Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.06.2018, Az.: 2 Ws 231/18
Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Überprüfungsverfahren zur Fortdauer der unbefristeten Führungsaufsicht aufgrund Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.06.2018
- Aktenzeichen
- 2 Ws 231/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 33079
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 18.05.2018 - AZ: 75 StVK 108/17
- LG Hannover - 09.10.2017 - AZ: 75 StVK 108/17
Rechtsgrundlagen
- StGB § 67d Abs. 2
- StGB § 68e Abs. 3
- StGB § 68c Abs. 3 Nr. 1
- StPO § 140 Abs. 2
Amtlicher Leitsatz
Liegt der Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht eine Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung zugrunde, ist dem Verurteilten für das Überprüfungsverfahren zur Fortdauer der unbefristeten Führungsaufsicht regelmäßig ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 18.05.2018 wird Rechtsanwalt ..., als Pflichtverteidiger für die anstehende Entscheidung über die Fortdauer der unbefristeten Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 3 Nr. 2 StGB bestellt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten im Beschwerdeverfahren werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
Das Rechtsmittel gegen die Versagung der Bestellung eines Pflichtverteidigers hat in der Sache Erfolg.
I.
Der Beschuldigte steht unter unbefristeter Führungsaufsicht. Er leidet an einer hochgradigen psychischen Störung mit manischen und paranoid-halluzinatorischen Anteilen sowie erheblichen affektiven Störungen.
Durch das im Sicherungsverfahren ergangene Urteil des Landgerichts Hannover vom 23.08.2007 (40a KLs 2303 Js 3613/06 - 27/06) ist seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet und zugleich nach § 67b StGB deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden. Dem Urteil liegen acht in krankheitsbedingt schuldunfähigem Zustand begangene Anlasstaten im Zeitraum vom 14.10.2005 bis 17.09.2006 zu Grunde, nämlich Bedrohungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, eine versuchte gefährliche Körperverletzung sowie vollendete Körperverletzungen. Unter anderem bedrohte der Beschuldigte einen Fahrgast in der Straßenbahn mit einem Klappmesser sowie einen Verkäufer mit einem abgebrochenen Flaschenhals. Ferner warf er - ohne zu treffen - ein Fleischerbeil nach seinem Vater. Schließlich verletzte er den Besucher einer Diskothek mit einem Faustschlag in dessen Gesicht schwer. Dieser erlitt einen mehrfachen Nasenbeinbruch sowie Absplitterungen an mehreren Zähnen.
Die Zeit der Führungsaufsicht ist durch einen wechselhaften Verlauf geprägt. Nach wiederholter Verlängerung der ursprünglich auf drei Jahre befristeten Führungsaufsicht sowie nach Vollstreckung einer sechsmonatigen Krisenintervention gemäß § 67h StGB ist mit unangefochtenem Beschluss des Landgerichts Hannover vom 14.02.2013 die Führungsaufsicht gemäß § 68c Abs. 3 Nr. 1 StGB unbefristet verlängert worden. Durch die Beschlüsse des Landgerichts Hannover vom 10.02.2015 und 30.05.2016 ist auf die turnusmäßige Prüfung nach § 68e Abs. 3 Nr. 2 StGB jeweils die Fortdauer der Führungsaufsicht angeordnet worden. Zuletzt hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover mit Beschluss vom 09.10.2017 (75 StVK 108/17) den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Vollstreckungsaussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zurückgewiesen.
Unter dem Datum des 07.12.2017, 15.02.2018 und 04.04.2018 haben die Forensische Institutsambulanz sowie der Bewährungshelfer am 10.04.2018 der Strafvollstreckungskammer schriftlich über den weiteren Verlauf der Führungsaufsicht berichtet.
Unter Bezugnahme auf diese Berichte - jedoch ohne deren Beifügung in Ablichtung - hat die Strafvollstreckungskammer dem Beschuldigten mit Schreiben vom 27.04.2018 rechtliches Gehör zu der erneut anstehenden turnusmäßigen Entscheidung über die Fortdauer der Führungsaufsicht gewährt. Daraufhin hat der Verteidiger namens und im Auftrage des Beschuldigten seine Bestellung als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO sowie die Gewährung von Akteneinsicht beantragt.
In der angefochtenen Entscheidung vom 18.05.2018 hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer den Antrag des Beschuldigten auf Bestellung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es liege ein Fall der notwendigen Verteidigung nicht vor. Die Prüfung der weiteren Fortdauer der Führungsaufsicht erfordere keine Mitwirkung eines Verteidigers. Einer mündlichen Anhörung bedürfe es nicht.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Beschuldigten, der durch den Vorsitzenden nicht abgeholfen worden ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Dem Beschuldigten war daher durch den Senat der gewählte Pflichtverteidiger zu bestellen.
1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig, § 305 S. 1 StPO steht dem nicht entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 141 Rn. 10 f.; KK-StPO/Laufhütte/Willnow, 7. Auflage 2013, StPO § 141 Rn. 13; OLG Celle MDR 1985, 603 ff. [OLG Celle 17.05.1984 - 1 Ws 161/84]; StV 1985, 184 ff.; NStZ 2009, 56).
2. Die Beschwerde ist begründet.
Zutreffend wird in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass eine spezielle gesetzliche Anordnung einer notwendigen Verteidigung nicht besteht. Auch in § 463 Abs. 3 S. 5, Abs. 4 S. 8, Abs. 8 StPO ist eine solche für die Entscheidung über die Verlängerung einer unbefristeten Führungsaufsicht nicht enthalten. Im hier vorliegenden Fall gelten daher die allgemeinen Grundsätze.
In Vollstreckungssachen ist über die Frage der notwendigen Verteidigung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Die Beiordnung ist dann angezeigt, wenn die - vollstreckungsrechtliche - Sach- oder Rechtslage schwierig ist oder wenn sich der Verurteilte nicht selbst verteidigen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 140 Rn. 33 m.w.N.; KK-StPO/Laufhütte/Willnow, a.a.O., Rn. 11).
a) Nach Auffassung des Senats ist in Fällen wie diesem, in denen die unbefristete Führungsaufsicht auf der Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 63, 67b, 67d Abs. 2 StGB) beruht, Verurteilten regelmäßig für die Entscheidung über die Fortdauer der unbefristeten Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 3 Nr. 2 StGB ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies gebieten häufig bereits die krankheitsbedingten Einschränkungen in der Fähigkeit solcher Verurteilter, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen. Insbesondere aber das Gewicht der zu treffenden Entscheidung spricht für eine notwendige Verteidigung. Denn während der gesamten weiteren Dauer der unbefristeten Führungsaufsicht haben Verurteilte die Gefahr zu gewärtigen, dass die Aussetzung der Vollstreckung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67g StGB widerrufen und dann die Maßregel gegen sie - ebenfalls unbefristet - vollstreckt werden wird.
b) Auch die Umstände im vorliegenden Einzelfall sprechen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers.
aa) Bereits die Sachlage erscheint hinreichend schwierig und der Beschuldigte ist derzeit aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage, sich selbst angemessen zu verteidigen. So liegen der Strafvollstreckungskammer Berichte mit ambivalentem Inhalt über den Fortgang der Führungsaufsicht vor. Erst vor wenigen Monaten hatte die Strafvollstreckungskammer über einen Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Auch wenn der Beschuldigte sich derzeit nicht in einem akuten Krankheitszustand befindet, liegt es doch nahe, dass er seine Rechte allenfalls eingeschränkt wahrzunehmen in der Lage ist. Dies gilt umso mehr, als die Strafvollstreckungskammer die Entscheidung im schriftlichen Verfahren treffen möchte und ihm die maßgeblichen Berichte bislang nicht zur Verfügung gestellt hat.
bb) Aber auch die Rechtslage erscheint nach Auffassung des Senats derzeit nicht hinreichend geklärt. Die Strafvollstreckungskammer wird insbesondere zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen der unbefristeten Verlängerung der Führungsaufsicht dem Grunde nach überhaupt vorliegen. Deren ursprüngliche Anordnung hat das Landgericht Hannover im Beschluss vom 14.02.2013 auf Grundlage des § 68c Abs. 3 Nr. 1 StGB getroffen. Der Wortlaut dieser Vorschrift erfordert jedoch die Aussetzung einer - bereits vollzogenen - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 2 StGB. Im Hinblick darauf, dass im vorliegenden Fall die Aussetzung der Vollstreckung auf Grundlage des § 67b StGB erfolgt ist, dürfte der Anwendungsbereich dieser Vorschrift überschritten sein.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.