Arbeitsgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.10.1997, Az.: 5 BVGa 9/97
Vorbeugender Unterlassungsanspruch eines Betriebsrats gegen die Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte; Eilbedürftigkeit im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes bei Befürchten einer wesentlichen Erschwerung der Durchsetzung eines Rechts; Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten; Erfordernis der Prüfung mitbestimmungsrechtlicher Folgen bei Erlass neuer gesetzlicher Arbeitsschutzvorschriften; Vorhandensein eines Regelungsspielraums oder Beurteilungsspielraums als Voraussetzungen für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats; Erfüllen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber einer Aufsichtsbehörde als mitbestimmungspflichtige Regelung; Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Erteilung eines Auftrags zur Erstattung einer Belastungsanalyse durch den Arbeitgeber
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Braunschweig
- Datum
- 15.10.1997
- Aktenzeichen
- 5 BVGa 9/97
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 20058
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGBS:1997:1015.5BVGA9.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG
- § 5 Abs. 3 Nr. 4 ArbSchG
- § 6 ArbSchG
Fundstellen
- AiB 1998, 317-322 (Urteilsbesprechung von Ulrich Faber und Dr. Gottfried Richenhagen)
- NZA-RR 1998, 214-215 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 15.10.97
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzender und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Erstellung einer Gefährdungs- und Belastungsanalyse.
Die Antragsgegnerin betreibt einen Zeitungsverlag mit eigener Druckerei. Gemäß § 5 und 6 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) vom 07. August 1996 ist der Arbeitgeber verpflichtet, durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind und das Ergebnis daraus zu dokumentieren. Der antragstellende Betriebsrat hat am 02.09.1997 bei der Geschäftsleitung den Entwurf einer Betriebsvereinbarung Gesundheitsförderung in Ausführung des ArbSchG vorgelegt.
Mit Schreiben vom 02.10.1997 (Bl. 8 d. A.) hat der Arbeitgeber schriftlich bestätigt, daß der TÜV Hannover beauftragt sei, eine Gefährdungs- und Belastungsanalyse der Arbeitsplätze in der Rotation durchzuführen. Nach Auffassung des Arbeitgebers komme dem Betriebsrat dabei ein Bestimmungsrecht nicht zu. Mit weiterer Mitteilung vom 07.10.1997 (Bl. 9 d. A.) hat der Arbeitgeber mitgeteilt, daß die Begehung der Rotation durch den TÜV am 15.10.1997 in der Zeit von 21: 00 Uhr bis 02: 00 Uhr stattfinden werde. Grundlage der vom TÜV Hannover durchzuführenden Gefährdungs- und Belastungsanalyse soll ein von der Berufsgenossenschaft Metall erstellter Leitfaden sein (Bl. 11. d. A.).
Der Betriebsrat hält den Umfang des an den TÜV Hannover erteilten Auftrages nicht für ausreichend, weil die sich aus der ständigen Schichtarbeit ergebenden psychischen Belastungsaspekte vollkommen unberücksichtigt blieben. Er verweist darauf, daß etwa die Richtlinien der Chemie-Berufsgenossenschaft diesen Aspekt aber durchaus vorsehen (Bl. 12 d. A.). Die Erstellung der Gefährdungs- und Belastungsanalyse stellte aber die erhebliche Weichenstellung im Hinblick auf die später zu treffenden Maßnahmen dar. Es werde daher bereits mit der Erstellung der Analyse das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG berührt.
Durch die zumindest rein faktische Wirkung, die das vom TÜV Hannover erstellte Gutachten haben werde, werde die Ausübung des Mitbestimmungsrechtes durch den Betriebsrat bei späteren Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zumindest erheblich erschwert.
Der Antragsteller beantragt,
die Durchführung einer Gefährdungs- und Belastungsanalyse der Arbeitsplätze in der Rotation der Antragsgegnerin durch den TÜV Hannover zu unterlassen, bis eine Einigung mit dem Antragsteller über die Person des Gutachters und die Methoden der Analyse erfolgt ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hält zum einen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates des Stadium der bloßen Ermittlung der Arbeitsplatzbelastungen für noch nicht gegeben. Im übrigen ist sie der Auffassung, der die Auftragserteilung zugrunde liegende Richtlinie der Berufsgenossenschaften Metall sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Schließlich gebe es auch in der Metallindustrie große Betriebe, die in Schichtarbeit tätig seien, so daß dieses Problem der Berufsgenossenschaft bei Erstellung der Richtlinie bereits bekannt gewesen sei. Wenn psychische Belastungsfaktoren dennoch nicht in die Richtlinie aufgenommen worden seien, so müsse dies zumindest als fachlich vertretbar angenommen werden.
Gründe
II.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung im Beschlußverfahren ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Dem Betriebsrat ist in seiner Argumentation darin zuzustimmen, daß das tatsächliche Vorliegen der vom TÜV zu erstellenden Belastungsanalyse eine entscheidene Weichenstellung im Hinblick auf die spätere Verwirklichung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG darstellt.
Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann sich der Betriebsrat gegen die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des § 87 BetrVG auch durch vorbeugende Unterlassungsansprüche schützen.
Die Eilbedürftigkeit im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes kann nach allgemeinen Grundsätzen auch schon dann gegeben sein, wenn nicht der endgültige Verlust eines Rechtes, wohl aber eine wesentliche Erschwerung seiner Durchsetzung zu befürchten ist. Auch erscheinen inhaltlich die Bedenken des Betriebsrats gegen den Umfang des erteilten Auftrages nicht ganz unberechtigt. Gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 4 ArbSchG kann sich eine Gefährdung insbesondere ergeben durch die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirkung. Unter dieser Ziffer des Gesetzes kann der Umstand ständiger Schichtarbeit durchaus relevant sein. Unter diesen verschiedenen Aspekten könnte das Bedürfnis für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung durchaus gegeben sein.
Entscheidend für das vorliegende Verfahren ist deshalb die Rechtsfrage, ob die Maßnahme nach § 5 und 6 ArbSchG bereits dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unterliegt oder nicht. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz. GK-Wiese, 5. Auflage, § 87 BetrVG, Rdn. 501 weist daraufhin, daß damit der gesamte Bereich des Arbeitsschutzrechtes erfaßt sei. Dies sei um so mehr von Bedeutung, als dieses Rechtsgebiet in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden ist und die Entwicklung noch keineswegs abgeschlossen ist. Insofern ist nun bei Erlaß neuer gesetzlicher Arbeitsschutzvorschriften jeweils zu prüfen, inwieweit sich aus ihnen zugleich mitbestimmungsrechtliche Folgen ergeben.
Umgekehrt ist allerdings genauso klarzustellen, daß neue Arbeitsschutzvorschriften nicht automatisch eine Erweiterung der Mitbestimmungsmöglichkeiten des Betriebsrates nachsichziehen, sondern bezüglich ihres konkreten Inhalts jeweils daraufhin zu prüfen sind, ob sie der Mitbestimmungsklausel des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unterfallen oder nicht. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG wird ausgelöst bei "Regelungen" über Arbeitsschutz.
Dies entspricht den allgemeinen Grundsatz, daß ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates das Vorhandensein eines Regelungs- oder Beurteilungsspielraumes voraussetzt. § 5 und 6 ArbSchG sprechen demgegenüber von Ermittlung und Dokumentation. In § 5 Abs. 1 ArbSchG wird allerdings die Ermittlung bereits gedanklich verknüpft mit der Erforderlichkeit weiterer Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Hierin liegt zweifellos ein stufenweiser Übergang von der bloßen Ermittlung zur Regelung. Eine völlig losgelöste, abstrakte Ermittlung von Einflußfaktoren ist insoweit in der Tat kaum vorstellbar oder auch sinnvoll, vielmehr ist schon die Erfassung von tatsächlich vorhandenden Belastungen unter der Berücksichtigung der Ziele des Arbeitsschutzes unter bestimmten Fragestellungen vorzunehmen. Eine begrifflich strikte Trennung von "Ermittlungen" der Belastungen und "Regelungen" des Arbeitsschutzes läßt sich daher kaum durchführen. Hinsichtlich der Beurteilung der Mitbestimmungspflichtigkeit kann in dieser Situationen noch ergänzend der Gesamtzusammenhang des Arbeitsschutzgesetzes herangezogen werden. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis des Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG jedenfalls im Arbeitsschutzgesetzes selbst keine konkreten Hinweise auf den Umfang der Mitbestimmungspflicht gegeben. Lediglich in § 1 Abs. 4 ArbSchG sind Betriebsräte kurz angesprochen. Hinsichtlich des Inhaltes des Gesetzes ist weiter festzustellen, daß in §§ 910, 11 und 12 ArbSchG auch konkrete Handlungspflichten des Arbeitgebers zum Schutz der Arbeitnehmer formuliert sind. In Bereich dieser Paragraphen dürfte es sich recht eindeutig um "Regelungen" im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG handeln. Als weiterer Aspekt der Auslegung des Gesetzes kann herangezogen werden, daß gemäß § 6 ArbSchG das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung gegenüber den zuständigen Behörden zu dokumentieren ist.
Es spricht aber gesetzestechnisch einiges dagegen, daß die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber einer Aufsichtsbehörde zugleich als mitbestimmungspflichtige Regelung anzusehen sind. Es ist auch im Gesamtzusammenhang nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber durch Schaffung des § 5 ArbSchG den Zeitpunkt des Eingreifens des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates zeitlich vorverlegen wollte. Nach allem ist davon auszugehen, daß die Erteilung des Auftrages zur Erstattung einer Belastungsanalyse durch den Arbeitgeber nicht den Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates unterliegt.
Der Antrag war daher abzuweisen.