Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 16.04.2014, Az.: 6 B 11/14
Fahrerlaubnis; Cannabis; Nachweisdauer THC; Entziehung; gelegentlicher Konsum; einmaliger Konsum
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 16.04.2014
- Aktenzeichen
- 6 B 11/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 42617
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 46 Abs 1 FeV
- Anl 4 Nr 9.2.2 FeV
- § 3 Abs 1 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein sich über ein gesamtes Wochenende erstreckender Konsum mehrerer Joints ist nicht als einheitlicher Konsumakt, sondern als mehrfacher und damit gelegentlicher Cannabiskonsum zu qualifizieren.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis (u.a. Klasse B).
Am 05.08.2013 um 10:35 Uhr wurde der Antragsteller als Fahrer eines Pkw im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle in E. überprüft. Wegen des Verdachts des Führens eines Fahrzeugs unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln wurde ihm auf Anordnung der kontrollierenden Polizeibeamten um 10:57 Uhr eine Blutprobe entnommen, in der anschließend ein THC-Wert von 3,9 ng/ml, ein THC-COOH-Wert von 33 ng/ml und ein 11-Hydroxy-delta-9-tetrahydrocannabinol-Wert von 2,5 ng/ml festgestellt wurden (Befundbericht des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule F. vom 20.08.2013).
Nachdem der Antragsgegner von diesem Sachverhalt erfahren hatte, wies er den Antragsteller mit Schreiben vom 31.10.2013 darauf hin, dass aufgrund des genannten Vorfalls Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden und forderte ihn auf, zur Klärung dieser Frage, insbesondere seines aktuellen Konsumverhaltens, ein fachärztliches Gutachten beizubringen. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nach und unterzog sich am 25.11.2013 einer entsprechenden Begutachtung beim TÜV Nord (Begutachtungsstelle für Fahreignung G.). In dem diesbezüglichen Gutachten vom 28.11.2013 wurde zusammenfassend ausgeführt, dass beim Antragsteller kein aktueller Cannabiskonsum vorliege und die Untersuchung auch keine Hinweise auf einen gelegentlichen oder regelmäßigen Konsum ergeben habe. Im Rahmen der Drogenanamnese habe der Antragsteller erklärt, ausschließlich am 03. und 04.08.2013 mehrere Joints geraucht und einen Haschbrownie gegessen zu haben; zuvor und danach habe er Cannabis oder andere Drogen nie konsumiert.
Mit Bescheid vom 14.02.2014 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Zur Begründung führte er aus, dass der Antragsteller, der aufgrund seiner Angaben im Rahmen der fachärztlichen Begutachtung als gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen sei, am 05.08.2013 „gegen 0:00 Uhr“ unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt und damit gezeigt habe, dass er den Konsum von Cannabis und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen könne. Angesichts dessen sei er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen sei.
Der Antragsteller hat hiergegen am 17.03.2014 Klage erhoben (6 A 47/14) und gleichzeitig die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Er macht geltend, dass der Antragsgegner bei Erlass des angefochtenen Bescheides insofern von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, als er (der Antragsteller) am 05.08.2013 nicht gegen 0:00 Uhr, sondern erst um 10:35 Uhr von der Polizei kontrolliert worden sei. Auch die Annahme des Antragsgegners, er sei gelegentlicher Cannabiskonsument, treffe nicht zu. Vielmehr habe er am 03. und 04.08.2013 ein überregional bekanntes und jährlich stattfindendes Musikfestival in E. besucht und - wie bereits im Rahmen der fachärztlichen Untersuchung angegeben - lediglich an diesen beiden Tagen Cannabis in Form mehrerer Joints und eines Haschbrownies konsumiert. Dieser Konsum habe sachlich und zeitlich allein im Zusammenhang mit dem Musikfestival gestanden und stelle deshalb gewissermaßen eine Handlungseinheit dar. Daher könne er lediglich als über einen gewissen Zeitraum andauernder erstmaliger, nicht aber als gelegentlicher Konsum gewertet werden, weil es insoweit an mindestens zwei voneinander unabhängigen Konsumakten fehle. Dementsprechend habe auch die anschließende fachärztliche Untersuchung keine Hinweise auf einen gelegentlichen Cannabiskonsum ergeben. Unter diesen Umständen seien sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch der angeordnete Sofortvollzug unverhältnismäßig.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.02.2014 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt aus den Gründen des angefochtenen Bescheides,
den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und das private Interesse an der Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit andererseits gegeneinander abzuwägen, wobei insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Diese Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig ist.
Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeVist, ohne dass der Behörde insoweit Ermessen eingeräumt ist, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet in diesem Sinne ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Gemäß Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV fehlt die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen regelmäßig dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber gelegentlich Cannabis konsumiert und den Konsum dieses Betäubungsmittels und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen kann. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Antragstellers derzeit erfüllt.
Aufgrund des Befundberichts des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule F. vom 20.08.2013 über die Untersuchung der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe steht fest, dass der Antragsteller am 05.08.2013 unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Dies wird vom mittlerweile überwiegenden Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. - seitdem in ständiger Rechtsprechung - OVG Lüneburg, B. v. 11.07.2003 -12 ME 287/03 -, DAR 2003, 480; VGH Mannheim, U. v. 13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, Blutalkohol 2008, 210 [VGH Baden-Württemberg 13.12.2007 - 10 S 1272/07] m.w.N.), der sich die Kammer angeschlossen hat, bereits dann angenommen, wenn in der Blutprobe des Betroffenen ein THC-Wert von mindestens 1,0 ng/ml festgestellt worden ist; der im vorliegenden Fall in der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe festgestellte THC-Wert von 3,9 ng/ml liegt deutlich darüber. Gegen diese Einschätzung hat der Antragsteller im Übrigen selbst keine Einwände erhoben. Dass der Zeitpunkt der Verkehrskontrolle im angefochtenen Bescheid - wohl versehentlich - unzutreffend angegeben worden ist, ändert daran ebenfalls nichts.
Nach Aktenlage ist ferner davon auszugehen, dass der Antragsteller jedenfalls in der Vergangenheit gelegentlicher Cannabiskonsument war. Hierfür reicht es nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bereits aus, wenn der Betroffene mehr als einmal in zwei voneinander unabhängigen Konsumakten Cannabis konsumiert hat (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 02.05.2013 - 12 LA 179/12 -; B. v. 04.12.2008 - 12 ME 298/08 -, jew. juris, m.w.N). Dies ist hier schon nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers, wonach er am 03. und 04.08.2013 auf einem Musikfestival mehrere Joints und einen Haschbrownie konsumiert hat, anzunehmen. Ein derartiger Konsum ist nicht mehr als ein einmaliger Probier- oder Experimentierkonsum bzw. als - wie es der Antragsteller formuliert hat - „über einen gewissen Zeitraum andauernder erstmaliger Konsum“, sondern als ein aus zwei oder mehr voneinander unabhängigen Konsumakten bestehender und damit gelegentlicher Konsum zu qualifizieren. Insbesondere bestehen nach dem Vorbringen des Antragstellers keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dieser Konsum der Aufrechterhaltung eines über zwei Tage andauernden - nicht einmal etwa durch Phasen der Nachtruhe unterbrochenen - Rauschzustands gedient hat und deshalb ggf. lediglich als einheitlicher Konsumakt zu werten wäre (vgl. dazu OVG Münster, B. v. 18.02.2014 - 16 B 116/14 -; VGH München B. v. 18.06.2013 - 11 CS 13.882 -, jew. juris, m.w.N.).
Abgesehen davon spricht angesichts des in der Blutprobe des Antragstellers festgestellten THC-Wertes Überwiegendes dafür, dass es wenige Stunden vor der Verkehrskontrolle am 05.08.2013 und der aus diesem Anlass um 10:57 Uhr erfolgten Blutentnahme - mithin nach dem vom Antragsteller angegebenen letzten Konsumzeitpunkt - zu einem weiteren Konsumakt gekommen ist. Da der Cannabiswirkstoff THC bei vereinzeltem oder gelegentlichem Konsum lediglich bis zu 4 bis 6 Stunden im Blutserum nachweisbar ist (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl., Kap. 3.12.1, S. 178) bzw. jedenfalls nach 6 Stunden in der Regel auf einen Wert von unter 1 ng/ml sinkt (vgl. OVG Münster, aaO; Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2. Aufl., § 3 Rn. 109), lässt sich der festgestellte THC-Wert von immerhin 3,9 ng/ml einstweilen nur damit erklären, dass der Antragsteller am 05.08.2013 etwa gegen 5:00 Uhr oder später ein weiteres Mal Cannabis konsumiert hat. Andernfalls wäre angesichts der insoweit längeren Nachweiszeiten ggf. zu seinen Lasten davon auszugehen, dass er zuvor regelmäßiger Cannabiskonsument war; in diesem Fall wäre ihm die Fahrerlaubnis gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 ebenfalls zu entziehen gewesen.
Besondere Umstände, die Anlass zu einer Abweichung von der in Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 aufgestellten Regelvermutung geben könnten (vgl. Nr. 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4), sind nicht ersichtlich, so dass der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat. Angesichts dessen ist nach den eingangs dargestellten Abwägungsgrundsätzen auch der angeordnete Sofortvollzug nicht zu beanstanden. Die damit verbundenen persönlichen Nachteile muss der Antragsteller im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit hinnehmen.