Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.07.2013, Az.: 32 Ss 91/13

Ausübung des Widerspruchs gegen eine Beweisverwertung; Verspäteter Widerspruch führt zu Präklusion; Irrtum über die freiwillige Herausgabe eines Gegenstands führt nicht zu einem Verwertungsverbot

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
11.07.2013
Aktenzeichen
32 Ss 91/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 43684
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0711.32SS91.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 17.01.2013

Fundstellen

  • NStZ 2014, 118-119
  • StRR 2014, 68-70

Amtlicher Leitsatz

Bei dem Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweises handelt es sich um ein prozessuales Gestaltungsrecht, das ein Angeklagter in dem Zeitpunkt geltend machen muss, in dem es ihm erstmals möglich war. Erfolgt der Widerspruch später, ist er präkludiert und damit unbeachtlich.

Irrt sich der Angeklagte über die Möglichkeit, die Herausgabe eines Gegenstandes verweigern zu können, zieht dies kein Verwertungsverbot nach sich.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 17.01.2013 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Angeklagten am 21.09.2012 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Das sichergestellte Mobiltelefon Nokia 1616 wurde eingezogen. Mit Urteil vom 17.01.2013 verwarf das Landgericht Hannover die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte am 13.06.2012 von den Polizeibeamten K. und B. im Bereich H. Straße in H. kontrolliert, da der Zeuge K. sich daran erinnern konnte, dass der Angeklagte aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden war. Beim Abgleich der Personalien erhielten die Polizeibeamten zudem Kenntnis von einem Haftbefehl zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Auf dem Polizeikommissariat bemühte sich der Angeklagte erfolglos, Kontakt zu einem Bekannten aufzunehmen, um den haftbefreienden Betrag in Höhe von 800,- Euro zu organisieren. Hierzu nutzte er die Daten aus dem von ihm mitgeführten Mobiltelefon. Für die Dauer der Nachfragen bei der Ausländerbehörde zu dem ausländerrechtlichen Status des Angeklagten verbrachten die Polizeibeamten den Angeklagten aufgrund des Haftbefehls zunächst in den Gewahrsamsbereich. Vor dem Gang in die Gewahrsamszelle übergab der Angeklagte sein Mobiltelefon an die Polizeibeamten, die es zu seiner übrigen Habe auf den Dienstschreibtisch legten. In der Folgezeit gingen zwei Anrufe ein, die von den Polizeibeamten angenommen wurden. Dabei gingen die Polizeibeamten davon aus, dass sie auf diese Weise dem Angeklagten helfen konnten, den haftbefreienden Betrag zu beschaffen.

Die bruchstückhaft auf Englisch geführten Telefonate dienten aus Sicht der Anrufer jedoch einem ganz anderen Zweck. Der Angeklagte befand sich nämlich bis zur polizeilichen Kontrolle auf dem Weg zum Parkplatz eines A. Marktes, um dort verabredungsgemäß eine Lieferung von knapp 700 g Kokain entgegenzunehmen. Der Kurier wartete bereits vergeblich auf das Eintreffen des Angeklagten, konnte ihn mehrfach nicht erreichen und befürchtete, die falsche Telefonnummer notiert zu haben. Daher schaltete er einen niederländischen Tatbeteiligten ein, der Kontakt zum Angeklagten aufnehmen sollte. Der daraufhin aus den Niederlanden getätigte Anruf wurde von dem Polizeibeamten K. angenommen, eine wirkliche Verständigung kam aufgrund der Sprachschwierigkeiten nicht zustande. An-schließend teilte der niederländische Tatbeteiligte dem wartenden Kurier mit, dass der Angeklagte sehr wohl erreichbar wäre, er habe gerade mit diesem telefoniert. Den zweiten Anruf, entgegengenommen von dem Polizeibeamten B., tätigte sodann der Kurier. Aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten und der unterschiedlichen Erwartungshorizonte ging der Kurier davon aus, dem Angeklagten mitzuteilen, dass er auf dem Parkplatz des A. Marktes mit seinem Motorrad warte, um das Kokain übergeben zu können. Der Polizeibeamte vermutete hingegen, von einem hilfsbereiten Bekannten des Angeklagten auf einen Treffpunkt hingewiesen worden zu sein, um den haftbefreienden Betrag entgegennehmen zu können. So ließ er sich von zwei uniformierten Kollegen zum Treffpunkt fahren. Dort wartete der Kurier, wobei sich das Päckchen mit dem Kokain auf dem Gepäckträger seines Motorrades befand. Die Betäubungsmittel wurden sichergestellt und sowohl der Angeklagte als auch der Kurier vorläufig festgenommen.

Der Angeklagte behauptete vor dem Amtsgericht, ein fremdes Mobiltelefon bei sich gehabt und es freiwillig an die Polizeibeamten übergeben zu haben. In zweiter Instanz schwieg er zu den Vorwürfen. Die Feststellungen hinsichtlich der Inhaberschaft am Telefon stützte die Kammer auf die Angaben der Polizeibeamten, die die Nutzung des Telefons durch den Angeklagten schilderten, um die Geldstrafe von 800,- Euro zu beschaffen. Die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte nach Übergabe der fast reinen 700 g Kokain Alleingewahrsam daran erhalten sollte, zog die Kammer im Wesentlichen aus den Auswertungen der bei dem Angeklagten und dem Kurier sichergestellten Telefone.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sämtliche der im Zusammenhang mit dem Führen der Telefongespräche erlangten Erkenntnisse hätten nicht verwertet werden dürfen. Der Verwertung sei rechtzeitig im Berufungsverfahren widersprochen worden. Der Widerspruch sei auch rechtzeitig erfolgt. Erst im Berufungsverfahren habe sich ergeben, dass die Übergabe des Mobiltelefons nicht freiwillig erfolgt sei, dies habe die zeugenschaftliche Vernehmung der beteiligten Polizeibeamten ergeben. Die Einlassung des Angeklagten vor dem Amtsgericht, das Mobiltelefon freiwillig herausgegeben zu haben, habe nach der Entscheidung des Angeklagten, im Berufungshauptverfahren von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, nicht über die Aussage des Amtsrichters eingeführt werden dürfen. Denn der Angeklagte sei zum Zeitpunkt seiner Einlassung davon ausgegangen, dass der Akteninhalt eine freiwillige Übergabe belege. Dies habe sich nunmehr nicht bestätigt. Er hätte daher im Berufungsverfahren qualifiziert belehrt werden müssen, mit dem Hinweis, dass die Erkenntnisse aus der "Telefonüberwachung" nicht verwertbar seien.

Die Sachrüge greift insbesondere die Feststellungen des Landgerichts an, dass die Betäubungsmittel an den Angeklagten zum Alleingewahrsam übergeben werden sollten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.

1. Die Verfahrensrüge zum Verwertungsverbot ist zulässig erhoben worden. Sie ist in der Sache aber nicht begründet.

Die Revision legt in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form die zur Prüfung erforderlichen Tatsachen und Vorgänge dar. Danach ergibt sich, dass der Verwertung nicht rechtzeitig widersprochen wurde. Einen Widerspruch hat der Angeklagte spätestens zu dem in § 257 Abs. 2 StPO genannten Zeitpunkt nach der Einführung des Beweises in der Hauptverhandlung direkt im Anschluss zu formulieren (vgl. statt vieler BGHSt 38, 214 Rn. 26, zitiert nach juris). Es handelt sich insoweit um ein prozessuales Gestaltungsrecht, das ein Angeklagter in dem Zeitpunkt geltend machen muss, in dem es ihm erstmals möglich ist (vgl. vor allem BGHSt 50, 272; OLG Hamburg NJW 2008, 2597 [OLG Hamburg 04.02.2008 - 2 - 81/07 (REV)]). In der Berufungsinstanz besteht keine Möglichkeit mehr zu einem Widerspruch nach § 257 StPO, wenn dieser Widerspruch in der ersten Instanz nicht oder verspätet erhoben worden ist. Vielmehr ist das Widerspruchsrecht dann präkludiert mit der Folge, dass ein Widerspruch unwirksam und damit unbeachtlich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 09.12.2009, 32 Ss 188/09; ebenso OLG Stuttgart NStZ 1997, 405; OLG Hamburg NJW 2008, 2597; OLG Hamm, Beschluss vom 13.10.2009, 3 Ss 359/09, veröffentlicht unter juris; a. A. Gössel in LR-StPO, 26. Auflage, Einl. Abschn. L Rn. 32).

Das Recht des Angeklagten auf Verteidigung ist dadurch nicht berührt, denn es liegt allein in seiner Entscheidung, ob er die Rüge im Rahmen seiner Verteidigerstrategie erheben will oder nicht. Unterlässt er es, so kann er sich später nicht mehr darauf berufen.

Danach hätte der Angeklagte bereits im Verfahren vor dem Amtsgericht den Widerspruch erheben müssen. Die vorgebrachten Hinweise, warum der Widerspruch auch im Berufungsverfahren noch als rechtzeitig zu betrachten wäre, gehen fehl.

Die für ein Verwertungsverbot ausschlaggebende Frage, ob die Übergabe des Mobiltelefons an die Polizeibeamten freiwillig erfolgt ist, kann durch den Zeugenbeweis nicht geklärt werden. Es handelt sich bei der Freiwilligkeit um eine innere Tatsache, über welche der Angeklagte von vornherein unmittelbar nach Abschluss der Willensbildung Auskunft geben kann. Ein Aktenstudium oder die Auswertung von Zeugenaussagen ist für diese eigene Feststellung nicht von Belang. Darüber kann sich der Angeklagte auch nicht geirrt haben. Einem Irrtum kann allenfalls unterliegen, ob ein Gegenstand im Falle der Weigerung unter Anwendung von Zwang weggenommen werden kann. Selbst für den Fall, dass sich hierüber der Angeklagte geirrt haben mag und ein Widerspruch rechtzeitig erhoben worden wäre, hätte dies aber nicht zu einem Verwertungsverbot geführt. Die Freiheit von Irrtum fällt nicht unter den Anwendungsbereich des nemo-tenetur-Grundsatzes (BGHSt 42, 139 Rn. 42, zitiert nach juris).

2. Auch die Nachprüfung des Urteils im Hinblick auf die allgemeine Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf, insbesondere die Schlussfolgerungen der Kammer sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.