Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.03.2010, Az.: 1 A 272/08

Vereinbarkeit einer Innungsmitgliedschaft ohne Tarifbindung mit der Handwerksordnung; Anspruch auf Änderung einer Innungssatzung; Vergleichbarkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung in einem Arbeitgeberverband und in einer Handwerksinnung; Grundrechtsfähigkeit einer Handwerksinnung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.03.2010
Aktenzeichen
1 A 272/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 15191
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2010:0317.1A272.08.0A

Fundstellen

  • AuA 2010, 305
  • GewArch 2010, 314-315
  • GewArch 2010, 198-199 (Pressemitteilung)

Verfahrensgegenstand

Handwerksrecht
hier: Satzungsänderung

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2010
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Büschen,
den Richter am Verwaltungsgericht Wagner,
die Richterin am Verwaltungsgericht Schneider sowie
die ehrenamtlichen Richter E. und F.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerinnen als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerinnen können eine Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerinnen erstreben eine Innungsmitgliedschaft ohne Tarifbindung (sog. OT-Mitgliedschaft).

2

Mit Schreiben vom 21.03.2007 beantragte die Klägerin zu 1) beim Beklagten, ihr folgende Neufassung des § 7 Abs. 2 ihrer Satzung zu genehmigen:

"Bei Tarifverträgen, die nicht für allgemein verbindlich erklärt sind, können die Mitglieder den Ausschluss der Tarifbindung erklären. Die Erklärung ist schriftlich an die Innungsgeschäftsstelle zu richten. Sie wirkt bis zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge. Die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden. Nicht tarifgebundene Mitglieder sind nicht berechtigt, an der Abstimmung über tarifpolitische Entscheidungen mitzuwirken."

3

Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.08.2008, der Klägerin zu 1) zugegangen am 26.08.2008, ab. Ihr Vorstand habe auf seiner Sitzung am 13.08.2008 beschlossen, die Satzungsänderung nicht zu genehmigen, da diese mit denen in § 54 Handwerksordnung getroffenen Regelungen unvereinbar sei. Innungen seien als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht mit Arbeitgeberverbänden vergleichbar.

4

Hiergegen haben die Klägerinnen am 25.09.2008 Klage erhoben.

5

Sie sind der Ansicht, der ablehnende Bescheid sei formell rechtswidrig. Der Präsident der Beklagten habe nicht unverzüglich i.S.v. § 1 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Beklagten zu der von 1/3 der Vorstandmitglieder am 10.07.2008 beantragten außerordentlichen Vorstandssitzung eingeladen. Wegen urlaubsbedingter Abwesenheit hätten deshalb wichtige Vorstandsmitglieder an der Sitzung vom 13.08.2008 nicht teilnehmen können. Ferner liege ein Verstoß gegen § 13 Geschäftsordnung vor, weil an der Entscheidung über die Genehmigung der Satzungsänderung das Vorstandsmitglied G. mitgewirkt habe, der damals an federführender Stelle in der Tarifkommission des Fachverbandes Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen tätig gewesen sei und somit ein persönliches Interesse an der Abstimmung gehabt habe. Außerdem seien in analoger Anwendung des§ 68 Abs. 5 Handwerksordnung die Arbeitnehmervertreter im Vorstand der Beklagten von einer Mitwirkung ausgeschlossen gewesen, weil die Frage der Tarifbindung von Innungsmitgliedern ausschließlich Arbeitgeberinteressen betreffe.

6

Die Entscheidung der Beklagten, die Satzungsänderung nicht zu genehmigen, sei auch materiell rechtswidrig. Die Einführung einer Innungsmitgliedschaft ohne Tarifbindung verstoße nicht gegen geltendes Recht. Die Beklagte hätte die Satzungsänderung deshalb genehmigen müssen. Die den Innungen und Innungsverbänden in § 54 Abs. 3 Nr. 1 Handwerksordnung zuerkannte Tariffähigkeit schließe auch das Recht der negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz ein. Es gebe keinen Grund, Innungen insoweit anders zu behandeln als Arbeitgeberverbände, für die das Bundesarbeitsgericht mittlerweile in mehreren Entscheidungen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung als zulässig angesehen habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten werde hierdurch die Schlagkraft der Innungen und Innungsverbände als Tarifpartner nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Auch nach der jetzigen Rechtslage könnten sich Handwerksbetriebe einer Tarifbindung entziehen, indem sie aus der Innung aus- oder erst gar nicht einträten. Auch die Innung selbst könne sich der Tarifbindung entziehen, indem sie aus ihrem Innungsverband austrete. Im Übrigen sei in den letzten 10 Jahren die Zahl der tarifgebundenen Betriebe im Handwerk zurückgegangen. Für das Bäckerhandwerk im Land Niedersachsen seien zurzeit keine Tarifverträge abgeschlossen. Viele Mitgliedsunternehmen der Bäckerinnungen, so auch die Klägerin zu 2), hätten mit ihren Beschäftigten eigene Haustarifverträge abgeschlossen. Ferner seien im Handwerk bundesweit höchstens 10% der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Mit der beabsichtigten Satzungsänderung überschreite die Klägerin zu 1) auch nicht ihre sachliche Zuständigkeit gegenüber dem Landesinnungsverband, denn die Handwerksbetriebe seien grundsätzlich nur Mitglied der Innung und nicht Mitglied des Landesinnungsverbandes. Die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung verstoße auch nicht gegen den in § 58 Abs. 4 Handwerksordnung geforderten Gleichbehandlungsgrundsatz aller Innungsmitglieder. Jeder selbstständige Handwerker könne frei entscheiden, ob er auf den Beitritt zur Innung gänzlich verzichte, ihr beitrete, um ausschließlich die vielfältigen fachlichen Leistungen in Anspruch zu nehmen, oder ob er der Innung auch als tarifgebundenes Mitglied angehören wolle. Dagegen könne sich ein Handwerker derzeit einer Tarifbindung nur durch die Nichtmitgliedschaft in der Innung entziehen und müsse damit zugleich auf die Inanspruchnahme der vielfältigen fachlichen Leistungen der Innung verzichten. Hierdurch sei der ausgewogene Wettbewerb der betroffenen Betriebe gestört.

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Die Klägerinnen beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 20.08.2008 zu verpflichten, die mit Schreiben vom 21.03.2007 beantragte Satzungsänderung zu genehmigen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hält die Klage der Klägerin zu 2) für unzulässig, da diese nicht klagebefugt sei.

10

Die Entscheidung über die Ablehnung der Genehmigung sei formell ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Die Vorstandssitzung habe unter Berücksichtigung der urlaubsbedingten Abwesenheit mehrerer Vorstandsmitglieder am Anfang und in der Mitte der niedersächsischen Schulferien erst zum Ende der Ferien am 13.08.2008 stattgefunden. Vizepräsident Eberhard Funke habe an der Abstimmung teilnehmen dürfen. Er habe kein besonderes Interesse i.S.v. § 19 Abs. 4 Satz 2 der Satzung der Beklagten an der Entscheidung gehabt, da Gegenstand der beantragten Satzungsänderung kein Tarifvertrag gewesen sei. Für eine entsprechende Anwendung des § 68 Abs. 5 Handwerksordnung sei ebenfalls kein Raum.

11

Der Klägerin zu 1) stehe kein Anspruch auf Genehmigung der beantragten Satzungsänderung zu. Eine OT-Mitgliedschaft widerspreche dem Konzept der Handwerksordnung. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden könne auf Innungen nicht übertragen werden. Innungen müssten als Körperschaften öffentlichen Rechts bei der Ausgestaltung ihrer Mitgliedschaftsrechte die Vorgaben der Handwerksordnung berücksichtigen. Diese stünden der Einführung einer OT- Mitgliedschaft entgegen. Die Klägerin zu 1) könne sich auch nicht auf Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz berufen, wenn es um den staatlich vorgegebenen Organisationsrahmen in der Handwerksordnung gehe. Dem Interesse der Innungsmitglieder an einer Innungsmitgliedschaft ohne Tarifbindung könne nur durch das sogenannte 2-Verbände-Modell entsprochen werden. Danach würde ein eigenständiger Tarifträgerverband als Arbeitgeberverband gegründet und die Landesinnungsverbände würden sich im Gegenzug in ihren Satzungen verpflichten, keine Tarifverträge mehr abzuschließen. Die Betriebe könnten dann entscheiden, ob sie nur Mitglied der Innung (ohne Tarifbindung) oder zusätzlich auch Mitglied in dem tarifvertragsschließenden Verband (mit Tarifbindung) sein wollten. Selbst wenn man die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf Innungen übertragen und eine OT-Mitgliedschaft auch bei Innungen als zulässig ansehen würde, würde die streitbefangene Satzungsänderung nicht den Anforderungen entsprechen, die das Bundesarbeitsgericht an die satzungsrechtliche Regelung einer OT-Mitgliedschaft stelle. Die Einführung einer OT-Mitgliedschaft unterfalle darüber hinaus nicht dem sachlichen Zuständigkeitsbereich einer Innung. Eine Innung könne allenfalls in dem Umfang Regelungen über die Tarifgebundenheit ihrer Mitglieder treffen, soweit sie selbst Tarifverträge abschließe.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den im Verfahren 1 A 274/08 beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

14

Der Klägerin zu 2) fehlt die nach § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (im Folgenden: VwGO) in ihrer maßgebenden Fassung vom 21.08.2009 (BGBl. S. 2870) notwendige Klagebefugnis, da sie keine unmittelbare Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Sie wird nicht bereits durch die Nichtgenehmigung der Satzungsänderung sondern erst durch die Satzung selbst (ohne Regelung einer OT-Mitgliedschaft) in ihrer subjektiven Rechtsstellung betroffen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 42 Rn. 166 und 169). Ihre Klage ist daher unzulässig. Dagegen ist die Klage der Klägerin zu 1) zulässig, denn sie ist durch die Nichtgenehmigung der Satzungsänderung in ihrer Satzungsautonomie aus § 55 Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung, im Folgenden: HandwO) in seiner maßgebenden Fassung vom 07.09.2007 (BGBl. I S. 2246) unmittelbar betroffen.

15

Die Klage der Klägerin zu 1) ist jedoch unbegründet. Ihr steht kein Anspruch auf Genehmigung der beantragten Satzungsänderung zu (§ 113 Abs. 5 VwGO).

16

Nach § 56 Abs. 1 HandwO bedarf die Satzung der Handwerksinnung der Genehmigung durch die zuständige Handwerkskammer. Das gleiche gilt nach § 61 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 8 HandwO für nachträgliche Satzungsänderungen. Dabei ist nach § 56 Abs. 2 Nr. 1 HandwO die Genehmigung zu versagen, wenn die Änderung der Satzung den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. Dies ist hier der Fall. Der Einführung einer OT-Mitgliedschaft für Innungen stehen die Regelungen der §§ 58 Abs.1 und 59, 54 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 82 S. 2 Nr. 3, 85 Abs. 2 S. 1 und § 54 Abs. 4 HandwO entgegen.

17

Nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4 HandwO kann die Beklagte die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder durch Satzung regeln, soweit gesetzlich nichts darüber bestimmt ist. Bei der beabsichtigten Einführung einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung handelt es sich um eine eingeschränkte und selbstständige Form der Mitgliedschaft, die in der Handwerksordnung nicht geregelt ist. Die Handwerksordnung unterscheidet in § 58 Abs. 1 und § 59 HandwO zwei Formen der Mitgliedschaft. Nach § 58 Abs. 1 HandwO kann Mitglied bei der Handwerksinnung jeder Inhaber eines Betriebs eines Handwerks oder eines handwerksähnlichen Gewerbes werden, der das Gewerbe ausübt, für welches die Handwerksinnung gebildet ist. § 59 HandwO ermöglicht auch Personen, die nicht das Handwerk ausüben, für das die Innung gebildet wurde, diesem aber beruflich oder wirtschaftlich nahestehen, die Mitgliedschaft mit eingeschränkten Rechten. Die streitbefangene Satzungsänderung betrifft den Regelungsbereich des § 58 Abs. 1 HandwO, denn sie regelt die Mitgliedschaft von Handwerkern, die das "Innungshandwerk" ausüben. Eine OT-Mitgliedschaft wäre deshalb nur zulässig, wenn diese Vorschrift nach der Systematik und dem Konzept der Handwerksordnung eine OT-Mitgliedschaft zulässt. Dies ist nicht der Fall.

18

§ 58 Abs. 1 HandwO regelt die Vollmitgliedschaft, denn die Mitglieder i.S.d. § 58 Abs. 1 HandwO sind in der Innungsversammlung - uneingeschränkt - stimmberechtigt (§ 63 S. 1 HandwO). Vollmitglieder unterliegen gem. § 3 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (im Folgenden: TVG) in seiner maßgebenden Fassung vom 31.10.2006 (BGBl. I S. 2407) der Tarifbindung von Tarifverträgen, die ihre Innung oder ihr Innungsverband abgeschlossen haben. Dies entspricht dem mit §§ 54 Abs. 3 Nr. 1, 82 S. 2 Nr. 3, 85 Abs. 2 S. 1 HandwO verfolgten Zweck, durch die Verleihung der Tariffähigkeit an Innungen und Innungsverbände, die Tarifautonomie im Bereich des Handwerks zu fördern und den Gewerkschaften einen schlagkräftigen Tarifpartner zur Seite zu stellen. So hat bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil vom 19.10.1966 (- 1 BvL 24/65 -, [...]) zur Verfassungsmäßigkeit der Tariffähigkeit von Innungen und Innungsverbänden zu Recht festgestellt, dass es erfahrungsgemäß schwer gelinge, die zahlreichen Handwerker mit nur einem oder wenigen Arbeitnehmern zum Beitritt zu einem besonderen Arbeitgeberverband zu bewegen. Ohne das den Innungen und Innungsverbänden in o. g. Vorschriften zuerkannte Recht, Tarifverträge abzuschließen, wäre ein den Gewerkschaften entsprechender umfassender Tarifpartner nicht vorhanden und die Ordnung der Arbeitsbedingungen und die Befriedung des Arbeitslebens im Bereich des Handwerks würden unvollständig bleiben. Seiner Innung beizutreten, sei dagegen auch der kleine Handwerker wegen der damit verbundenen sonstigen Vorteile, insbesondere der beruflichen Förderung eher geneigt. Die Ausdehnung der Tariffähigkeit auf die Innungen und Innungsverbände begünstige also das Zustandekommen einer umfassenden tariflichen Ordnung. Eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung widerspricht diesem Ziel; sie ist deshalb mit §§ 58 Abs. 1, 54 Abs. 3 Nr. 1, 82 Satz 2 Nr. 3 und 85 Abs. 2 Satz 1 HandwO unvereinbar.

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Die Tariffähigkeit der Innungen hat für den einzelnen Handwerker somit zur Folge, dass seine Zugehörigkeit zu einem tariffähigen Zusammenschluss aufs engste verbunden ist mit der Teilnahme an den allgemeinen öffentlichen Aufgaben der Innung, insbesondere auch an der Förderung der gemeinsamen beruflichen Interessen. Der Tarifbindung kann sich der einzelne Handwerker nur durch einen Austritt aus der Innung entziehen. Diese in der Handwerksordnung angelegte Koppelung der Zugehörigkeit zu einem tariffähigen Verband mit den Vorteilen einer öffentlich-rechtlichen Berufsorganisation hat das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) nicht beanstandet. Der hierdurch für den einzelnen Handwerker entstehende Druck, seiner Innung beizutreten, beeinträchtige diesen nicht in verfassungswidriger Weise in seiner negativen Koalitionsfreiheit ausArtikel 9 Abs. 3 Grundgesetz (im Folgenden: GG). Der einzelne Handwerker, der sich der Tarifmacht der Innung entziehen wolle, müsse zwar zugleich auf die allgemeinen, durch die Handwerksordnung gewährten Vorteile der Zugehörigkeit zur Innung verzichten. Dies dürfe jedoch nicht überbewertet werden. Auch ansonsten seien der Freiheit des einzelnen, einen Arbeitgeberverband zu bilden oder ihm beizutreten, enge Grenzen gesetzt. Anders als auf Arbeitnehmerseite kenne die Rechtswirklichkeit von jeher in der Regel für den einzelnen Wirtschaftszweig nicht mehrere, auf abweichenden sozialpolitischen oder weltanschaulichen Auffassungen beruhende Arbeitgeberverbände, die miteinander in einem gewissen Wettbewerb stünden, sondern nur einen Arbeitgeberverband. Der einzelne Arbeitgeber, der an dem sozialpolitischen Leben teilnehmen wolle, habe also in der Regel nur die eine praktische Möglichkeit, sich diesem einen Arbeitgeberverband anzuschließen und sich dem Willen der Mehrheit seiner Berufsgenossen unterzuordnen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das erkennende Gericht hält die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deshalb auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung für zutreffend und schließt sich ihr an.

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Nichts anderes folgt aus den Angaben der Klägerin zu 1), die Tarifbindung im Bereich des Handwerks sei in den letzten Jahren allgemein zurück gegangen, die Bedeutung der Innungen und Innungsverbände als Tarifpartner sei ohnehin gesunken und im Bäckerhandwerk im Land Niedersachsen seien seit 01.04.2004 kein gültiger Lohn- und Gehaltstarifvertrag sowie seit 01.12.2005 kein gültiger Manteltarifvertrag mehr in Kraft und zur Zeit würden vom Bäckerinnungs-Verband Niedersachsen/Bremen auch keine neuen Tarifabschlüsse angestrebt. Die Kammer muss dem nicht näher nachgehen, da es darauf nicht ankommt. Selbst wenn die Beschreibung der Klägerin zu 1) zutrifft, hat der Gesetzgeber solche Entwicklungen mit den in der Handwerksordnung getroffenen Regelungen in Kauf genommen, indem er die Innungsmitgliedschaft nicht als Zwangsmitgliedschaft ausgestaltet und den Abschluss von Tarifverträgen nicht zur Pflichtaufgabe gemacht hat. Sie rechtfertigen daher keine andere Auslegung des § 58 Abs. 1 HandwO.

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Eben so wenig kann die Klägerin zu 1) mit ihrem Einwand durchdringen, ihr stehe aufgrund der in Artikel 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Koalitionsfreiheit und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden (vgl. z.B. BAG, Beschluss vom 18.07.2006 - 1 ABR 36/05 -, Urteil vom 04.06.2008 4 AZR 316/07 -, jeweils [...]) genauso wie diesen das Recht zu, durch Satzung eine OT Mitgliedschaft zu regeln. Innungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 53 HandwO) und Teil der mittelbaren Staatsverwaltung, sie unterliegen - auch bei der Wahrnehmung ihrer freiwilligen Aufgaben nach § 54 Abs. 2 und Abs. 3 HandwO - der Rechtsaufsicht der Handwerkskammer (§ 75 HandwO). Hierdurch unterscheiden sie sich maßgeblich von den unabhängigen Arbeitgeberverbänden. Als Träger mittelbarer Staatsverwaltung sind sie grundsätzlich nicht grundrechtsfähig (BVerfG, Beschlüsse vom 31.10.1984 - 1 BvR 35/82, 1 BvR 356/82, 1 BvR 794/82 und 14.05.1985 - 1 BvR 449/82, 1 BvR 523/82, 1 BvR 728/82, 1 BvR 700/82 -, jeweils [...]). Etwas anderes gilt nur bei der Wahrnehmung ihrer freiwilligen Aufgaben, wozu auch der Abschluss von Tarifverträgen nach § 54 Abs. 3 Nr.1 HandwO zählt. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Tarifpartner sind sie wie Koalitionen zu behandeln und können sich insoweit auch auf die in Art 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Koalitionsfreiheit berufen (BAG, Urteil vom 06.05.2003 -1 AZR 241/02 -, [...]). Mit der beabsichtigten Satzungsänderung wird die Klägerin zu 1) jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als Tarifpartnerin tätig, sondern nimmt die ihr in § 55 HandwO zugewiesene, öffentlich-rechtliche Aufgabe wahr, ihr Organisationsstatut innerhalb eines gesetzlich vorgegebenen Rahmens durch Satzung zu regeln. Ihre Satzungsautonomie leitet sie dabei aus § 55 Abs. 1 HandwO und nicht wie die Arbeitgeberverbände aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG ab (vgl. BAG, Urteil vom 04.06.2008, a.a.O.). Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden kann deshalb nicht auf Handwerksinnungen übertragen werden. Auf die weitere zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob die Satzungsänderung den inhaltlichen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts an die satzungsrechtliche Regelung einer OT-Mitgliedschaft entspricht (s. hierzu BAG, Urteil vom 04.06.2008, a.a.O.), kommt es nicht an.

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Die mit den §§ 54 Abs. 3 Nr. 1, 82 Satz 2 Nr. 3, 85 Abs. 2 Satz 1 HandwO unvereinbare OT-Mitgliedschaft verstößt damit auch gegen § 58 Abs. 4 HandwO. Nach dieser Vorschrift kann von der Erfüllung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Bedingungen zugunsten Einzelner nicht abgesehen werden. Die OT-Mitgliedschaft stellt eine Abweichung von der gesetzlichen Ausgestaltung der in § 58 Abs. 1 HandwO geregelten Mitgliedschaft (mit potenziell gleicher Tarifbindung) dar.

23

Auf die weitere Frage, ob die ablehnende Entscheidung der Beklagten auch formell ordnungsgemäß zu Stande gekommen ist, kommt es nicht an. Nur der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die Kammer auch insoweit keine rechtlichen Bedenken hat.

24

Es ist bereits nicht ersichtlich, inwieweit sich die nach Auffassung der Klägerin zu 1) nicht fristgerechte Ladung zur Vorstandssitzung auf die Beschlussfassung vom 13.08.2008 ausgewirkt haben könnte. Von den fünfzehn Vorstandsmitgliedern (vgl. § 1 Abs. 1 Geschäftsordnung für den Vorstand der Handwerkskammer Braunschweig vom 06.11.1997 (im Folgenden: Geschäftsordnung), § 16 Abs. 1 Satzung der Handwerkskammer Braunschweig i.d.F. vom 08.12.2005, im Folgenden: Satzung)) fehlten laut Sitzungsniederschrift vom 20.08.2008 nur zwei Mitglieder und die anwesenden Vorstandsmitglieder lehnten die Genehmigung der Satzungsänderung einstimmig ab, wobei auch die einfache Stimmenmehrheit ausgereicht hätte (§ 19 Abs. 4 S.1 Satzung, § 11 Abs. 1 Geschäftsordnung). Der Vorstand war auch beschlussfähig, da einschließlich des Präsidenten die Hälfte der Mitglieder anwesend war (§ 19 Abs. 3 S. 1 Satzung, § 10 Geschäftsordnung). Es liegt auch kein Verstoß gegen Mitwirkungsverbote nach § 19 Abs. 4 Satz 2 Satzung bzw. § 13 Geschäftsordnung vor. Vizepräsident G. hatte als Mitglied der Tarifkommission des Fachverbandes Sanitär-, Heizungs-, Klima und Klempnertechnik Niedersachsen kein persönliches Interesse und war auch nicht in besonderer Weise als Ehrenamtsträger einer Innung, Kreishandwerkerschaft oder eines Verbandes an der Entscheidung interessiert, denn die beantragte Satzungsänderung betrifft nicht den Inhalt eines Tarifvertrags. Aus dem gleichen Grund scheidet auch ein Mitwirkungsverbot in analoger Anwendung des § 68 Abs. 5 HandwO für die Arbeitnehmervertreter im Vorstand der Beklagten (§ 108 Abs. 1 Satz 2 HandwO) aus.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 S. 2 VwGO.

26

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

27

Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

28

Rechtsmittelbelehrung

29

Gegen dieses Urteil ist die Berufung statthaft.

Büschen
Wagner
Schneider