Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 22.06.2004, Az.: S 5 RA 75/03
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Lumbalsyndrom mit einer fortgeschrittenen Fassettengelenksarthrose in den unteren beiden Segmenten der Lendenwirbelsäule, einem Cervicobrachialsyndrom, einer Periarthropathia tendopathica der Schultergelenke; Möglichkeit der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit durch geeignete therapeutische Maßnahmen; Rentenberechtigende Erwerbsminderung auf Grund einer psychiatrischen Erkrankung
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 22.06.2004
- Aktenzeichen
- S 5 RA 75/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 17084
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2004:0622.S5RA75.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 43 SGB VI
- § 102 Abs. 2 SGB VI
- § 101 Abs. 1 SGB VI
- § 66 SGB I
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Wie bei allen anderen körperlichen Erkrankungen ist auch bei psychischen Erkrankungen stets davon auszugehen, dass daraus eine Rentenberechtigung erwachsen kann, wenn ein zumindest vorläufiger Dauerzustand dadurch erreicht ist, dass die leistungseinschränkende Erwerbsminderung über einen Zeitraum von 6 Monaten bereits besteht oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass sie selbst unter Behandlung über einen solchen Zeitraum hinaus bestehen wird.
- 2.
Allein die Behandlungsfähigkeit einer Gesundheitsstörung steht der Annahme einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht entgegen.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 22.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2003 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit unter Zugrundelegung eines Eintritts der Leistungsminderung im Januar 2004 ab 01.08.2004 bis 31.12.2005 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die 1952 geborene Klägerin begehrt die Zahlung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die Klägerin hat die Hauswirtschaftsschule besucht und danach im Haushalt gearbeitet. Zuletzt nahm die Klägerin an einem Projekt des E. zur beruflichen Integration von Frauen teil.
Sie beantragte im November 2001 die Gewährung einer Versichertenrente bei der Beklagten. Die Beklagte zog ein Gutachten des Orthopäden Dr. F. vom 23.01.2002 bei. Dieser stellte folgende Krankheitserscheinungen bei der Klägerin fest:
"Lumbalsyndrom mit fortgeschrittener Fassettengelenksarthrose L4/S1, Cervicobrachialsyndrom beidseits, diskrete C7-Symptomatik, Periarthropathia tendopathica der Schultergelenke, Verdacht auf Fibromyalgie, Depression".
Er hielt die Klägerin für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten, ohne schweres Heben und Tragen sowie ohne Bewegen schwerer Lasten vollschichtig zu verrichten. Längere gebückte oder hockende Arbeiten seien nicht mehr möglich, ebenso wenig ausschließlich sitzende Tätigkeiten.
Mit Bescheid vom 22.03.2002 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin noch in der Lage sei, 6 Stunden und mehr arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsfeld tätig zu werden. Damit sei sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.04.2002 Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren wurde ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 06.09.2002 beigezogen, der bei der Klägerin chronische Schmerzen, von Bewegungsapparat ausgehend und eine Dysthymia feststellte. Er hielt leichte Arbeiten geistig nicht anspruchsvoller Art ohne Zwangshaltungen noch für 6 Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar. Die Arbeiten sollten geistig einfacher Art ohne Zeit und Akkorddruck sein. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung aus, dass die Klägerin noch in der Lage sei, vollschichtige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes zu verrichten. Damit sei sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin am 15.04.2003 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass ihr Leistungsvermögen vollständig aufgehoben sei. Dies hätten auch die Ermittlungen im Klageverfahren ergeben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.03.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Eintritts der Leistungsminderung im Januar 2004 ab 01.08.2004 bis 31.07.2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und ist der Auffassung, dass auch durch das Gutachten von Herrn H. eine rentenberechtigende Erwerbsminderung nicht nachgewiesen sei. H. habe festgestellt, dass bei der Klägerin noch nicht sämtliche Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Erst wenn dieses der Fall sei, könnte nach der Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte von einer rentenberechtigenden Einschränkung der Leis-tungsfähigkeit ausgegangen werden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten von Dr. I. vom 07.12.2003 und Dr. J. vom 16.12.2003. Abschließend hat das Gericht die Klägerin durch den Neurologen und Psychiater H. begutachten lassen. Wegen der Einzelheiten des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 15.03.2004 ergänzend Bezug genommen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakte ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig. Sie ist auch teilweise begründet.
Rechtsgrundlage für den im Termin zur mündlichen Verhandlung geltend gemachten Klageanspruch ist § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (Bundesgesetzblatt I Seite 1827). Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin insofern erfüllt, als sie seit dem 01.01.2004 voll erwerbsgemindert ist, wobei diese Erwerbsminderung nur auf Zeit besteht.
Der Sachverhalt ist in medizinischer Hinsicht nach der aus dem Ergebnis des gesamten Verfahrens gewonnenen Überzeugung der Kammer hinreichend geklärt. Die Klägerin leidet einerseits auf orthopädischem Gebiet unter einem Lumbal-syndrom mit einer fortgeschrittenen Fassettengelenksarthrose in den unteren beiden Segmenten der Lendenwirbelsäule, einem Cervicobrachialsyndrom, einer Periarthropathia tendopathica der Schultergelenke. Zudem wurde der Verdacht auf Bestehen einer Fibromyalgie geäußert. Im Vordergrund steht jedoch bei der Klägerin eine depressive Erkrankung mit einer derzeit schweren depressiven Episode sowie eine Schmerzerkrankung ausgehend vom Bewegungsapparat. Der Gerichtssachverständige H. kam auf Grund dieser Erkrankung zu dem Ergebnis, dass die Klägerin leichte bis mittelschwere Arbeiten geistig einfacher Art und einfacher Verantwortung noch verrichten könne. Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg sowie unter Zwangshaltungen und mit Zeitdruck und Akkorddruck seien zu vermeiden. Arbeiten mit emotionalen Belastungen sowie Nacht- oder Wechselschicht seien ebenfalls nicht möglich. Die Klägerin könne diese Tätigkeiten gegenwärtig jedoch nur noch in einem Umfang von weniger als 3 Stunden arbeitstäglich verrichten, da nach einer Zeit von 2 bis 3 Stunden durch die eingeschränkten psychischen Funktionen ein Erschöpfungszustand erreicht sei.
Er war jedoch der Auffassung, dass die Einbuße der Leistungsfähigkeit, die seit Januar 2004 wegen Verschlimmerung der Depressionserkrankung bestehe, grundsätzlich besserungsfähig sei. Erforderlich sei insofern die Durchführung eines stationären Aufenthaltes in einer psychotherapeutischen Klinik sowie eine kontinuierliche Behandlung mit einem für sie geeigneten Antidepressivum. Unter Durchführung dieser Maßnahmen sah er die Möglichkeit, dass sich die Leistungsfähigkeit in den nächsten 6 bis 12 Monaten erheblich steigern lassen würde.
Die Kammer hat keinen Anlass gesehen, an der Richtigkeit der Feststellungen des Gerichtssachverständigen in Bezug auf Befunderhebungen und arbeitsmedizinscher Leistungsbeurteilung zu zweifeln. Das Gutachten beruht auf einer eingehenden Untersuchung der Klägerin und bestätigt im Wesentlichen die Befunde, die auch von den behandelnden Ärzten und den Gutachtern im Verwaltungsverfahren mitgeteilt worden sind. Gegenüber den Gutachtern im Verwaltungsverfahren hat sich insofern eine Verschlimmerung ergeben, als die Depressionserkrankung, die dem Grunde nach auch schon im Jahr 2002 festgestellt worden war, sich mittlerweile verfestigt und verstärkt hat. Die Beteiligten haben letztlich auch die Richtigkeit der Feststellungen von Herrn H. nicht angezweifelt. Mit dem damit feststehenden Leistungsvermögen ist die Klägerin aber voll erwerbsgemindert, da ihr zeitliches Restleistungsvermögen auf unter 3 Stunden abgesunken ist.
Allerdings ist die der Klägerin damit zu gewährende Rente wegen voller Erwerbsminderung nur als Zeitrente zu zahlen, weil nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen bei der Klägerin eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit durch geeignete therapeutische Maßnahmen wahrscheinlich erscheint (§ 102 Abs. 2 SGB VI). Der Rentenbeginn richtet sich in diesem Falle nach § 101 Abs. 1 SGB VI.
Das Ende der Befristung hat die Kammer auf den 31.12.2005 gelegt, weil nach den Feststellungen von Herrn H. die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme erforderlich ist und danach noch eine geeignete ambulante Therapie mit Antidepressiva erfolgen müsste, um die Leistungsfähigkeit wieder erheblich zu verbessern. In diesem Zusammenhang schien es der Kammer angemessen, einen Zeitraum von ca. 1 1/2 Jahren vom Urteilszeitpunkt aus anzunehmen, damit die notwendigen Maßnahmen durch die Beklagte zunächst in Form der Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme eingeleitet werden können und die erforderliche ambulante Nachbehandlung durchgeführt werden kann.
Darüber hinaus besteht gegenwärtig kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil der Sachverständige einen solchen Zeit-rauem für die Wiederherstellung des Leistungsvermögens für ausreichend angesehen hat.
Die Kammer sah sich auch nicht auf Grund der Tatsache an der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gehindert, weil bei der Klägerin nach Auffassung des Gerichtssachverständigen eine suffiziente Therapie der psychiatrischen Erkrankung noch nicht stattgefunden hat. Diese Tatsache hindert nicht die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, sondern sie erfordert sie gerade.
Zum Zeitpunkt des Urteils im Juni 2004 bestand die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Klägerin schon seit annähernd 6 Monaten, sodass davon auszugehen ist, dass der Zeitraum, für den eine Arbeitsunfähigkeit auf Grund einer Gesundheitsstörung - in Abgrenzung zur eingeschränkten Erwerbsfähigkeit im Sinne des Rentenversicherungsrechtes - angenommen werden kann, bereits abgelaufen war. Denn da die notwendigen Behandlungsmaßnahmen noch nicht eingeleitet worden sind, insbesondere eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme noch nicht bewilligt worden ist, muss davon ausgegangen werden, dass der gegenwärtige Gesundheitszustand über 6 Monate dauern wird und damit grundsätzlich zur Rentenberechtigung führen kann.
Etwas anderes ergibt sich zur Überzeugung der Kammer auch nicht aus den von der Beklagten übersandten Urteilen. Das Urteil des Landessozialgerichts Brandenburg ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Vielmehr hatte der Senat in diesem Urteil ausdrücklich zu Grunde gelegt, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen die gegenwärtigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch kein Grad erreicht hätten, der die Klägerin erwerbs- oder berufsunfähig machen würde. Das LSG hat seine ablehnendes Urteil damit nicht darauf gestützt, dass noch Behandlungsmöglichkeiten bestehen, sondern dass - auch ohne die erforderliche Behandlung - gegenwärtig keine rentenberechtigende Erwerbsminderung vorliegt.
Der vom LSG Niedersachsen im Urteil vom 23. Januar 2002 geäußerten Auffassung, dass eine rentenberechtigende Erwerbsminderung auf Grund einer psychiatrischen Erkrankung dann nicht angenommen werden könne, wenn nicht alle Behandlungsmaßnahmen zur Beseitigung der Erkrankung ausgeschöpft worden seien, vermochte die Kammer sich nicht anzuschließen. Insbesondere ist die Kammer der Auffassung, dass sich die vom LSG Niedersachsen in dem zitierten Urteil geäußerte Auffassung nicht aus der zitierten Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts ergibt.
Das Bundessozialgericht hatte im Urteil vom 12.09.1990 Az. 5 RJ 88/89 über einen Fall zu entscheiden, in dem festgestellt worden war, dass sich der Leidenszustand der damaligen Klägerin innerhalb von 3 bis 4 Wochen bessern lasse, sobald Behandlungen eingeleitet würden. Zudem war auf Grund der für das Bundessozialgericht bindenden Feststellung des LSG davon auszugehen, dass die Vorenthaltung der Rente von ausschlaggebender Bedeutung für den Erfolg der Behandlungsmaßnahme sei. Auf der Basis dieser Tatsachen hatte das Bundessozialgericht die Auffassung geäußert, dass eine Rentengewährung nicht in Betracht komme, wenn bei Rentenablehnung zu erwarten sei, dass die neurotischen Erscheinungen verschwinden würden. Eine solche Sachlage ist jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Gerichtssachverständige hat nicht die Meinung geäußert, das bei Ablehnung einer Rentengewährung die depressive Episode der Klägerin sofort verschwinden würde. Vielmehr ist er der Auffassung gewesen, dass eine hinreichend suffiziente Behandlung bei der Klägerin noch nicht stattgefunden habe und diese - u.a. durch Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme durch die Beklagte - zunächst eingeleitet werden müsse. Erst durch eine solche Therapie sei zu erwarten, dass sich innerhalb der nächsten 6 bis 12 Monate die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben deutlich steigern lassen würde. Eine Situation in der - wie im Fall des Bundessozialgerichts - zu erwarten ist, dass durch die bloße Rentenversagung die Erwerbsminderung beseitigt würde, liegt damit eindeutig nicht vor.
Wie bei allen anderen körperlichen Erkrankungen ist auch bei psychischen Erkrankungen stets davon auszugehen, dass daraus eine Rentenberechtigung erwachsen kann, wenn ein zumindest vorläufiger Dauerzustand dadurch erreicht ist, dass die leistungseinschränkende Erwerbsminderung über einen Zeitraum von 6 Monaten bereits besteht oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass sie selbst unter Behandlung über einen solchen Zeitraum hinaus bestehen wird (vgl. BSG vom 22. 08.1974 Az. 8 RU 222/73 in SozR 2200 § 580 Nr. 1). Allein die Behandlungsfähigkeit einer Gesundheitsstörung steht der Annahme einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht entgegen (vgl. Kasseler Kommentar Nießel § 43 SGB VI Anm. 21; BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 38). Wenn die Behandlung einer solchen Erkrankung unterblieben ist, so führt dieses ohne Rücksicht auf die Ursachen dieser Unterlassung nicht dazu, dass die vorhandene Gesundheitsstörung nicht als Krankheit im Rechtssinne angesehen werden kann (vgl. Kasseler Kommentar Nießel a.a.O. m.w.N.).
Vielmehr steht dem Rentenversicherungsträger in den Fällen, in denen eine zumutbare Behandlung verweigert wird, nur der Weg über § 66 SGB I zur Verfügung. Er kann in solchen Fällen die zustehende Rente nur unter den in dieser Norm genannten Voraussetzungen wegen fehlender Mitwirkung verweigern. Ein solcher Bescheid ist durch die Beklagte im vorliegenden Verfahren jedoch nicht ergangen. Entgegen der von der Beklagten geäußerten Auffassung steht der Klägerin damit die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung für den im Urteilstenor genannten Zeitraum zu. Insoweit war der Klage statt zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.