Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.01.2022, Az.: 10 K 148/21
Kindergeldberechtigung eines Spätaussiedlers ab dem Zeitpunkt der Einreise und dem ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 11.01.2022
- Aktenzeichen
- 10 K 148/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 40814
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Tatbestand
Streitig sind der Anspruch auf Kindergeld für den Monat Dezember 2020 sowie der Anspruch auf die Einmalzahlung nach § 66 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. vom 29. Juni 2020 (Kinderbonus für 2020) für die Kinder der Klägerin A, geboren am XX.XX.2014, und S, geboren am XX.XX.2016.
Die Klägerin ist Mutter der genannten Kinder. Sie reiste zusammen mit den Kindern und ihrem Ehemann als Spätaussiedlerin am 3. Dezember 2020 nach Deutschland ein.
Nach der Einreise der Klägerin und Registrierung in F wurde durch das Bundesverwaltungsamt das Bescheinigungsverfahren eingeleitet. Die Bescheinigung nach § 15 Bundesvertriebenengesetz (BVFG), die die Spätaussiedlereigenschaft der Klägerin nachweist, wurde vom Bundesverwaltungsamt am 13. Januar 2021 ausgestellt und enthielt als Datum des Beginns des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet den 3. Dezember 2020.
Nach Erhalt der Bescheinigung, des Personalausweises am 28. Januar 2021 und der Identifikationsnummer beantragte die Klägerin am 8. Februar die Festsetzung des Kindergeldes ab der Einreise und dem ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Mit dem Antrag vom 13. April 2021 beantragte die Klägerin zudem die Gewährung der Einmalzahlung (Kinderbonus 2020).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. April 2021 die Gewährung von Kindergeld für den Monat Dezember 2020 mit der Begründung ab, die Spätaussiedlereigenschaft sei erst am 13. Januar 2021 zuerkannt worden.
Mit weiterem Bescheid vom 19. April 2021 lehnte die Beklagte auch die Gewährung des Kinderbonus für 2020 ab, weil für die Klägerin im Jahr 2020 kein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Gegen diese Bescheide legte die Klägerin jeweils am 27. April 2021 Einsprüche ein, die die Beklagte unter Aufrechterhaltung ihrer bereits geäußerten Auffassung durch Einspruchsentscheidungen vom 6. Mai 2021 als unbegründet zurückwies.
Mit der hiergegen am 8. Juni 2021 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihre Begehren weiter. Nach ihrer Auffassung genüge für den Anspruch auf Kindergeld und damit auch den Kinderbonus bereits die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet sowie die damit verbundene Eigenschaft als Statusdeutsche. Die vom Bundesverwaltungsamt nach § 15 BVFG ausgestellte Bescheinigung wirke nicht konstitutiv für den Kindergeldanspruch, sondern entfalte als rein deklaratorische Feststellung Rückwirkung auf den Zeitraum ab der Einreise.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 19. April 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 6. Mai 2021 zu verpflichten, Kindergeld für den Zeitraum Dezember 2020 sowie den Einmalbetrag von 300 Euro je Kind für 2020 für die Kinder A, geboren am XX.XX.2014, und S, geboren am XX.XX.2016, festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung in den Einspruchsentscheidungen fest und verweist dazu insbesondere auf Abschnitt A.2.1.1 Abs. 2 ihrer Dienstanweisung zum Kindergeld. Demnach bestehe der Anspruch von Spätaussiedlern auf Kindergeld erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung durch das Bundesverwaltungsamt, weil diese erst mit Ausstellung der Bescheinigung nach § 7 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben würden, sodass die Klägerin für den Monat Dezember 2020 noch keinen Anspruch auf Kindergeld habe.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet einer Entscheidung durch den Berichterstatter zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung und gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO durch den Berichterstatter entscheidet, ist begründet.
Die Ablehnungsbescheide vom 19. April 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 6. Mai 2021 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld für den Monat Dezember 2020 sowie auf die Festsetzung des Kinderbonus für 2020 für ihre beiden Kinder A und S (§ 101 Satz 1 FGO).
I. Der Anspruch auf Kindergeld für den Monat Dezember 2020 ergibt sich aus den §§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Die Klägerin hat seit dem 3. Dezember 2020 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Ihre Kinder A und S sind nach den §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG berücksichtigungsfähig.
Die Klägerin ist auch anspruchsberechtigt nach § 62 Abs. 1 EStG.
Deutsche Staatsangehörige und Statusdeutsche unterfallen mit Blick auf die Kindergeldberechtigung gleichermaßen § 62 Abs. 1 EStG (vgl. auch zum Nachfolgenden Urteil des Finanzgerichts Münster vom 7. Februar 2019, 8 K 2476/17 Kg, juris; Felix in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 62 Rn. C 3; Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG, Rn. 22).
Die Klägerin war als Spätaussiedlerin im Zeitraum ab ihrer Einreise und Aufenthaltnahme bis zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 7 StAG durch Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 BVFG Statusdeutsche im Sinne des § 116 Abs. 1 GG (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 2002, 5 C 45/01, BVerwGE 116, 119, 121; Herzog/Westphal in: dies., BVFG, § 15 Rn. 46; Hillgruber in: Beck'scher Onlinekommentar GG, Art. 116 Rn. 21; Giegerich in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 116 Rn. 85; Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesvertriebenengesetz, zu § 15 Rz. 1.1). Nach Art. 116 Abs. 1 GG ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung Deutscher, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.
Die Klägerin ist nach dem Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 13. Januar 2021 Spätaussiedlerin. Das Gericht ist diesbezüglich an die Statusbeurteilung des Bundesverwaltungsamts gebunden (Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 19. Januar 2000, III 358/98, EFG 2000, 573; Felix in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 62 Rn. C 3).
Der Beginn der Eigenschaft als Statusdeutsche fällt im Streitfall, wie es zwischen den Beteiligten unstreitig ist und auch in der Bescheinigung nach § 15 BVFG ausdrücklich ausgeführt ist, auf den 3. Dezember 2020.
Der Eigenschaft als Statusdeutsche im Streitzeitraum steht auch nicht entgegen, dass die Bescheinigung erst im Januar 2021 ausgestellt wurde. Denn die Bescheinigung nach § 15 BVFG ist nicht konstitutiv, sondern entfaltet als rein deklaratorische Feststellung Rückwirkung auf den Zeitraum ab der Einreise (Herzog/Westphal in: dies., BVFG, § 4 Rn. 19; § 15 Rn. 11, 44f.; anders A 2.1.1 Abs. 2 Satz 4 DA-KG). Die Eigenschaft als Statusdeutsche ist mithin nicht vom Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 BVFG abhängig (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 1964, 1 BvR 253/63, BVerfGE 17, 224, 227; Wache/Lutz in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 15 BVFG Rn. 1).
II. Aus dem Anspruch auf Kindergeld für den Monat Dezember 2020 folgt gemäß § 66 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. vom 29. Juni 2020 auch der Anspruch auf Festsetzung des Kinderbonus für 2020.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
V. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO sind nicht gegeben.