Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.07.1995, Az.: 4 A 4328/93

Anerkennung eines algerischen Staatsangehörigen als Asylberechtigten und Gewährung von Abschiebungsschutz; Gefahr politischer Verfolgung bei Rückkehr ins Herkunftsland; Unzumutbarkeit des Ausweichens innerhalb des Heimatstaates wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
27.07.1995
Aktenzeichen
4 A 4328/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 32080
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1995:0727.4A4328.93.0A

Verfahrensgegenstand

Asyl
Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juli 1995
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Wagner als Einzelrichter
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter und Abschiebungsschutz.

2

Der 1970 geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger und hat nach eigenen Angaben in seiner Heimatstadt Blida seit 1989 ein chemisches Labor betrieben. Er ist am 18.05.1993 im Besitz gültiger Reisepapiere und mit einem am 16.05.1993 für Polen ausgestellten Visum mittels Flugzeug über Warschau und von dort aus auf dem Landweg in die Bundesrepublik gereist, wo er am 21.05.1993 ankam. Am 08.06.1993 hat er den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter gestellt und zu dessen Begründung bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 10.06.1993 im wesentlichen angegeben: Er sei seit 1992 einfaches Mitglied der FIS gewesen. Er und die vier anderen Mitglieder seiner Gruppe seien von einem Mitglied der FIS bei der Polizei denunziert worden, woraufhin diese eine Gruppenversammlung beobachtet habe. Später, am 02. Mai 1993, habe die Polizei sein Labor durchsucht, außer Medikamten aber nichts gefunden. Man habe ihn dennoch mit zur Polizeiwache genommen, dort verhört und mit Wasser und Strom gequält. Er sei dann vorläufig entlassen worden, habe daraufhin aber sofort seine Ausreise beschlossen. Er fürchte, im Falle seiner Rückkehr ins Gefängnis zu müssen, weil die Polizei nicht nur die Zeugenaussage des Denunzianten, sondern auch Beweise dafür habe, daß die Gruppe immer wieder Versammlungen abgehalten habe. Auch die anderen Gruppenmitglieder seien verhaftet worden. Den Reisepaß habe er bereits im Januar 1993 beantragt gehabt und ohne Schwierigkeiten erhalten. Bei seiner Ausreise habe es keine Kontrolle gegeben, da ein Bekannter Offizier beim Zoll sei und ihm am Flughafen geholfen habe (Bl. 9 der BA).

3

Mit Bescheid vom 14.06.1993 hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, die Voraussetzungen der §§51 Abs. 1 und 53 AuslG seien (offensichtlich) nicht gegeben. Außerdem forderte die Behörde den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung auf und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung nach Algerien oder in einen anderen Staat an.

4

Gegen den am 22.06.1993 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 25.06.1993 Klage erhoben und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, dem das Gericht mit Beschluß vom 20.07.1993, auf den Bezug genommen wird, stattgegeben hat.

5

Die angekündigte Klagebegründung hat der Kläger nicht eingereicht. Auf Anfrage des Gerichts mit Schreiben vom 17.03.1995 zu den Namen des von ihm als "Mitglied der FIS" bezeichneten Denunzianten, der anderen Mitgliedern seiner FIS-Gruppe, die mit ihm verhaftet worden seien und zum Ort der Versammlung sowie der Herkunft seiner Erkenntnisse darüber, daß die Versammlung von der Polizei beobachtet worden sei, hat der Kläger mit Schreiben vom 15.04.1995 erklärt, er könne sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern und wisse die Namen der FIS-Mitglieder nicht, da diese lediglich "Spitznamen (Decknamen)" benutzt hätten.

6

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes vom 14.06.1993 in Ziffer 1-3 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des §51 Abs. 1 AuslG vorliegen, sowie den Bescheid in Ziffer 4 insoweit aufzuheben, als ihm die Abschiebung nach Algerien angedroht wurde.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzureisen.

8

Das Gericht hat die in der Sitzungsniederschrift bezeichneten Erkenntnisquellen zum Gegenstand des Verfahrens und der mündlichen Verhandlung gemacht. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte(n) sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Klage, über die das Gericht trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden konnte, da es in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter (1.) noch wird er im Sinne von §51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) politisch verfolgt (2.). Auch die Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungshindernisses im Sinne des §53 AuslG liegen nicht vor (3.). Die Entscheidungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid sind auch im übrigen nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (4.).

10

1.

Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte haben politisch Verfolgte (Art. 16 a Abs. 1 GG). Vorbehaltlich der hier indessen nicht einschlägigen Einschränkungen durch Art. 16 a Abs. 2-4 GG kann dieses Individualgrundrecht nach Maßgabe der es konkretisierenden Regelungen des Asylverfahrensgesetzes in Anspruch nehmen, wer bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland politische Verfolgung (erneut oder erstmals) zu befürchten hat. Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen durch den Heimatstaat oder durch Maßnahmen Dritter, die diesem Staat zurechenbar sind, in Anknüpfung an seine politischeÜberzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden oder unmittelbar drohen, die ihn nach ihrer Intensität und Schwere aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315, 333 zur insoweit inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 GG a.F.). Da das Asylgrundrecht auf dem Zufluchtgedanken beruht und von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Ursachenzusammenhang Verfolgung/Flucht/Asyl voraussetzt (BVerfG, Beschl. v. 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51, 60; Beschl. v. 10.7.1989, a.a.O., 344), ist von maßgeblicher Bedeutung, ob der Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende wegen erlittener oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative unzumutbar, ist er als Asylberechtigter anzuerkennen, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgeblichen Zeitpunkt fortbestehen. Er ist ferner anzuerkennen, wenn diese zwar entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ernsthafte Zweifel bestehen. Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, kann er nur dann anerkannt werden, wenn ihm politische Verfolgung aufgrund eines asylerheblichen Nachfluchttatbestandes mit beachtlicher Wahrscheinlich droht (BVerfG, Beschl. v. 26.11.1986, a.a.O., 64 f.; Beschl. v. 10.7.1989, a.a.O., 344 f.;BVerwG, Urt. v. 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, BVerwGE 87, 152; Urt. v. 23.7.1991 - 9 C 154.90 -, DVBl. 1991, 1089). Für die Annahme einer drohenden Verfolgung ist entscheidend, ob aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstadt unzumutbar erscheint (BVerwG, Urt. v. 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, 169[BVerwG 05.11.1991 - 9 C 118/90]). Die dazu erforderliche Zukunftsprognose hat auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen (§77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und muß auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein (BVerwG, Urt. v. 3.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6). Sie hat bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles daran anzuknüpfen, daß der Asylbewerber aufgrund der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gehalten ist, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen, und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahme festzustellen (§§15, 25, 74 Abs. 2 AsylVfG). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht entferntliegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, Urt. v. 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vertrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urt. v. 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 13).

11

Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht zu. Das Gericht hat sich aufgrund seiner Angaben gegenüber dem Bundesamt sowie im gerichtlichen Verfahren auch mit Rücksicht auf den Inhalt der zum Gegenstand des Verwaltungsstreits gemachten Erkenntnismittel nicht die Überzeugung verschaffen können, daß er vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist ist oder bei seiner Rückkehr politische Verfolgung zu befürchten hätte.

12

Aufgrund des schriftlichen Vortrags des Klägers kann das Gericht insbesondere nicht mit der erforderlichen Überzeugungsgewißheit davon ausgehen, daß seine Angaben derWahrheit entsprechen. Gegen die Richtigkeit seiner Angaben sprecheninsbesondere folgende Erwägungen: Der Vortragzur Verhaftung am 02. Mai 1993 ist relativ unsubstantiiert und wirkt schließlich auch mit Blick auf die dargestellten Folterungen konstruiert. Esleuchtet insbesondere auch nicht ein, warum der Kläger, sollte er tatsächlich gefoltertworden sein, sich noch um legale Ausreisepapiere gekümmert hat. Er hat diese über ein Reisebüro in Algier beschafft und ist damitüber einen offiziellen Grenzübergang ausgereist. Seine Angabe, er habe sichvon einem beim Zoll beschäftigten Onkel helfenlassen, um durch die Flughafenkontrolle zu kommen, ist so nicht glaubhaft. DerFlughafen von Algier zählt sicher zu den Grenzübergängen, die am schärfsten bewacht werden (vgl. dazu die Stellungnahme des DeutschenOrient-Instituts vom 18.10.1994 an das VGAnsbach, aus der sich ergibt, daß der Flughafen von Algier seit einem Attentatim August 1992 stark abgeriegelt ist undFluggästen genauen Kontrollen unterworfen wurden).Schließlich hat die schriftlich gegebene Auskunft desKlägers zu den ihm mit Betreibungsaufforderungvom 17.02.1995 gestellten Fragen nicht zuüberzeugen vermocht. Da der Kläger im übrigen gerade durch die gestellten Fragen darüber in Kenntnis gesetzt war, daß das Gericht seine Angaben für (noch) nicht hinreichend substantiiert hält (ohne deshalb von ihrer offensichtlichen Unrichtigkeit auszugehen), mußte ihm auch klar sein, daß seine Antworten keine befriedigende Auskünfte darstellen können. Es ist im übrigen nach Auffassung des Gerichts mehr als unwahrscheinlich, daß er die Namen der mit ihm angeblich innerhalb der FIS tätigen Menschen nicht gekannt haben will und es kann gerade nach den von ihm angegebenen Erinnerungslücken schließlich auch nicht nachvollzogen werden, wie er zu den Kenntnissen kam, deretwegen er meint, vorgeben zu können, er sei denunziert und von der Polizei bei FIS-Versammlungen beobachtet worden. Bei diesem Sachvortrag kann demgemäß noch nicht einmal angenommen werden, daß der Kläger zumindest nach dem Verbot der FIS im März 1992 für diese noch tätig geworden ist und dadurch - wenn überhaupt - der algerischen Polizei aufgefallen ist.

13

Ausreichende Anhaltspunkte für beachtliche Nachfluchtgründe liegen ebenfalls nicht vor. Insbesondere kann nicht bereits in der (bloßen) Asylantragstellung ein Grund gesehen werden, dessentwegen der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung zu befürchten hätte.

14

Nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes (zuletzt vom 23.2.1995 und vom 2.3.1994) sowie den diesbezüglichen Stellungnahmen des Deutschen Orient-Institutes Hamburg (etwa vom 2.8.1994 und vom 2.3.1994 jeweils an das VG Ansbach, vom 13.7.1994 an das VG Oldenburg) wird die Asylantragstellung (als solche) von den algerischen Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Tätigkeit gewertet, sondern durchaus auch als ein Mittel gesehen, das nicht selten aus Gründen sozialer Besserstellung dazu dient, den Aufenthalt in der Bundesrepublik zu legalisieren und damit auch seine Dauer zu verlängern. Allerdings müssen (insbesondere im Wege der Abschiebung) zurückkehrende Asylbewerber damit rechnen, als solche erkannt und einer eingehenden Befragung durch algerische Sicherheitsbehörden schon bei ihrer Rückkehr am Flughafen ausgesetzt zu werden. Es ist bekannt, daß die algerischen Behörden dabei zielgerichtet und planmäßig danach fahnden, ob der Abgeschobene von ihnen bereits gesucht wird oder sonstige Anhaltspunkte für eine von ihm (u.U. auch von seinen Angehörigen) begangene aktive Unterstützung der verbotenen F.I.S. bzw. militanter Untergrundgruppen sprechen (vgl. die Auskünfte von amnesty international jeweils vom 3.2.1995 an das VG Sigmaringen, das VG Karlsruhe und an das VG Ansbach zu dessen Az. 12 K 92.32782). Es ist deshalb davon auszugehen, daß sich diese Befragung insbesondere auf die Ausreisegründe, auf den Inhalt des Asylantrages, auf politische Aktivitäten während des Auslandsaufenthaltes sowie auf Verbindungen zu Exilorganisationen und zu staatlich gesuchten Einzelpersonen erstreckt und insgesamt dazu dient, alle nach Auffassung der algerischen Behörden im Interesse der Staatssicherheit erforderlichen Auskünfte zu erlangen. Eine solche, aus vielen, insbesondere totalitären Staaten bekannte Praxis kann bereits wegen des Eintretens in die Persönlichkeitssphäre ein belastender Eingriff sein und ist regelmäßig zumindest mit einer Einengung und in nicht wenigen Fällen sogar mit einem vorübergehenden Entzug der körperlichen Bewegungsfreiheit der Befragten verbunden. Sie stellt sich allein deshalb aber noch nicht als Maßnahme ausgrenzender politischer Verfolgung dar und knüpft insbesondere nicht an ein asylerhebliches Merkmal des Betroffenen an, sondern es zielt erkennbar (zunächst) ausschließlich auf die Wahrung der sogenannten Staatssicherheit (vgl. dazu auch Nds. OVG, Urt. v. 4.8.1993 - 2 L 5341/92, S. 21 f. -; zu dabei auf tretenden menschenrechtswidrigen Exzessen folgt weiteres unter 3.). Ob etwas anderes dann angenommen werden muß, wenn einer der oben genannten Verdachtsfälle anzunehmen, d.h. insbesondere zu besorgen ist, die algerischen Behörden würden Rückkehrer aufgrund bestimmter Umstände verdächtigen, zum Kreis der aktiven Unterstützer militanter oder zumindest politisch mißliebiger Aktivitäten zu zählen, braucht hier nicht entschieden zu werden, da der vorliegende Fall keine hinreichende Veranlassung für eine derartige Annahme bietet.

15

2.

Die Voraussetzungen für einen vom Bundesamt nach §51 Abs. 2 Satz 2 AuslG festzustellenden Abschiebungsschutz nach§51 Abs. 1 AuslG liegen ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung gegenwärtig oder in absehbarer Zukunft bedroht ist. Der Anwendungsbereich des §51 Abs. 1 AuslG betrifft neben den in §51 Abs. 2 Satz 1 AuslG genannten Fällen (politische Verfolgung i.S.d.Art. 16 a Abs. 1 GG sowie anerkannte Flüchtlingseigenschaft) insbesondere die Fälle, in denen eine Anerkennung als Asylberechtigter aus den in §§26 a und 27 AsylVfG (bei Einreise aus Drittstaaten) genannten Gründen ausgeschlossen ist oder wegen selbst geschaffener (subjektiver) Nachfluchtgründe im Sinne des §28 AsylVfG scheitert. Er knüpft am gleichen Begriff der politische Verfolgung an, den auch das Grundrecht auf Asyl zugrunde legt (BVerwG, Urt. v. 18.1.1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497; Urt. v. 22.3.1994 - 9 C 443.93 -, NVwZ 1994, 1112). Die auch insoweit vorausgesetzte beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine derartige politische Verfolgung läßt sich im Falle des Klägers aus den bereits erwähnten Gründen nicht bejahen; sonstige, nicht bereits im Rahmen des grundrechtlichen Asylanspruchs berücksichtigte Umstände sind nicht ersichtlich.

16

3.

Ferner liegen auch Abschiebungshindernisse im Sinne des §53 AuslG nicht vor. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dem Kläger drohten die in §53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950, (BGBl. 1952 II, S. 686 - EMRK -) genannten Gefahren. Nach diesen Vorschriften darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter (§53 Abs. 1 AuslG) bzw. der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (§53 Abs. 4 AuslG) i.V.m.Art. 3 EMRK unterworfen zu werden. Voraussetzung für die Annahme eines Abschiebungshindernisses ist, daß konkrete und ernsthafte Gründe bzw. begründete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der konkret Betroffene werde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Zielstaat der Abschiebung unmenschlich behandelt werden; die bloß theoretische Möglichkeit genügt nicht (vgl. dazu EGMR, Urt. v. 30.10.1991 - 45/1990/236/302-306 -, NVwZ 1992, 869 [EGMR 30.10.1991 - 45/1990/236/302-306]; BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, S. 11 f., unter Hinweis auf sein Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162[BVerwG 05.11.1991 - 9 C 118/90]; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.4.192 - A 16 S. 1765/91 -, S. 2 f. des Abdrucks m.w.N.).

17

Hinreichende Anhaltspunkte für eine beachtliche Gefährdung seiner durch §53 AuslG geschützten Rechtsgüter hat der Kläger indessen weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.

18

Das Gericht verkennt dabei nicht, daß menschenrechtswidrige Exzesse der algerischen Sicherheitsbehörden insbesondere im Zusammenhang mit Festnahmen und Verhören vorkommen; das Auswärtige Amt teilt in seinem Lagebericht vom 23.2.1995 mit, dem "Observatoire National des Droits de L'homme" lägen für 1994 327 Beschwerden wegen Überschreitung von Befugnissen der Sicherheitskräfte vor, die sich auf Fristüberschreitungen bei Festnahmen, Untersuchungshaft, Todesfälle mit ungeklärter Ursache, Verschwinden von Personen u.a. bezögen. Das Auswärtige Amt berichtet in dem zitierten Lagebericht ferner, es kämen auch Mißhandlungen und Folterungen von Gefangenen vor, die vom algerischen Staat zwar nicht gefördert, aber auch nicht unterbunden würden und die sich vor allem aus den bei Sicherheitskräften provozierten Haßgefühlen erklärten, nachdem diese seit 1992 Hauptziel terroristischer Attentate geworden seien. Soweit amnesty international in den bereits zitierten Stellungnahmen vom 3.2.1995 unter Hinweis auf eine Äußerung der Generaldirektion des Sicherheitsdienstes in der Zeitung "El Watan" vom 3.8.1994 darauf hinweist, mittlerweile gehöre es zum "normalen Verfahren", daß abgeschobene Rückkehrer nach Algerien zum Zwecke des Verhörs generell inhaftiert würden, läßt sich diesen Berichten kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß damit gewissermaßen regelmäßig auch Folterungen und Mißhandlungen der Verhörten verbunden sind. Sofern schließlich von. Fällen des "Verschwindenlassens" oder gar von extralegalen Tötungen durch die algerischen Sicherheitskräfte berichtet wird (amnesty international in den zitierten Stellungnahmen), spricht überwiegendes dafür, daß es sich hierbei um menschenrechtswidrige Exzesse gegenüber solchen Personen gehandelt hat, die den algerischen Behörden nach den oben genannten Verdachtsmomenten gefährlich erschienen. Das Gericht hält insoweit die Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts vom 17.11.1994 an das VG Ansbach für zutreffend, das ebenfalls von einer generellen Rückkehrerbefragung ausgeht und meint, "daß in solchen Fällen, in denen der Verdacht auf eine im Ausland zugunsten der algerischen islamistischen Gruppen ausgeführte Aktivität besteht oder sich erhärtet (zu diesen Aktivitäten können zählen: Z.B. das Sammeln von Geldern, das den Gruppen zugeleitet werden sollte; Waffenbeschaffung; Flugblattdruck; die Gründung einer Auslandsgruppe zu propagandistischen Zwecken, um den bewaffneten Widerstand zu fördern oder um eine Auslandsanlaufstelle und ein Kontaktnetz unter den im Ausland lebenden algerischen Staatsbürgern zu schaffen, die den bewaffneten Kampf der Untergrundgruppen in irgendeiner Form stützen), oder in solchen Fällen, in denen der Verdacht auf eine Involvierung in Aktivitäten der bewaffneten Untergrundgruppen zu einem Zeitpunkt vor der Ausreise besteht, die Befragung intensiver ausfällt, länger andauert und - wenn sich der Verdacht erhärtet oder falls Beweise vorliegen - die betreffende Person der Justiz zugeleitet wird. In diesem Zusammenhang ist nicht auszuschließen, daß die betreffende Person über die gesetzlich festgelegte Frist hinaus in Polizeigewahrsam gehalten wird und Angehörige nicht informiert werden.

19

Es ist ferner vorstellbar, daß einige der rückkehrenden Personen, die z.B. ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, sofort eingezogen werden; zumal seit 15.1.1994 der Beschluß wirksam ist, daß alle Wehrtauglichen eines Jahrganges, die keine Freistellung erhalten, eingezogen werden. Es ist ebenfalls davon auszugehen, daß Personen, die z.B. aus der Armee desertieren und sich ins Ausland absetzten, bei einer Rückkehr sofort in Verwahrung genommen und einem Militärgericht überstellt werden."

20

Daß eine solche "intensivere Befragung" mit den dabei vorkommenden menschenrechtswidrigen Weiterungen auch dem Kläger widerfahren wird, kann indessen mangels hinreichender Anhaltspunkte nicht angenommen werden. Insbesondere kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger noch zum Wehrdienst herangezogen wird (weshalb auch die Relevanz einer derartigen Heranziehung für etwaige Abschiebungshindernisse hier dahingestellt bleiben kann), nachdem Kläger sich vor dem Bundesamt bereits dahin eingelassen hat, er habe keinen Militärdienst geleistet, weil er zu Hause der einzige Sohn gewesen sei; das Gericht versteht diesen Vortrag dahin, daß der Kläger vom Militärdienst freigestellt ist.

21

4.

Da das Bundesamt den Kläger zu Recht nicht als Asylberechtigten anerkannt hat und dieser auch keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt, hat es den Kläger gemäß §34 AsylVfG i.V.m. §50 AuslG rechtmäßig zur Ausreise aufgefordert und ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise auch die Abschiebung angedroht. Obwohl das Bundesamt mit maßgeblichen Folgen für die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist nach Auffassung des erkennenden Gerichts zu Unrecht angenommen hat, der Asylantrag sei "offensichtlich" (und nicht nur einfach) unbegründet, kommt eine diesbezügliche Änderung der Fristsetzung im Zuge des Klageverfahrens nicht (mehr) in Betracht. Die im angefochtenen Bescheid gesetzte Ausreisefrist von einer Woche (§36 Abs. 1 AsylVfG) ist (bereits) infolge der (insoweit) stattgebenden Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, auf die Bezug genommen wird, durch die Monatsfrist des §37 Abs. 2 AsylVfG ersetzt, soweit dem Kläger die Abschiebung in sein Heimatland angedroht worden ist. Damit sind die den Kläger beeinträchtigenden Folgen der ursprünglichen Fristsetzung schon von Gesetzes wegen beseitigt, und es bedarf eines diesbezüglichen Ausspruches nicht.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1 VwGO i.V.m. §83 b Abs. 1 AsylVfG.

23

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §167 VwGO i.V.m. §§708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

24

Rechtsmittelbelehrung:

25

Die Revision findet nach §78 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG nicht statt.

Wagner