Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.06.2018, Az.: 2 Ss 56/18

Strafbarkeit der jeweiligen Beantragung einer neuen Duldung unter wiederholter Angabe falscher Personalien

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.06.2018
Aktenzeichen
2 Ss 56/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 57704
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 13.12.2017 - AZ: 39 Ns 77/17
AG Lüneburg - 22.02.2016 - AZ: 14 Cs 1109 Js 27019/15 - 60/16

Amtlicher Leitsatz

1. Ein Ausländer, der zum Ablauf seiner befristeten Duldung jeweils eine neue Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz unter wiederholter Angabe falscher Personalien beantragt, setzt sich mit jedem neuen Antrag jeweils der Strafbarkeit des Erschleichens einer Duldung gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG aus.

2. Die Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben gemäß § 49 Abs. 2 AufenthG gilt bei jedem neuen Antrag auf Erteilung einer Duldung uneingeschränkt. Die Gefahr, sich bei wahrheitsgemäßen Angaben aufgrund vorhergehender falscher Angaben der Strafverfolgung auszusetzen, berührt den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) nicht.

Tenor:

1. Das Verfahren wird hinsichtlich der Taten 20 (Tat vom 22.01.2013) und 21 (Tat vom 22.03.2013) des Strafbefehls des Amtsgerichts Lüneburg vom 25.02.2016 (14 Cs 1109 Js 27019/15 - 60/16) im Hinblick auf die übrigen Straftaten gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse zur Last.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom 13.12.2017 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte des Erschleichens einer Duldung in 26 Fällen schuldig ist (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lüneburg hat den Angeklagten, der gegen dessen Strafbefehl vom 25.02.2016 rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, mit Urteil vom 19.06.2017 von den Tatvorwürfen des Erschleichens einer Duldung in 36 Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die gegen dieses Urteil durch die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat die 9. kleine Strafkammer des Landgerichts Lüneburg das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg aufgehoben und den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil vom 13.12.2017 wegen Erschleichens einer Duldung in 28 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20 € unter Gewährung von Zahlungserleichterungen verurteilt. Zuvor hatte die Strafkammer acht weitere Tatvorwürfe (Taten 1 bis 8 des Strafbefehls des Amtsgerichts Lüneburg) gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.

Der Angeklagte ist bislang unbestraft.

Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte in der Ausländerbehörde des Landkreises Lüneburg jeweils wenige Tage vor Ablauf seiner zuvor erlangten befristeten aufenthaltsrechtlichen Duldung erschien. Um eine weitere Duldung zu erlangen, unterzeichnete er jeweils einen schriftlichen Antrag. In diesem gab er jeweils wiederkehrend unzutreffende Personalien hinsichtlich seines Vor- und Nachnamens, seines Geburtsdatums sowie seines Geburtsortes an. Dabei war ihm jeweils bewusst, dass er gegen eine gesetzliche Wahrheitspflicht verstieß. Auf dieser Grundlage erteilte ihm die Ausländerbehörde jeweils eine neue befristete Duldung. Letztlich offenbarte der Angeklagte am 18.05.2015 seine richtigen Personalien.

Zu den einzelnen Taten im Zeitraum vom 24.01.2012 bis 17.03.2015 hat das Landgericht sodann jeweils konkrete Feststellungen getroffen. Offenkundig irrtümlich wurden dabei die Daten der Tat 3 auch bei der Beschreibung der Taten 4 und 26 wiederholt, wohingegen die im Strafbefehl aufgeführten Taten vom 22.01.2013 und 21.02.2013 fehlen.

Rechtlich hat die Strafkammer die festgestellten Taten als Erschleichen einer Duldung gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in 28 Fällen gewertet.

Strafmildernd hat das Landgericht berücksichtigt, dass der Angeklagte bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und die Taten durch Mitteilung seiner richtigen Personalien selbst offenbart hat. Ferner wird ihm zugutegehalten, dass er sich um die Sicherung seines Lebensunterhalts durch das Erlernen eines Berufes bemüht und ein Bleiberecht bei der Härtefallkommission beantragt hat. Darüber hinaus hat die Kammer zugunsten des Angeklagten gewertet, dass sämtliche Taten bereits erhebliche Zeit zurückliegen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat die Kammer auf Einzelstrafen von jeweils 20 Tagessätzen erkannt und entsprechend der Höhe der Ausbildungsvergütung des Angeklagten die Tagessatzhöhe auf 20 € festgesetzt.

Aus diesen Einzelstrafen hat das Landgericht unter Berücksichtigung der großen Anzahl von Einzeltaten einerseits sowie der jeweils nur kurzfristig erteilten Duldungen andererseits auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen erkannt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er vertritt die Auffassung, er sei aus Rechtsgründen freizusprechen, da ihm im Lichte des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit nicht zuzumuten gewesen sei, bei der Ausländerbehörde zutreffende Angaben zu seinen Personalien zu machen und sich so selbst der Strafverfolgung wegen früherer unzutreffender Angaben entgegen § 49 Abs. 2 AufenthG auszusetzen. Die Strafnorm des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (sowie des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) sei daher im Wege der verfassungskonformen Reduktion auszulegen beziehungsweise auf den in der Hauptverhandlung erklärten ausdrücklichen Widerspruch hin sei ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Aussage des bei dem Ausländeramt tätigen Zeugen zu beachten gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Verfahren hinsichtlich der Taten zu den Ziffern 20 (Tat vom 22.01.2013) und 21 (Tat vom 21.02.2013) des Strafbefehls vom 25.02.2016 gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig einzustellen und die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe zu verwerfen, dass der Angeklagte des Erschleichens einer Duldung (lediglich) in 26 Fällen schuldig ist.

II.

Die zulässige Revision erweist sich als unbegründet.

1. Der Senat hat das Verfahren hinsichtlich der Taten 20 (Tat vom 22.01.2013) und 21 (Tat vom 22.03.2013) des Strafbefehls des Amtsgerichts Lüneburg vom 25.02.2016 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Die in jeder Lage des Verfahrens mögliche Einstellung ist vorliegend angezeigt, weil im angefochtenen Urteil zu den genannten Taten offenkundig irrtümlich keine Feststellungen getroffen worden sind.

2. Zudem war der Schuldspruch auf ein Erschleichen einer Duldung in (lediglich) 26 Fällen zu ändern. Aufgrund der irrtümlichen Wiederholungen der für die Tat 3 getroffenen Feststellungen bei den Taten 4 und 26 tragen die Feststellungen zur Sache im angefochtenen Urteil nur einen Schuldspruch in diesem Umfang.

3. Die Änderung des Schuldspruches lässt den Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. Das Landgericht hatte für die die jeweiligen Einzeltaten ohnehin lediglich geringe Einzelgeldstrafen verhängt. Darüber hinaus hat die Strafkammer bei der Bemessung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß §§ 53, 54 StGB rechtsfehlerfrei die Einzelstrafen im Rahmen eines deutlichen Strafzusammenzuges auf eine sehr moderate Gesamtgeldstrafe zurückgeführt. Vor diesem Hintergrund kann der Senat in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft ausschließen, dass das Landgericht bei dem Entfallen von Einzelstrafen in lediglich geringer Anzahl im Verhältnis zu der deutlich höheren Gesamtanzahl der Taten auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.

4. Die Überprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, so dass der Senat die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO verwirft.

Die Revision des Angeklagten hat weder mit der Verfahrens- noch mit der Sachrüge Erfolg.

Beide Rügen werden - insoweit doppel-relevant - auf die Rechtsansicht gestützt, die Verurteilung beruhe auf einem Verstoß gegen den Grundsatz, dass sich niemand durch seine eigenen Angaben strafrechtlich selbst zu belasten brauche (Selbstbelastungsfreiheit, nemo tenetur se ipsum accusare). Lediglich bei der - hier nicht verfahrensgegenständlichen - erstmaligen Beantragung einer Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz unter Angabe unzutreffender Personalien könne sich der Angeklagte des Erschleichens einer Duldung nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG schuldig gemacht haben. Bei allen nachfolgenden Anträgen - wie auch den verfahrensgegenständlichen - hätte sich der Angeklagte hingegen jeweils selbst der vorhergehenden Straftaten bezichtigen müssen, wenn er seiner gesetzlichen Pflicht entsprechend wahrheitsgemäße Angaben zu seinen Personalien gemacht hätte. Gerade dieses sei jedoch mit der Selbstbelastungsfreiheit unvereinbar und müsse im Ergebnis zu einem Ausschluss der Strafbarkeit führen.

Diese Argumentation erweist sich als unzutreffend. Die angefochtene Entscheidung berührt den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht. Die Revision legt an diesen Grundsatz vielmehr einen fehlerhaften Maßstab an. Tatsächlich verstößt im vorliegenden Einzelfall die Verhängung der Strafe weder gegen einfaches Recht noch gegen Verfassungsrecht.

Im Einzelnen:

a) Nach § 49 Abs. 2 AufenthG ist jeder Ausländer verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden auf Verlangen die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht wird durch die hier Anwendung findende Strafvorschrift des § 96 Abs. 2 Nr. 2 AufentG (sowie subsidiär nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) unter Strafe gestellt. Aus dem Wortlaut dieser Vorschriften ist im Hinblick auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit weder eine Beschränkung der Verpflichtung zu wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben noch eine Ausnahme von der Strafbarkeit bei einem (wiederholten) schuldhaften Verstoß gegen diese Verpflichtung zu entnehmen. Auch der Systematik des Aufenthaltsgesetzes ist insoweit - anders als in anderen Rechtsgebieten wie beispielsweise im Steuerrecht § 393 Abs. 1 und 2 AO - die ausdrückliche Anordnung einer Einschränkung gesetzlich auferlegter Pflichten oder ein Beweisverwertungsverbot fremd.

b) Auch im Gesetzgebungsprozess ist eine solche Einschränkung offenbar nicht diskutiert worden. Mit dem durch die Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Aufenthaltsgesetzes vom 14.01.2002 sollte ausdrücklich die Strafbarkeit unvollständiger oder unrichtiger Angaben gegenüber der Fassung des bisherigen Ausländergesetzes erweitert unter Strafe gestellt werden (vgl. BT-Drucks. Nr. 14/7987, S. 23, Nr. 64). In der Gegenäußerung der Bundesregierung vom 23.01.2002 zu der Stellungnahme des Bundesrates (BT-Drucks. Nr. 14/8046, S. 6, zu Nr. 64) heißt es klarstellend: "Auch insoweit besteht keine Regelungslücke, soweit es sich um die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung geht. Denn diese ist wie eine Neuerteilung zu behandeln. Unrichtige oder unvollständige Angaben in dem Verlängerungsantrag sind demnach ebenfalls strafbar." Dieser dem Gesetzesvorhaben zugrundeliegende Wille ist auf Duldungen übertragbar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit in Bezug auf eine Selbstbelastungsfreiheit einschränken wollte. Nach seiner Vorstellung sollte jede weitere Verlängerung der Duldung unter unrichtigen oder unvollständigen Angaben gesondert unter Strafe stehen.

c) Schließlich widerspricht die Bestrafung im vorliegenden Falle gerade nicht dem verfassungsrechtlichen Schutz vor erzwungener Selbstbelastung.

Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, durch eigene Aussage die Voraussetzung für eine strafgerichtliche Verurteilung zu liefern, ist vom Bundesverfassungsgericht als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG anerkannt worden. Durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten kann die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden. Wegen dieser Folgen ist die erzwingbare Auskunftspflicht als Eingriff in die Handlungsfreiheit sowie als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt zugleich die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwendet wird (zusammenfassend: BVerfG NJW 2005, 352-353 [BVerfG 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04], juris Rn. 8).

aa) Daraus wird vereinzelt in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur geschlossen, dass in Fällen wie dem vorliegenden bereits die Strafbarkeit ausgeschlossen sei. Dies wird entweder durch eine verfassungskonform einschränkende Auslegung der Strafnormen selbst (LG Berlin, StV 2015, 704-705, juris Rn. 16; Winkelmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 95 Rn. 63) oder durch eine Begrenzung der den Straftatbeständen zugrundeliegenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (Mosbacher in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand: April 2018, § 95 Rn. 140) begründet.

bb) Andere gehen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon aus, dass die unter der gesetzlichen Auskunftspflicht unter Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit getätigten Angaben (jedenfalls) mit einem Beweisverwertungsverbot belegt sind (Fahlbusch in: Hoffmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 95 AufenthG Rn. 102, 225; Hohoff in: BeckOK AuslR, 17. Ed. 01.11.2017, AufenthG § 95 Rn. 46; Mosbacher, a.a.O., Rn. 139).

cc) Indessen sieht der Senat den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit im vorliegenden Fall nicht berührt. Der festgestellte Sachverhalt unterfällt bereits nicht den Voraussetzungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung und das Bundesverfassungsgericht einem Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit zugrunde legen.

Die Revision verkennt bereits, dass durch den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit allenfalls ein Schweigen bzw. Passivität des Auskunftspflichtigen geschützt wird. Hingegen berechtigt der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht zur Begehung neuen Unrechts (vgl. zur steuerrechtlichen Rechtsprechung: BGH wistra 2012, 482, 483 f.[BGH 21.08.2012 - 1 StR 26/12], juris; NStZ 2005, 517-519 [BGH 17.03.2005 - 5 StR 328/04], juris Rn. 13-15; NJW 2002, 1134-1135, juris Rn. 6; Jäger in: Klein, Abgabenordnung, 13. Auflage 2016, § 393 Rn. 29-30). Die dazu ergangene Rechtsprechung aus dem Steuerrecht ist auf die vorliegende Konstellation aus dem Ausländerrecht übertragbar. Wie ein Ausländer nach dem Aufenthaltsgesetz ist auch ein Steuerpflichtiger nach dem Gesetz der jeweiligen Besteuerungsart verpflichtet, jeweils wiederkehrend wahrheitsgemäße Angaben zu seinen steuerlich relevanten Vorgängen zu machen. Beispielsweise bei der Abgabe einer Erklärung zur Einkommenssteuer oder bei der Umsatzsteuerjahreserklärung kann der Steuerpflichtige Gefahr laufen, durch wahrheitsgemäße Angaben unrichtige Einkommenssteuererklärungen der Vorjahre oder eine unzutreffende Umsatzsteuervoranmeldung preisgeben zu müssen. Gleichwohl ist es ihm verwehrt, zur Verdeckung der vorangegangenen - nach § 370 AO strafbewehrten - Steuerverkürzung Einkünfte weiterhin zu verschweigen oder die unrichtigen Angaben der Voranmeldung bei der Umsatzsteuerjahreserklärung zu wiederholen.

Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte nach den zutreffenden Feststellungen des Tatgerichts jedoch jeweils die Angabe der unwahren Personalien bei jeder nachfolgenden Beantragung einer erneuten Duldung schriftlich wiederholt. Er hat mithin die unzutreffenden Angaben jeweils aktiv vorgenommen.

Auch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann sich der Angeklagte nicht auf die Selbstbelastungsfreiheit berufen. In seiner grundlegenden Entscheidung vom 13.01.1981 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 56, 37-54 [BVerfG 13.01.1981 - 1 BvR 116/77], juris) zwar ein strafrechtliches Verwertungsverbot angenommen. Dies beruhte jedoch maßgeblich auf der Erwägung, dass in dem dort entschiedenen Fall zum einen eine uneingeschränkte gesetzliche Auskunftspflicht bestand und diese zum anderen auch durch Zwangsmittel (Beugehaft) durchgesetzt werden konnte (a.a.O. Rn. 27). In einer späteren Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht dies nochmals klargestellt (BVerfG NJW 2005, 352-353 [BVerfG 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04], juris Rn. 12): "Ein Beweisverwertungsverbot für das Strafverfahren folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aber nur im Hinblick auf solche Tatsachen, die auf Grund erzwingbarer Auskunftspflichten offenbart werden. [...] Drohen hingegen im Fall der Nichterfüllung einer gesetzlichen Auskunftspflicht keine Zwangsmaßnahmen, so lässt sich verfassungsrechtlich aus der gesetzlichen Auskunftspflicht selbst noch kein strafrechtliches Beweisverwertungsverbot herleiten [...]."

Im hier vorliegenden Fall bestand zwar ebenfalls nach § 49 Abs. 2 AufenthG eine unbeschränkte Auskunftspflicht. Es fehlte jedoch an der Möglichkeit der Ausländerbehörde, diese gegenüber dem Angeklagten mit Zwangsmitteln durchzusetzen.

dd) Der Senat hat auch geprüft, ob die wahren Angaben des Angeklagten zu seiner Identität vom 18.05.2015 einem Beweisverwertungsverbot unterfallen und im Ergebnis seine Strafbarkeit ausschließen könnten. Dem stehen zunächst jedoch die bereits erörterten, fehlendenden Voraussetzungen des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit entgegen. Würde man diese jedoch vorliegend unterstellen, fehlt es darüberhinausgehend an einer weiteren Voraussetzung: Im Hinblick darauf, dass die befristete Duldung noch bis zum 16.06.2015 (irrtümlich im angefochtenen Urteil als "16.06.2010" bezeichnet) andauerte, bestand rund einen Monat vorher für den Angeklagten noch kein Bedürfnis, bereits zu diesem Zeitpunkt eine neue Duldung zu beantragen. Es liegt daher nahe, dass es zur Offenbarung seiner wahren Identität im Zusammenhang mit dem Antritt eines Ausbildungsplatzes sowie dem Antrag bei der Härtefallkommission auf Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis kam. Ein aufgrund einer freiwilligen Preisgabe der Information ausgelöste Strafbarkeit wird jedoch ebenfalls nicht durch den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ausgeschlossen. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht vor der Bestrafung strafbaren Verhaltens an sich, sondern lediglich vor einem rechtlichen Zwang zur Selbstbelastung und einer darauf beruhenden strafrechtlichen Verurteilung (vgl. BVerfG NJW 2005, 352-353 [BVerfG 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04], juris Rn. 13). Freiwillige Angaben, von denen sich der Betroffene Vorteile verspricht, lösen jedoch kein Beweisverwertungsverbot aus (vgl. zur Erfüllung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten: BVerfG NStZ 1995, 599-600 [BVerfG 07.07.1995 - 2 BvR 1778/94], juris Rn. 2-3).

ee) Es liegt damit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten gerade kein Fall vor, in welchem das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Selbstbelastungsfreiheit von einem Beweisverwertungsverbot ausgeht. Damit kommt auch eine Reduktion des Straftatbestandes oder der gesetzlichen Auskunftspflicht durch eine "verfassungskonforme" Auslegung nicht in Betracht. Soweit ersichtlich wurde eine solche in diesem Zusammenhang durch das Bundesverfassungsgericht zu keinem Zeitpunkt angenommen.

Im Gegenteil: In einer Entscheidung vom 23.09.2014 hat das Bundesverfassungsgericht (InfAuslR 2015, 261-262, juris) festgestellt, dass eine wiederholte Verurteilung wegen des Unterlassens, der Auskunftspflicht des § 49 Abs. 2 AufenthG nachzukommen, nicht gegen Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Schuldprinzip) verstößt.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO; ein Teilerfolg des Rechtsmittels im Sinne von § 473 Abs. 4 StPO ist bei einer bloßen Schuldspruchänderung nicht gegeben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 473 Rn. 25a).