Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 02.09.2013, Az.: 1 A 2185/12

Begründung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit bei Verstoß gegen die Auskunftspflicht aus § 39 Abs. 1 S. 1 WaffG

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
02.09.2013
Aktenzeichen
1 A 2185/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 45049
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2013:0902.1A2185.12.0A

Fundstelle

  • NdsVBl 2013, 6

[Tatbestand]

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner beiden Waffenbesitzkarten und den zu dieser Sache ergangenen Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten.

Der Kläger ist Inhaber zweier Waffenbesitzkarten. Die eine wurde ihm am 14. Februar 1992, Nummer D., für eine Signalpistole Kaliber 4 (26,5 mm) des Herstellers E. mit der Herstellernummer F. sowie der Berechtigung zum Munitionserwerb ausgestellt. Die andere datiert vom 4. März 2010, Nummer G., für eine Pistole Kaliber 9 mm des Herstellers H. mit der Herstellernummer I. sowie der Berechtigung zum Munitionserwerb.

Am 6. Mai 2012 meldete die Ehefrau des Klägers der Polizei, dass der Kläger nach einem Ehestreit die Absicht geäußert habe sich umzubringen und mit einer scharfen Schusswaffe mit dem Auto unterwegs sei. Im Auto befänden sich die gemeinsamen Töchter (Alter: 16 und 20 Jahre). Der Polizei gelang es, das Auto mit dem Kläger und seinen beiden Töchtern am frühen Abend festzusetzen, nachdem der Kläger zusammen mit seinen Töchtern das Haus seiner Eltern verlassen hatte, bei denen er sich zuvor aufgehalten hatte. Die Polizei durchsuchte den Kläger und fand drei 9mm-Patronen in seiner Hosentasche sowie ein ungeladenes Pistolenmagazin im Handschuhfach. Eine Waffe wurde nicht bei ihm gefunden. Er gab an, diese in die Elbe geworfen zu haben und dass man ihm das Gegenteil nicht beweisen könne. Zu einer freiwilligen Herausgabe der Waffe sei er nicht bereit, weil er befürchte, diese nicht zurück zu erhalten. Die Polizei stellte etwa 1000 Schuss Munition im Hause des Klägers sicher. Diese wurden ihr durch eine der Töchter des Klägers ausgehändigt. Der herbeigerufene Hausarzt erklärte, dass er den Kläger für labil halte und eine Kurzschlusshandlung aufgrund der familiären Belastungen nicht ausgeschlossen sei. Der Kläger begab sich schließlich in die Psychiatrie. Dort wurde er am späteren Abend entlassen, weil eine Eigen- oder Fremdgefährdung nicht zu befürchten sei.

Unter dem 10. Mai 2012 hörte der Beklagte den Kläger mit Frist bis zum 24. Mai 2012 zum beabsichtigten Widerruf seiner Waffenbesitzkarten wegen des unsorgfältigen Umgangs mit Schusswaffen an. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 teilte der Kläger mit, dass sich seine Waffe im Tresor eines Waffenbruders befinde und dort auch bleibe. Er wolle seinen Kollegen nicht in die Sache hineinziehen. Er habe niemals die Absicht gehabt sich umzubringen und dies auch immer so gesagt. Die drei Schuss 9 mm-Munition habe er mitgeführt, weil er seinen Kollegen gefragt habe, ob es möglich sei, diese Munitionsart selber zu stopfen.

Mit Bescheid vom 31. Juli 2012 widerrief der Beklagte die beiden Waffenbesitzkarten des Klägers und ordnete an, diese an ihn zurückzugeben und die darauf eingetragenen Waffen und noch vorhandene Munition einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen. Als Frist setzte der Beklagte den 24. August 2012. Seinen Bescheid begründete er damit, dass der Kläger sich als unzuverlässig erwiesen habe, weil er seinen Pflichten zur sicheren Verwahrung seiner Waffen nicht nachgekommen sei. Die Waffenbesitzkarten seien aufgrund des Widerrufs unverzüglich zurückzugeben. Auch die Waffen müsse der Kläger einem Berechtigten überlassen bzw. unbrauchbar machen. Für den Fall, dass der Kläger den Anordnungen des Beklagten nicht nachkomme, ordnete dieser die Sicherstellung der Waffen und Munition an. Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 31. Juli 2012 setzte der Beklagte für seinen Widerrufsbescheid Kosten in Höhe von insgesamt 163,68 € fest.

Am 14. August 2012 hat der Kläger Klage gegen die genannten Bescheide erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er die erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Bei der Autofahrt am 6. Mai 2012 habe er keine Waffe mit sich geführt und sei auch nicht suizidal gewesen. Der Beklagte habe keine Feststellungen zur Aufbewahrung der Waffen und Munition des Klägers getroffen, sondern bewege sich im Bereich der Mutmaßungen. Seine Pistole Kaliber 9 mm KPS Nr. I. befinde sich gegenwärtig bei seinem Schießlehrer in Bremen. Davor sei die Waffe zur Instandsetzung bei der Firma J. K. in L. gewesen. Diese habe die Pistole an den Hersteller verschickt. Eine zwischenzeitliche Aufbewahrung bei einem Waffenbruder sei erlaubnisfrei. Der Beklagte habe keine Tatsachen festgestellt, mit denen seine, des Klägers, Angaben widerlegt werden könnten. Die Fristsetzung zum 24. August 2012 sei unzulässig, weil der Bescheid nicht sofort vollziehbar sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 31. Juli 2012 und den Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 31. Juli 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertieft seinen Ausgangsbescheid und weist darauf hin, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, den Aufbewahrungsort der 9 mm-Pistole des Herstellers H. mit der Nr. I. zu ermitteln. Dies beruhe darauf, dass der Kläger die notwendigen Angaben nicht gemacht habe. Er habe daher die Waffe nicht sicher verwahrt und sei als unzuverlässig anzusehen. Die getroffenen Anordnungen ergäben sich zwingend aus dem Gesetz bzw. seien zur Gefahrenabwehr geboten. Die festgesetzten Kosten seien angemessen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 31. Juli 2012 ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Der Widerruf der Waffenbesitzkarten (Ziffer I. des Bescheides) ist formell und materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Erlaubnisse nach diesem Gesetz sind Waffenscheine und Waffenbesitzkarten gemäß § 10 WaffG. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis nach dem Waffengesetz, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5) und persönliche Eignung (§ 6) besitzt. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2b WaffG besitzen Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen und Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren, die erforderliche Zuverlässigkeit nicht. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2c WaffG fehlt Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind, ebenfalls die erforderliche Zuverlässigkeit.

Die waffenrechtlich erforderliche Zuverlässigkeit ist anhand einer zukunftsgerichteten Prognose zu beurteilen. Dabei ist in der Rechtsprechung geklärt, dass sogar einmalige Verfehlungen den Schluss auf das Fehlen der erforderlichen Zuverlässigkeit rechtfertigen können, sofern sie hinreichend schwer wiegen. Die erforderliche Prognose hat sich am Zweck des Gesetzes zu orientieren, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Dabei wird nicht der Nachweis verlangt, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen wird, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Denn im Bereich des Waffenrechts kann angesichts der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ausgehen, ein Restrisiko nicht hingenommen werden (Nds. OVG, Beschluss v. 19.04.2010 - 11 LA 389/09, [...]; VG Braunschweig, Beschluss v. 18.11.2010 - 5 B 203/10).

Die Anforderungen an eine sorgfältige Aufbewahrung von Waffen und Munition folgen aus § 36 WaffG. Nach Absatz 1 Satz 1 muss der Besitzer von Waffen oder Munition die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhanden kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen. Gemäß Absatz 3 Satz 1 hat der Besitzer erlaubnispflichtiger Schusswaffen oder Munition der zuständigen Behörde die zur sicheren Aufbewahrung getroffenen oder vorgesehenen Maßnahmen nachzuweisen. Aus § 34 Abs. 1 Satz 1 WaffG folgt, dass Waffen oder Munition nur berechtigten Personen überlassen werden dürfen. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 WaffG hat jeder, der Waffenherstellung, Waffenhandel oder eine Schießstätte betreibt, eine Schießstätte benutzt oder in ihr die Aufsicht führt, ein Bewachungsunternehmen betreibt, Veranstaltungen zur Ausbildung im Verteidigungsschießen durchführt oder sonst den Besitz über Waffen oder Munition ausübt, der zuständigen Behörde auf Verlangen die für die Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Auskunftspflicht trifft nicht nur die in § 39 Abs. 1 Satz 1 WaffG besonders genannten Personengruppen, sondern alle, die den Besitz über Waffen oder Munition ausüben (Steindorf/Heinrich/Papsthart, Waffenrecht, 9. Aufl. 2010, § 39 WaffG Rn. 2). Verstöße gegen die genannten Pflichten sind Ordnungswidrigkeiten gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 16, 19 und 21 WaffG und gemäß § 53 Abs. 2 WaffG bußgeldbewehrt.

Hier hat der Kläger als Besitzer von Waffen laut Waffenbesitzkarte gegen seine Auskunftspflicht aus § 39 Abs. 1 Satz 1 WaffG verstoßen und so verhindert, dass der Beklagte die sorgfältige Aufbewahrung bzw. eine Weitergabe der Waffe des Klägers an Berechtigte überprüfen konnte. Dieser Verstoß gegen das Waffengesetz wiegt hinreichend schwer, so dass von einer Unzuverlässigkeit des Klägers i. S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2b und 2c WaffG auszugehen ist. Zunächst handelt es sich bei einer Verletzung der Auskunftspflicht nicht um einen "Bagatellverstoß". Dies folgt bereits daraus, dass ein solcher Verstoß als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt ist. Weiterhin lassen die Gesamtumstände, unter denen der Kläger den Verstoß begangen hat, erkennen, dass der Kläger in einer persönlichen Stresssituation - hier einer ehelichen Auseinandersetzung - keine ausreichende Gewähr dafür bietet, seinen Pflichten als Waffenbesitzer nachzukommen. Stattdessen hat er gegenüber den Einsatzkräften zunächst behauptet, seine Pistole in die Elbe geworfen zu haben. Diese Aussage steht erkennbar im Widerspruch zu den im weiteren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren getätigten Angaben zum Verbleib der Pistole und muss daher als Lüge angesehen werden. Auch nach Beruhigung der aufgeheizten Situation hat der Kläger es versäumt, dem Beklagten gegenüber seinen Auskunftspflichten zu genügen. Im Zuge der verwaltungsrechtlichen Anhörung am 23. Mai 2012 angegeben, die Waffe bei einem ungenannten "Waffenbruder" zu lagern. Diese Auskunft war ungenügend, weil der Beklagte keine Möglichkeit der Überprüfung erhalten hat. Im gerichtlichen Verfahren hat der Kläger dem Gericht gegenüber zwar weitere, teilweise auch nachprüfbare, Angaben zum Standort der Waffe gemacht. Allerdings hat er in der mündlichen Verhandlung betont, dass er dem Beklagten grundsätzlich misstraue und daher zu Auskünften über seine Waffe nicht bereit sei. Vielmehr befürchte er, dass er seine Waffe vom Beklagten nicht wieder erhalte und dass dieser die Waffe nicht sachgemäß behandeln würde. Daher habe er zu "Schutzbehauptungen" ihm gegenüber gegriffen. Mit diesem Verhalten genügt der Kläger seinen Auskunftspflichten nicht. Denn diese treffen ihn gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 WaffG gegenüber dem Beklagten als zuständiger Behörde und nicht erst gegenüber dem Gericht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegt, dass und wie sehr er dem Beklagten gegenüber misstraut. Diese Äußerung lässt darauf schließen, dass der Kläger auch in Zukunft in waffenrechtlichen Fragen zu vergleichbaren "Schutzbehauptungen" greifen wird und es so dem Beklagten erschweren oder sogar unmöglich machen wird, den behördlichen Kontrollpflichten zu genügen. Eine günstige Prognose kann dem Kläger daher bezüglich seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nicht gestellt werden.

Aus der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Waffenbesitzkarten folgt gemäß § 46 Abs. 1 WaffG zwingend auch die Rechtmäßigkeit der unter Ziffer II. getroffenen Anordnung, die Waffenbesitzkarten beim Beklagten abzugeben.

Die weitere Anordnung des Beklagten in Ziffer II. des angefochtenen Bescheides, noch vorhandene Munition und die in den Waffenbesitzkarten eingetragenen Waffen dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen und darüber einen Nachweis zu führen, beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen ist sie ebenfalls rechtmäßig. Ermessensfehler des Beklagten sind nicht erkennbar.

Die mit der Anordnung in Ziffer II. des Bescheides verbundene Fristsetzung findet ihre Rechtsgrundlage ebenfalls in § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Waffenbesitzkarten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine Fristsetzung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Sofern der Beklagte die Sicherstellung von Waffen und noch im Besitz des Klägers befindlicher Munition für den Fall der Fristversäumnis angeordnet hat, bewegt er sich im Rahmen des § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG. Es handelt sich hierbei um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung hat der Beklagte bislang noch nicht ergriffen.

Die Festsetzung der Kostentragungspflicht des Klägers begegnet keinen Bedenken. Auch der Kostenfestsetzungsbescheid vom 31. Juli 2012 ist rechtmäßig. Dem Grunde nach ergibt sich die Pflicht des Klägers zum Tragen der Verwaltungskosten für Amtshandlungen nach dem WaffG aus § 50 Abs. 1 WaffG. Gegen die konkrete Höhe der Gebühr sind Einwände nicht erhoben und nicht ersichtlich. Auslagen durfte der Beklagte gemäß §§ 1, 13 Niedersächsisches Verwaltungskostengesetz erheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.