Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 18.06.2007, Az.: 12 B 3096/07
Begründung eines Abschiebungshindernisses aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 18.06.2007
- Aktenzeichen
- 12 B 3096/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 54679
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2007:0618.12B3096.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 1 AufenthG
- § 60a Abs. 1 AufenthG
Verfahrensgegenstand
Abschiebung
- Antrag nach § 123 VwGO -
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 12. Kammer -
am 18. Juni 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Antragsteller bis zum 15. September 2007 auszusetzen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag der Antragsteller,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die für heute vorgesehene Abschiebung zu stoppen bzw. von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen sie vorläufig abzusehen.
hat Erfolg.
Über die Anträge entscheidet der Berichterstatter gem.§ 76 Abs. 4 AsylVfG als Einzelrichter, weil es sich um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt. Der Antragsgegner vollzieht mit der vorgesehenen Abschiebung der Antragsteller nach Armenien die mit der rechtskräftig gewordenen Ablehnung des Asylbegehrens der Antragsteller ergangene und bestandskräftig gewordene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
Die Antragsteller haben sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsgrund ist gegeben, weil die Abschiebung der Antragsteller unmittelbar, nämlich am heutigen Tage um 15.00 Uhr bevorsteht.
Ob die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs vorliegen, ist derzeit offen. Eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse der Antragsteller, im Bundesgebiet zu verbleiben mit dem Interesse des Antragsgegners, die Antragsteller abzuschieben, geht daher zugunsten der Antragsteller aus.
Gemäß § 60 a Abs. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Auf dieser Grundlage hat das Niedersächsische Ministeriums für Inneres und Sport mit Runderlass vom 06.12.2006 (- 45.11-12230/1-8 (§ 23) - VORIS 26200 -), Nr. III, die Aussetzung der Abschiebung und die Erteilung von Duldungen für Ausländer angeordnet, die von der Bleiberechtsregelung nach § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. dazu auch Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 über die Gewährung eines Bleiberechts für ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige mit langjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet) begünstigt würden, jedoch kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nachweisen können (Nr. 2.2), zur Zeit nicht im Besitz eines Passes sind (Nr. 3.3) oder noch nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen (Nr. 3.4).
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist deshalb offen, weil der Vorwurf des Antragsgegners, die Antragstellerin zu 1. hätte behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung hinausgezögert oder behindert, so dass ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung nach Nr. II. 5.1.1 der Bleiberechtsregelung ausscheide, derzeit nicht verifizierbar ist. Dies allein deshalb nicht, weil der Antragsgegner die umfänglichen Verwaltungsvorgänge - allein für die Antragstellerin zu 1. 601 Seiten - entgegen der gerichtlichen Verfügung nicht bereits um 11.30 Uhr, sondern erst um 13.05 Uhr vorgelegt hat. Da eine Abschiebung nur bis 14.45 Uhr verhindert werden kann, genügt die damit zur Verfügung stehende Zeit nicht, um die Verwaltungsvorgänge intensiv auf ein eventuelles Fehlverhalten der Antragsteller zu überprüfen, zumal ein solches von dem Antragsgegner weder in den an den Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten Schriftsätzen, die dieser mit Antragstellung eingereicht hat, noch in seiner Antragserwiderung vom heutigen Tage substantiiert dargestellt hat.
Die Begründung des Antragsgegners zielt allein darauf ab, die Antragstellerin zu 1. sei der Aufforderung nicht nachgekommen, ihren alten sowjetischen Inlandspass vorzulegen, mit dem Passersatzpapiere durch den Antragsgegner hätten besorgt werden sollen. Soweit in dieser kurzen Zeit eine kursorische Auseinandersetzung mit den vorgelegten Verwaltungsvorgängen erfolgen konnte, lässt sich dieser Vorwurf des Antragsgegners jedenfalls nicht erhärten. In den in der Akte befindlichen Aufforderungen vom 30.03.2000, 04.10.2000, 10.11.2000, 07.05.2001 und 07.01.2003 wurden zwar unterschiedliche Unterlagen von der Antragstellerin angefordert, nicht aber ihr Inlandspass, obwohl dem Antragsgegner seit 1995 bekannt war, dass sich die Antragstellerin im Besitz des Passes befand. Unter dem 29.09.2003 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin unter Fristsetzung bis zum 31.10.2003 auf, einen gültigen Pass sowie einen Nachweis über die Beantragung eines gültigen Heimatpasses für alle Familienmitglieder beizubringen. Am 13.10.2003, also innerhalb dieser Frist, wurde sodann der Pass der Antragstellerin zu 1. eingezogen, als sie diesen dem Standesamt F. zum Zwecke der Eheschließung ausgehändigt hat. Eine Verzögerung durch die Antragsteller ist auch insoweit nicht zu erkennen.
Auch die frühere Beantragung eines Passes durch die Antragsteller selbst hätte - jedenfalls nach kursorischer Prüfung - nicht zu einer Ausstellung eines armenischen Passes geführt. Die Antragstellerin zu 1. hat unter dem 04.04.2007 eine Bescheinigung der Konsularabteilung der armenischen Botschaft in Berlin vorgelegt, nach der für den Umtausch eines Passes der ehemaligen UdSSR die Vorlage einer Aufenthaltsgenehmigung des Landes erforderlich sei. Eine solche besaß die Antragstellerin zu 1. jedoch nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylVfG).