Arbeitsgericht Hannover
Urt. v. 13.11.2003, Az.: 10 Ca 184/03

Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrages und auf Wiedereinstellung; Voraussetzungen für einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung; Anforderungen an einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht

Bibliographie

Gericht
ArbG Hannover
Datum
13.11.2003
Aktenzeichen
10 Ca 184/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 28140
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGHAN:2003:1113.10CA184.03.0A

Fundstelle

  • AuR 2004, 35-36 (Kurzinformation)

Verfahrensgegenstand

Feststellung

In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 13.11.2003
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf den Hilfsantrag d. Klägerin hin wird d. Beklagte verurteilt, mit d. Klägerin einen Arbeitsvertrag nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 03.07.92 (Bl. 7/8) abzuschließen und sie wieder einzustellen.

  2. 2.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt jede Partei zur Hälfte.

  4. 4.

    Der Streitwert wird auf EUR 2.454,20 festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitgegenstand der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 13.11.2003 geänderten (und erweiterten) Klage sind Anträge auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 15.01.2003 (Datum der Beendigung aufgrund des schriftlichen Aufhebungsvertrages vom 03.01.2003 - Bl. 20 d.A.) fortbesteht (Hauptantrag), die Verurteilung der Beklagten zur Wiedereinstellung der Klägerin (Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu den alten Bedingungen - Hilfsantrag), schließlich (Leistungsklage) der Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung der Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.01.2003 hinaus.

2

Die Klägerin ist geschieden, 37 Jahre alt, und alleinerziehend (13-jähriger Sohn). Sie ist seit 01.07.1992 aufgrund des schriftlichen Anstellungsvertrages vom 03.07.1992 (Bl. 7/8 d.A.) bei der Beklagten als Verkäuferin und Kassiererin beschäftigt. Die Parteien unterzeichneten einen von der Beklagten (dem Marktleiter) handschriftlich aufgesetzten Aufhebungsvertrag vom 03.01.2003 (Bl. 20 d.A.). Dort ist geregelt, dass das Arbeitsverhältnis vorfristig mit Ablauf des 15.01.2003 endet, die Klägerin bis dahin unter Anrechnung des Urlaubs und etwaiger Mehrarbeit freigestellt ist und die Beklagte bis dahin ordnungsgemäß abrechnet.

3

Die Klägerin beschreibt die Begleitumstände, unter denen diese Vereinbarung im Büro der Filiale des ... in ... (Beschäftigungsort) zustande gekommen war, wie folgt (ergänzendes Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer): Sie sei in das Büro gerufen worden, wo sich der Marktleiter aufgehalten habe. Als Begründung dafür sei angegeben worden, sie müsse eine Liste unterzeichnen. Als sie in das Büro gekommen sei, habe der dort anwesende Marktleiter nicht nur diese Liste, sondern zugleich eine unter der Liste befindliche Aufhebungsvereinbarung ihr vorgelegt und sie aufgefordert, zu unterzeichnen. Er habe dabei die Worte gesagt, das geschehe aufgrund der Tatsache, dass sie häufig krank sei, sie brauche den Betriebsrat nicht beizuziehen, das habe schon seine Ordnung.

4

Die Beklagte trägt demgegenüber vor, es sei am 03.01.2003 ein Gespräch geführt worden. Anlass dafür seien Kassendifferenzen am 28.12.2002, unentschuldigtes Fehlen am 30.12.2002, die Ergebnisse eines Testkaufs am 21.12.2002 und schließlich eine fehlende Preisliste an der Kasse am 03.01.2003 gewesen. Die Beklagte habe diese Dinge angesprochen. Auch habe sie der Klägerin angeboten, ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen. Mit einer Kündigung sei nicht gedroht worden (jeweils Zeugnis des Bezirksleiters ... - s. Bl. 16/17 d.A.).

5

Die Klägerin trägt zur Begründung vor, sie sei im November und Dezember 2002 (nach Darstellung der Beklagten bis 07.12.2002) wegen einer langwierigen Zahnbehandlung krankgeschrieben gewesen. Ferner habe sie sich seit Dezember 2002 (wieder) in ambulanter psychiatrisch/psychotherapeutischer Behandlung befunden (s. das Attest des behandelnden Arztes ... vom 22.01.03, Bl. 11 d.A.). Das sei an der Arbeitsstelle bekannt gewesen, dass sie nämlich Psychopharmaka und Schlaftabletten nehme. Auch habe sie in dem Gespräch gesagt, dass es ihr in letzter Zeit nicht so gut gehe. Die Beklagte habe ihr keine Kopie der Aufhebungsvereinbarung angeboten oder ausgehändigt, sie habe erstmals im Rechtsstreit mit der Klageerwiderung eine Kopie der Aufhebungsvereinbarung erhalten.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über den 15.01.2003 hinaus nach Maßgabe des Anstellungsvertrages vom 03.07.1992 fortbesteht,

  2. 2.

    hilfsweise, die Beklagte zum Abschluss eines Arbeitsvertrages nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 03.07.1992 mit Wirkung ab 16.01.2003 hinaus zu verurteilen, spätestens mit Wirkung ab Rechtskraft des der Klage insoweit stattgebenden Urteils,

  3. 3.

    die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.01.2003 hinaus als Verkäuferin/Kassiererin weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage insgesamt abzuweisen.

8

Sie beruft sich auf Verwirkung, weil sich die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigte erstmals mit Schreiben vom 31.01.2003 gegen den Aufhebungsvertrag gewandt habe. Die psychischen Probleme der Klägerin seien der Beklagten nicht bekannt gewesen. Die Klägerin habe sie in dem Gespräch am 03.01.2003 nicht erwähnt, sondern nur auf Vorhaltungen erklärt, dass sie momentan nicht so gut drauf sei. Die Darstellungen der Klägerin über Inhalt und Verlauf des Gesprächs am 03.01.2003 seien falsch. Die Beklagte habe die Angelegenheit eingehend mit der Klägerin erörtert, ihr Gelegenheit gegeben, ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen, sie sei nicht überrumpelt worden, weil die Klägerin unumwunden erklärt habe, sie sei bereit, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu beenden, und daraufhin sei (erst) die Aufhebungsvereinbarung geschrieben und wechselseitig unterzeichnet worden.

9

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und die Anlagen, die alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Auch wird Bezug genommen auf die Erklärungen der Parteien in der Güteverhandlung und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

Gründe

10

Die Klage ist mit dem (zulässigen) Hilfsantrag begründet, nicht aber mit dem Hauptantrag Ziff. 1 (Feststellungsantrag) und nicht mit dem weiteren Leistungsantrag Ziff. 3, gerichtet auf Verurteilung zur Weiterbeschäftigung. Deshalb war dem Hilfsantrag stattzugeben und die Klage im übrigen abzuweisen.

11

1.

Der Feststellungsantrag (Hauptantrag) Ziff. 1 ist nicht begründet, weil die Klägerin weder den Aufhebungsvertrag angefochten hat, noch Anfechtungsgründe geltend gemacht sind (arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung). Ist der Aufhebungsvertrag aber wirksam, kann das Arbeitsverhältnis über den vereinbarten Beendigungstermin hinaus (15.01.2003 - Bl. 20 d.A.) nicht fortbestehen. Deshalb war die Klage mit dem Hauptantrag Ziff. 1 (im übrigen) abzuweisen.

12

2.

Der Hilfsantrag ist jedoch begründet. Die Klägerin begehrt (s. die Fassung des Antrags gemäß Protokoll vom 13.11.2003 und Auslegung) die Verurteilung der Beklagten, sie zu den alten Arbeitsbedingungen (Arbeitsvertrag vom 03.07.1992 - Bl. 7/8 d.A.) wieder einzustellen, also mit ihr einen neuen Arbeitsvertrag mit den Bedingungen des alten Arbeitsvertrages abzuschließen. Diese Leistungsklage ist gerichtet auf die entsprechende Abgabe einer Willenserklärung (§ 894 ZPO), die Vereinbarung kommt mithin aufgrund der gesetzlich angeordneten Fiktionswirkung erst mit der formellen Rechtskraft einer der Klage insoweit stattgebenden gerichtlichen Entscheidung zustande (§§ 145 ff. BGB, 894 ZPO).

13

Der Hilfsantrag ist deshalb begründet, weil die Klägerin aufgrund positiver Vertragsverletzung (Verstoß gegen die Fürsorgepflicht) im Wege des Schadensersatzes (§ 249 BGB) die Wiederherstellung des alten Zustandes verlangen kann, also die Rückabwicklung des Aufhebungsvertrages und die Neubegründung des Arbeitsverhältnisses. Deshalb ist der Hilfsantrag zu richten auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu den alten Bedingungen, also auf Wiedereinstellung der Klägerin. Es reicht insoweit nicht der Antrag und die entsprechende Verurteilung, gerichtet auf Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung am alten Arbeitsplatz zu den alten Arbeitsbedingungen.

14

a)

Die Klägerin hat (nochmals) in der letzten mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 13.11.2003 die Begleitumstände geschildert, unter denen die Aufhebungsvereinbarung zustande gekommen sein soll. Danach ist - entgegen der Behauptung der Beklagten - in diesem Gespräch am 03.01.2003 nicht über die angeblichen Fehlleistungen der Klägerin gesprochen worden, sondern ausschließlich über die zu unterzeichnende Liste und aus diesem Anlass über den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung, weil - so die angeblichen Äußerungen des Bezirksleiters ... - die Klägerin zu häufig krank sei. Auch habe der Bezirksleiter in diesem Zusammenhang erklärt, die Klägerin brauchte den Betriebsrat nicht hinzuzuziehen, das habe schon seine Ordnung.

15

Die Beklagte hat dieses Vorbringen schriftsätzlich substantiiert bestritten und unter Beweisantritt (Zeugnis: ...). Das Vorbringen der Beklagten kann als wahr unterstellt werden. Es mag sein, dass die Beklagte die geschilderten Anlässe (Kassendifferenzen etc.) zum Anlass genommen hat, das Gespräch mit der Klägerin zu fuhren. Auch mag zugunsten der Beklagten als wahr unterstellt werden, dass der Bezirksleiter ... erst im Laufe des Gesprächs und als Ergebnis der Erörterungen den Entschluss fasste, der Klägerin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch (sofortigen) Aufhebungsvertrag anzubieten. Nur: Die Beklagte schildert keine (auch nicht plausible) Gründe oder zumindest Beweggründe, die sie als Arbeitgeberin veranlasst haben könnte, als Sachwalterin der Interessen der Klägerin zu fungieren, sie also zu bewegen, in ihrem Interesse das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden. Folgerichtig vermag die Beklagte auch nicht im Rechtsstreit - de facto als Prozessstandschafter der Klägerin - interessenspezifische Gründe zugunsten der Klägerin darzulegen, warum die Klägerin als anderer Vertragsteil nun gerade diesen Aufhebungsvertrag unterzeichnen und auf Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist (s. auch den Vergleichsvorschlag des Vorsitzenden und der Kammer gemäß Protokoll vom 13.05. und 13.11.2003) mit dem vorfristigen Beendigungszeitpunkt 15.01.2003 verzichten sollte. Das wundert auch nicht, leugnet doch die Beklagte ihre Verpflichtung (s. BAG-Rechtsprechung), bei von ihr als Arbeitgeberin initiierten Verhandlungen über vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag die erforderlichen Aufklärungspflichten wahrzunehmen. Denn hätte die Beklagte sich tatsächlich in den Verhandlungen über den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung als Sachwalterin der Interessen der Klägerin verhalten (und auch gefühlt), hätte sie gerade die von der Rechtsprechung des BAG geforderten Aufklärungspflichten (z.B. sozialrechtliche Folgen der Aufhebungsvereinbarung) wahrnehmen müssen. Denn weder ein Anscheinsbeweis, noch offenkundige oder gerichtsbekannte Tatsachen (§§ 291, 292 ZPO), und auch nicht die Denkgesetze oder die Grundsätze der allgemeinen Lebenserfahrung sprechen dafür, dass ein Arbeitnehmer ein Interesse daran hat, zumindest auf die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zu verzichten. Es spricht keine Vermutung dafür, dass der Arbeitnehmer als Vertragspartei des Arbeitgebers als Vormund bedarf, der ihm nahe legt, das Arbeitsverhältnis in seinem Interesse vorfristig aufzugeben.

16

b)

Es mag deshalb zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die Klägerin nicht (wie diese behauptet) in dem Gespräch am 03.01.2003 "überrumpelte". Denn schon die Überrumpelung des anderen Vertragsteils rechtfertigt (positive Vertragsverletzung) die Rückabwicklung des Vertrages im Rahmen des Schadensersatzes (s. Palandt, BGB, 62. Aufl., Anm. 24 zu § 311 BGB, unter Hinweis auf Bamberg, NJW-RR 97, 694). Die Beklagte hat die Aufklärungspflichten nicht wahrgenommen (sozialrechtliche Folgen einer vorfristigen Aufhebungsvereinbarung), weshalb als Rechtsfolge die Klägerin im Rahmen des Schadensersatzes (§ 249 BGB) die Rückabwicklung des Aufhebungsvertrages verlangen kann, und zwar in Gestalt der Verurteilung der Beklagten zur Neubegründung des Arbeitsverhältnisses zu den alten Bedingungen, also ihre Wiedereinstellung.

17

Nach der Rechtsprechung des BGH ist es zwar grundsätzlich Sache jeder Vertragspartei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen. Es besteht keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entscheidung des anderen Teiles von Bedeutung sein können (BGH NJW 89, 763). Allerdings besteht eine Aufklärungspflicht für die Vertragspartei (insbesondere für die Vertragspartei, die die Vertragsverhandlungen initiiert), wenn besonders wichtige Umstände vorliegen und erkennbar sind, die für die Willensbildung des anderen Vertragsteils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Sie müssen ungefragt offenbart werden (BGH NJW 71, 1799). Die Rechtsprechung nimmt das Bestehen einer solchen Aufklärungspflicht an, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis unter den Verhandlungspartnern besteht, insbesondere bei persönlicher Verbundenheit (familiäre Banden, Gesellschaftsverhältnis - s. BGH NJW 92, 300, 301 linke Spalte). Danach kann ein erkennbarer Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrung des Vertragsgegners (insbesondere bei Jugendlichen) Aufklärungspflichten für die übrigen am Vertragsschluss beteiligten Parteien begründen (BGH a.a.O., s. ausführlich auch Palandt, a.a.O., Anm. 5, 5 b und c zu § 123 BGB).

18

Nach der Rechtsprechung des BAG können aus der Fürsorgepflicht resultierend grundsätzlich für den Arbeitgeber Aufklärungs- und Informationspflichten über arbeits- und sozialversicherungsrechtliche. Folgen eines Aufhebungsvertrages bestehen. Inhalt und Umfang bestimmen sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses können von einem Arbeitgeber besondere Hinweise auf die arbeits- und sozialrechtlichen Folgen der Beendigung erwartet werden, wenn der Arbeitgeber erkennen muss, dass der Arbeitnehmer weiterer Informationen bedarf, und er (der Arbeitgeber) selbst die Auskünfte unschwer erteilen oder beschaffen kann. Eine Aufklärungspflicht besteht insbesondere dann, wenn die Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Billigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicherweise zu erwartende Aufklärung vor der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bewahrt werden muss, weil er sich durch sie aus Unkenntnis selbst schädigen würde (BAG, 13.11.96, NJW 97, 3043, 3045 linke Spalte).

19

Dabei ist rechtlich nicht von Bedeutung, ob der Arbeitgeber die Aufklärungspflicht vorsätzlich verletzt hat oder nicht. Auch der nur fahrlässig "Getäuschte" kann wegen positiver Vertragsverletzung gemäß § 249 Abs. 1 BGB verlangen, dass der Aufhebungsvertrag rückgängig gemacht wird (Palandt, a.a.O., Anm. 42 zu § 311 BGB). Bereits der Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit begründet den Anspruch auf Vertragsaufhebung (ebenda Anm. 24, BGH, 26.09.97, NJW 98, 302; 19.12.97, ebenda 899). Hält der geschädigte Vertragspartner am Vertrag fest, kann er Vertragsanpassung verlangen (Palandt, a.a.O., Anm. 59; - s. den Vergleichsvorschlag des Gerichts).

20

c)

Das BAG wiederholt diese Grundsätze mit Urteil vom 11.12.2001 (3 AZR 339/00 - DB 2002, 2387 f.). Zwar muss auch nach Auffassung des BAG jeder Vertragspartner grundsätzlich selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen sorgen und der Arbeitgeber ist nicht ohne weiteres verpflichtet, Arbeitnehmer unaufgefordert über die Auswirkungen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten. Hinweis- und Aufklärungspflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalles und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung. Derartige Nebenpflichten können vor allem dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber einen Vertrauenstatbestand oder durch sein früheres Verhalten eine Gefahrenquelle geschaffen hat. Je größer das beim Arbeitnehmer erweckte Vertrauen ist oder je größer, atypischer und schwerer erkennbar die damit in rechtlicher Hinsicht verbundenen Gefahren für den Arbeitnehmer sind, desto eher treffen den Arbeitgeber Informationspflichten und desto weitreichender sind sie. Der Arbeitnehmer muss in der Regel vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst Klarheit über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sich verschaffen. Informationspflichten des Arbeitgebers können insbesondere dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber, unter Umständen auch durch das Angebot eines Aufhebungsvertrages, den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen und ihn vor unbedachten (damals im entschiedenen Falle: versorgungsrechtlichen) Nachteilen bewahren. Wirkt der Arbeitnehmer aus eigener Initiative und aus persönlichen Gründen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hin, darf der Arbeitgeber es ihm grundsätzlich überlassen, sich über die Folgen seines Ausscheidens zu unterrichten (ebenda S. 2387 f., 2388 linke Spalte). Aufklärungs- und Belehrungspflichten des Arbeitgebers bestehen insbesondere dann, wenn er selbst die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag veranlassen will, also die Initiative zu entsprechenden Gesprächen und Verhandlungen ergreift, also ein besonderer Aufklärungsbedarf des Arbeitnehmers erkennbar wird (BAG, 13.11.01, NZA 02, 1047, 1048; aus der früheren Rechtsprechung s. BAG, 21.11.00, NZA 02, 618; 17.10.00, DB 01, 286; 13.11.84, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; 10.03.88, NJW 89, 247).

21

d)

Die Beklagte hat die ihr obliegenden Aufklärungspflichten vorsätzlich, wenigstens fahrlässig verletzt:

22

Die Beklagte hat das Gespräch vom 03.01.2003 veranlasst, ebenso Inhalt und Verlauf, also die Aufnahme von Verhandlungen über eine vorzeitige Beendigung durch Aufhebungsvertrag, und zwar unter Verzicht auf Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist. Das trägt die Beklagte selbst schriftsätzlich vor, wenn sie sich auf die früheren Vorkommnisse (Kassendifferenzen, unentschuldigtes Fehlen, Testkauf, Fehlen der Preisliste) beruft. Auch der Vortrag der Klägerin bestätigt das: Nach ihrer Darstellung soll sie wegen einer erforderlichen Unterzeichnung einer Liste in das Büro der Filiale gerufen worden sein.

23

Es mag, wie dargestellt, zugunsten der Beklagten angenommen werden, dass das Gespräch am 03.01.2003 primär der Erörterung von Fehl- und Schlechtleistungen diente, es sogar nichts mit den früheren Erkrankungen und krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin zu tun hatte (so aber der Einwand der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer). Es mag ferner zugunsten der Beklagten (subjektiver Tatbestand) unterstellt werden, dass erst die Erörterungen und deren Ergebnisse sie veranlasste, sich für die Trennung zu entschließen und der Klägerin noch in diesem Gespräch die Beendigung durch Aufhebungsvertrag und vorfristig anzubieten. Auch mögen dafür sachliche Gründe sprechen. Die Beklagte musste jedoch auf die berechtigten Interessen der Klägerin Rücksicht nehmen (s. §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Ziff. 1 BGB). Die Interessenlage ist offenkundig (§ 291 ZPO): Mit der vorfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erleidet die Klägerin sozialrechtliche Nachteile, bezogen auf den etwaigen Bezug von Arbeitslosengeld. Das bezieht sich ferner auf den in der Aufhebungsvereinbarung nicht angegebenen Beendigungsgrund. Auch insoweit hat die Klägerin sozialrechtliche Nachteile, weil eine Sperrfrist droht (Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus eigenem Verschulden - s. § 144 SGB III).

24

Diese Aufklärungs- und Hinweispflicht entfallt nicht deshalb, weil anzunehmen wäre, jeder Arbeitnehmer wisse um diese sozialrechtlichen Folgen und die damit verbundenen Nachteile. Das ist weder gerichtsbekannt, noch offenkundig. Im Gegenteil: Die Lebenserfahrung spricht dagegen, dass Arbeitnehmer als Vertragspartei jederzeit Kenntnis von diesen Umständen und ihrer Tragweite haben, also entsprechend informiert sind (sonst bedürfte es nicht der entsprechenden Auskünfte der Arbeitsämter als zuständiger Behörden und der damit verbundenen Informationsgespräche). Die Aufklärungspflicht ergibt sich auch daraus, dass es sich beim Aufhebungsvertrag um eine atypische Beendigung des Arbeitsverhältnisses handelt, die Beklagte also auf den Ausspruch einer Kündigung verzichtet und die Möglichkeit einer einvernehmlichen Beendigung anstrebt, ferner aufgrund der Tatsache, dass die sozialrechtlichen Folgen von besonderer Bedeutung sind, also die Beendigung durch Aufhebungsvertrag von ausschlaggebender Bedeutung ist. Schließlich begründet die jahrelange gemeinsame Tätigkeit, auch im Verhältnis der Klägerin zu ihren Vorgesetzten, ein besonderes Vertrauensverhältnis. Selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird (was ja die Klägerin bestreitet), dass in dem Gespräch am 03.01.2003 hauptsächlich und primär über die Fehlleistungen und angeblichen Vertragspflichtverletzungen der Klägerin gesprochen wurde, selbst wenn der Klägerin bei Aufnahme des Gesprächs diese Umstände bekannt waren, musste sie vor diesem Gespräch und danach allenfalls mit einer entsprechenden Abmahnung rechnen, weil eine Kündigung nur nach Ausspruch vorheriger erfolgloser Abmahnungen im Leistungsbereich möglich ist.

25

3.

Der weitere Antrag auf Verurteilung zur Weiterbeschäftigung war abzuweisen. Denn eine Wiedereinstellung durch Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages kommt gemäß § 894 ZPO erst mit der formellen Rechtskraft eines der Klage insoweit stattgebenden Urteils zustande. Die Klägerin begehrt nicht die Verurteilung der Beklagten zur einstweiligen Weiterbeschäftigung während dieses Rechtsstreits. Deshalb ist die Leistungsklage derzeit unbegründet.

26

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 2.454,20 festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 61 Abs. 1, 12 Abs. 7 ArbGG.