbarer Weise erschweren würde.

12

Ob eine Besichtigung des betroffenen Mietobjekts, wie das Landgericht meint, die Bereitschaft des Mieters fördert, dem Mieterhöhungsverlangen zuzustimmen, kann zumindest zweifelhaft sein. Jedenfalls ist allein dieser Gesichtspunkt nicht geeignet, die damit verbundene erhebliche Erschwerung und Verteuerung des Mieterhöhungsverlangens zu rechtfertigen.

13

Aufgrund vorstehender Erwägungen setzt ein ordnungsgemäßes Gutachten im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 MHG die Besichtigung des Mietobjekts durch den Sachverständigen bei Wohnungen gleichen oder vergleichbaren Typs innerhalb einer Mietwohnanlage nicht voraus, so daß die fehlende Besichtigung einem formellen Erhöhungsverlangen nicht entgegensteht.