Arbeitsgericht Braunschweig
Urt. v. 09.05.1997, Az.: 7 Ca 832/96
Annahmeverzug des Arbeitgebers; Einvernehmliche Änderung der Arbeitszeit; Grundsätze des Anscheinsbeweises; Beweislastenverteilung; Bloßes Schweigen als zustimmende Willenserklärung; Zur Verfügung Stellen eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes als Pflicht des Arbeitgebers; Zuweisung einer Arbeit als Pflicht des Arbeitgebers
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Braunschweig
- Datum
- 09.05.1997
- Aktenzeichen
- 7 Ca 832/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 20056
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGBS:1997:0509.7CA832.96.0A
Rechtsgrundlage
- § 615 BGB
Fundstelle
- AuR 1997, 496 (amtl. Leitsatz)
Die 7. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 09.05.97
durch
den Richter ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.174,38 DM brutto nebst 4 % Zinsen
- auf den sich aus 6.564,00 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 21.12.1996, nebst 4 % Zinsen
- auf den sich aus weiteren 5.252,18 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 12.02.1997 sowie nebst 4 % Zinsen
- auf den sich aus weiteren 3.358,20 DM brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 28.04.1997
zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens hat die Beklagte 93 % und die Klägerin 7 % zu zahlen.
Der Streitwert wird auf 16.133,53 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche der Klägerin.
Die am 25.06.1938 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 01.03.1974 bei der beklagten Gemeinde beschäftigt (Bl. 13 ff. d. A.). Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft Öffentlicher Dienste, Transport und Verkehr. Am 15.05.1975 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag. Darin heißt es u.a. (Bl. 15 d. A.):
"§ 1
Der bisherige Arbeitsvertrag wird mit Ablauf des 30. Juni 1975 aufgehoben.
§ 2
Frau Drögemüller wird ab 1. Juli 1975 als Raumpflegerin in der Schule Sassenburg beschäftigt.
§ 3
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches."
Am 31.10.1977 vereinbarten die Parteien in einem Änderungsvertrag, daß die Klägerin nunmehr auch als Raumpflegerin in der Schule Sassenburg und Mehrzweckhalle Westerbeck beschäftigt werde (Bl. 16 d. A.).
Die Klägerin arbeitete zuletzt als Raumpflegerin in der Schule Sassenburg, im Rathaus, im Bauhof und im Jugendtreff. Bis zum 31.03.1996 betrug die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin 30,5 Stunden bei einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.200,00 DM brutto.
Die beklagte Gemeinde ist Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband und beschäftigt regelmäßig mehr als 50 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Personalrat gebildet. Im Zuge von Einsparungsmaßnahmen gab es bei der Beklagten seit 1995 Überlegungen ein neues Reinigungskonzept aufzustellen, bei dem durch eine Verminderung der Reinigungsintervalle eine Kostenreduzierung bei der Gebäudereinigung erreicht werden sollte. Die Beklagte bildete eine Arbeitsgruppe, an der auch der Personalrat beteiligt war. Nach dem Konzept der Arbeitsgruppe sollte eine Kostenminderung dadurch erreicht werden, daß dem die Reinigungshäufigkeiten in den verschiedenen gemeindlichen Einrichtungen spürbar gesenkt werden sollten, z.B. Reinigung von Verwaltungsräumen nur noch einmal wöchentlich, Reinigung in den Schulen alle zwei Tage. Die Arbeitsgruppe schlug vor, zunächst mit dem Reinigungspersonal zu sprechen, um Einvernehmen hinsichtlich der Umsetzung des Reinigungskonzeptes zu erzielen. Hierdurch sollten ggf. notwendige Änderungskündigungen vermieden werden. Der Personalrat stimmte am 21.02.1996, der Verwaltungsausschuß am 22.02.1996 der Beschlußvorlage 105/95 - Organisation der Gebäudereinigung - zu (Bl. 42, 43 d. A.).
In der Folgezeit suchte der stellvertretende Direktor der beklagten Gemeinde, Herr Christmann, die gemeindlichen Einrichtungen auf und führte hinsichtlich der Umsetzung des Reinigungskonzeptes Gespräche mit dem Reinigungspersonal, u.a. auch mit der Klägerin. Der Inhalt des Gespräches zwischen der Klägerin und Herrn Christmann ist zwischen den Parteien streitig. Seit dem 01.04.1996 beschäftigt die beklagte Gemeinde die Klägerin entsprechend dem Reinigungskonzept nur noch mit 20,7 Stunden wöchentlich.
Die Klägerin erhielt in dem Zeitraum 01.04.1996 bis 31.07.1996 einen Bruttomonatslohn in Höhe von 1.428,00 DM, ab 01.08.1996 1.331,00 DM brutto entsprechend folgender Berechnung der Beklagten:
bis 31.03.96 | ab 01.04.96 | ab 01.08.96 | |
---|---|---|---|
Sassenburg-Schule | 833,00 | 750,00 | 653,00 |
Rathaus | 1.172,00 | ||
616,00 | 616,00 | ||
Bauhof | 133,00 | ||
Jugendtreff | 62, 00 | 62, 00 | 62, 00 |
2.200,00 | 1.428,00 | 1.331,00 |
Im Januar 1997 zahlte die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.262,07 DM, in dem Zeitraum Februar bis einschließlich April 1997 jeweils 1.349,00 DM brutto.
Mit Schreiben vom 15.05.1996 forderte die Klägerin die beklagte Gemeinde u.a. auf unverzüglich "die arbeitsvertragliche Regelung 30,5 Stunden wöchentliche Arbeitszeit mit einem Monatslohn von 2.200,00 DM wieder in Kraft zu setzen und die angefallenen Nachzahlungen unverzüglich vorzunehmen" (Bl. 6 d. A.). Mit Schreiben vom 25.06.1996 lehnte die beklagte Gemeinde die Forderung der Klägerin ab und berief sich darauf, daß die Klägerin dem neuen Reinigungskonzept - verminderte Reinigungsleistung verbunden mit Minderung der Lohnzahlung - zugestimmt habe (Bl. 7, 8 d. A.).
Mit ihrer am 17.12.1996 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen und mit Schriftsätzen vom 07.02.1997 und 21.04.1997 erweiterten Klage begehrt die Klägerin von der beklagten Gemeinde die Zahlung von restlicher Vergütung. Sie vertritt die Ansicht, die Beklagte habe ihren Bruttomonatsentgeltanspruch unzulässigerweise gekürzt. Hierzu behauptet die Klägerin, die Beklagte habe weder eine Änderungskündigung ausgesprochen noch sei die Arbeitszeit und die Vergütung einvernehmlich geändert worden.
Der stellvertretende Direktor der beklagten Gemeinde Herr Christmann habe sie lediglich mit einer Änderung der Arbeitszeit ab dem 01.04.1996 konfrontiert und ihr gesagt, daß sie dies so hinnehmen müsse. Sie bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung und Beteiligung des Personalrates vor der Änderung der Arbeitszeit. Die Klägerin meint, auch eine einvernehmliche Änderung der Vergütung und der Arbeitszeit hätte nur schriftlich erfolgen können. Im übrigen sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien auch die Tarifverträge für die Arbeiterinnen und Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) sowie die weiteren hierzu ergangenen Tarifverträge anzuwenden. Ihr stehe deshalb eine entsprechende Vergütung nach Lohngruppe 1 a Stufe 8 zu.
Die Klägerin berechnet ihren Klaganspruch wie folgt:
Bis zum 31.12.1996 habe der Monatslohn der Lohngruppe 1 a, Stufe 8 3.083,25 DM betragen (176 Arbeitsstunden monatlich = 18,48 DM/Stunde) ab 01.01.1997 3.323,33 DM brutto (entsprechend 18,70 DM/Stunde). Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30,5 Stunden errechne sich eine monatliche Durchschnittsarbeitszeit von 132 Stunden.
Ihr stehe deshalb für den Zeitraum 01.04. bis 31.12.1996 ein monatlicher Vergütungsanspruch in Höhe von 2.439,97 DM brutto und ab 01.01.1997 in Höhe von 2.468,40 DM brutto zu.
Für den Zeitraum 01.04. bis 31.07.1996 errechne sich ein Vergütungsanspruch in Höhe von 4.047,18 DM brutto (2.439,97 DM - 1.428,00 DM = 1.011,97 × 4), für den Zeitraum 01.08. bis 31.12.1996 errechne sich ein Vergütungsanspruch in Höhe von 5.544,85 DM brutto (2.439,97 DM - 1.331,00 DM = 1.108,97 DM × 5), für den Monat Januar 1997 errechne sich ein Vergütungsanspruch 1.206,33 DM brutto (2.468,40 DM - 1.262,07 = 1.206,33 DM), für die Monate Februar bis April 1997 errechne sich ein Vergütungsanspruch in Höhe von 3.358,20 DM brutto (2.468,40 DM - 1.349,00 DM = 1.119,40 DM × 3).
Weiterhin stehe ihr entsprechend dem "Tarifvertrag über eine Zuwendung für Arbeiter vom 12.10.1973 in Verbindung mit der Schlichtungsregelung vom 13.06.1996" ein Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung in Höhe von 2.439,97 DM brutto zu. Hiervon abzusetzen sei der von der beklagten Gemeinde im Monat November gezahlte Betrag in Höhe von 341,00 DM brutto. Insoweit bestehe ein Nachforderungsanspruch in Höhe von 1.976,97 DM brutto.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 10.01.1997 und vom 09.05.1997 Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Die Klägerin kann von der beklagten Gemeinde die Zahlung von 15.174,38 DM verlangen. Der zugesprochene Anspruch ergibt sich in Höhe von 13.197,41 DM aus einem Annahmeverzug der Beklagten gemäß § 615 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien.
Die beklagte Gemeinde ist mit der Annahme der Dienste der Klägerin in Verzug geraten. Dabei ist die Kammer der Auffassung, daß die von den Parteien vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit auch nach dem 01.04.1996 30,5 Stunden betragen hat. Unstreitig hat die Klägerin bis zum 31.03.1996 30,5 Stunden wöchentlich gearbeitet. Nach dem allgemeinen Grundsatz, wonach jede Partei für die ihr günstigen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist, hätte es der beklagten Gemeinde nunmehr oblegen im einzelnen darzulegen und unter Beweis zustellen, daß die Parteien einvernehmlich die Arbeitszeit zum 01.04.1996 geändert haben. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der beklagten Gemeinde trotz eines entsprechenden Auflagenbeschlusses und trotz des Bestreitens des Sachvortrages der beklagten Gemeinde durch die Klägerin nicht.
Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte eine Änderung der Arbeitszeit und eine Änderung der Vergütung auch mündlich vereinbart werden können. Eine derartige Änderung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag unterliegt nicht dem zwingenden Schriftformerfordernis des § 4 Abs. 2 des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe (BMT-G II). Der BMT-G II findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
Dem steht nicht entgegen, daß die Parteien am 15.05.1975 vereinbart hatten, daß sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nunmehr nach den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches richten solle.
Diese Vereinbarung verstößt gegen § 4 TVG, wonach Rechtsnormen der Tarifverträge, die den Inhalt, Abschluß oder Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenden gelten, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Die beklagte Gemeinde ist Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband, die Klägerin ist ebenfalls Tarif gebunden, sie ist Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Gemäß § 1 des BMT-G II unterfällt das Arbeitsverhältnis der Parteien sonach dem allgemeinen Geltungsbereich vorgenannten Tarifvertrages. Gemäß § 4 Abs. 3 TVG sind abweichende Vereinbarungen von dem Geltungsbereich des Tarifvertrages nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung zu Gunsten der Arbeitnehmer gestatten. Eine entsprechende Öffnungsklausel enthält BMT-G II nicht. Der Tarifvertrag ist auch insgesamt günstiger als die allgemeinen Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Die einseitig zwingende Wirkung des Tarifvertrages konnte deshalb von den Arbeitsvertragsparteien nicht zu Lasten der Klägerin abbedungen werden.
Die von der Beklagten behauptete einvernehmliche Änderung der Arbeitszeit und der Vergütung ist keine Nebenabrede im Sinne des § 4 Abs. 2 BMT-G II. Nebenabreden im Sinne von § 4 Abs. 2 BMT-G II sind Regelungen über Leistungen, die auch nicht mittelbar die Zusage einer Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer zu erbringene Arbeitsleistung enthalten, sondern Aufwendungen aufgrund besonderer persönlicher Umstände ausgleichen sollen. Dabei ist zu beachten, daß mit Arbeitsvertrag im Sinne von § 4 Abs. 1 BMT-G II nicht nur der bei Beginn der Tätigkeit oder zuvor schon abgeschlossene Vertrag gemeint ist, sondern ggf. jede weitere vertragliche Vereinbarung im Sinne einer Änderung oder Ergänzung des ursprünglichen Vertragsinhaltes. Sonach fällt unter § 4 Abs. 1 BMT-G II jede Vereinbarung, die die beiderseitigen Hauptrechte und Hauptpflichten nach § 611 BGB betrifft, nämlich die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.1972, AP Nr. 2 zu § 4 BAT).
Die Beklagte kann auch keine ihr günstige Rechtsfolge daraus ableiten, daß die Klägerin in dem Zeitraum 01.04. bis 15.05.1996 entsprechend dem neuen Reinigungskonzept verkürzt gearbeitet hat. Zu Gunsten der beklagten Gemeinde greifen vorliegend nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises ein.
Ein Anscheinsbeweis setzt einen feststehenden Tatbestand voraus, bei dem der behauptete ursächliche Zusammenhang oder das behauptete Verschulden gegeben ist und bei dem die Regeln des Lebens und die Erfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf des Geschehens hinweisen und so sehr das Gepräge des Üblichen und Gewöhnlichen tragen, daß die besonderen Umstände des Einzelfalles in ihrer Bedeutung zurücktreten. Bloßes Schweigen bedeutet im Rechtsverkehr regelmäßig keine zustimmende Willenserklärung. Deshalb kann allein darin, daß die Klägerin nicht hier entsprechend dem neuen Reinigungskonzept verkürzt gearbeitet hat, keine zustimmende Willenserklärung angenommen werden. Desweiteren ist darauf hinzuweisen, daß die Beklagte spätestens ab dem 15.05.1996, d.h. nach Erhalt des Schreibens der Klägerin nicht mehr schutzwürdig war, da die Klägerin mit diesem Schreiben zum Ausdruck gebracht hat, daß sie weiterhin davon ausgeht, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsvertrag mit einer geschuldeten Arbeitsleistung von 30,5 Stunden wöchentlich besteht. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, daß die Klägerin gegenüber ihrem stellvertretenden Direktor Herrn Christmann auch noch im Herbst 1996 und im April 1997 erklärt haben soll, daß sie das neue Reinigungskonzept um gesetzt habe, liegt darin nach Ansicht der Kammer ebenfalls kein Anzeichen, daß die Parteien im März 1996 einvernehmlich den Arbeitsvertrag geändert haben. Allein dadurch, daß die Klägerin nunmehr verkürzt arbeitet, bringt die Klägerin noch nicht zugleich zum Ausdruck, daß sie mit einer entsprechenden Änderung ihres Arbeitsvertrages einverstanden ist.
Voraussetzung des Annahmeverzuges ist gemäß §§ 294 ff. BGB, daß die Arbeitsleistung seitens des Arbeitnehmers tatsächlich angeboten wird. Danach hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung in eigener Person, zur rechten Zeit, am rechten Ort und der rechten Art und Weise anzubieten. Nicht ausreichend ist die bloße Leistungsbereitschaft. Vielmehr muß sich der Arbeitnehmer zur rechten Zeit an den vereinbarten Arbeitsort begeben und versuchen, den nach dem Vertrag geschuldete Arbeit zu verrichten.
Daß dies erfolgt ist, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Nach § 295 BGB genügt jedoch ein wörtliches Angebot, wenn der Gläubiger erklärt hat, er werde die Leistungen nicht annehmen oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist.
Ist für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es ausnahmsweise überhaupt keines Angebots, wenn der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt (§ 296 BGB). Zu den Pflichten des Arbeitgebers gehört es, einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeit zuzuweisen (BAG, Urteil vom 09.08.19984, AP Nr. 34 zu § 615 BGB). Hierzu gehört es, für die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Fortsetzung der Arbeit zu sorgen und den Arbeitnehmern mitzuteilen, daß sie arbeiten dürfen. Mit der Vorstellung des neuen Reinigungskonzepts, hat die beklagte Gemeinde eindeutig erklärt, daß sie die Klägerin ab dem 01.04.1997 nicht mehr in dem bisherigen Umfang weiter beschäftigen werde, sie vielmehr auf ihre Dienste jedenfalls soweit verzichte, soweit sie die wöchentliche Stundenzahl von 20,7 Stunden überschreite. In dem vorliegenden Fall eine nochmalige Aufforderung der Klägerin zu verlangen, ihr einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zuzuweisen, wäre nach Ansicht der Kammer durch den Gesetzeszweck nicht mehr gedeckt, sondern letztlich nur eine bloße Förmelei. Da die beklagte Gemeinde ihrer Verpflichtung aus § 296 BGB nicht nachgekommen ist, befand sich die beklagte Gemeinde seit dem 01.04.1996 in Annahmeverzug gemäß § 615 BGB.
Die Klägerin kann von der beklagten Gemeinde auch eine Vergütung entsprechend Lohngruppe 1 a Lohnstufe 8 der Monatslohntabelle verlangen. Der Anspruch ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag der Parteien in Verbindung mit § 20 Abs. 1 BMT-G II in Verbindung mit dem Rahmenvertrag zu § 20 Abs. 1 BMT-G II. Gemäß § 4 TVG finden die vorgenannten Rahmentarifverträge aufgrund beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Es ist der Klägerin auch nicht verwehrt, sich auf die Geltung der Lohntarifverträge zu berufen. Insbesondere steht dem nicht entgegen, daß die Klägerin im Jahr 1975 mit der beklagten Gemeinde vereinbart hat, daß sich das Arbeitsverhältnis der Parteien zukünftig nach dem allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches richten solle. § 4 Abs. 4 TVG schließt den Einwand der Verwirkung gegenüber tariflichen Rechten aus.
Wenn schon kein Arbeitgeber darauf vertrauen soll, der Arbeitnehmer werde vom Arbeitsvertrag losgelöste Rechte nach Ablauf einer bestimmten Zeit nicht mehr geltend machen, so ist erst Recht die Verwirkung für die Berufung auf den Tarifvertrag selbst ausgeschlossen. Der Klägerin kann auch kein arglistiges Verhalten vorgeworfen werden.
Im Hinblick auf die Regelung im § 4 Abs. 4 TVG kann der Einwand der Arglist nur in besonders krassen Fällen eingreifen, wenn dem Gläubiger ein grob unbilliges Verhalten zur Last gelegt wird (vgl. BAG, Urteil vom 07.12.1956, AP Nr. 1 zu § 817 BGB). Nach Ansicht der Kammer kann sich die beklagte Gemeinde vorliegend bereits deshalb nicht auf ein arglistiges Verhalten der Klägerin berufen, da sie selbst tarifgebunden ist und deshalb um die zwingende Wirkung der Tarifnormen wissen muß. Die beklagte Gemeinde durfte deshalb nicht darauf vertrauen, daß die Klägerin sich nicht auf die zwingende Wirkung der Tarifnormen berufen wird.
Der zugesprochene Anspruch errechnet sich wie folgt:
Auszugehen ist hier von einem anteiligen Vergütungsanspruch der Klägerin entsprechend dem Monatslohn der Lohngruppe 1 a Stufe 8. Der Vortrag der Klägerin zur tarifgerechten Eingruppierung hat als zugestanden zu gelten, da die beklagten Gemeinde ihn nicht substantiiert bestritten hat. Ein Beklagtenvorbringen ist erst dann erheblich, wenn der Beklagte genügend Tatsachen für eine Einrede oder Einwendung behauptet, welche den Anspruch zerstören oder lehmen (BGH, Urteil vom 17.07.1984, NJW 1984, 2888). Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO muß sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten entscheidungserheblichen Tatsachen erklären. Dabei richtet sich das Ausmaß der Erklärungslast danach, inwieweit der Partei nähere Angaben möglich und zumutbar sind. Wenn die Anforderungen des § 138 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind, so ist das Bestreiten unwirksam, die gegnerischen Behauptungen gelten dann gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urteil vom 20.01.1961, NJW 1961, 826). So ist es hier. Die beklagte Gemeinde hat sich zu dem Vortrag der Klägerin hinsichtlich ihrer Eingruppierung in die Lohntarifverträge für die gemeindlichen Arbeiterinnen und Arbeiter nicht geäußert. Bis zum 31.12.1996 betrug der Monatslohn der Lohngruppe 1 a Stufe 8 3.083,28 DM brutto bezogen auf eine monatliche Arbeitszeit in Höhe von 167 Stunden.
Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit der Klägerin von 30,5 Stunden, entsprechend einer monatlichen Durchschnittsarbeitszeit von 132 Stunden errechnet sich sonach ein geschuldeter Arbeitslohn der beklagten Gemeinde in Höhe von 2.439,79 DM brutto. Ab 01.01.1997 beträgt das Tarifgehalt der Lohngruppe 1 a Stufe 8 3.123,33 DM brutto, das entsprechende Gehalt der Klägerin beträgt 2.468,40 DM brutto.
Für den Zeitraum April bis einschließlich Juli 1996 ergibt sich ein Anspruch der Klägerin gegenüber der beklagten Gemeinde in Höhe von 3.088,00 DM (2.2.00,00 DM - 1.428,00 DM = 772,00 DM × 4). Für den Zeitraum August 1996 bis einschließlich Dezember 1996 steht der Klägerin gegenüber der beklagten Gemeinde ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von 5.544,85 DM brutto zu (2.439,97 DM - 1.331,00 DM = 1.108,97 DM × 5), für den Monat Januar 1997 steht der Klägerin gegenüber der beklagten Gemeinde ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von 1.206,33 DM brutto zu (2.468,40 DM - 1.262,02 DM = 1.206,33 DM). Für die Monate Februar bis April steht der Klägerin gegenüber der beklagten Gemeinde ein Anspruch in Höhe von 3.358,20 DM brutto zu (2.468,40 DM brutto - 1.349,00 DM = 1.119,40 DM × 3).
Der weitergehende Zahlungsanspruch der Klägerin gegenüber der beklagten Gemeinde für den Zeitraum 01.04.1996 bis einschließlich 31.07.1996 war abzuweisen. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten den Anspruch auf die Zahlung der tarifgerechten Vergütung entsprechend der Lohngruppe 1 a Stufe 8 erstmals mit ihrem Schriftsatz vom 07.02.1997 geltend gemacht. Dieser Schriftsatz ist der Beklagten am 12.02.1997 zugegangen. Gemäß § 63 BMT-G II verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß sie bereits vor dem 07.02./12.02.1997 gegenüber der beklagten Gemeinde Ansprüche auf Zahlung der tarifgerechten Vergütung für den Zeitraum April 1996 bis einschließlich Juli 1996 geltend gemacht hat. Gemäß § 26 a BMT-G II ist der Lohn für den Kalendermonat am 15. eines jeden Kalendermonats für den laufenden Kalendermonat zu zahlen. Der Lohnanspruch hinsichtlich der tarifgerechten Entlohnung für die Monate April bis einschließlich Juli 1996 ist deshalb mit Ablauf des 15.01.1997 gemäß § 63 BMT-G II verfallen.
Der Klägerin konnte deshalb für diesen Zeitraum lediglich die mit der Klagschrift eingeklagten Differenzbeträge in Höhe von 772,00 DM brutto monatlich zu gesprochen werden. Insoweit hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 15.06.1996 ihre Ansprüche gegenüber der beklagten Gemeinde rechtzeitig geltend gemacht. Gemäß § 63 Abs. 2 BMT-G II reichte diese Geltendmachung im Mai aus, um die Ausschlußfrist auf für später fällig werdene Lohnansprüche unwirksam zu machen. Dieses Schreiben enthält jedoch keine Geltendmachung von Lohnansprüchen soweit sie den Betrag von 2.200,00 DM übersteigen.
Entsprechend der beiderseitigen Tarifbindung steht der Klägerin gegenüber der beklagten Gemeinde auch ein Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung entsprechend dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Arbeiter vom 12.10.1973 in der Fassung vom 25.04.1994 nebst Ergänzungsregelung zu.
Die Zuwendung betrug gemäß § 2 des Tarifvertrages in Verbindung mit dem Schlichtungsspruch vom 13.06.1996 95 % der Urlaubsvergütung, die der Klägerin zugestanden hätte, wenn sie während des gesamten Monats September 1996 Erholungsurlaub gehabt hätte. Bei einer der Klägerin im Monat September 1996 zustehenden Vergütung/Urlaubsvergütung in Höhe von 2.439,97 DM brutto besitzt die Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung in Höhe von 2.317,97 DM brutto. Hiervon abzusetzen ist der schon gezahlte Betrag in Höhe von 341,00 DM brutto. Insoweit besteht noch ein Restanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten in Höhe von 1.967,97 DM.
Nach alledem war der Klage in Höhe von 15.174,38 DM brutto stattzugeben, im übrigen war die Klage abzuweisen.
Die zugesprochenen Zinsen beruhen auf §§ 284, 288, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 92 ZPO und entspricht dem Verhältnis des gegenseitigen Unterliegens bzw. Obsiegens.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 16.133,53 DM festgesetzt.
Der Streitwert, der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen war, beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO und entspricht dem Wert der bezifferten Klagforderung.