Landgericht Osnabrück
Beschl. v. 15.08.2014, Az.: 9 T 283/14

Vergütung der Einsicht des Rechtsanwalts in Unterlagen; Überschreiten der Grenze zwischen der Beratungsgebühr und der Geschäftsgebühr bei Tätigkeit des Rechtsanwalts nach außen hin

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
15.08.2014
Aktenzeichen
9 T 283/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 38032
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2014:0815.9T283.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Osnabrück - 13.05.2014 - AZ: 63 II 2826/13

Fundstelle

  • JurBüro 2016, 135-136

In der Beratungshilfesache
des
hier: Beschwerde gegen die Festsetzung der Vergütung nach § 55 RVG
Beteiligte:
hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Karrasch und die Richter am Landgericht Stolle und Dr. Rikken am 15.08.2014 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 13.05.2014 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde gegen diese Entscheidung wird zugelassen.

Gründe

Gegenstand der Beratungshilfe war die Prüfung, ob der Rechtsuchende Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einer an ihm begangenen Körperverletzung geltend machen könne. Im Beratungshilfeantrag vom 11.09.2013 gab der Rechtsuchende dazu an, er sei von mehreren Leuten zusammengeschlagen worden. Die Staatsanwaltschaft habe das diesbezügliche Verfahren eingestellt. Er wolle Schmerzensgeld und Schadensersatz. Nach Ansicht des Beschwerdeführers bedurfte es dazu der Akteneinsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten.

Mit Schreiben vom 08.01.2013 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung der Vergütung bei Beratungshilfe in Höhe von 121,38 €. Das Amtsgericht Osnabrück setzte die Gebühren mit Beschluss vom 16.01.2014 auf 49,48 € fest mit dem Bemerken, die Aktenanforderung stelle keine Vertretung dar, so dass die Gebühr gemäß Nr. 2503 VVRVG nicht anfalle. Dagegen legte der Beschwerdeführer am 21.01.2014 Erinnerung ein und berief sich auf den Beschluss des OLG Naumburg vom 14.12.2012 (Az. 2 Wx 66/12). Der Bezirksrevisor beim Landgericht Osnabrück vertrat und vertritt die Auffassung, allein die Beratungsgebühr nach Nr. 2501 VVRVG sei angefallen und damit zutreffend festgesetzt. Die erforderliche Akteneinsicht habe allein der Informationsbeschaffung gedient und sei damit noch keine Vertretung nach außen hin gewesen. Sie gehöre als Tätigkeit der Sachverhaltsermittlung/-feststellung zur Beratung und eben nicht zur Vertretung. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.05.2014 wies das Amtsgerichts Osnabrück die Erinnerung des Antragstellers vom 21.01.2014 gegen den Beschluss vom 16.01.2014 zurück und ließ die Beschwerde zu.

Dagegen legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20.05.2014 Beschwerde ein, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Er moniert, das Amtsgericht stelle im angefochtenen Beschluss "Gerechtigkeitserwägungen" an, die den Gebührentatbeständen fremd seien. Der Antragsteller meint, die Akteneinsicht stelle ein nach außen gerichtetes Vorgehen dar, welches als Betreiben des Geschäfts im Sinne des Gebührentatbestandes gemäß Nr. 2503 VV RVG anzusehen sei und deshalb die Geschäftsgebühr auslöse. Dazu beruft er sich weiterhin auf den Beschluss des OLG Naumburg vom 14.12.2012 (Az. 2 Wx 66/12).

Die Beschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Amtsgericht Osnabrück gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zulässig. Die Kammer hat in voller Besetzung über das Rechtsmittel zu befinden, weil der zuständige Einzelrichter mit Beschluss vom 12.06.2014 die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (richtigerweise nach § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG) auf die Kammer übertragen hat.

Die Beschwerde ist unbegründet. Auch die Kammer vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VVRVG nicht gegeben sind, weil "das Betreiben des Geschäfts" nicht vorliegt, so dass zutreffend eine Beratungsgebühr nach Nr. 2501 VVRVG festgesetzt worden ist.

Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VVRVG erfasst Tätigkeiten, die über den bloßen Rat oder die Auskunft hinausgehen. Die Grenze zwischen der Beratungsgebühr und der Geschäftsgebühr ist überschritten, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach außen gerichtet ist. Dies ist noch nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt Einsicht in die Unterlagen nimmt und daraufhin dem Ratsuchenden abrät, irgendwelche rechtliche Schritte zu unternehmen, ohne einen Schriftsatz zu verfassen. Nach Ansicht der Kammer ist es unbeachtlich, ob es sich um Unterlagen handelt, die der Rechtsuchende mitbringt oder die sich der Rechtsanwalt durch Akteneinsicht bei Dritten verschafft. Die Akteneinsicht hat vorbereitenden Charakter und ist dem noch internen Bereich zuzuordnen. Anders mag es sein, was hier allerdings unentschieden bleiben kann, wenn der Rechtsanwalt zugleich mit der Akteneinsicht nach außen hin für den Rechtsuchenden gegenüber einem potentiellen Gegner tätig wird. Das war hier nicht der Fall, weil der Rechtsuchende nicht etwa gegen die Einstellung des Strafverfahrens hatte vorgehen wollen, sondern mit Hilfe der Informationen aus den Ermittlungsakten klären wollte, ob erfolgreich Schadensersatzansprüche gegen seine Schädiger durchgesetzt werden konnten oder nicht.

Deshalb ist, anders als das Amtsgericht Osnabrück meint, die angeführte Entscheidung des OLG Naumburg vom 14.12.2012 nicht einschlägig. Dort wurde der Rechtsanwalt gegenüber einer Behörde tätig, in dem er Widerspruch gegen einen Bescheid einlegte und zugleich dort Akteneinsicht beantragte. Dies war ebenso in dem Fall, den das Amtsgericht Halle mit Beschluss vom 06.03.2013, Az. 103 II 211/13, zu entscheiden hatte und den Hansens im RVG-Report 2013, 192, kommentiert hat. Auch Hansens stellt wie das Amtsgericht Halle darauf ab, dass sich der Rechtsanwalt dort an den Gegner gewandt hatte und dadurch eine Vertretung seitens des Anwalts nach außen hin erkennbar wurde. Ebenso differenzieren im Ergebnis Gottschlich/Mümmler (5. A. 2013, Stichwort: Beratungshilfe, Anm. 7.7 a. E.), Schoreit/Groß (12. A. 2014, § 44 RVG Rn. 16), Lissner (JurBüro 2013, 564 (567)) und Pukal in Mayer/Kroiß (6. A. 2013, Nr. 2503 VV Rn. 1). Die Entscheidung des AG Kiel mit Beschluss vom 31.07.2010, Az. 7 II 6615/09, dort Rn. 6, ist ebenfalls nicht einschlägig, weil auch dort der Rechtsanwalt nicht nur zur Informationsbeschaffung, sondern auch zur Stellungnahme nach außen hin tätig geworden ist. Demgegenüber überzeugt die Ansicht des AG Rostock mit Beschluss vom 04.03.2011 (Az. 41 II B 1434, AGS 2011, 192), wonach bereits allein Akteneinsicht zur Informationsbeschaffung die Geschäftsgebühr auslösen soll, nicht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Die Kammer hat die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG zugelassen. Gemäß § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG kann sie nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 ZPO gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht Oldenburg. Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung beim Landgericht Osnabrück, Neumarkt 2, 49074 Osnabrück eingelegt wird.

Karrasch
Stolle
Dr. Rikken