Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 09.07.2020, Az.: L 8 AY 52/20 B ER

Vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG; Rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Antragstellers; Angabe einer falschen Identität

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
09.07.2020
Aktenzeichen
L 8 AY 52/20 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 41159
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 04.05.2020 - AZ: S 42 AY 4004/20 ER

Redaktioneller Leitsatz

Die Angabe einer falschen Identität ist typischerweise rechtsmissbräuchlich, weil eine nicht eindeutig geklärte Identität regelmäßig einer Beschaffung von Heimreisepapieren oder aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegensteht.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 4. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt C., D., bewilligt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

Gründe

I.

Im Streit ist die vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG ab April 2020, insbesondere nach § 2 AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 sowie eines Pandemiezuschlages in monatlicher Höhe von 200,00 EUR.

Der nach eigenen Angaben im Jahr 2000 geborene, aus Gambia stammende Antragsteller reiste am 30.9.2017 erstmals in das Bundesgebiet ein und machte im Asylverfahren unterschiedliche Angaben zu seiner Identität (E. F., geb. am 31.12.1998; G. F., geb. am 30.10.2000; E. F., geb. am 26.10.2000). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte mit Bescheid vom 15.5.2018 die Gewährung von Asyl, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht bestehen, und forderte den Antragsteller auf, innerhalb einer Woche das Bundesgebiet zu verlassen. Anderenfalls werde er nach Gambia abgeschoben.

Im März 2018 wurde der Antragsteller dem örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin zugewiesen. Seit Beendigung des Asylverfahrens wird sein Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet, seit September 2019 als Person mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG). Das Ausländeramt der Antragsgegnerin forderte den Antragsteller mehrfach zur Beschaffung eines Nationalpasses oder eines Passersatzes und zuletzt u.a. auch zur Vorlage von Nachweisen über die Kontaktaufnahme mit Verwandten im Heimatland, zur Vorlage von Dokumenten aus dem Heimatland und zur Beauftragung eines Vertrauensanwaltes im Heimatland (Schreiben vom 9.9.2020 und 4.5.2020) auf. Auf eine Vorsprache teilte die Botschaft von Gambia mit Schreiben vom 31.7.2019 mit, dass die persönliche Anwesenheit des Antragstellers in Gambia zur Ausstellung des neuen Passes notwendig sei; sofern schon einmal ein Pass ausgestellt war, könne ein neuer evtl. durch Verwandte in Gambia beschafft werden. Daraufhin teilte der Antragsteller mit, dass er sich nicht um einen Pass bemühen werde, da er auf keinen Fall freiwillig ausreisen wolle. Dies bekräftigte er Anfang September 2019. Im Oktober 2019 erklärte er dann, Kontakt zu seinem Onkel in Gambia aufgenommen zu haben. Mitte Mai 2020 teilte er mit, sein Onkel habe die Unterlagen, insbesondere eine Geburtsurkunde, bislang nicht beschaffen können, er habe daher einen Vertrauensanwalt beauftragt. Am 26.5.2020 forderte die Ausländerbehörde den Antragsteller auf, beim gambischen Konsulat in Köln einen Nationalpass zu beantragen und ggf. einen schriftlichen Nachweis vorzulegen, dass der Pass nur mit Vorlage einer Geburtsurkunde ausgestellt werden könne.

Der Antragsteller lebte vom 11.3. bis 4.6.2020 in der von der Antragsgegnerin gestellten Unterkunft im H. in D. in einer von fünf Wohneinheiten, in der er sich ein Zimmer mit einer weiteren Person teilte. Toilette und Bad wurden gemeinsam genutzt. Die sanitären Anlagen wurden durch einen beauftragten Reinigungsdienst täglich gereinigt. Für alle Bewohner des mehrere Wohneinheiten umfassenden Hauses stand eine Küche zur Verfügung. Der Schlüssel hierfür war bei dem Wachdienst zu erhalten, der dafür Sorge tragen sollte, dass die Küche nach der Nutzung in ordnungsgemäßem Zustand hinterlassen wird. Seit dem 5.6.2020 ist der Antragsteller in der Unterkunft in der I. Straße in D. untergebracht. Dort leben insgesamt 18 Personen, wobei sich zwei Personen jeweils ein Zimmer teilen. Es gibt zwei Gemeinschaftsduschen, vier Gemeinschaftstoiletten und eine Gemeinschaftsküche. Auch hier erfolgt eine tägliche Reinigung der Gemeinschaftsräume durch einen beauftragten Reinigungsdienst.

Seit April 2019 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller lediglich gemäß § 1a Abs. 3 AsylbLG eingeschränkte Leistungen, u.a. durch Bescheide vom 14.5. (befristet bis zum 31.8.2019) und 19.11.2019 (für November 2019). Auch für Januar 2020 gewährte sie eingeschränkte Leistungen (ohne schriftlichen Bescheid). Hiergegen legte der Antragsteller am 7.1.2020 Widerspruch ein und stellte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim, woraufhin dieses ihm im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig Grundleistungen gemäß §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG bis längstens zum 30.6.2020 zusprach, falls nicht zuvor über den Widerspruch vom 7.1.2020 entschieden werde (Beschluss vom 2.3.2020 - S 42 AY 11/20 ER -). Mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.3.2020 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin unter Aufhebung der Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG gemäß der Bedarfsstufe 2 für die Monate Januar bis März 2020 unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen.

Den auf die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG gerichteten Widerspruch des Antragstellers gegen die Auszahlung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (am 30.3.2020) für April 2020 in Höhe von 316,00 EUR (139,00 EUR und 177,00 EUR) wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 21.4.2020 zurück. Wegen dieser Entscheidung ist beim SG ein Klageverfahren anhängig (- S 42 AY 107/20 -).

Bereits am 4.4.2020 hat der Antragsteller beim SG einen (erneuten) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem er die Gewährung von Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe entsprechend der (Regel-)Bedarfsstufe 1 ab Antragseingang statt der bewilligten, seiner Auffassung nach evident verfassungswidrig zu niedrigen Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG entsprechend der Bedarfsstufe 2 begehrt. Der Gesetzgeber habe bei der Festlegung dieser Leistungshöhe keine Ermittlungen angestellt, so dass der Bedarf nicht auf Grundlage verlässlicher Zahlen und einer tragfähigen Grundlage zu rechtfertigen sei. Es müsse daher eine Folgenabwägung vorgenommen werden. Aufgrund der Covid-19-Pandemie würden die Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft in ihren Zimmern bleiben, so dass ein gemeinsames Leben nicht mehr stattfinde. Auch beansprucht der Antragsteller einen Pandemiezuschlag von 200,00 EUR monatlich, der auf § 6 Abs. 1 AsylbLG bzw. § 37 Abs. 1 SGB XII gestützt wird und der Höhe nach geschätzt worden sei, da ein konkreter Bedarf nicht belegt werde könne.

Die Antragsgegnerin vermag keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass coronabedingt Einspar- und Synergieeffekte bei einer längerfristigen Gemeinschaftsunterkunft entfallen. Küche und Sanitärräume würden weiterhin gemeinschaftlich genutzt.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 4.5.2020 abgelehnt. Hinsichtlich des begehrten Pandemiezuschlages sei der Antrag mangels Rechtsschutzinteresses bereits unzulässig, da der Antragsteller die Antragsgegnerin vor Ersuchen gerichtlichen Rechtsschutzes nicht mit dem Antrag vorbefasst habe. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, da ein Anspruch auf höhere Grundleistungen als nach der Bedarfsstufe 2 nicht bestehe. Privilegierte Leistungen gemäß § 2 AsylbLG würden nach dem anwaltlichen Vortrag nicht geltend gemacht. Die Kammer gehe aber auch davon aus, dass der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts selbst beeinflusst hat, indem er während des Asylverfahrens verschiedene Identitäten geführt habe, was einen klassischen Fall des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens darstelle. Für das Eilverfahren sei es wegen der Bindung an Recht und Gesetz (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.11.2011 - L 8 AY 102/11 B ER und L 8 AY 103/11 B -) ohne Bedeutung, ob die Grundleistungen nach der Bedarfsstufe 2 verfassungswidrig seien. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 3a Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG, nach der ein gemeinsames Wirtschaften ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung sei, sei nicht möglich. Hierdurch werde die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, so dass sich die Kammer nicht den Beschlüssen des SG München vom 10.2.2020 (- S 42 AY 82/19 R -) und des SG Landshut vom 28.1.2020 (- S 11 AY 3/20 B ER -) anschließen könne. Auch eine Folgenabwägung komme nicht in Betracht, da diese nicht dazu führen dürfe, bestehende Gesetze nicht anzuwenden. Eine für eine Folgenabwägung erforderliche offene Tatsachenfrage liege nicht vor. Die Reaktion des Bundesgesetzgebers in § 141 SGB XII und § 67 SGB II auf die Corona-Pandemie belege, dass er die Leistungsvoraussetzungen überprüft habe und einen Pandemiezuschlag nicht für notwendig erachte. Ein Anspruch hierauf sei auch unbegründet, da § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht einschlägig sei. Für eine Unerlässlichkeit sei nichts ersichtlich, da der Antragsteller einen individuellen Mehrbedarf nicht glaubhaft gemacht habe. § 37 SGB XII finde ebenfalls keine Anwendung, da der Antragsteller nicht Analogleistungsberechtigter sei und auch einen pandemiebedingten Mehrbedarf nicht dargelegt habe. Zudem fehle es insoweit an einem Anordnungsgrund.

Die Leistungen für den Monat Mai 2020 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 30.4.2020 bar (in Höhe von 139,00 EUR und 177,00 EUR) ausgezahlt. Gegen diese Leistungsgewährung legte der Antragsteller am 8.5.2020 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 4.6.2020 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat der Antragsteller beim SG am 5.6.2020 Klage erhoben (- S 42 AY 133/20 -). Wegen der mit Bescheid vom 4.6.2020 für Juli bis November 2020 bewilligten Leistungen in monatlicher Höhe von 316,00 EUR ist auf den Widerspruch des Antragstellers vom 5.6.2020 ein Vorverfahren anhängig.

Am 6.5.2020 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des SG unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen eingelegt.

Die Antragsgegnerin hält den Beschluss des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Antragsteller betreffenden Leistungs- und Ausländerakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift nicht ein, da die Berufung in der Hauptsache nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung bedürfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelführer versagt hat und was dieser im Rechtsmittelverfahren weiterverfolgt (BSG, Urteil vom 6.9.2017 - B 13 R 20/14 R - juris Rn. 23). Die Prüfung des Beschwerdeausschlusses nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG erfolgt daher anhand des mit der Beschwerde weiterverfolgten Rechtsschutzbegehrens. Bei einem Eilverfahren, das die Gewährung von laufenden existenzsichernden Leistungen betrifft, ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich von einem streitigen Zeitraum von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (vgl. etwa jüngst Senatsbeschluss vom 12.9.2019 - L 8 AY 12/19 B ER - juris Rn. 10 m.w.N.). Nach diesen Maßgaben übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes vorliegend die nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Wertgrenze von 750,00 EUR. Das Vorbringen des Antragstellers, der keinen bezifferten Antrag gestellt hat, ist - entgegen den Ausführungen des SG - dahingehend auszulegen, dass er einen Anspruch auf um zumindest 116,00 EUR höhere Leistungen monatlich geltend macht, mithin die Differenz der ihm gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (316,00 EUR) und der begehrten sogenannten Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (432,00 EUR Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1, Anlage zu § 28 SGB XII). Schon in der Antragsschrift vom 4.4.2020 ist auf den als Anlage angefügten Widerspruch vom 2.4.2020 Bezug genommen worden, mit dem unter Ziffer 1 der Begründung Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 - ebenso wie mit den Widersprüchen vom 4.5.2020 und 5.6.2020 - geltend gemacht worden sind. Ob bei der Ermittlung des Wertes des Beschwerdegegenstandes auch auf den pauschal geltend gemachten "Pandemiezuschlag" abzustellen ist, kann in diesem Verfahren dahinstehen (vgl. dazu aber Senatsbeschlüsse vom 25.5.2020 - L 8 AY 39/20 B ER, L 8 AY 41/20 B ER und L 8 AY 43/20 B ER - sowie vom 2.6.2020 - L 8 AY 50/20 B ER -).

Der Senat ist nicht gehindert, in der Sache zu entscheiden. Dem steht nicht die Rechtskraft des Beschlusses des SG vom 2.3.2020 (- S 42 AY 11/20 B ER -) entgegen, der zwar grundsätzlich einen Leistungszuspruch bis längstens zum 30.6.2020 beinhaltete, jedoch unter dem Vorbehalt einer Entscheidung über den Widerspruch vom 7.1.2020 stand, der mit Teilabhilfe-Bescheid vom 19.3.2020 beschieden wurde.

Die Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Die einer einstweiligen Anordnung zugänglichen Verfahren der Hauptsache sind die beim SG anhängigen Klageverfahren betreffend die Leistungsbewilligung für April (- S 42 AY 107/20 -) sowie Mai und Juni 2020 (- S 42 AY 133/20 -) und das bei der Antragsgegnerin noch anhängige Vorverfahren über die Leistungsbewilligung für die Zeit von Juli bis November 2020 durch Bescheid vom 4.6.2020.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der vom 1.3.2015 bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung (Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 - BGBl. I 2014, 2187) ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Vorschrift ist zum 21.8.2019 dahin geändert worden, dass nunmehr ein Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung von 18 Monaten erforderlich ist (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 - BGBl. I 2019, 1294), wobei hier nach § 15 AsylbLG die bisherige Fassung weiter anzuwenden ist.

Abgesehen von der Frage, ob der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, ist davon auszugehen, dass die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Analog-Leistungen vorliegen. Der Antragsteller ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG als geduldete Person leistungsberechtigt nach dem AsylbLG. Die Duldung nach § 60b AufenthG ist zwar nicht ausdrücklich in § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG genannt; sie fällt aber gleichwohl unter diese Norm, weil es sich bei dieser Duldung (auch) um eine i.S. des § 60a AufenthG "für Personen mit ungeklärter Identität" handelt. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. auch Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1 AsylbLG Rn. 136; a.A. Hohm in GK-AsylbLG, Stand: Januar 2020, § 1 AsylbLG Rn. 112). Der Antragsteller hält sich auch ohne wesentliche Unterbrechung seit mehr als 15 Monaten, nämlich seit September 2017, in Deutschland auf. Anhaltspunkte, dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen, bestreiten kann (§ 7 AsylbLG bzw. § 2 Abs. 1 AsylbLG i. V. m. § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, 2 Satz 1, §§ 82 ff, § 90 SGB XII), liegen nicht vor.

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes Überwiegendes für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Antragstellers i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher kann nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen führen. Die Angabe einer falschen Identität stellt einen typischen Fall des Rechtsmissbrauchs dar (BSG, a.a.O., Rn. 34). Eine Ausnahme ist zu machen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (BSG, a.a.O., Rn. 44). Die objektive Beweislast für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten trägt der Leistungsträger (Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 2 AsylbLG Rn. 140 ff.).

Der Antragsteller hat im Laufe des Asylverfahrens ausweislich der Ausländerakte unterschiedliche Angaben zu seiner Identität gemacht, was von ihm während des Eilverfahrens trotz anwaltlicher Vertretung auch nicht in Abrede gestellt worden ist. Dieses Verhalten erfüllt grundsätzlich den klassischen Fall eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, weil eine nicht eindeutig geklärte Identität regelmäßig einer Beschaffung von Heimreisepapieren oder aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegensteht. Da der Antragsteller weder im Anhörungs-, noch im Widerspruchs- und auch nicht im Eilverfahren einzelfallbezogene Gesichtspunkte gegen diese Annahme gesetzt hat, ist nach derzeitigem Kenntnisstand von einem zu missbilligenden, sozialwidrigen Verhalten auszugehen, das subjektiv der Aufenthaltsbeeinflussung dient, zumal die unterschiedlichen Angaben zur Identität des Antragstellers das gesamte Asylverfahren durchziehen, beginnend mit der Aufnahme in der Erstaufnahmeeinrichtung am 1.10.2017 und am 18.10.2017 (G. F., geb. am 30.10.2000) über den Asylantrag vom 25.1.2018 (E. F., geb. am 31.12.1998) bis zuletzt in der Korrespondenz mit der Stadt D. vom 22.11.2018 bis zum 9.1.2020 (E. F., geb. am 26.10.2000). Auch schon im Rahmen seiner vorausgegangenen Aufnahme in Italien (Bl. 311 der Ausländerakte) und gegenüber dem gambischen Konsulat mit Schreiben vom 30.7.2019 (Bl. 327) hatte er als Namen E. F. angegeben. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Ausreisepflicht unabhängig von seinem Verhalten nicht hätte vollzogen werden können.

Damit bestimmt sich die Leistungshöhe nach den §§ 3, 3a AsylbLG und beläuft sich seit dem 1.1.2020 hinsichtlich des notwendigen persönlichen Bedarfs nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b AsylbLG auf 139,00 EUR und hinsichtlich des notwendigen Bedarfs nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG auf 177,00 EUR monatlich. Dies entspricht den von der Antragsgegnerin an den Antragsteller ausgezahlten Beträge.

Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG ergeben sich diese Leistungsbeträge, wenn - wie hier - der notwendige und der notwendige persönliche Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG vollständig durch Geldleistungen gedeckt wird, für erwachsene Leistungsberechtigte, die nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung i.S. von § 44 Abs. 1 AsylG oder in einer Gemeinschaftsunterkunft i.S. von § 53 Abs. 1 AsylG oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (vgl. 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG) sind hier erfüllt. Der Antragsteller hat seit März 2020 in der Unterkunft im H., D., gelebt. Hierbei handelt es sich um eine Gemeinschaftsunterkunft i.S. des § 53 Abs. 1 AsylG, die gesetzlich jedoch nicht definiert ist. Maßgeblich ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/10052, S. 20, 21, 25), dass die Unterkunft der Gemeinschaftsunterbringung dient und durch die Aufteilung in persönlichen Wohnraum und gemeinsam genutzte Räume eine eigenständige Haushaltsführung nur in sehr eingeschränktem Umfang zulässt. Im Umkehrschluss hat eine Abgrenzung zur Wohnung i.S. des § 8 Abs. 1 RBEG zu erfolgen, die dort seit dem 1.1.2020 (BGBl. I 2016, 3159) durch Satz 3 definiert wird (zuvor Satz 2). Danach ist eine Wohnung die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen. Zwar ist die Unterkunft H. in fünf Wohneinheiten unterteilt, für die jeweils eigenständige sanitäre Anlagen bestehen, die gemeinsam von den Bewohnern der jeweiligen Wohneinheit genutzt werden. Während der dortigen Unterbringung hat sich der Antragsteller ein Zimmer mit einer weiteren Person geteilt. Entscheidend ist jedoch, dass die Nutzung der Küche für alle Wohneinheiten gemeinsam mit den anderen Mitbewohnern erfolgt, so dass nach derzeitigem Kenntnisstand eine eigenständige Haushaltsführung nur eingeschränkt möglich sein dürfte. Nichts anderes ergibt sich aus der Zugangsbeschränkung zur Gemeinschaftsküche (Abholung eines Schlüssels). Dadurch wird lediglich eine zeitgleiche Nutzung der Küche verhindert, die Wohneinheit des Antragstellers umfasst gleichwohl nicht alle zur Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten. Auch die seit dem 5.6.2020 bewohnte Unterkunft in der I. Straße ist als Gemeinschaftsunterkunft einzuordnen, in der insgesamt 18 Personen untergebracht sind, von denen sich immer zwei ein Zimmer teilen. Für alle Bewohner sind Gemeinschaftsduschen und -toiletten sowie eine Gemeinschaftsküche vorhanden.

Der Senat vermag sich im Eilrechtsschutzverfahren trotz bestehender Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen des § 3a Abs. 1 Nr.2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylLG nicht über den Wortlaut des Gesetzes hinwegzusetzen und sieht für eine vorläufige Gewährung höherer Leistungen derzeit keine Möglichkeit einer erweiternden verfassungskonformen Auslegung. Die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit mit der Verpflichtung zur Vorlage ans BVerfG aufgrund des dort bestehenden Verwerfungsmonopols (Art. 100 Abs. 1 GG) konnte sich der Senat in dem auf vorläufige Leistungsgewährung ausgerichteten einstweiligen Anordnungsverfahren nicht bilden (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.5.2020 - L 15 AY 14/20 B ER, L 15 AY 15/20 B ER PKH - juris Rn. 23).

Die Vereinbarkeit der Leistungsbemessung nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) wird - gemessen an den prozeduralen Vorgaben durch die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. im Einzelnen BVerfG, 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris Rn. 133-139) in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.6.2020 - L 9 AY 22/19 B ER - juris Rn. 18 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.5.2020 - L 15 AY 14/20 B ER, L 15 AY 15/20 B ER PKH - juris Rn. 15 ff.; SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 B ER - juris Rn. 53 ff.; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 - S 53 AY 107/19 - juris Rn. 6 ff.; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.1.2020 - S 30 AY 26/19 ER - juris Rn. 16 ff.; SG München, Beschluss vom 10.2.2020 - S 42 AY 82/19 ER - juris Rn. 53 ff.; Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 42 ff.). Die Vermutung des Gesetzgebers von Synergieeffekten ohne weitere Anforderungen in objektiver oder subjektiver Hinsicht sei zweifelhaft (Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 41 ff. m.w.N.). Dies sei nach Sinn und Zweck der Norm sowie aus systematischen und verfassungsrechtlichen Gründen sehr problematisch, weil eine pauschale (prozentuale) Ableitung der Bedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts - etwa wie bei Partnern oder Kindern bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres - bislang eine familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft als Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen voraussetzt. Synergieeffekte seien empirisch nicht belegt. Die Annahme einer Schicksalsgemeinschaft sei nicht plausibel. Vor diesem Hintergrund wird teilweise eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften befürwortet, nach der die Anwendung der Bedarfsstufe 2 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in einer Sammelunterkunft Untergebrachten voraussetzt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.6.2020 - L 9 AY 22/19 B ER - juris Rn. 19; SG Berlin, Beschluss vom 19.5.2020 - S 90 AY 57/20 ER - juris Rn. 28 ff. - zumindest während der Covid-19-Pandemie; SG Landshut, Beschluss vom 28.1.2020 - S 11 AY 3/20 ER - juris Rn. 63 ff.; SG München, Beschluss vom 10.2.2020 - S 42 AY 82/19 ER - juris Rn. 56 f.; vgl. auch Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 44).

Eine verfassungskonforme Auslegung gehört zwar zu den anerkannten Auslegungsmethoden und ist insbesondere betreffend das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG höchstrichterlich anerkannt (vgl. etwa BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - juris Rn. 116, 125, 132; BSG, Urteil vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - juris Rn. 40; BSG, Urteil vom 8.5.2019 - B 14 AS 13/18 R - juris Rn. 22 ff.; vgl. zuletzt auch Senatsurteil vom 26.9.2019 - L 8 AY 70/15 - juris Rn. 35). Wegen des Wortlautes der gesetzlichen Regelungen und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, für Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften ein eigenständiges Leistungsniveau einzuführen, sieht sich der Senat jedenfalls im gerichtlichen Eilverfahren an einer Auslegung gehindert, nach der die Bedarfsstufe 2 gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen voraussetzt. Die Vorschriften stellen - in Abgrenzung zu einem Leben in einer Wohnung - auf eine gemeinschaftliche Unterbringung ab, ohne dass sie eine gemeinschaftliche Haushaltsführung voraussetzen. Selbst bei Annahme eines solch (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmals würde in diesen Fällen eine (direkte) Anwendung der Bedarfsstufe 1 nach § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG gleichwohl problematisch sein, weil die Betroffenen nicht - wie es die Normen aber voraussetzen - in einer Wohnung i.S. des § 8 Abs. 1 RBEG leben, sondern - nach wie vor - in einer Sammelunterkunft (hier Gemeinschaftsunterkunft). Mit dem seit 2017 geltenden RBEG hat sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Regelbedarfsstufen auch bewusst von der Anknüpfung an eine eigene Haushaltsführung verabschiedet, weil in der Vergangenheit nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden sei, dass es für die Bestimmung der maßgeblichen Regelbedarfsstufe auf die Tragung der haushaltsbezogenen Verbrauchsausgaben ankommen solle (vgl. nur BT-Drs. 18/9984, S. 84, insb. in Abgrenzung zu der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anwendung der Regelbedarfsstufe 3, BSG, Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - juris, Rn. 16 ff.). Nach der Gesetzesbegründung zu § 3a AsylbLG setzt der Gesetzgeber für die Anwendung der Bedarfsstufe 2 für in Sammelunterkünften Untergebrachte auch nicht unbedingt tatsächliche Einspareffekte voraus, sondern nur die Möglichkeit, dass sie "zumutbar" zu erzielen sind. Die Untergebrachten treffe insoweit die "Obliegenheit, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander in der Sammelunterkunft auszukommen" (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 24). In systematischer Hinsicht liegt es - vom Gesetzgeber unausgesprochen - zudem nahe, dass die Bedarfsstufe 2 nach § 3a AsylbLG an die Regelungen in § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 RBEG i.V.m. § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (in der seit 1.1.2020 geltenden Fassung vom 30.11.2019, BGBl. I 1948) anknüpfen, nach denen Beziehern von Eingliederungshilfe, denen neben persönlichem Wohnraum zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung überlassen werden, ebenfalls (nur) ein gegenüber der Regelbedarfsstufe 1 um 10 % reduzierter Regelsatz zustehen soll. Auch bei dieser Wohnform werden Haushaltsersparnisse unterstellt, ohne dass eine gemeinschaftliche Haushaltsführung ausdrücklich vorausgesetzt wird (vgl. BT-Drs. 18/9984, S. 88).

Ob der Gesetzgeber bei der Bemessung der lebensunterhaltssichernden Geldleistungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) richtig erfasst und auch im Übrigen die Vorgaben der Rechtsprechung des BVerfG an ein inhaltlich transparentes und sachgerechtes Verfahren folgerichtig ausgerichtet nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf, also realitätsgerecht, beachtet hat, ist zwar in besonderer Weise zweifelhaft. Gleichwohl sieht sich der Senat wegen der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehindert, in einem gerichtlichen Eilverfahren unter Außerachtlassung der gesetzlichen Vorschriften die vorläufige Gewährung höherer Leistungen zuzusprechen (vgl. hierzu bereits Beschluss vom 24.11.2011 - L 8 AY 102/11 B ER -). Die Konkretisierung des Grundrechts auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Beschluss vom 30.10.2010 - 1 BvR 2037/10 - juris).

Bei seiner Entscheidung berücksichtigt der Senat auch, dass dem Antragsteller ein Zuwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens aufgrund der Wechselbeziehung zwischen Anordnungsanspruch und -grund zumutbar erscheint, auch wenn die Differenz der streitigen Leistungen in der Situation Bedürftiger einen nicht unerheblichen Betrag von 10 % der (Regel-)Bedarfsstufe 1 ausmachen (bei Grundleistungen nach § 3a Abs. 1 und 2 AsylbLG beläuft sich diese Differenz im Jahr 2020 auf 35,00 EUR je Monat). Nach der Rechtsprechung des BSG begegnet auch eine Aufrechnung mit lebensunterhaltssichernden Leistungen (nach dem SGB II) in Höhe von 10 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 31/17 R - juris Rn. 39 ff.).

Im Übrigen hat der Antragsteller über § 6 Abs. 1 AsylbLG die Möglichkeit, einen von den Regelungen der §§ 3, 3a AsylbLG abweichenden Bedarf an lebensunterhaltssichernden Leistungen konkret darzulegen, wovon er vorliegend jedoch keinen Gebrauch gemacht hat. Zu konkreten und derzeit nicht (ausreichend) gedeckten Bedarfen hat der Antragsteller nichts vorgetragen. Er beanstandet generell die seiner Auffassung zu gering bemessenen Leistungen. Aus den gleichen Gründen kann der insoweit (auch) geltend gemachte Anspruch auf einen pauschalierten "Pandemiezuschlag" nicht mit Erfolg auf § 6 Abs. 1 AsylbLG gestützt werden kann, weil diese Vorschrift einen konkreten Bedarf "im Einzelfall" voraussetzt (BSG, Urteil vom 25.10.2018 - B 7 AY 1/18 R - juris Rn. 14 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe trotz Zurückweisung der Beschwerde gründet sich darauf, dass die Vereinbarkeit der Leistungsbemessung nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert wird und sich der Senat insbesondere zu der Frage einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften bislang nicht positioniert hatte, so dass Erfolgsaussichten der Beschwerde nicht als fernliegend anzusehen waren (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 7.4.2000 - 1 BvR 81/00 - juris). Dem zur Sicherung auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesene Antragsteller ist es nicht zuzumuten, die Kosten der Prozessführung zu tragen, auch nicht zum Teil oder ratenweise. Die Beiordnung des Rechtsanwaltes beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.