Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 10.12.1992, Az.: 1 U 23/92

Gesamtschuldnerische Haftung von Anwaltssozii wegen einer positiven Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages; Feststellung des durch die Pflichtverletzung verursachten Schadens; Einzelne Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
10.12.1992
Aktenzeichen
1 U 23/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 14962
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1992:1210.1U23.92.0A

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz und Rückzahlung entrichteter Rechtsanwaltsgebühren

Prozessführer

Kaufmann XX

Rechtsanwälte HM

Prozessgegner

1. Rechtsanwalt und Notar XX
2. Rechtsanwalt XX beide geschäftsansässig

Rechtsanwalt XX

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig

durch

den Präsidenten des Oberlandesgerichts HU sowie

die Richter am Oberlandesgericht [... ] und [... ]

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. November 1992

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts [... ] 18.03.1992 abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger insgesamt 1.747,32 DM nebst 12% Zinsen seit dem 26.11.1991 zu zahlen.

Die weiter gehende Klage bleibt abgewiesen, die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des gesamten Rechtsstreits tragen der Kläger 74% und die Beklagten als Gesamtschuldner 26%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

1

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur teilweise begründet. Einem Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 3.728,64 DM steht eine Aufrechnungsforderung der Beklagten von 1.981,32 DM gegenüber.

2

1.

Die Parteien streiten im Wesentlichen um den […] bei dem der Kläger sich den größten Schaden errechnet hat. Für die Frage, ob die Beklagten als Anwaltssozii dem Kläger gesamtschuldnerisch wegen einer positiven Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages haften, ist zunächst zur Rechtslage Folgendes voranzustellen:

3

Der Rechtsanwalt ist kraft des Anwaltsvertrages verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen (BGH NJW 1987, 1322, 1323 [BGH 05.02.1987 - IX ZR 65/86];  1988, 2880, 2881 [BGH 17.03.1988 - IX ZR 43/87]m. w. N. ). Der Anwalt muss prüfen, ob das Begehren seines Mandanten bei dem ihm vorgetragenen Sachverhalt Erfolg haben kann. Er ist demgemäß, soweit sein Auftraggeber nicht unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedürfe, zu allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrungen verpflichtet; dabei muss er die Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlass gibt, darlegen und erörtern. Ist eine vom Mandanten beabsichtigte Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt von der Klageerhebung abraten. Wünscht der Mandant dennoch die Klage, muss der Anwalt das Prozessrisiko klar herausstellen. Auch dann, wenn das Begehren des Mandanten auf Grund einer gut vertretbaren Rechtsauffassung zwar Erfolg haben kann, die Rechtslage aber dennoch zweifelhaft ist, weil sich etwa eine gefestigte Rechtsprechung noch nicht gebildet hat, muss der Anwalt gegenüber seinem Auftraggeber Zweifel und Bedenken, zu denen die Rechtslage Anlass gibt, darlegen und erörtern und die weiteren Schritte von der nach dieser Belehrung zu treffenden Entscheidung des Mandanten abhängig machen (vgl. insgesamt BGH NJW 1961, 601, 602 [BGH 21.11.1960 - III ZR 160/59]; BGHZ 97, 372, 376) [BGH 17.04.1986 - IX ZR 200/85]. Über die für die Ausübung seines Berufs erforderlichen Rechtskenntnisse muss der pflichtbewusste und gewissenhafte durchschnittliche Rechtsanwalt verfügen. Er hat sich jedenfalls über die Rechtsprechung der obersten Gerichte, die in den amtlichen Sammlungen und den für seine Tätigkeit wesentlichen Zeitschriften veröffentlicht ist, unverzüglich zu unterrichten (BGH NJW 1983, 1665;  1979, 877; Urteil vom 09.07.1992 -IX ZR 209/91-).

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In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass derjenige, der seinen Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, weil dieser seine Pflichten nicht gehörig erfüllt habe, für dieses Unterlassen die Beweislast trage, auch wenn ihm dabei der Beweis einer negativen Tatsache aufgebürdet werde. Die Schwierigkeit des sog. Negativbeweises ist dadurch zu beheben, dass der Anwalt nach Lage des Falles die Behauptung substantiiert bestreiten und der die Beweislast tragende Anspruchsteller die Unrichtigkeit der Gegendarstellung beweisen muss. Der Rechtsanwalt kann sich nicht damit begnügen, eine Pflichtverletzung zu bestreiten oder ganz allgemein zu behaupten, er habe den Mandanten ausreichend unterrichtet. Vielmehr muss er den Gang der Besprechung im Einzelnen schildern, insbesondere konkrete Angaben darüber machen, welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt und wie der Mandant darauf reagiert hat (vgl. insgesamt BGH NJW 1987, 1322, 1323) [BGH 05.02.1987 - IX ZR 65/86].

5

Zur Beantwortung der Frage, welchen Schaden eine Pflichtverletzung zur Folge hat, ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten und wie die Vermögenslage des Betroffenen sein würde, wenn der Pflichtenverstoß nicht begangen, sondern wenn pflichtgemäß gehandelt worden wäre. Der Mandant ist bei der Schadensersatzleistung so zu stellen, wie er bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts stünde. Zu fragen ist also, wie sich das Vermögen des Mandanten im Vergleich zum tatsächlichen Ablauf entwickelt hätte, wenn der Anwalt zutreffend über die Rechtslage belehrt hätte (vgl. insgesamt BGH NJW 1988, 2880, 2881 [BGH 17.03.1988 - IX ZR 43/87]; WM 1988, 1454, 1455; NJW 1990, 2127, 2128) [BGH 29.03.1990 - IX ZR 24/88].

6

2.

Ihm Rahmen des [...] kann den Beklagten eine Pflichtverletzung nicht zur Last gelegt werden bzgl. des vom Kläger behaupteten Telefongesprächs am 04.09.1989. Die Beklagten bestreiten, dass der Beklagte zu 2. dem Kläger in einem derartigen Telefongespräch erklärt habe, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber [...] sei wirksam. Sie haben das auch bereits erstinstanzlich bestritten. Die erstinstanzlich vom Kläger für den Inhalt dieses Telefongesprächs als Zeugin benannte [... ] brauchte nicht vernommen zu werden, da diese, wie der Kläger selbst erklärt hat, nicht den Wortlaut des gesamten Gesprächs, insbesondere nicht die angeblichen Angaben des Beklagten zu 2. mit angehört hat. Das Bestreiten der Beklagten bzgl. des Inhalts des behaupteten Telefonats ist auch nicht unzulässig. Es kann nicht erwartet werden, dass ein Rechtsanwalt über alle von ihm geführten Telefongespräche ausführliche Aktenvermerke fertigt, um diese später ggf. zu Beweiszwecken benutzen zu können. Eine derartige Dokumentationspflicht wäre eine Übersteigerung der dem Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber obliegenden Aufgaben. Das gilt erst recht, da, wie die Parteien übereinstimmend vorgetragen haben, über einen langen Zeitraum ständig Telefongespräche zwischen dem Kläger und den Beklagten stattgefunden haben.

7

Selbst wenn man annehmen würde, dass das Telefongespräch am 04.09.1989 mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt geführt worden ist, stünde dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nicht zu. Denn es ist davon auszugehen, dass die angebliche Auskunft, das Kündigungsschutzgesetz gelte für den kleinen Betrieb des Klägers nicht, nicht ursächlich für den behaupteten Schaden des Klägers war. Der Gesichtspunkt der Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung konnte unter Berücksichtigung der damals bekannten Sach- und Rechtslage sowohl für den Kläger als auch für die Beklagten so aussichtsreich erscheinen, dass der Kläger die - ohne vorherige anwaltliche Beratung- erklärte Kündigung schwerlich "zurückgenommen" hätte. Auf diesen Gesichtspunkt wird an anderer Stelle vertiefend eingegangen werden.

8

Eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung ist den Beklagten auch nicht in der Folgezeit vorzuwerfen. Die Beklagten haben den Kläger beginnend mit dem Schriftsatz vom 08.01.1990 in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen [... ] vertreten (Arbeitsgericht [...] 3 Ca 525/89). Zwar mögen die Ausführungen in diesem Schriftsatz im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft von [... ] und der fehlenden vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle sowie die Bemerkungen zur sog. Ausgleichsquittung fehlerhaft sein. Die Verteidigung gegen die Kündigungsschutzklage konnte aus der Sicht der Beklagten aber dennoch aussichtsreich erscheinen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ihres Schriftsatzes war nämlich die nach Meinung der Beklagten und auch des Klägers von Frau [... ] vor Abschluss des Arbeitsvertrages begangene arglistige Täuschung über ihre Schwerbehinderung. Im vorliegenden Rechtsstreit behaupten die Beklagten unwidersprochen, der Kläger habe ihnen gegenüber immer erklärt, [...] habe vor Abschluss des Arbeitsvertrages den Fragebogen ausgefüllt und die entsprechenden Angaben verschwiegen. Das Arbeitsgericht [... ] hat in seinem Urteil vom 21.02.1990 demgegenüber ausgeführt, dass der Arbeitsvertrag bereits mündlich zustandegekommen sei, bevor [... ] den Fragebogen ausgefüllt habe. Zu dieser Einschätzung ist das Gericht auf Grund einer in der mündlichen Verhandlung vom 21.02.1990 vom Beklagten des dortigen Verfahrens, also [... ]überreichten Schreibens vom 31.10.1988 gelangt. Dieses Schreiben an [...] hat das Gericht als Bestätigung des mündlich geschlossenen Arbeitsvertrages angesehen. In ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 01.06.1990 an das Landesarbeitsgericht [... ] haben die Beklagten diese Auslegung des genannten Schreibens durch das Arbeitsgericht beanstandet und mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten ihre gegenteilige Auffassung dargelegt. So gehe aus dem Schreiben vom 31.10.1988 hervor, dass der Kläger Wert gelegt habe auf die Beantwortung der Fragen im Personalbogen; da [...] eine Tätigkeit mit erheblicher körperlicher Belastung habe ausüben sollen, sei die Frage nach einer Schwerbehinderung auch keineswegs bedeutungslos gewesen. Tatsächlich erscheint die Auslegung des Arbeitsgerichts, der sich auch das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 07.09.1990 angeschlossen hat, wohl keineswegs zwingend. Der Kläger hat [...] in diesem Schreiben u.a. mitgeteilt, dass er sie als Küchenhilfe "einstellen werde"und dass der "vorläufige" Einstellungstermin der 09. oder 10, November 1988 sein werde. Der Kläger hat sie sodann gebeten, "zur Erstellung eines Arbeitsvertrages"den beiliegenden Personalbogen auszufüllen und zurückzusenden. Die Argumentation der Beklagten erscheint unter diesen Umständen sowie zusätzlich auch der Vorschrift des § 154 Abs. 2 BGB - die Vorschrift gilt auch für die Errichtung einer privatschriftlichen Urkunde (Palandt-Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 154 Anm. 2 a)- nicht als Pflichtverletzung gegenüber dem Kläger. Es ging den Beklagten um die Auslegung des genannten Schreibens. Die von ihnen hierzu vertretene Auffassung war keineswegs von vornherein abwegig.

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Außerdem scheitert ein Schadensersatzanspruch des Klägers auch daran, dass die Kausalität zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Schaden des Klägers nicht feststellbar ist. Die Rechtsprechung hat den Grundsatz entwickelt, dass bei Verletzung einer Aufklärungs-, Warnungs- oder Beratungspflicht der Verletzer die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass sich der Verletzte auch bei pflichtgemäßer Belehrung nicht anders verhalten hätte, als er sich ohne die Belehrung tatsächlich verhalten hat; dieser Grundsatz gilt auch für die Verletzung anwaltlicher Aufklärungspflichten (vgl. BGH NJW 1990, 2127, 2128 [BGH 29.03.1990 - IX ZR 24/88] m. w. N. ). Wenn man annehmen würde, dass die Beklagten im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzprozess ihre Anwaltspflichten gegenüber dem Kläger schuldhaft verletzt hätten, dürfte dieser Beweis als geführt anzusehen sein. Den Beklagten wäre nämlich nur vorzuwerfen, dass sie den Kläger bzgl. der erklärten Anfechtung des Arbeitsvertrages nicht über etwaige Zweifelsfragen zur Auslegung des Schreibens vom 30.10.1988 unterrichtet haben. Wenn sie da® Kläger dieses Auslegungsproblem und das damit zusammenhängende Prozessrisiko mitgeteilt hätten, hätte der Kläger aber nicht "die Kündigung zurückgenommen" und [... ] vorbehaltlos weiterbeschäftigt. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger, ohne vorher überhaupt anwaltlichen Rat einzuholen, das Arbeitsverhältnis gegenüber [... ] am 31. 08. und 01.09.1989 immerhin zwei Mal gekündigt hat. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat sich verschiedentlich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber nach Ausspruch einer -unwirksamen- Kündigung der» Annahmeverzug beenden kann. Es ist inzwischen anerkannt, dass der Arbeitgeber erklären muss, er wolle gerade die dem Arbeitnehmer obliegende, also die vertraglich geschuldete Leistung abnehmen. Befindet sich der Arbeitgeber nach der Kündigung in Annahmeverzug, kann er diesen nur dadurch beenden, dass er die Folgen der unwirksamen Kündigung wieder beseitigt. Der Arbeitgeber muss also erklären, er nehme die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers auf Grund des noch bestehenden Arbeitsvertrages an. Er hat damit klarzustellen, dass die Kündigung zu Unrecht erfolgt ist (BAG AP Nr. 32 u. Nr. 39 zu § 615 BGB, jew. m. w. N. ). Vorliegend ist auch darauf abzustellen, dass der Beklagte zu 1. seit mehr als zehn Jahren ständig anwaltliche Mandate für den Kläger wahrgenommen hat. Zwischen dem Kläger und der Anwaltskanzlei der Beklagten bestanden also gleichsam ständige Geschäftsbeziehungen. Wenn der Kläger von den Beklagten über die dargestellten Zweifel zur Auslegung des Schreibens vom 31.10.1988 informiert und wenn ihm zusätzlich gesagt worden wäre, dass der Ausgang des Rechtsstreits von diesem Problem abhängen könne, dann hätte der Kläger wohl kaum die zur Beseitigung seines Annahmeverzuges erforderlichen Erklärungen abgegeben, insbesondere nicht eingestanden, dass die von ihm an zwei Tagen hintereinander ausgesprochene Kündigung zu Unrecht erfolgt sei. Für den Kläger wären diese Informationen nicht so negativ gewesen, dass er dadurch veranlasst sogleich "die Segel gestrichen"hätte. Gewisse Risiken sind erfahrungsgemäß mit nahezu jedem Prozess verbunden. Die Gefahr, im Rechtsstreit mit [...] zu unterliegen, musste dem Kläger nicht so groß erscheinen, als dass er überhaupt keine Aussicht für einen positiven Ausgang gesehen hätte. Zu dieser Einschätzung trägt maßgeblich auch bei, dass der Kläger sich von [...] trennen wollte, weil er mit ihrer Arbeitsleistung nicht mehr zufrieden war. Dies hat er in der Berufungsbegründung selbst erklärt. Unter diesen Umständen "besteht eine tatsächliche Vermutung für einen erfahrungsgemäßen Ablauf" (BGH NJW 1983, 1665, 1666) [BGH 29.03.1983 - VI ZR 172/81], dass der Kläger sich bei pflichtgemäßer Belehrung nicht anders verhalten hätte, als er sich ohne die Belehrung tatsächlich verhalten hat.

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3.

Der Kläger hat in der Folgezeit einen weiteren Arbeitsgerichtsprozess mit [...] geführt, und zwar in Anspruch genommen wegen des Verzugslohnes in Höhe von 19.312,47 DM (Arbeitsgericht [... ] 3 Ca 478/90). Die Beklagten haben sich auch im Zusammenhang mit ihrem Verhalten in diesem Rechtsstreit nicht schadensersatzpflichtig gemacht. Mit Schreiben vom 07.11.1990 bat der Kläger den Beklagten zu 1. unter Beifügung zweier Klagen, in dieser Sache "alles Notwendige zu veranlassen". Die Beklagten antworteten unter dem 15.11.1990 dahingehend, dass sie diese Bitte als "Mandatsauftrag zur Abweisung" der (damals noch nicht verbundenen) Klagen verstünden. Für den Fall, dass diese Deutung nicht richtig sei, baten sie um schriftliche Mitteilung. In diesem Schreiben teilten sie dem Kläger zugleich mit, dieser möge sich darauf einstellen, die Ansprüche von [...] erfüllen zu müssen. Dennoch hat der Kläger in der Folgezeit die erhobenen Forderungen weder freiwillig bezahlt noch die Beklagten angewiesen, sie anzuerkennen. Kurz danach erfolgte die Kündigung aller den Beklagten erteilten Mandate. Der Rechtsstreit ist dann durch Urteil des Arbeitsgerichts gegen den Kläger beendet worden. Da die Beklagten den Kläger deutlich vor den für ihn mit der Verteidigung gegen die Klage verbundenen Risiken gewarnt haben, liegt ein Pflichtenverstoß nicht vor. Die Beklagten durften unter diesen Umständen die Vertretung in dem Rechtsstreit übernehmen und weiterführen, ohne einen Verstoß gegen ihre Mandatspflicht zu begehen (vgl. BGHZ 97, 372, 376) [BGH 17.04.1986 - IX ZR 200/85]. Insgesamt ergibt sich damit, dass dem Kläger aus dem [...] kein Schadensersatzanspruch zusteht.

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Der Kläger kann im Rahmen der Abrechnung seiner Einzelpositionen dieses Komplexes auch nicht Rückzahlung von 627,00 DM Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Diese Gebühren schuldete er den Beklagten für die Vertretung im Kündigungsschutzprozess; er hat den Betrag auch bezahlt. Soweit das Landgericht auf S. 6 des angefochtenen Urteils Ausführungen zu diesem Gebührenanspruch der Beklagten macht, handelt es sich um die -später zu behandelnde- Frage, ob die Beklagten berechtigt waren, den Betrag von 627,00 DM von dem an sie zurücküberwiesenen Hinterlegungsbetrag wegen eigener Forderungen abzuziehen.

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4.

Im [... ] geht es um das eben skizzierte Problem, ob die Beklagten eigene Forderungen hatten, die sie mit dem auszukehrenden Hinterlegungsbetrag verrechnen konnten. Die Forderungen sind im Einzelnen im Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 13.08.1990 mit Anlage abgerechnet.

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Zunächst geht es um den genannten Gebührenanspruch der Beklagten aus dem Arbeitsrechtsstreit [...] in Höhe von 627,00 DM. Das Landgericht hat insoweit einen Bereicherungsanspruch des Klägers angenommen, da der Betrag zuvor bereits gezahlt gewesen sei. Die Beklagten haben diese Ausführungen nicht beanstandet.

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Sodann haben die Beklagten eine Gebührenforderung geltend gemacht für die zweite Instanz desselben Arbeitsgerichtsverfahrens in Höhe von 857,05 DM. Mit Ausnahme eines Teilbetrages von 61,56 DM, den das Landgericht abgesetzt hat - die Beklagten haben das ebenfalls nicht angegriffen-, bestand dieser Gebührenanspruch gegen den Kläger, sodass die Aufrechnung insoweit begründet war.

15

Die Parteien streiten ferner um Gebühren von 870,45 DM für verschiedene Rechtsschutzanmeldungen, die die Beklagten für den Kläger vorgenommen haben. Gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO steht dem Rechtsanwalt für jede derartige Anmeldung bei einer Rechtsschutzversicherung eine 5/10-Gebühr zu. Es ist unstreitig, dass die Beklagten seit mehr als zehn Jahren in ähnlicher Weise für den Kläger tätig waren, allerdings immer, ohne Gebühren geltend zu machen. Unter diesen Umständen hätten die Beklagten den Kläger frühzeitig informieren müssen, wenn sie entgegen ihrer bisherigen Gepflogenheit von einem bestimmten Zeitpunkt an nunmehr Gebühren für diese Tätigkeit verlangen wollten. Das haben sie nicht getan. Daher ist das Zahlungsverlangen der Beklagten treuwidrig, sodass ein entsprechender Rückzahlungsanspruch des Klägers begründet ist.

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Außerdem geht es um Gebühren in Höhe von 563,16 DM für die Durchführung des Verwaltungsrechtsstreits 4 A 4271/90. Das Landgericht hat von dieser Forderung bereits 379,62 DM als unberechtigt abgesetzt; die Beklagten beanstanden das nicht. Die restlichen 183,54 DM stehen den Beklagten auch nach Ansicht des Klägers zu. Insoweit war also die Aufrechnung begründet.

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Die Beklagten haben ferner 882,70 DM abgesetzt als Gebührenforderung für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens gegen die Stadt [... ] (Verwaltungsgericht [... ] 2 A 2103/89). In jenem Rechtsstreit hatte das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 23.11.1989 einen Bescheid der Stadt [... ] aufgehoben, mit dem dem Kläger die Zahlung eines Ablösungsbetrages für Einstellplätze aufgegeben war. Die Beklagten hatten unter dem 29.11.1989 entsprechend dem gesetzlichen (Anfang ihres Mandats (vgl. § 37 Nr. 7 BRAGO) die Festsetzung ihrer Anwaltskosten gegen die Stadt beantragt. Sie haben dabei offenbar vergessen, auch die Festsetzung der Kosten ihres Tätigwerdens im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren zu beantragen. Diesen Antrag haben sie erst am 06.02.1992 gestellt. Zwischenzeitlich haben sie die geltend gemachten Gebühren in Höhe von 882,70 DM von der Stadt erhalten. Unter diesen Umständen ist es ohne Bedeutung, dass im November 1990 sämtliche den Beklagten erteilten Mandate des Klägers durch Kündigung erloschen sind. Die Beklagten hatten nach Abschluss jenes Rechtsstreits im Spätherbst 1989 vergessen, ihre Gebühren gegen die Stadt geltend zu machen. Dem Kläger stand wegen dieser Schlechterfüllung des Anwalt s Vertrages ein Schadensersatzanspruch zu, der sich nach der Aufrechnung durch die Beklagten in einen Bereicherungsanspruch umgewandelt hat.

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Die letzte Position betrifft eine Hebegebühr nach § 22 BRAGO in Höhe von 178,31 DM, die die Beklagten dafür geltend gemacht haben, dass die Hinterlegungssumme aus dem Rechtsstreit Firma [... ] an sie ausgezahlt worden ist. Der Kläger kann Rückzahlung dieses Betrages verlangen. Aus den Hinterlegungsakten 83 HL 16/90 des Amtsgerichts [...] ergibt sich dazu Folgendes: Nachdem das Oberlandesgericht Braunschweig die Klage durch Urteil vom 23.05.1990 rechtskräftig abgewiesen hatte, teilten die Beklagten dem Amtsgericht mit, der Kläger wolle sich das von ihm hinterlegte Geld in bar abholen. Das Amtsgericht informierte die Beklagten darüber, dass eine Barauszahlung in diesem Fall nicht möglich sei; es bat um die Angabe der Bankverbindung des Klägers. Am 16.07.1990 teilte der Kläger persönlich der Hinterlegungsstelle seine Bankverbindung mit. Nunmehr erschien am 24.07.1990 der Beklagte zu 1. selbst beim Amtsgericht und bat um Auszahlung des Geldes auf sein Postgirokonto. Er legte eine Formular-Prozessvollmacht mit dem üblichen vorgedruckten Inhalt vom 19.06.1990 vor, die den handschriftlichen Zusatz trug: "Wegen Hinterlegung 83 HL 16/90". Die Überweisung des Betrages erfolgte kurze Zeit später auf das vom Beklagten zu 1. angegebene Konto. Unter Berücksichtigung der genannten Vorgeschichte erscheint das Verhalten des Beklagten zu 1. merkwürdig. Der Vorwurf des Klägers in der Berufungsbegründung, die Beklagten hätten unter Verwendung einer der ihnen in großer Zahl im Rahmen der laufenden anwaltlichen Betreuung ausgestellten Blanko-Vollmachten das Hinterlegungsgeld auf eines ihrer Konten umgeleitet, dürfte zumindest nachvollziehbar sein. Es fällt auf, dass die fragliche Vollmacht bereits am 19.06.1990 ausgestellt wurde, während der Kläger seine in Erledigung der gerichtlichen Verfügung anzugebende eigene Bankverbindung am 16.07.1990 mitgeteilt hat. Die Beklagten hatten zu dieser Zeit kein Mandat, die Auszahlung des Betrages an sich selbst zu beantragen. Daher steht ihnen für ihr Verhalten auch keine Hebegebühr zu.

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Zusätzlich hat der Kläger einen Anspruch in Höhe von 729,00 DM überzahlter Gerichtskosten aus dem Rechtsstreit 5 0 196/89. Diesen Anspruch hat das Landgericht bereits für begründet gehalten, ohne dass die Beklagten dies angegriffen hätten.

20

5.

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der Kläger Rückzahlung von 3.728,64 DM verlangen kann. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Einzelforderungen über 627,00 DM - 61,56 DM - 870,45 DM - 379,62 DM - 882,70 DM - 178,31 DM - 729,00 DM.

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6.

Die Beklagten haben erstinstanzlich hilfsweise die Aufrechnung erklärt mit verschiedenen weiteren Gebührenforderungen. In der Berufungsbegründung haben sie einleitend Bezug genommen auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Diese nur formelhafte Bezugnahme ist ausnahmsweise zulässig. Denn die Frage der Aufrechnung hatte im Verlauf des bisherigen Rechtsstreits kein besonders großes Gewicht.

22

Schon das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Beklagten einen Gebührenanspruch in Höhe von 1.981,32 DM aus dem Verzugslohnprozess [... ] haben. Da den Beklagten eine Verletzung der Anwalt s pflichten nicht vorgeworfen werden kann, ist der Anspruch begründet.

23

Weitere Hilfsaufrechnungen enthält der erstinstanzliche Schriftsatz vom 04.02.1992 mit Anlagen. Zunächst haben die Beklagten die Vertretung des Klägers in einem Widerspruchsverfahren gegen die Stadt [...] 277,59 DM in Rechnung gestellt. Der Kläger erkennt 58,55 DM an und macht geltend, statt des angegebenen Streitwerts von 8.614,26 DM habe es sich lediglich um einen solchen von 1.028,17 DM gehandelt. Die Beklagten haben darauf nicht mehr erwidert, sodass ihre restliche Forderung als unsubstantiiert anzusehen ist. Den anerkannten Betrag hat der Kläger bezahlt. Die Hilfsaufrechnung ist folglich insgesamt unbegründet.

24

Sodann verlangen die Beklagten ein Honorar von 1.211,93 DM für die Anfertigung der Berufungsschrift in einem eigenen Kündigungsschutzprozess des Klägers. Der Kläger erwidert substantiiert, den Beklagten zu keiner Zeit den Auftrag erteilt zu haben, die Berufung einzulegen oder durchzuführen. Die Gebührenforderung ist unbegründet, da die Beklagten auf dieses Vorbringen nicht erwidert haben.

25

Schließlich geht es um eine Forderung der Beklagten in Höhe von 307,23 DM. Dazu haben die Beklagten vorgetragen, sie hätten den Kläger zu Fragen einer Eigentumsübertragung von Hausratsgegenständen auf seine Ehefrau beraten. Der Kläger seinerseits hat die Einrede der Verjährung erhoben mit dem nicht bestrittenen Hinweis, das Beratungsgespräch habe am 27.12.1989 stattgefunden. Die Forderung ist verjährt. Die maßgebliche 2-Jahres-Frist (§ 196 Abs. 1 Nr. 15 BGB) begann an jenem Tag (§ 16 BRAGO) und war abgelaufen, als die Beklagten die Forderung am04.02.1992 erstmals geltend machten. Beide Forderungen standen sich auch nicht in nicht verjährter Zeit aufrechenbar gegenüber, sodass die Aufrechnung auch nicht nach § 390 S. 2 BGB zulässig ist. Denn nach § 18 BRAGO kann der Rechtsanwalt auch nach Fälligkeit die Vergütung nur einfordern, wenn er dem Auftraggeber eine Berechnung seines Anspruchs übermittelt hat. Die Mitteilung (fieser Berechnung ist Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einforderns (Gerold/Schmidt-von Eicken, BRAGO, 11. Aufl., § 18 RdNr. 1 u. 4Qi. Da die Beklagten dem Kläger die Berechnung ihrer Forderung erstmals unter dem 04.02.1992 mitgeteilt haben, konnten sie sie auch erst seit jenem Zeitpunkt einfordern. Vorher war daher trotz Fälligkeit auch keine Aufrechnung mit dieser Forderung möglich.

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Damit ergibt sich zusammenfassend, dass der begründeten Klageforderung von 3.728,64 DM lediglich eine Gegenforderung in Höhe von 1.981,32 DM gegenübersteht, sodass ein Restanspruch des Klägers in Mähe von 1.747,32 DM verbleibt. Zinsen kann der Kläger in Höhe von 12 % ab Rechtshängigkeit verlangen, wie er im Wege der Klageerweiterung geltend macht. Eine entsprechende Bankbescheinigung hatte er Bereits mit der Klageschrift vorgelegt.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO, und zwar ausgehend von einem Streitwert gemäß § 19 Abs. 3 GKG in Höhe von 21.428,72 DM (bestehend aus den Einzelbeträgen 17.650,65 DM sowie 3.778,07 DM).

Streitwertbeschluss:

Die Beschwer des Klägers beträgt 15.903,33 DM, diejenige der Beklagten beträgt 5.525,39 DM