Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 27.07.1992, Az.: 3 U 193/91
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 27.07.1992
- Aktenzeichen
- 3 U 193/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 23329
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1992:0727.3U193.91.0A
Fundstellen
- DAR 1993, 345-346 (Volltext mit amtl. LS)
- NZV 1993, 479-480 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1994, 328 (red. Leitsatz)
Tenor:
Aufgrund der Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts ... vom 27. September 1991 abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 43.800,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1989 zu zahlen abzüglich während des Berufungsverfahrens gezahlter 22.500,- DM nebst Zinsen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 60 % eines zukünftigen materiellen Schadens zu ersetzen, der ihm aus dem Verkehrsunfall vom 4.12.1987 noch erwächst, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in der ersten Instanz einschließlich der in dem Berufungsverfahren 3 U 169/89 entstandenen Kosten tragen der Kläger 67 % und die Beklagten 33 %. Von den Kosten des vorliegenden Berufungsverfahrens tragen der Kläger 74 % und die Beklagten 26 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 30.600,- DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit leisten. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 35.000,- DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Die Beschwer des Klägers beträgt
68.900,- DM,
diejenige der Beklagten beträgt
24.633,33 DM.
Tatbestand:
Am 4.12.1987 fuhr der Kläger mit seinem PKW Golf Cabrio auf der Bundesstraße ... zwischen ... und ... in Richtung ... Vor ihm fuhren mehrere Fahrzeuge, unter anderem der Beklagte zu 1. mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten PKW Renault 18. Hinter dem Wagen des Erstbeklagten befand sich ein Klein-LKW mit Kastenaufbau, danach folgten ein BMW und das Fahrzeug des Zeugen ... Kurz vor der Ortschaft ... wollte der Beklagte zu 1. nach links auf einen Waldparkplatz abbiegen. Er betätigte den Fahrtrichtungsanzeiger. Als die Gegenfahrbahn frei war, überholte der BMW den Klein-LKW sowie das Fahrzeug des Beklagten zu 1. Danach überholte der hinter dem BMW fahrende Zeuge ... den Klein-LKW. Als er etwa auf Höhe der Mitte dieses Fahrzeugs war, bemerkte er, daß sich vor dem LKW noch ein anderer Wagen - das Fahrzeug des Beklagten zu 1. - befand. Daraufhin entschloß sich der Zeuge, in die Lücke zwischen dem LKW und dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. einzuscheren.
Als sich der Zeuge ... hinter dem Wagen des Beklagten zu 1. befand, fuhr dieser auf den Gegenfahrstreifen, um abzubiegen. Dort kam es - etwa gegen 16.20 Uhr - zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Klägers, der die Gegenfahrspur befuhr, um ebenfalls zu überholen. Der Kläger überschlug sich mit seinem Wagen mehrmals. Er wurde aus dem Fahrzeug geschleudert und erlitt schwere Verletzungen. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Die Beklagte zu 2. zahlte vorprozessual auf die materiellen Schäden des Klägers 4.000,- DM und zur Abgeltung des Schmerzensgeldes 40.000,- DM.
Der Kläger hat Zahlung weiterer 3.200,- DM auf seinen materiellen Schaden von 4.500,- DM wegen eines Verdienstausfalles sowie von 95.000,- DM Schmerzensgeld gefordert. Die Beklagte zu 2. hat während des laufenden Berufungsverfahrens insgesamt weitere 22.500,- DM bezahlt.
Der Kläger hat sich darauf berufen, daß sich der Beklagte zu 1. nicht zur Mitte hin eingeordnet habe und mit seinem Fahrzeug zu weit rechts gefahren sei. Für ihn, den Kläger, sei das Fahrzeug des Beklagten vor dem Abbiegen nicht erkennbar gewesen. Erst nach dem Überholen des Klein-LKW habe er das Fahrzeug des Erstbeklagten bemerkt. Dieser sei abgebogen, ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten.
Der Kläger hat beantragt,
- 1
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 102.700,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1989 zu zahlen;
- 2
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger einen zukünftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Verkehrsunfall vom 4.12.1987 noch erwächst, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist, und zwar in Höhe einer Quote von 90 %.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben sich darauf gestützt, daß der Beklagte zu 1. seiner Absicht, nach links abzubiegen, dadurch Rechnung getragen habe, daß er die Geschwindigkeit herabgesetzt und sich zur Mittellinie eingeordnet habe. Der Beklagte zu 1. habe vor dem Abbiegen außerdem in den Spiegel und über die Schulter nach links zurückgeschaut. Dabei habe er ein zum Überholen ansetzendes oder im Überholvorgang befindliches Fahrzeug nicht gesehen. Die Beklagten haben behauptet, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt gewesen sei.
Das Landgericht hat über den Hergang des Unfalls Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18.8.1989 Bezug genommen.
Sodann hat das Landgericht durch Urteil vom 22.9.1989 erkannt, daß der mit dem Klageantrag zu 1. verfolgte Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens und auf Zahlung eines Schmerzensgeldes dem Grunde nach gerechtfertigt sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidung Bezug genommen. Dagegen haben die Beklagten in zulässiger Weise Berufung eingelegt und sich zur Begründung im wesentlichen darauf berufen, daß eine Haftung dem Grunde nach nicht im Streit gewesen sei. Außerdem treffe den Kläger ein erhebliches Mitverschulden, so daß eine Ersatzquote von 50 % zugrundezulegen sei.
Durch Urteil vom 2.5.1990 hat der Senat das Urteil des Landgerichts ... aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Senat darauf abgestellt, daß das Urteil unter verschiedenen verfahrensrechtlichen Mängeln leide. Außerdem seien wesentliche Umstände zum Unfallhergang noch nicht geklärt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Senatsurteils Bezug genommen.
Das Landgericht ... hat in der Folgezeit weiter Beweis erhoben über den Unfallhergang durch Einholung eines Gutachtens des ... und ... vom 28.3.1991. Außerdem hat es den Zeugen ... sowie die Eltern des Klägers als Zeugen vernommen. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das genannte Gutachten sowie die Sitzungsniederschrift vom 6.9.1991 verwiesen.
Durch Urteil vom 27.9.1991 hat das Landgericht die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 102.700,- DM nebst Zinsen verurteilt und außerdem festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger 90 % eines zukünftigen materiellen Schadens zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidung Bezug genommen.
Gegen dieses am 4.10.1991 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 4.11.1991 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel am 20.1.1992 begründet. Die Begründungsfrist wurde am 4.12.1991 bis zum 6.1.1992 und auf Antrag vom 6.1.1992 bis zum 20.1.1992 verlängert.
Die Beklagten meinen, den Kläger treffe ein zumindest hälftiges Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Es sei zweifelhaft, ob dem Beklagten zu 1. außer einer Verletzung seiner doppelten Rückschaupflicht auch angelastet werden könne, er habe sich nicht zur Mittellinie hin eingeordnet. Sie behaupten, der Beklagte habe den Wagen des Klägers erst in dem Moment erkennen können, als der PKW des Zeugen ... von der Gegenfahrbahn eingeschert sei. Unter diesen Umständen habe sich der Kläger schuldhaft verhalten, da er weder den zur Mittellinie eingeordneten Wagen des Beklagten zu 1. noch dessen Blinklicht beachtet und auch nicht gehupt habe. Der Kläger habe bei seinem Überholvorgang damit rechnen müssen, daß sich - aus seiner Sicht - hinter dem Klein-LKW noch weitere Fahrzeuge befanden. Im übrigen sei der Kläger offensichtlich nicht angeschnallt gewesen.
Die Beklagten beantragen,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit
- 1
sie als Gesamtschuldner zur Zahlung von mehr als 22.500,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1989 verurteilt sind,
- 2
ihre Verpflichtung festgestellt ist, dem Kläger als Gesamtschuldner mehr als 50 % eines zukünftigen materiellen Schadens zu ersetzen, der ihm aus dem Verkehrsunfall vom 4.12.1987 noch erwächst, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und verweist bezüglich des Verhaltens des Beklagten zu 1. auf die Angaben des Sachverständigen, die eindeutig seien. Er macht geltend, nicht er, sondern der Beklagte zu 1. habe bis zuletzt die Möglichkeit gehabt, den Unfall zu vermeiden. Die Verkehrssituation sei während des gesamten Überholvorgangs für ihn klar und eindeutig gewesen. Demgegenüber habe sich der Beklagte zu 1. nicht zur Mitte hin eingeordnet gehabt, so daß er hinter dem Aufbau des Klein-LKW auch nicht früher erkennbar gewesen sei.
Wegen des weiteren berufungsinstanzlichen Parteivorbringens wird ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt von Berufungsbegründung und Berufungserwiderung Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist überwiegend begründet. Eine zusammenfassende Würdigung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Beteiligten ergibt, daß der Kläger insgesamt 60 % seines Schadens von den Beklagten erstattet verlangen kann.
1.
Zu den anzuwendenden Rechtsvorschriften ist folgendes voranzuschicken: Da der Kläger den Unfall für sich als unabwendbar darstellt, müßten die Voraussetzungen von § 7 Abs. 2 StVG gegeben sein. Danach ist ein Ereignis im Straßenverkehr unabwendbar, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen Maßstab hinaus, wenn Unabwendbarkeit auch nicht absolute Unvermeidbarkeit bedeutet und die Frage der Vermeidbarkeit nicht rückschauend, sondern von der Sachlage vor dem Unfall aus zu beurteilen ist. Die Vorschrift setzt damit einen Kraftfahrer voraus, der besonders sorgfältig ist, jederzeit im Verkehr überlegene und gesammelte Aufmerksamkeit, Umsicht und Geistesgegenwart zeigt, und der sich bereits auf die durch Umstände nahegelegte Möglichkeit einrichtet, daß sich andere unrichtig oder ungeschickt verhalten (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 10.10.1972, NJW 1973, 44, 45 [BGH 10.10.1972 - VI ZR 104/71], sowie Urteil vom 5.5.1973, JZ 1973, 522, 523).
Da der Beklagte zu 1. nach links von der Straße abbiegen wollte, mußte er nicht nur links blinken, was er getan hat, sondern sich insgesamt so verhalten, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (§ 9 Abs. 5 StVO). Wer seine Absicht, nach links abzubiegen, ankündigt und sich eingeordnet hat, muß rechts überholt werden (§ 5 Abs. 7 S. 1 StVO). Für den Kläger war das Überholen zudem unzulässig bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO).
2.
Die Entstehung des Unfalls läßt sich anhand des vorgetragenen Sachverhalts sowie des Beweisergebnisses folgendermaßen rekonstruieren:
Zur Zeit des Unfalls - Freitag, 4.12.1987 gegen 16.20 Uhr - befuhren im Bereich der späteren Unfallstelle eine größere Zahl von Fahrzeugen die B. in Richtung .... Der Kläger hatte vor dem zum Unfall führenden Überholvorgang bereits mehrere andere Fahrzeuge überholt. Dies hat er in der Klageschrift (S. 2) selbst vorgetragen. Der Zeuge ... hat ebenfalls bekundet, weit hinter sich auf der Überholspur die Lichter des PKW Golf Cabrio des Klägers bemerkt zu haben, als er selbst bereits ausgeschert gewesen sei, um den Klein-LKW zu überholen; diese Lichter seien verhältnismäßig schnell herangekommen. Die Geschwindigkeit des auf der linken Spur fahrenden Klägers betrug zu dieser Zeit, jedenfalls kurz vor dem Zusammenstoß, ausweislich der Berechnungen des Sachverständigen ... in seinem Gutachten vom 28.3.1991 zwischen 96 und 110 km/h. Daß sich das Fahrzeug auf der Überholspur mit recht hoher Geschwindigkeit näherte, hat auch der Zeuge ... ausgesagt.
Die vor dem Kläger befindliche Kolonne bestand aus den Fahrzeugen des Zeugen ... dem BMW, dem Klein-LKW und dem PKW Renault 18 des Beklagten zu 1. Als erster scherte der BMW nach links aus und überholte sowohl den LKW als auch den Beklagten. Ihm folgte der Zeuge ... in seinem PKW nach. Als er ausgeschert war, sah er nach seiner Bekundung weit hinter sich die Lichter des Wagens des Klägers, und zwar auf der Überholspur. Gegenverkehr war offenbar auf einer längeren Strecke zu dieser Zeit nicht vorhanden. Als sich ... etwa auf gleicher Höhe mit dem LKW-Kastenwagen befand, bemerkte er plötzlich, daß vor dem LKW ein weiteres Fahrzeug fuhr, nämlich dasjenige des Beklagten zu 1. Daraufhin brach ... seinen Überholvorgang ab und scherte in eine größere Lücke ein, die sich zwischen dem Beklagten und dem LKW befand. Der Kläger fuhr dagegen geradeaus weiter und stieß mit dem Fahrzeug des Beklagten zusammen, als dieses in diesem Moment nach links abbog in Richtung auf den dort befindlichen Waldparkplatz. ... hat ausgesagt, der Beklagte zu 1. sei zwar relativ weit rechts gefahren, habe jedoch links geblinkt. Dies sei für ihn, Tinnemann, der Grund gewesen, vor dem Kastenwagen nach rechts einzuscheren. Der Zeuge hat weiter angegeben, er könne nicht bestätigen, daß der blinkende PKW sich zur Straßenmitte hin eingeordnet gehabt hätte. Als er diesen Wagen das erstemal gesehen habe, sei er "jedenfalls relativ weit rechts und nicht etwa zur Mitte eingeordnet" gewesen. Zu dieser Zeit, also als ... vor dem Kastenwagen einscherte, sei der nachfolgende Wagen des Klägers verhältnismäßig dicht aufgefahren, der Abstand habe etwa 6 m betragen. Diese Entfernungsangabe erscheint deshalb überzeugend, weil der Zeuge zunächst angegeben hatte, er schätze den Abstand etwa so groß, wie der Sitzungssaal des Landgerichts breit sei. Sodann hat er gesagt, er schätze etwa die Entfernung auf 6 m.
Noch während des Einscherens vor den Klein-LKW sowie unmittelbar danach hat ... sein Fahrzeug abgebremst. Er hat in diesem Zusammenhang ausgesagt, er habe gerade soeben einscheren können, ohne voll bremsen zu müssen. Sein Fahrzeug habe bereits gestanden, als es zur Kollision gekommen sei. Der Ort des Zusammenstoßes sei etwa 5 m vor seinen Augen gewesen. ... hatte, wie er weiter angegeben hat, keine Möglichkeit, an dem nach links blinkenden Wagen rechts vorbeizufahren. Das Fahrzeug sei dafür viel zu weit rechts gewesen. Der Zeuge hat außerdem bekundet, der Beklagte zu 1. habe nach dem Unfall der Polizei gegenüber erklärt, er verstehe nicht, weshalb der BMW ihn, den Beklagten, noch überholt habe.
Diese Aussage des Zeugen ... die dieser inhaltsgleich bereits am 22.12.1987 gegenüber der Polizei gemacht hatte, erscheint glaubhafter als diejenige des Zeugen ... des Beifahrers des Beklagten zu 1. ... hat angegeben, der Beklagte habe nicht nur links geblinkt, sondern sich auch auf der rechten Fahrspur nach links eingeordnet. Die linken Räder des Fahrzeugs hätten die Markierung der Fahrbahnmitte allerdings noch nicht berührt. Derartige Wahrnehmungen durften dem Zeugen indes vom Beifahrersitz aus kaum möglich gewesen sein. Ebenfalls spricht gegen die objektive Richtigkeit der Aussage des Zeugen ... daß es dem Zeugen in dieser Fahrsituation - der Beklagte zu 1. wollte auf der stark befahrenen Bundesstraße nach links in einen Parkplatz einbiegen - nach seiner Angabe nicht in Erinnerung geblieben ist, ob der Wagen des Beklagten eventuell kurz vor dem Unfall noch von einem anderen Fahrzeug überholt worden ist. Bei diesem Fahrzeug handelte es sich um den PKW BMW. Das Überholen eines zur Fahrbahnmitte eingeordneten und links blinkenden Wagens ist nicht nur verboten, sondern darüber hinaus auch für die Insassen des überholten Fahrzeugs so gefährlich, daß diese ein derartiges riskantes Fahrmanöver wohl kaum vergessen haben können.
Der Kläger war mit seinem PKW Golf verhältnismäßig dicht (bis auf ca. 6 m) auf den vor ihm fahrenden PKW ... aufgefahren, als ... vor dem Kastenwagen nach rechts einscherte. Der Kläger hatte zu dieser Zeit nach dem Sachverständigengutachten etwa eine Geschwindigkeit von 96 bis 110 km/h. Auch in dieser Situation hätte der Kläger den Unfall möglicherweise noch verhindern können. Zwar hat der Sachverständige ... in seinem Gutachten ausgeführt, der Kläger habe "allem Anschein nach prompt auf das erkennbare Abbiegemanöver reagiert". Die Geschwindigkeit des Golf lag im Zeitpunkt der Kollision bei 25 bis gut 30 km/h, wie dem Gutachten ebenfalls zu entnehmen ist. Der Kläger hätte aber vorher durch ein Hupsignal den Beklagten zu 1. noch warnen und zu einem Ausweichen nach rechts veranlassen können (vgl. §§ 5 Abs. 5, 16 Abs. 1 StVO). Zusätzlich muß der Kläger sich entgegenhalten lassen, daß er infolge seines bereits einige Zeit zuvor begonnenen "allgemeinen Überholmanövers", der nicht unerheblichen Geschwindigkeit sowie dem sehr dichten Auffahren auf den PKW ... zum Unfallgeschehen beigetragen hat. Der Kläger konnte nicht erkennen, ob sich von ihm aus gesehen hinter dem Klein-LKW, der einen Kastenaufbau hatte, noch weitere Wagen befanden, die möglicherweise ebenfalls nach links ausscheren wollten bzw. ein derartiges Fahrmanöver (z.B. zum Zweck des Überholens) bereits begonnen hatten. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte befand sich der Kläger in einer unklaren Verkehrslage, weil er infolge seines Überholvorgangs und seines zu dichten Auffahrens auf den PKW ... den Verkehrsraum vor dem LKW nicht hinreichend übersehen konnte. Der Unfall war daher für den Kläger nicht unabwendbar. Den Kläger trifft darüber hinaus ein Mitverschulden bei seiner Entstehung. Der Senat hat in seinem Urteil vom 2.5.1990 bereits darauf hingewiesen, daß der Überholvorgang eine erhebliche Gefahrenquelle bedeutet und daß in erster Linie der Überholende für den gefahrlosen Verlauf verantwortlich ist (BGH VersR 1975, 331, 332 [BGH 26.11.1974 - VI ZR 10/74]). Gegenüber diesem Umstand erscheint es hier weniger bedeutsam, daß sich der Kläger als überholender Kraftfahrer in der Regel darauf verlassen durfte, daß sich ein Vorausfahrender verkehrsgerecht verhält (BGH VersR 1987, 358 [BGH 09.12.1986 - VI ZR 138/85]). Insbesondere hätte der Kläger auch deshalb Veranlassung zu einem anderen Fahrverhalten gehabt, weil ihm das Bremsmanöver des Zeugen ... bei und nach dessen Einscheren vor dem LKW nicht entgangen sein kann. ... muß ziemlich stark gebremst haben, da sein Fahrzeug bereits stand, als sich etwa 5 m davor der Zusammenstoß ereignete.
Für die Frage der Vermeidbarkeit des Unfalls kommt es nicht nur darauf an, ob der Kläger den Unfall, nachdem er den beginnenden Abbiegevorgang des Beklagten zu 1. bemerkt hatte, noch vermeiden konnte oder nicht. Ein sorgfältigerer Fahrer wäre in der konkreten Verkehrssituation nicht so nah auf den PKW ... aufgefahren, daß er überhaupt in die nachfolgend von ihm nicht mehr hinreichend beherrschte Situation geraten konnte. In diesem Fall wäre der Unfall auch vom Kläger vermieden worden. In dieser Feststellung liegt zugleich ein Schuldvorwurf gegenüber dem Kläger.
3.
Eine Bewertung des Unfallgeschehens einschließlich der Verschuldensbeiträge beider Seiten setzt grundsätzlich die Beantwortung der weiteren Frage voraus, ob der Kläger angeschnallt gewesen ist oder nicht. Der Sachverständige hat ausgeführt, es lasse sich von vornherein feststellen, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht angeschnallt war. Diesen Ausführungen des Sachverständigen stehen die Bekundungen der Zeugen ... und der Eltern des Klägers entgegen. Danach soll der behandelnde Arzt ... gegenüber der Zeugin ... auf dem Vorflur der Intensivstation gesagt haben, der Kläger habe im Schulterbereich und auch im Beckenbereich typische Gurtverletzungen. Diese Verletzungen könnte er, wenn sie tatsächlich von dem - leider nicht untersuchten - Gurt stammen sollten, nur gehabt haben, wenn er angeschnallt gewesen ist. Damit in Widerspruch scheint die Tatsache zu stehen, daß der Kläger aus dem Fahrzeug herausgeschleudert wurde. Auch wenn man nicht ohne weiteres wird sagen können, daß die Erwägungen des Sachverständigen als widerlegt angesehen werden können, wie es das Landgericht getan hat, wird zumindest der von den Beklagten zu erbringende Beweis nicht als geführt angesehen werden können.
Letztlich kommt es aber nicht darauf an, ob der Kläger angeschnallt war oder nicht. Der Sachverständige ... hat nämlich auch ausgeführt, der Kläger hätte im angeschnallten Zustand ebenfalls schwerste Kopfverletzungen erlitten, zusätzlich wären schwere Schäden im Halswirbelbereich und im Bereich der Wirbelsäule zu erwarten gewesen. Diese erheblichen Verletzungen hätte sich der Kläger dadurch zugezogen, daß sein oberer Kopfbereich (Kopf/Halswirbelsäule) beim Sichüberschlagen des Cabriolets mit den oberen Körperpartien über den Untergrund (Straßenoberfläche) mit der gleichen Geschwindigkeit geschrammt wäre wie der in die Endlage rutschende PKW. Unter Berücksichtigung der starken Verformungen der vorderen Dachkante könnte nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger, wäre er angeschnallt gewesen, geringere Verletzungen erlitten hätte. Diese nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen bedeuten, daß sich ein etwaiges Mitverschulden des Klägers, das beim Verstoß gegen die Anschnallpflicht vorliegen würde, nicht schadenserhöhend ausgewirkt hätte. Aus diesem Grund kann die Frage, ob der Kläger angeschnallt war oder nicht, letztlich offen bleiben.
4.
Bei der für die Haftung zugrundezulegenden Quote der beiderseitigen Verursachung und des beiderseitigen Verschuldens sind im wesentlichen folgende Umstände entscheidend: Der Beklagte zu 1. ist nach links abgebogen, obwohl er sich nicht hinreichend vergewissert hatte, daß er dies gefahrlos tun könne; er hat seiner doppelten Rückschaupflicht nicht genügt, da er anderenfalls den Wagen des Klägers hätte sehen müssen. Außerdem ist davon auszugehen, daß der Beklagte zu 1. sich nicht deutlich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet hatte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte der Beklagte zu 1. den Zusammenstoß bis zuletzt problemlos vermeiden können, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hätte. Zu erhöhter Aufmerksamkeit bestand für den Beklagten deshalb Anlaß, weil er unmittelbar vorher von dem BMW überholt worden war, obwohl er seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hatte. Das ergibt sich aus der Bekundung des Zeugen ... der Beklagte zu 1. habe gegenüber der Polizei erklärt, er verstehe nicht, weshalb der BMW ihn noch überholt habe.
Zu Lasten des Klägers fällt ins Gewicht, daß dieser im Zuge eines schon vor längerer Zeit begonnenen Überholvorgangs mit hoher Geschwindigkeit so nah auf den vor ihm auf der Überholspur befindlichen PKW des Zeugen ... auffuhr, daß er den Verkehrsraum davor nicht hinreichend überblicken konnte, zumal die rechte Fahrspur durch den Aufbau des Klein-LKW's verdeckt war. In dieser für ihn unklaren Verkehrssituation hätte er seinen Überholvorgang nicht unverändert fortsetzen dürfen.
Unter Berücksichtigung dieses tatsächlichen Geschehens erscheint dem Senat eine Quotierung von 60: 40 zu Lasten des Beklagten zu 1. angemessen. Beide Fahrzeugführer haben in erheblichem Umfang gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung verstoßen. Dabei ist dem Beklagten zu 1. ein geringfügig höheres Fehlverhalten vorzuwerfen, so daß die genannte Quote gerechtfertigt ist.
5.
Der Kläger kann ein Schmerzensgeld von insgesamt 80.000,- DM verlangen, auf das die Beklagten vorgerichtlich bereits 40.000,- DM und während des Berufungsverfahrens weitere 20.000,- DM gezahlt haben. Ein Schmerzensgeld in dieser Höhe ist unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen zugebilligten Beträge angemessen. Zu berücksichtigen sind einerseits die schweren Verletzungen, die der Kläger erlitten hat und die im Tatbestand des angefochtenen Urteils im einzelnen dargestellt sind. Andererseits fallen die erheblichen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge des Beklagten zu 1. sowie auch des Klägers selbst ins Gewicht. Nach dem neurologischen Gutachten von ... vom 15.11.1988 muß auf Dauer mit einer Minderung der Arbeitsfähigkeit des Klägers von 70 bis 80 % gerechnet werden; eine vollkommene Ausheilung der Unfallfolgen sei unwahrscheinlich. Der Umstand, daß der Kläger sein zunächst unterbrochenes Studium der Wirtschaftswissenschaften inzwischen mit Erfolg abgeschlossen hat, ist entgegen der Ansicht der Beklagten für die Höhe des Schmerzensgeldes demgegenüber ohne Bedeutung. Soweit sich zukünftig der Gesundheitszustand des Klägers weiter verbessert, was in seinem Interesse zu hoffen ist, mag dies Auswirkungen auf die künftigen Verdienstmöglichkeiten im Rahmen des geltend gemachten Feststellungsantrags haben.
Der Kläger hat einen der Höhe nach unstreitigen materiellen Schaden (ohne Verdienstausfall) von 8.000,- DM erlitten. Davon müssen die Beklagten ihm 60 %, also 4.800,- DM erstatten. Abzüglich des vorprozessual gezahlten Betrages von 4.000,- DM verbleibt ein Rest von 800,- DM.
Auch der Verdienstausfall von insgesamt 5.000,- DM ist nunmehr unstreitig, 60 % dieses Betrages sind 3.000,- DM, die die Beklagten ersetzen müssen, 2.500,- DM haben sie darauf bereits während des Berufungsverfahrens gezahlt.
Insgesamt standen dem Kläger damit noch 43.800,- DM zu: 40.000,- DM Schmerzensgeld, 800,- DM materieller Schaden sowie 3.000,- DM Verdienstausfall. Abzüglich der inzwischen gezahlten 22.500,- DM verbleiben jetzt noch 21.300,- DM plus Zinsen.
Der Feststellungsanspruch ist entsprechend der obengenannten Schadensverteilung in Höhe von 60 % begründet. Daß der Kläger auch weiterhin einen unfallbedingten materiellen Schaden befürchten muß, ergibt sich einerseits aus dem ärztlichen Gutachten von ... und andererseits aus dem Umstand, daß der Kläger, wie er in der Senatsverhandlung erklärt hat, trotz seines erfolgreich abgeschlossenen Studiums bisher wegen der Unfallfolgen lediglich eine Anstellung im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erhalten hat.
6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Entsprechend dem Senatsurteil vom 2.5.1990 bleiben die Gerichtskosten für das erste berufungsgerichtliche Verfahren und die Gebühren für das landgerichtliche Grundurteil vom 22.9.1989 niedergeschlagen. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.