Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.03.1995, Az.: 5 A 5423/94

Einbürgerung in den deutschen Staatsverband ; Beibehaltung einer Staatsangehörigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.03.1995
Aktenzeichen
5 A 5423/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 30749
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1995:0328.5A5423.94.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 15.04.1998 - AZ: 13 L 3332/95

Fundstelle

  • InfAuslR 1995, 298-300 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Staatsangehörigkeitsrecht

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Hinselmann,
den Richter am Verwaltungsgericht Thommes,
den Richter Baumgarten sowie
die ehrenamtlichen Richter Heers und Otto
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1994 verpflichtet, den Kläger einzubürgern.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die nicht für erstattungsfähig erklärt werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger unter Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband einzubürgern ist.

2

Der am ... in Kan/Iran geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20. April 1970 in die Bundesrepublik Deutschland ein und studierte hier vom Wintersemester 1972/1973 an bis zum Mai 1979 Humanmedizin. Seitdem ist der Kläger als Arzt tätig. Der Kläger ist seit dem 24. September 1981 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und Vater eines im August 1980 geborenen Sohnes, der ebenfalls deutscher Staatsbürger ist. Seit 1984 ist der Kläger im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung.

3

Mit Schreiben vom 7. Dezember 1983 beantragte der Kläger beim Landkreis Goslar seine Einbürgerung.

4

Am 20. Mai 1985 stimmte das Niedersächsische Innenministerium der Einbürgerung unter Vermeidung von Mehrstaatigkeit zu.

5

Am 11. September 1985 erteilte die Beklagte dem Kläger für den Fall, daß dieser den Verlust der iranischen Staatsangehörigkeit nachweise, erstmals eine Einbürgerungszusicherung, die in der Folgezeit mehrfach - zuletzt am 31. Oktober 1991 - für zwei Jahre verlängert wurde. Am 11. September 1985 forderte die Beklagte den Kläger außerdem auf, bei der zuständigen Auslandsvertretung des Iran einen Antrag auf Verlust seiner bisherigen Staatsangehörigkeit zu stellen. Auf den daraufhin eingereichten Entlassungsantrag des Klägers vom 18. September 1985 teilte das Generalkonsulat der Islamischen Republik Iran diesem mit Schreiben vom 30. November 1985 mit, wegen des unbedingten Bedarfs des Landes an Ärzten mit abgeschlossener Ausbildung sei die Annahme seines Gesuches weiterhin unmöglich.

6

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1990 bat die Beklagte den Kläger um Mitteilung, wann und wie oft er sich nach seinem ersten Entlassungsversuch bei der iranischen Botschaft um Entlassung bemüht habe; es sei beabsichtigt, den Einbürgerungsantrag des Klägers dem Niedersächsischen Innenministerium mit der Bitte um Zustimmung vorzulegen, weil im Jahre 1991 erleichterte Einbürgerungsvoraussetzungen in Kraft träten.

7

Daraufhin teilte der Kläger in seinem Schreiben vom 4. Januar 1991 der Beklagten mit, er schreibe seit 1985 regelmäßig an das iranische Generalkonsulat mit der Bitte um Entlassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft. Eine Antwort habe er bis heute nicht erhalten. In mehreren Telefongesprächen habe man ihn "mit schönen Worten vertröstet". Zum Nachweis seiner Bemühungen legte der Kläger Kopien mehrerer an das Generalkonsulat gerichteter Schreiben vor und reichte hierzu mit Schreiben vom 5. Juni 1981 auf Anforderung der Beklagten Übersetzungen ein; Eingangsbelege habe er jedoch nicht mehr.

8

Mit Schreiben vom 5. August 1991 teilte das Niedersächsische Innenministerium auf die Bitte der Beklagten vom 15. Februar 1991, die Zustimmung zur Einbürgerung des Klägers unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit zu erteilen, mit, die eingereichten Unterlagen reichten hierzu nicht aus. Dazu verwies das Innenministerium auf einen Erlaß vom 26. Juli 1991, nach dem - entsprechend den Anforderungen des Bundes Innenministeriums und des Auswärtigen Amtes - von iranischen Ärzten, deren Ablehnungsbescheid mehrere Jahre zurück liegt, weitere intensive, nachgewiesene Entlassungsbemühungen bis in die jüngste Zeit hinein erwartet werden; schriftliche Bitten seien in farsi abzufassen; zumindest eine einmalige persönliche Vorsprache in der zuständigen iranischen Auslandsvertretung sei glaubhaft zu machen; ein langjähriger Inlandsaufenthalt entbinde von dieser Verpflichtung nicht.

9

Mit Schreiben vom 2. November 1991 forderte die Beklagte den Kläger zu den den Forderungen des Innenministeriums entsprechenden weiteren Entlassungsbemühungen auf.

10

Mit Schreiben vom 9. November 1992 bat die Beklagte um Mitteilung, welchen Erfolg die zwischenzeitlichen Bemühungen des Klägers gehabt hätten. Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten in einem Telefongespräch vom 20. November 1992 mit, bis zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Entlassungsbemühungen unternommen zu haben, weil er Repressalien für im Iran lebende Verwandte befürchte. In seinem Schreiben vom 18. Januar 1993 an die Beklagte konkretisierte er diese Angaben dahin, daß die Eltern und die Familien seiner Geschwister ihr Haus ohne entsprechende Entschädigung wegen angeblichen Straßenbaus verlassen müßten; Grundstücke der Geschwister würden ohne Zusicherung einer Entschädigung und ohne juristische Einspruchsmöglichkeit enteignet. Der Bürgermeister von Teheran sei persönlich zu seinen Eltern gekommen, um die Enteignungsmaßnahmen im Sinne des Volkes voranzutreiben.

11

Daraufhin führte die Botschaft der Bundesrepublik am 3. August 1993 in Teheran mit Einverständnis des Klägers ein Gespräch mit dessen Bruder. Nach dem Bericht der Botschaft vom 11. August 1993 erklärte der Bruder in diesem Gespräch, von dem Einbürgerungsbegehren seines in Deutschland lebenden Bruders habe weder er noch hätten die übrigen Familienangehörigen hiervon bisher Kenntnis erlangt. Nach dem Bericht sah der Bruder aufgrund der Entlassungsbemühungen des Klägers keine individuelle Gefährdung für sich oder für die weiteren im Iran lebenden Familienangehörigen des Klägers. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berichts wird auf die im Verwaltungsvorgang der Beklagten befindliche Abschrift (Bl. 165 Beiakte A) verwiesen.

12

Unter Berufung auf diesen Bericht verweigerte das Niedersächsische Innenministerium mit Schreiben vom 8. September 1993 die Zustimmung zur Einbürgerung des Klägers unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Dies teilte die Beklagte mit Schreiben vom 6. Oktober 1993 dem Kläger mit und forderte ihn auf, seine Entlassungsbemühungen zu intensivieren. Dazu sei erforderlich, daß er die Entlassung schriftlich bei dem für ihn zuständigen Generalkonsulat beantrage; besser sei es, er würde einen Gesprächstermin beim Generalkonsulat vereinbaren. Dort bekomme er die Entlassungsformulare ausgehändigt und erfahre auch, welche Voraussetzungen er noch erfüllen müsse. Des weiteren sei erforderlich, daß der Kläger der Beklagten seine Entlassungsbemühungen schriftlich nachweise. Bei persönlicher Vorstellung im Generalkonsulat solle der Kläger einen Zeugen hinzuziehen, der seine Entlassungsbemühungen der Beklagten gegenüber schriftlich bestätigen könne. Falls sich der Kläger nicht in der dargelegten Art und Weise um seine Entlassung bemühe, müsse sein Antrag nach Aktenlage kostenpflichtig abgelehnt werden.

13

Mit Schreiben vom 4. November 1993 erwiderte der Kläger daraufhin, er wolle, daß zur Anhörung seines Bruders nochmals ein Termin beim Auswärtigen Amt stattfinde, diesmal unter Anwesenheit eines gut deutsch sprechenden Iraners, dem er vertrauen könne.

14

Mit Schreiben vom 25. November 1993 wies die Beklagte gegenüber dem Kläger nochmals auf die Notwendigkeit weiterer, schriftlich nachzuweisender Entlassungsbemühungen hin und drohte an, den Einbürgerungsantrag abzuweisen, wenn solche Nachweise nicht bis zum 6. Januar 1994 bei ihr eingingen. Der Kläger antwortete daraufhin in seinem Schreiben vom 24. Dezember 1993, die Beklagte sei auf sein Ersuchen vom 4. November 1993 nicht eingegangen.

15

Mit Bescheid vom 30. Dezember 1993, der dem Kläger am 31. Dezember 1993 zuging, lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach den §§ 86 und 87 des Ausländergesetzes - AuslG - scheide aus, weil der Kläger ernsthafte und nachhaltige Entlassungsbemühungen nicht belegt habe. Solche Bemühungen seien aber grundsätzlich allen Einbürgerungsbewerbern zuzumuten.

16

Mit Schreiben vom 7. Januar 1994, das der Beklagten am 11. Januar 1994 zuging, legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein.

17

In einem Gespräch am 2. Februar 1994 überreichte die Beklagte dem Kläger eine Liste der für einen Antrag auf Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Unterlagen sowie ein Merkblatt "Hinweise zum Entlassungsverfahren aus der iranischen Staatsangehörigkeit" (Bl. 188 bis 190 Beiakte A).

18

In einem Telefongespräch mit der Beklagten vom 25. Februar 1994 gab der Kläger an, vor ca. drei Wochen zusammen mit seiner Ehefrau im iranischen Generalkonsulat in Hamburg vorgesprochen zu haben. Er habe ein in farsi abgefaßtes Schreiben erhalten, in dem ihm nahegelegt werde, seinen Entlassungswunsch noch einmal zu überdenken. Er werde dieses Schreiben mit einer deutschen Übersetzung vorlegen. Die Beklagte bat den Kläger in dem Gespräch, gegenüber dem iranischen Generalkonsulat schriftlich zu erklären, daß er an seinem Entlassungswunsch festhalte.

19

Mit Schreiben vom 11. April 1994 teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe sich zwischenzeitlich ohne Erfolg anderweitig bemüht; es bleibe daher bei seinem Widerspruch.

20

Auf die mit Schreiben vom 21. April 1994 vorgetragene Bitte der Beklagten, eine deutsche Übersetzung des Schreibens des iranischen Generalkonsulates, von dem in dem Telefongespräch vom 25. Februar 1994 die Rede war, vorzulegen, reagierte der Kläger nicht. Die Beklagte wies daraufhin seinen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1994 - dem Kläger zugestellt am 28. Juli 1994 - zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für eine Einbürgerung unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit nach § 87 AuslG seien nicht gegeben. Nach dem iranischen Recht sei das Ausscheiden aus der iranischen Staatsangehörigkeit möglich. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, daß trotz ernsthafter und nachhaltiger Bemühungen eine Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit nicht erwartet werden kann. Zum Nachweis seiner Bemühungen sei nur das an das iranische Generalkonsulat gerichtete Schreiben aus dem Jahre 1986 geeignet. Die Schreiben aus den Jahren 1986 bis 1989 seien in farsi abgefaßt; außerdem fehlten insofern Einlieferungsbelege. Repressionen für die Familie des Klägers seien, wie das Gespräch in der deutschen Botschaft in Teheran ergeben habe, nicht zu befürchten.

21

Am Montag, den 29. August 1994, hat der Kläger Klage erhoben.

22

Zur Begründung hat er unter anderem in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, er sei im Jahre 1994 zweimal in Begleitung seiner Ehefrau im iranischen Generalkonsulat in Hamburg gewesen und habe dort mit dem Konsul über die Entlassung gesprochen. Formulare für den Entlassungsantrag seien ihm verweigert worden. Man habe ihm lediglich ein Schreiben überreicht, in dem er gebeten wurde, sein Entlassungsbegehren zu überdenken.

23

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 30.12.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 26. Juli 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einzubürgern.

24

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

25

Zur Begründung verweist sie insbesondere auf die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid.

26

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den bei gezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 30. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 1994 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes - RuStAG - (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

29

Die Regelung des § 8 RuStAG, deren tatbestandliche Voraussetzungen unstreitig erfüllt sind, ist neben den Vorschriften über die erleichterte Einbürgerung nach den §§ 85 ff AuslG - aus denen sich nach Auffassung der Kammer ein Anspruch des Klägers nicht ergibt - grundsätzlich anwendbar; denn die Einbürgerungserleichterungen nach dem Ausländergesetz haben nicht die Funktion, die bisher bestehenden Einbürgerungsmöglichkeiten einzuschränken (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.1991 - 13 S 1627/90 -, InfAuslR 1992, 98, 100). Nach § 8 RuStAG steht die Einbürgerung zwar im Ermessen der Verwaltungsbehörde, das gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist (vgl. die §§ 40 VwVfG, 114 VwGO). Dieses Ermessen hat sich aber unter den besonderen Umständen, die den Fall des Klägers ausmachen, derart verdichtet, daß nur die Einbürgerung des Klägers rechtmäßig ist.

30

Für die Ausübung des Ermessens nach § 8 RuStAG ist maßgebend, ob die Einbürgerung im staatlichen Interesse liegt. Dabei ist hier zu berücksichtigen, daß die Rechtsordnung der Bundesrepublik weiterhin von einem staatlichen Interesse daran ausgeht, doppelte Staatsangehörigkeit zu vermeiden (BVerwG, Beschluß vom 19.2.1991 - 1 B 17/91 -, NJW 1991, 2226 [BVerwG 19.02.1991 - BVerwG 1 B 17/91]). Dies findet seinen Ausdruck in den §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 25 RuStAG, 85 Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sowie in dem Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern vom 6.5.1963 (BGBl. 1969 II, 1953, 2232) und ist auch in dem den Einbürgerungserleichterungen gemäß §§ 85 ff AuslG vorausgegangenen Gesetzgebungsverfahren nochmals ausdrücklich bestätigt worden (vgl. Bundestagsdrucksache 11/6321, S. 47 f, abgedruckt in: GK-Ausländerrecht, Loseblattausgabe, Stand: August 1994, bei § 85 AuslG). Mehrstaatigkeit läßt die Konfusion oder gar die Kollision der Rechts- und Pflichtenstellung des Staatsbürgers besorgen und vermeidet die jeweilige Zuordnung zu einem Staatsgefüge. Sie unterstellt den Doppelstaatsbürger nämlich zwei Rechtsordnungen und Gesellschaftssystemen, deren Rechts- und Wertesystem nicht notwendig aufeinander abgestimmt ist. Die Behörde ist danach grundsätzlich befugt, eine zur Mehrstaatigkeit führende Einbürgerung abzulehnen. Außerdem muß aber in Fällen wie dem vorliegenden berücksichtigt werden, daß nach dem in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz normierten Gebot des Schutzes und der Förderung von Ehe und Familie eine einheitliche Staatsangehörigkeit in der Familie wünschenswert ist, wenn der Einbürgerungsbewerber seine Ehe mit einer Deutschen im Bundesgebiet führt. Die Vorenthaltung der deutschen Staatsangehörigkeit für ein Familienmitglied führt zu einer erheblichen Differenzierung in der Rechtsstellung der einzelnen Familienangehörigen (vgl. im einzelnen BVerfGE 37, 217, 241). Eine gemeinsame Staatsangehörigkeit fördert regelmäßig die Einheit und den Zusammenhalt der im Inland lebenden Familie (siehe auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.9.1988 - 1 C 41.87 -, InfAuslR 1989, 54, 56).

31

Zwischen diesen gegenläufigen Interessen muß abgewogen werden.

32

Die Abwägung führt hier nach Ansicht der Kammer dazu, daß das Interesse an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie den Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit derart überwiegt, daß der Kläger einzubürgern ist.

33

Der Kläger hält sich seit nunmehr nahezu 25 Jahren - mehr als die Hälfte seines Lebens - ununterbrochen im Bundesgebiet auf und ist seit etwa 13 1/2 Jahren mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Auch sein heute 14 Jahre alter Sohn ist deutscher Staatsangehöriger. Die demnach bestehenden engen Bindungen im Bundesgebiet stärken das aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz herzuleitende Interesse an der Einbürgerung und mindern das Gewicht des gegenläufigen Interesses, Mehrstaatigkeit zu vermeiden (ebenso im Ergebnis Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.9.1988 - 1 C 52.87 -, InfAuslR 1989, 98, 105 [BVerwG 27.09.1988 - BVerwG 1 C 20.88]). Auch die von den Einbürgerungsrichtlinien aufgestellten zeitlichen Voraussetzungen sind bei weitem erfüllt (vgl. Nr. 6.1.4 i.V.m 6.1.3 sowie Nr. 5.3.5 der Einbürgerungsrichtlinien).

34

Das Gewicht des Interesses an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit wird weiter dadurch verringert, daß der Kläger mittlerweile 48 Jahre alt ist und seit nunmehr nahezu 16 Jahren im Bundesgebiet als Arzt praktiziert. Es besteht ein allgemeines Interesse daran, Ausländer in derart fortgeschrittenem Lebensalter, die aufgrund langjähriger beruflicher und sozialer Bindungen auf Dauer im Bundesgebiet leben, nicht ständig von der staatlichen Gemeinschaft auszuschließen (BVerwG, Urteil vom 27.9.1988 - 1 C 52.87 -, a.a.O., S. 105).

35

Das Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist hier schließlich auch deswegen nunmehr von geringer Bedeutung, weil aufgrund des Alters und der festen Einbindung des Klägers in die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Pflichtenkollisionen, die typischerweise mit der doppelten Staatsangehörigkeit verbunden sind, jedenfalls zum Teil nicht mehr entstehen werden. Insbesondere stellt sich das Problem der Ableistung des Wehrdienstes für den Kläger nicht.

36

Sonstige Bedenken, die einem Einbürgerungsanspruch des Klägers entgegenstehen könnten, bestehen nicht. Insbesondere läßt sich dem erzielten Abwägungsergebnis nach Auffassung der Kammer nicht entgegenhalten, der Kläger habe sich nicht hinreichend um die Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit bemüht.

37

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verdichtet sich zwar auch bei auf Dauer im Bundesgebiet lebenden und langjährig mit einer deutschen Staatsangehörigen verheirateten Einbürgerungsbewerbern das Einbürgerungsermessen der Behörden nur dann zu einem Einbürgerungsanspruch, wenn der Bewerber sich hinreichend lange und nachhaltig um die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit bemüht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9.1988 - 1 C 52.87 -, a.a.O., S. 106). Indes findet diese Forderung - wie auch das Bundesverwaltungsgericht klargestellt hat - dort ihre Grenze, wo (weitere) Entlassungsbemühungen dem Einbürgerungsbewerber nicht zumutbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9. - 1988 - 1 C 52.87 -, a.a.O., S. 105; Beschluß vom 19.2.1991 - 1 B 17/91 -, NJW 1991, 2226).

38

Wie die Beklagte zutreffend ausführt, können dem Kläger dauerhafte und nachhaltige Entlassungsbemühungen bis in die jüngste Zeit hinein nicht bescheinigt werden. Insbesondere konnte der Kläger nicht nachweisen, in gewisser Regelmäßigkeit wiederholt und den Formvorschriften entsprechend um die Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit ersucht zu haben. Dafür genügt nicht, daß der Kläger im Jahre 1985 einen Antrag auf Entlassung gestellt und im Jahre 1994 das iranische Generalkonsulat in Hamburg persönlich aufgesucht hat.

39

Die Kammer ist indes der Auffassung, daß dem Kläger weitere Entlassungsbemühungen angesichts der nur sehr geringen Erfolgsaussichten und der bei Intensivierung der Bemühungen drohenden Gefahren nicht zuzumuten sind.

40

Ärzte mit iranischer Staatsangehörigkeit werden seit Jahren von der islamischen Republik Iran jedenfalls in aller Regel nicht aus ihrer Staatsangehörigkeit entlassen (siehe dazu auch Bundestagsdrucksache 10/310, vor Bl. 109 der Beiakte, sowie VG Minden, Urteil vom 6.3.1986 - 2 K 1543/85 -, InfAuslR 1986, 180, 181). Entlassungsbemühungen dieser Berufsgruppe erscheinen daher auf unabsehbare Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit als aussichtslos. Dies ergibt sich auch daraus, daß die iranischen Behörden mit dieser Praxis ersichtlich Abwanderungen junger Iraner mit heilberuflicher Ausbildung oder zwecks heilberuflicher Ausbildung mit Billigung der Behörden in Deutschland studierender Iraner vorbeugen und jede noch so geringe Möglichkeit erhalten wollen, den Bewerber künftig doch einmal zu einer Tätigkeit zugunsten des iranischen Gesundheitswesens veranlassen zu können. Die voraussichtliche Aussichtslosigkeit weiterer Entlassungsbemühungen zeigt sich auch daran, daß der Kläger - wie er und seine Ehefrau in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen haben - im Jahre 1994 zweimal im iranischen Generalkonsulat in Hamburg bei dem dortigen Konsul um Entlassung gebeten haben, dieser aber nicht einmal bereit war, Antragsformulare auszuhändigen. Sachliche Gründe, die in der Person des Klägers liegen und insbesondere seine hiesige Situation berücksichtigen, sind dafür nicht erkennbar. Für den Kläger ist folglich nicht abzusehen, ob überhaupt und - wenn ja - wann der Iran in seinem Sinne tätig wird.

41

Die Kammer braucht nicht zu entscheiden, ob die Situation des Klägers wegen der allgemeinen iranischen Praxis im Hinblick auf Heilberufe und des Verhaltens der iranischen Auslandsvertretung in Hamburg der bei definitiver Verweigerung des Entlassungsantrages bestehenden Situation gleichzusetzen ist, so daß ein Einbürgerungsanspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) in Verbindung mit Nr. 5.3.5 der Einbürgerungsrichtlinien ergibt (für die Gleichsetzung in Fällen der Einbürgerung iranischer Ärzte ausdrücklich VG Minden, a.a.O., S. 181).

42

Jedenfalls sind angesichts der sehr geringen Entlassungschance weitere Entlassungsbemühungen mit Blick auf die besondere familiäre Situation des Klägers nicht zumutbar. Der Kläger möchte seine im Iran lebende Mutter weiterhin besuchen und befürchtet, für den Fall intensiverer Entlassungsbemühungen insbesondere auch bei der Einreise in den Iran Schwierigkeiten seitens der iranischen Behörden bis hin zu Zurückweisung und Inhaftierung. Aufgrund der Erfahrungen mit einer Vielzahl von Verfahren iranischer Staatsangehöriger ist der erkennenden Kammer bekannt, daß derartige Schwierigkeiten nach intensiven Bemühungen um die Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit auftreten können. Mit Rücksicht darauf kann von dem Kläger nicht verlangt werden, die allenfalls noch minimalen Möglichkeiten auf eine Entlassung durch Intensivierung seiner Bemühungen auszuschöpfen.

43

Andere Gesichtspunkte, die gegen eine Einbürgerung des Klägers sprechen könnten, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Insbesondere sind auch entwicklungspolitische Belange inzwischen gegenstandslos, nachdem sich die Lebensverhältnisse des Klägers hier so verfestigt haben, daß seine künftige Rückkehr in den Iran praktisch auszuschließen ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27.9.1988 - 1 C 41.87 -, a.a.O., S. 57).

44

Der Einbürgerung des Klägers steht auch Nr. II des Schlußprotokolls zum Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929 (Reichsgesetzblatt II 1930, S. 1002, 1006, Bekanntmachung vom 15.8.1955, BGBl. II S. 829) nicht entgegen. Nach dieser Vertragsbestimmung, bei der es sich um eine völkerrechtlich wirksame und der Verfassung gemäße zwingende Einbürgerungsvoraussetzung handelt, darf eine Einbürgerung nicht ohne die Zustimmung der iranischen Regierung erfolgen. Dem Kläger steht indes nach deutschem Recht ein Einbürgerungsanspruch zu (siehe oben). In diesen Fällen gilt die Vertragsbestimmung nicht (BVerwG, Urteil vom 27.9.1988 - 1 C 52.87 -, a.a.O., S. 104).

45

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Weil die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt hat, konnten ihr Kosten nicht auferlegt werden (§ 154 Abs. 3 VwGO). Ihre außergerichtlichen Kosten konnten aus Billigkeitsgründen nicht für erstattungsfähig erklärt werden, weil die Beigeladene sich durch ihren Verzicht auf einen Sachantrag nicht am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Hinselmann
Thommes
Baumgarten