Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.07.2013, Az.: 31 Ss 24/13
Rechtmäßigkeit der Verlesung des Vermerks eines Polizisten in der Hauptverhandlung im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen Sachbeschädigung wegen des Aufbringens von Schriftzügen auf Bildern
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.07.2013
- Aktenzeichen
- 31 Ss 24/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 41934
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2013:0715.31SS24.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 20.02.2013 - AZ: 11 Ns 133/12
Rechtsgrundlagen
- § 244 Abs. 2 StPO
- § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO
- § 261 StPO
Fundstellen
- NStZ 2014, 175-176
- StRR 2013, 322
- StRR 2014, 67-68
- StV 2013, 742-743
- StraFo 2013, 426-427
Amtlicher Leitsatz
Die Zulässigkeit der Verlesung von Protokollen und Vermerken der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist nicht von vornherein auf Routinevorgänge beschränkt; eine Beschränkung erfährt sie nur durch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO, deren Verletzung nur mit der Aufklärungsrüge geltend gemacht werden kann.
In der Strafsache
gegen P.-C. S.,
geboren am xxxxxx 1990 in S.,
wohnhaft A. D., S.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt G. O., H. -
wegen Sachbeschädigung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht
xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 15. Juli 2013 einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 20. Februar 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das freisprechende Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten wegen Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 2 StGB) durch Anbringen von schwarzen Schriftzügen auf Bildern in einer Gaststättentoilette zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 13 € verurteilt.
Die auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten verwirft der Senat gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet.
Ergänzend zu den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft und im Hinblick auf die Gegenerklärung des Beschwerdeführers ist lediglich noch Folgendes auszuführen:
1. Die Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) greift nicht durch.
a) Die Grundlagen für die Ermittlung der Originalstrichbreite sind bereits durch die Inaugenscheinnahme der Monolichtbilder und Planzeichnungen ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Diese waren taugliche Objekte des Augenscheins. Es handelt sich nicht um Skizzen, die die subjektiven Wahrnehmungen einer Person wiedergeben, sondern um die Produkte eines technischen Auswertungsprozesses anderer Lichtbilder, die wiederum einen objektiven Ausschnitt der Realität festhalten und daher nicht dem Vorrang des Personalbeweises nach § 250 StPO unterliegen (vgl. BGH GA 1968, 305; LR-Sander/Cirener StPO § 250 Rn. 11; Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl. § 250 Rn. 2).
b) Außerdem ergeben sich die notwendigen Informationen über die Herstellung dieser Abbildungen aus dem Vermerk des POK K. vom 25. Oktober 2012, der in der Hauptverhandlung verlesen worden ist. Soweit die Revision die Unzulässigkeit der Verlesung rügt, ist die Verfahrensrüge nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die Revision teilt nicht mit, ob POK K. in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen worden ist. Dieser Vortrag war erforderlich, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob durch die Verlesung die Vernehmung des Zeugen nur ergänzt oder im Sinne des § 250 Satz 2 StPO ersetzt worden ist (vgl. BGH StraFo 2009, 152; NStZ 1995, 609; Meyer-Goßner § 250 Rn. 12). Der Darlegungsmangel ist auch nicht dadurch geheilt, dass der Zeuge in den Urteilgründen nicht erwähnt worden ist. Denn in den Urteilsgründen muss nicht jede Beweiserhebung lückenlos dokumentiert und stets in allen Einzelheiten dargelegt werden, auf welche Weise das Gericht zu bestimmten Feststellungen gelangt ist (vgl. nur Meyer-Goßner § 267 Rn. 12 m. w. N.); aus der Nichterwähnung eines Beweismittels im Urteil kann also nicht geschlossen werden, dass es nicht herangezogen worden ist. Schließlich finden auch die Vermerke, deren Verlesung die Revision gerügt hat, im Urteil keine Erwähnung.
c) Abgesehen davon war jedenfalls die Verlesung des Vermerks des POK K. vom 25. Oktober 2012 nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO zulässig, weil er eine Erklärung über Ermittlungshandlungen der Polizei enthält und keine Vernehmung zum Gegenstand hat. Soweit die Revision meint, dass die Verlesung des Vermerks unzulässig war, weil er keinen Routinevorgang betreffe, kann ihr nicht gefolgt werden. Eine derartige Beschränkung der Verlesungsmöglichkeit kann weder dem Gesetzeswortlaut noch den Materialien entnommen werden. Zwar ergibt sich aus der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf, dass der Gesetzgeber bei Schaffung dieser Regelung in erster Linie "Protokolle und Vermerke über Routinevorgänge wie Beschlagnahme, Spurensicherung, Durchführung einer Festnahme, Sicherstellungen, Hausdurchsuchungen etc." im Blick hatte (vgl. BT-Drucks. 15/1508 S. 26). Weiter heißt es dort aber auch, dass der Polizeibeamte "bei den meist routinemäßig erstellten Protokollen" (Hervorhebung d. d. Senat) ohnehin nicht mehr bekunden könne als das, was bereits schriftlich festgelegt sei (BT-Drucks. a. a. O.). Diese Formulierung zeigt, dass die Vorschrift auch nicht routinemäßig erstellte Protokolle und Vermerke erfasst. Mit Ausnahme von Vernehmungen erlaubt das Gesetz also grundsätzlich die Verlesung aller Protokolle und Vermerke über polizeiliche Ermittlungshandlungen (vgl. BGH NStZ 2008, 529 [BGH 30.04.2008 - 2 StR 132/08]; Meyer-Goßner § 256 Rn. 26; Pauly/Folkert-Hösser in Ratke/Hohmann StPO § 256 Rn. 19). Eine Beschränkung erfährt die Verlesungsmöglichkeit nur durch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO. Ein Verstoß hiergegen ist allerdings mit einer Aufklärungsrüge geltend zu machen (vgl. BGH NStZ 1993, 397 [BGH 16.03.1993 - 1 StR 829/92]; Meyer-Goßner a. a. O. Rn. 30; Pauly/Folkert-Hösser a. a. O. Rn. 23), welche hier nicht in zulässiger Form erhoben worden ist, wie die Generalstaatsanwaltschaft bereits zutreffend ausgeführt hat. Im Übrigen betrifft der Vermerk vom 25. Oktober 2012 die Spurensicherung und damit einen der in der Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich erwähnten Routinevorgänge. Das zur Tatortaufnahme eingesetzte PHIDIAS-Verfahren stellt entgegen der Revision auch nicht deshalb eine außergewöhnliche Besonderheit dar, weil es von speziell dafür ausgebildeten Polizeibeamten angewandt wird. Generell wird die Spurensicherung von dafür speziell ausgebildeten Polizeibeamten vorgenommen und ist dennoch in den Augen des Gesetzgebers ein Routinevorgang.
d) Da der Vermerk vom 25. Oktober 2012 bereits ausreichende Informationen zur Herstellung der Abbildungen enthält, kann es dahingestellt bleiben, ob der Vermerk vom 5. Oktober 2012 eine Vernehmung im Sinne von § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum Gegenstand hat, soweit er Auskünfte des POK B. wiedergibt.
e) Das Landgericht hat entgegen der Revision auch nicht die Erkenntnismöglichkeiten aus dem Monobildverfahren überdehnt, indem es daraus den Schluss gezogen hat, dass der beim Angeklagten sichergestellte Permanentmarker zwingend das Tatmittel war. Hierfür findet sich in den Urteilsgründen kein Anhalt. Die Übereinstimmung der Strichbreite ist lediglich als eines von mehreren Belastungsindizien gewertet worden. Soweit die Revision ihre Rüge damit begründet, dass das Landgericht die Verursachung der anderen Schriftzüge für nicht nachweisbar erachtet hat, versucht sie, aus der vorsichtigen und zurückhaltenden Beweiswürdigung des Landgerichts einen Umkehrschluss zu ziehen, der indes nicht zwingend ist. Die Gründe für die eingeschränkten Feststellungen sind nämlich in dem - von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtenen - Urteil nicht ausgeführt. Außerdem hat das Landgericht den Angeklagten insoweit auch nicht zwingend als Täter ausgeschlossen.
2. Die Sachrüge zeigt keinen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.
a) Soweit die Revision rügt, dass das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung "den Grundsatz in dubio pro reo vollkommen außer Acht gelassen" habe, verkennt sie die Rechtsnatur dieses Grundsatzes. Dieser ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. nur BGH NStZ-RR 2009, 90 [BGH 21.10.2008 - 1 StR 292/08]; Meyer-Goßner § 261 Rn. 26 m. w. N.). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m. w. N.). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BVerfGK 9, 420; BGH NJW 2007, 2274). Das Landgericht war daher nicht gezwungen, hier andere mögliche Ursachen für die Herkunft der Farbanhaftungen an den Händen des Angeklagten und für sein Verhalten im Zusammenhang mit dem Öffnen seines Rucksacks und der versuchten Weitergabe des Permanentmarkers zu unterstellen. Es durfte vielmehr die im Urteil niedergelegten Schlüsse ziehen, weil diese möglich - und hier sogar naheliegend - waren.
b) Die Feststellung, dass der Angeklagte bereits vor dem Zusammentreffen mit dem Zeugen P. in der Gaststätte gewesen war, beruht nicht auf einem Zirkelschluss. Die Revision lässt außer Acht, dass das Landgericht diese Feststellung auf die Angaben der Reinigungskraft T. gegenüber der Zeugin Q. gestützt hat (S. 4 und S. 9 UA).
c) Es findet sich auch kein Widerspruch darin, dass das Landgericht festgestellt hat, dass die Zeugin Q. den Angeklagten "zur Rede gestellt" habe, und zugleich ausgeführt hat, dass der Angeklagte ohne seine Täterschaft gar nicht habe wissen können, was die Zeugin "in der konkreten Situation von ihm wollte". Die Revision unterstellt dabei nämlich, dass der Angeklagte durch die Zeugin "mit dem Vorwurf der Sachbeschädigung auf der Herrentoilette konfrontiert worden sein dürfte". Diese Annahme findet jedoch in den Urteilsgründen keine Stütze und kann daher nicht zur Grundlage der Überprüfung durch den Senat gemacht werden.
3. Schließlich hält auch die Strafzumessung sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
a) Das Landgericht hat der Strafzumessung nicht die von der Zeugin Q. auf 246,33 € bezifferten Gesamtkosten als vom Angeklagten verursachten Schaden zugrunde gelegt. Es hat lediglich festgestellt, dass die Zeugin diesen Betrag insgesamt für den Erwerb neuer Bilder sowie die Beseitigung der "weiteren Farbantragungen auf den Türen sowie auf weiteren Bildern" aufgewendet habe. Schon diese Differenzierung zeigt, dass das Landgericht nicht aus dem Blick verloren hat, dass es lediglich die Beschädigung von zwei Bildern für nachweisbar angesehen hat. Dementsprechend hat es bei der Strafzumessung frei von Rechtsfehlern strafmildernd berücksichtigt, dass "der Schaden verhältnismäßig gering ist und durch die Auswechselung der Bilder leicht beseitigt werden konnte" (S. 12 UA). Von einer Auswechselung der Rahmen und Gebäudereinigung ist dort nicht die Rede. Schon deshalb ist die geringfügige Abweichung zwischen dem Gesamtbetrag nach den Feststellungen und der Summe der in der Beweiswürdigung aufgeführten Einzelbeträge, die zudem weniger als einen Euro ausmacht, unerheblich.
b) Soweit die Revision anführt, die Bilder seien durch eine Schutzfolie abgedeckt gewesen, handelt es sich um eine tatsächliche Behauptung, die in den Urteilsgründen keine Stütze findet und daher im Revisionsverfahren unbeachtlich ist. Die Revision zeigt insoweit auch keinen Mangel in der Beweiswürdigung auf. Zwar wird in dem Vermerk des POK K. vom 5. Oktober 2012 eine Schutzfolie erwähnt. Die Lichtbilder, auf die in den Urteilgründen Bezug genommen worden ist, lassen jedoch erkennen, dass die Schutzfolie jeweils nur den Rahmen und den äußeren Rand der Bilder abdeckt. Die vom Landgericht festgestellte Beschädigung der Bilder selbst wird dadurch nicht in Frage gestellt.