Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 15.12.1999, Az.: 6 B 6184/99
Ersetzen einer Lehrkraft durch einstweilige Anordnung; Ablehnung einer Prüferperson wegen Befangenheit; Anspruch auf Ablehnung einer Lehrkraft aus dem Recht auf Bildung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 15.12.1999
- Aktenzeichen
- 6 B 6184/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 31255
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:1999:1215.6B6184.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 VwGO
- § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG, NI
- § 21 Abs. 1 S. 1 VwVfG, NI
- Art. 4 Abs. 1 LV, NI
Fundstellen
- SchuR 2003, 11-12 (Volltext)
- SchuR 2004, 211
Verfahrensgegenstand
Ablehnung eines Fachlehrers
- Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO -
In der Verwaltungsrechtssache
hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover
am 15. Dezember 1999
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 8.000,- Deutsche Mark festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist ein Schüler des Antragsgegners, eines Gymnasiums, und nimmt am Unterricht des 3. Kurshalbjahres der gymnasialen Oberstufe teil. Er hat den Leistungskurs Mathematik gewählt, der von dem Oberstudienrat (OStR) B. durchgeführt wird. Mit einem als "Widerspruch" bezeichneten Schreiben vom 22. November 1999 wandte sich der Antragsteller gegen die Benotung seiner in diesem Kurs erbrachten Leistungen im laufenden Kurshalbjahr sowie im 1. und 2. Kurshalbjahr, insbesondere gegen die Bewertung einer Klausurleistung vom 1. Oktober 1999 mit 2 Punkten. Er lehnte einen weiteren Unterricht und eine Prüfung durch den OStR B. wegen des Verdachts der Befangenheit ab und beantragte sinngemäß, diesen als Prüfer des Leistungsfachs Mathematik durch einen anderen Prüfer zu ersetzen. Der Schulleiter des Antragsgegners teilte dem Antragsteller daraufhin mit, dass die Benotung in Mathematik bisher nicht Grundlage eines Verwaltungsaktes und der Rechtsbehelf des Widerspruchs mithin nicht gegeben sei. Der OStR B. sei bisher noch nicht vom Vorsitzenden der Prüfungskommission zum Prüfer berufen worden, die Ablehnung des Lehrers in dessen Funktion als Prüfer werde aber durch Weiterleistung des Vorgangs an die Schulbehörde geprüft werden. Nicht möglich sei es jedoch, den OStR B. bereits in seiner Funktion als Fachlehrer wegen des Verdachts der Befangenheit abzulehnen.
Unter dem 29. November 1999 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er gegen die abschlägige Bescheidung seines Befangenheitsantrags in bezug auf die Funktion des OStR B. als Fachlehrer Widerspruch erhebe.
Der Antragsteller begehrt mit der am 9. Dezember 1999 bei Gericht eingegangenen Antragsschrift einstweiligen Rechtsschutz. Er beansprucht den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet werden soll, den OStR B. im Leistungskurs Mathematik durch einen anderen Fachlehrer zu ersetzen und macht geltend, dass dieses insbesondere für den Entwurf, die Durchführung und die Bewertung des am 17. Dezember 1999 beabsichtigten Vorabiturs gelten solle. Der Antragsteller trägt vor, dass er seit Beginn des Leistungskurses Mathematik vor 16 Monaten aus dem Verhalten des OStR B. den Eindruck der Befangenheit des Lehrers gewonnen habe. Unter Bezugnahme auf seinen Widerspruch macht der Antragsteller geltend, der Lehrer mache bis auf seltene Ausnahmen keine konkreten Aussagen über Leistungen des Antragstellers. Der Lehrer beanstande zwar sachlich-inhaltliche Fehler, gehe aber - auch auf Nachfrage - auf die eigentliche Fragestellung nicht ein. Dadurch verhindere er, dass aus Fehlern gelernt werden könne. Bei der Begründung mündlicher Noten entstehe der Eindruck, dass der Lehrer seine Bewertungen aus dem Stegreif erteile und formuliere. Er versuche, gute mündliche Leistungen des Antragstellers, die er nicht negieren könne, dennoch schlecht zu machen. Außerdem verweigere der OStR B. eine zeitnahe Bewertung und Rücksprache mit den Schüler. Im ersten Kurshalbjahr habe der Lehrer nur am Anfang des Halbjahres eine Leistungstendenz erkennen lassen, sich dann aber erst wieder am Ende des Halbjahres geäußert. So habe der OStR B. erst nach etwa 4 Monaten eine Bewertung der mündlichen Leistungen der Mitschülerin C. D. vorgenommen, obwohl diese ihn mehrmals dazu aufgefordert habe. Außerdem sei das Anforderungsniveau der Klausuren der ersten drei Kurshalbjahres maßlos überhöht gewesen. Die Klausurgegenstände hätten sich außerhalb des Rahmens dessen befunden, was an Gymnasien gelehrt werde, so dass die Aufgabenstellungen auch nicht durch Transferleistungen erfasst werden konnten. Abgesehen von der sachfremden Bewertung dieser Klausuren gebe es auch einzelne Ereignisse, welche die Befangenheit des Lehrers deutlich machten. So habe dieser am 4.6.1999 auf den Einwand des Antragstellers, es seien für einen Rechenfehler zu viele Punkte abgezogen worden, erwidert, dass er noch mehr abziehe, wenn das nicht ausreiche.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Oberstudienrat B. durch eine andere Lehrkraft als Fachlehrer im Leistungskurs Mathematik des 13. Schuljahrgangs zu ersetzen.
Die Antragsgegnerin hat bis zur Entscheidung der Kammer keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist die Kammer ergänzend auf den Inhalt der vorgelegten Antragsschrift nebst Anlagen.
II.
Der Antrag ist nicht begründet.
Gem. § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine vorläufige Regelung in bezug auf den streitigen Inhalt eines Schulrechtsverhältnisses erlassen, soweit dieses zur Vermeidung nicht wieder auszugleichender Rechtsnachteile nötig ist. Voraussetzung für den Erlass der einstweiligen Anordnung ist, dass der Antragsteller neben einem Anordnungsgrund einen Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft macht, der ihm ein materielles Recht für die begehrte schulrechtliche Regelung vermittelt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller einen durch besondere Dringlichkeit gekennzeichneten Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, der es rechtfertigen könnte, im Wege der einstweiligen Anordnung den geltend gemachten Anspruch auf einen Lehrerwechsel endgültig zu erfüllen. Jedenfalls hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Die Regelung über die Ablehnung einer Prüferperson aus § 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Nr. 2 Nds. VwVfG ist vorliegend nicht anwendbar. Der Antragsteller befindet sich gegenwärtig noch nicht in der Abiturprüfung. Das sog. Vorabitur ist Teil der Organisation des Unterrichts in der Kursstufe. Der Umstand, dass die im dritten Kurshalbjahr in den Prüfungsfächern 1 bis 3 zu schreibende besondere Klausur den Anforderungen einer Abiturprüfungsarbeit entsprechen muss, macht die Veranstaltung und Bewertung der Klausur noch nicht zu einem Teil der Abiturprüfung. Die Anwendung der Regelung über die Ablehnung einer Person im Verwaltungsverfahren aus § 21 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Nr. 2 Nds. VwVfG scheitert daran, dass der Unterricht und die schriftlichen Arbeiten im Leistungsfach Mathematik nicht Teile eines Verwaltungsverfahren im Sinne von § 9 VwVfG sind.
Das öffentliche Schulrecht selbst enthält keine Rechtsgrundlage, die einem einzelnen Schüler die Möglichkeit zur Ablehnung einer bestimmten Lehrkraft wegen des Besorgnisse der Befangenheit einräumen könnte:
Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus dem Recht auf Bildung. Nach Art. 4 Abs. 1 Nieders. Verfassung hat jeder Mensch das Recht auf Bildung. Das Nähere ist nach Abs. 4 der Regelung im NSchG überlassen. Dazu normiert § 54 Abs. 1 NSchG die Verpflichtung des Landes, im Rahmen seiner Möglichkeiten das Schulwesen so zu fördern, dass alle in Niedersachsen wohnenden Schüler ihr Recht auf Bildung verwirklichen können. Unterschiede in den Bildungschancen sind nach Möglichkeit durch besondere Förderung der benachteiligten Schüler auszugleichen. Diese sich bereits aus den Art. 2 Abs. 1 und 7 Abs. 1 GG ergebenden Grundsätze sind als programmatisch gefasste Vorgaben zu verstehen, die beispielsweise auf die Errichtung von öffentlichen Schulen nach Maßgabe des Bedürfnisses (§ 106 Abs. 1 Satz 1 NSchG) und in diesem Rahmen auf den Ausgleich unterschiedlicher Bildungschancen hinzielen. Sie werden durch die Regelungen des Niedersächsischen Schulgesetzes und der zu seiner Ausführungen erlassenen Rechtsverordnungen ausgefüllt und im übrigen durch die im Schulrecht zu beachtenden Verfassungsgrundsätze, insbesondere durch den Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG, das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und das Verbot der Benachteiligung Behinderter aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ergänzt. Das Recht auf Bildung vermittelt deshalb keine konkreten Leistungsansprüche, wenn diese nicht im Schulrecht normiert sind oder aus anderen Rechtssätzen ergeben (Seyderhelm/Nagel, Nieders. Schulgesetz, Anm. 3.2 zu § 54).
Das Recht auf Bildung kann folglich nicht gegen eine eingerichtete Schulorganisation, zu der auch der Einsatz der Lehrkräfte einer Schule im Rahmen ihrer Unterrichtsbefähigung zählt, verwirklicht werden, sondern nur im Rahmen dieser Organisation. Das ergibt sich vor dem Hintergrund des Tatsachenvortrags des Antragsteller schon aus der Natur der Sache. Unterstellt, seine Ausführungen zur unhaltbaren Benotungspraxis des Fachlehrers träfen zu, wäre davon im Prinzip jede Schülerin und jeder Schüler des Gymnasiums betroffen, wie das vom Antragsteller genannte Beispiel der Bewertung der mündlichen Leistungen der Mitschülerin C. D. oder die Äußerungen gegenüber der Schülerin E. F. zeigen. Der Antragsteller kann seine Rechte deshalb nur dadurch verfolgen, dass er von der Schule die Einhaltung der für den Unterricht und die Leistungsbewertung maßgeblichen Rechtsvorschriften durch den jeweiligen Fachlehrer (§ 50 Abs. 1 Satz 2 NSchG) beansprucht. Erforderlichenfalls ist die Schulleiterin oder der Schulleiter verpflichtet, mit dem Weisungsrecht nach § 43 Abs. 3 NSchG auf die gerechte Beurteilung hinzuwirken. Bleibt dieses erfolglos, kann der Schüler seine Ansprüche auf eine chancengleiche Teilnahme am Unterricht und auf rechtsfehlerfreie Benotung der Leistungen im Leistungsfach Mathematik gerichtlich durchsetzen.
Das ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 8.000,- Deutsche Mark festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes richtet sich gemäß §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG nach dem gesetzlich vorgesehenen Auffangwert, weil sich die Bedeutung, die die Rechtssache für den Antragsteller hat, nicht bestimmen lässt. Die im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz übliche Halbierung des Auffangwerts kommt wegen der beanspruchten vollständigen Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (Vorwegnahme der Hauptsache) nicht in Betracht.
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