Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.08.1992, Az.: 2 W 88/92
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 10.08.1992
- Aktenzeichen
- 2 W 88/92
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1992, 23325
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1992:0810.2W88.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
Fundstellen
- GmbHR 1993, 509-510 (Volltext mit red. LS)
- WM 1992, 1912-1913 (Volltext mit amtl. LS)
Tenor:
Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landgerichts ... vom 4. Juni 1992 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 5.000,- DM.
Gründe
I.
Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist zulässig. Es ist gemäß §§ 148 Abs. 1, 146 Abs. 2, 29 Abs. 2 FGG statthaft; die Antragsgegnerin ist auch gemäß § 20 Abs. 1 FGG beschwerdeberechtigt, denn die im angefochtenen Beschluß ausgesprochene Verpflichtung, Einsicht in die Bücher der ... zu gestatten, trifft sie als Verwahrerin.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist indes nicht begründet.
1.
Nach § 74 Abs. 2 S. 2 GmbHG können Gläubiger einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom Registergericht (§ 7 Abs. 1 GmbHG) zur Einsicht der Bücher und Schriften ermächtigt werden, die nach der Liquidation der Gesellschaft verwahrt werden. Ein solches Informationsrecht wird im Gesetz selbst weder zeitlich noch inhaltlich beschränkt. Aus der Ausgestaltung als Ermessensvorschrift ("können") ergibt sich nur, daß das Informationsinteresse des Gläubigers im Einzelfall bewertet und entgegenstehenden Gesichtspunkten gegenübergestellt werden muß, die so eine Ermächtigung zur Einsicht in die Bücher ganz oder zum Teil verhindern können.
2.
Dabei kann im Grundsatz davon ausgegangen werden, daß ein berechtigtes Interesse des Gläubigers an einer umfassenden Einsicht in die Bücher schon dann besteht, wenn er seine Gläubigerposition glaubhaft gemacht hat (Lutter/Hommelhoff GmbHG 13. Aufl. § 74 Rdn. 16). Dieses Interesse ist vorliegend bei dem Antragsteller als Gläubiger in besonderem Maße gegeben, weil er unstreitig titulierte Forderungen gegen die liquidierte ... von immerhin weit über 50.000,- DM besitzt. Darüber hinaus läßt sich eine zeitliche oder inhaltliche Beschränkung des Einsichtsrechts allein dem Interesse des Antragstellers nicht entnehmen. Denn zur Überprüfung seiner nicht auf Einzelvorgänge bezogenen Vermutung, es seien noch erhebliche Vermögenswerte der liquidierten ... vorhanden, bedarf es grundsätzlich einer umfassenden Prüfung aller zurückliegenden Geschäftsvorfälle.
3.
Dem Vorbringen der Antragsgegnerin sind keine hinreichenden Gesichtspunkte zu entnehmen, die eine Einschränkung des Einsichtsrechts in zeitlicher oder inhaltlicher Beziehung rechtfertigen könnten.
a)
Da auch aus längerer Zeit zurückliegenden Vorgängen noch durchsetzbare Ansprüche der ... bestehen können und die Bedenken des Antragstellers, Vermögenswerte dieser Gesellschaft könnten verschleiert worden sein, sich nicht auf die Liquidation selbst beschränken, läßt sich eine Begrenzung der Einsicht auf den Zeitraum nach der Liquidationseröffnungsbilanz nicht rechtfertigen, wie dies die Antragsgegnerin demgegenüber meint.
b)
Der Umstand allein, daß von der Einsicht in die Bücher Kreditakten betroffen sind, genügt ebenfalls nicht, um das Informationsrecht des Antragstellers insoweit auszuschließen. Zwar ist es richtig, daß mit der Einsichtnahme in die Kreditakten die Rechte der Kreditkunden auf Schutz der Geheimsphäre betroffen ist und auch die Antragsgegnerin unter dem Gesichtspunkt des Bankgeheimnisses grundsätzlich verpflichtet ist, insoweit schützenswerte Daten Dritten nicht zugänglich zu machen. Das Bankgeheimnis und das dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) zuzuordnende Recht des Schutzes der Geheimsphäre schließen ein gesetzliches Informationsrecht, wie es sich hier aus § 74 Abs. 2 GmbHG ergibt, aber nicht ohne weiteres aus. Vielmehr ist auch insoweit eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BGHZ 107, 104, 109; Canaris Bankvertragsrecht 3. Aufl. Rdn. 64, 217). Dabei gilt die Regel, daß das Informationsrecht grundsätzlich Vorrang hat (Canaris a.a.O. Rdn. 64). Das gilt im konkreten Fall um so mehr, als - wie bereits aufgezeigt - das Interesse des Antragstellers angesichts der Höhe seiner Forderungen und des Umstands, daß ihm nur ein grundsätzlich unbeschränktes Einsichtsrecht die Möglichkeit der Durchsetzung seiner Forderungen eröffnen kann, einen verhältnismäßig hohen Rang hat. Da auf der anderen Seite zu berücksichtigen ist, daß bei einer unberechtigten, vom Informationsinteresse des Antragstellers nicht gedeckten Weitergabe der durch die Einsicht erlangten Daten dem auf diese Weise in seinem Persönlichkeitsrecht verletzten Dritten ein deliktischer Anspruch zustehen könnte (vgl. Canaris a.a.O. Rdn. 41), kann bei einer Abwägung dieser Gesichtspunkte dem Antragsteller auch unter Berücksichtigung der Geheimhaltungsinteressen der Kreditkunden nicht eine allgemeine Einschränkung des gesetzlichen Einsichtsrechts abverlangt werden. Daß besondere Umstände in einem Kreditverhältnis vorliegen können, die es im Einzelfall erlauben könnten, das gesetzliche Informationsrecht gegenüber der Geheimhaltungspflicht zurücktreten zu lassen, kann hier unberücksichtigt bleiben, weil solche Besonderheiten nicht aufgezeigt worden sind.
c)
Es liegen auch keine greifbaren Anhaltspunkte für die Vermutung der Antragsgegnerin vor, der Antragsteller oder dessen Bevollmächtigter wollten das Informationsrecht rechtsmißbräuchlich ausüben. Allein die Tatsache, daß der Antragsteller angekündigt hat, er wolle "alles" sehen, rechtfertigt eine solche Schlußfolgerung nicht, weil ein umfassendes Einsichtsrecht grundsätzlich tatsächlich gegeben ist. Die Annahme der Antragsgegnerin aber, daß über die Einsichtnahme in die Kreditakten Informationen gewonnen werden sollen, "um so Vorteile - zum Beispiel neue Mandate -" zu erlangen, stellt sich derzeit als eine nicht belegte und deshalb nicht zu berücksichtigende Mutmaßung dar.
4.
Einer Regelung zur Pflicht des Antragstellers, die Kosten der Einsichtnahme in die Bücher zu tragen und einer Festsetzung eines Kostenvorschusses bedarf es - jedenfalls gegenwärtig - nicht. Dabei kann dahinstehen, ob insoweit § 811 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung findet (vgl. Kölner Kommentar/Kraft Rdn. 19 zu § 273 AktG), wonach entgegen den sonst geltenden allgemeinen Grundsätzen nicht dem Schuldner der Vorlegungspflicht, sondern dem Gläubiger die Kostenpflicht für die Vorlegung auferlegt wird. Mögliche durch die Vorlegung entstehende Kosten (z.B. für Transport, Verpackung, Porto etc.; vgl. Münchener Kommentar/Hüffer BGB 2. Aufl. § 811 Rdn. 5) sind nämlich nicht dargetan. Da dem Antragsteller ein umfassendes Einsichtsrecht zusteht, fallen auch Kosten für eine Prüfung und Aussonderung einzelner Vorgänge aus den Akten nicht an. Soweit die Antragsgegnerin schließlich meint, den Antragsteller bei der Einsicht der Bücher überwachen zu müssen, ist nicht ersichtlich, daß eine solche Überwachung notwendig sein könnte, so daß derartige nicht durch die Vorlegung veranlaßte Kosten nicht ersetzbar sind. Wenn die Antragsgegnerin eine Überwachung durchführen will, handelt sie allein im eigenen Interesse und kann Kosten hierfür nicht ersetzt verlangen.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG, § 131 Abs. 1 S. 1 KostO.
Der Geschäftswert ist nach § 30 Abs. 2 KostO festgesetzt.