Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.11.2018, Az.: 2 Ss 114/18

Erfordernis eines Härteausgleichs bei fehlender Möglichkeit nachträglicher Gesamtstrafenbildung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.11.2018
Aktenzeichen
2 Ss 114/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 66606
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 27.07.2018 - AZ: 45 Ns 42/17

Fundstelle

  • StV 2019, 461

Amtlicher Leitsatz

1. Kann aufgrund der vollständigen Vollstreckung einer Geldstrafe diese nicht mehr in eine nachträglich zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen werden, hat das Tatgericht über einen Härteausgleich zu befinden.

2. Ist eine Geldstrafe bereits vollständig bezahlt, wäre ihre Einbeziehung in eine nachträglich zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe aufgrund ihrer Anrechnung (§ 51 StGB) für den Angeklagten regelmäßig günstig gewesen (Anschluss an: BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2312/17 -, juris Rn. 21; entgegen: BGH, Beschluss vom 23. November 2017 - 1 StR 442/17 -, juris; BGH, Urteil vom 14. März 2012 - 2 StR 547/11 -, juris Rn. 22; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 4 StR 488/10 -, juris Rn. 18).

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 27.07.2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Der Angeklagte ist erstinstanzlich wegen Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Das Landgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten in dem angefochtenen Urteil verworfen mit der Maßgabe, dass der Zusatz "im besonders schweren Fall" entfällt.

Nach den Feststellungen der Berufungskammer zur Person des Angeklagten ist dieser in drei Fällen bereits zu Geldstrafen verurteilt worden, die jeweils vollständig bezahlt sind. Die zeitlich erste der drei Verurteilungen ist ein Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 29.12.2014 wegen Beleidigung, durch den gegen den Angeklagte eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 8 € verhängt worden ist.

Zum Tatvorwurf hat die Berufungskammer nach Beweisaufnahme im Wesentlichen festgestellt, dass der Angeklagte am 11.12.2014 in H. einen neuwertigen PKW L. R. im Wert von 47.000 € mit zugehörigen Fahrzeugschlüsseln, eine Handtasche mit Haus- und Wohnungsschlüsseln, eine Geldbörse mit ca. 80 € Bargeld und einer Bankkarte, eine Lesebrille sowie zwei Mobiltelefone der Marke S. aus der Wohnung des Eigentümers F. entwendete, um diese für sich zu verwenden. Der PKW wurde im Januar 2015 beschädigt mit einer zusätzlichen Laufleistung von 35.000 km in einem Gewerbegebiet in Bremen aufgefunden und konnte dem Geschädigten mit einem Wertverlust von ca. 6.000 € zurückgegeben werden.

Die Kammer hat den festgestellten Sachverhalt als Diebstahl gemäß § 242 StGB gewürdigt.

Für die Rechtsfolgen hat sie den Strafrahmen des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 StGB zur Anwendung gebracht und auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt.

Weiter hat die Berufungskammer ausgeführt, dass auch mit Rücksicht auf die nicht mehr mögliche Gesamtstrafenbildung mit der Verurteilung vom 29.12.2014 durch das Amtsgericht Bremen die Verhängung einer niedrigeren Freiheitsstrafe nicht geboten sei. Dadurch, dass der Angeklagte die einbeziehungsfähig gewesene Geldstrafe vollständig gezahlt habe, sei die andernfalls geboten gewesene Verhängung einer höheren (Gesamt-)Freiheitsstrafe unterblieben. Dies stelle sich mit Rücksicht darauf, dass Geldstrafe eine im Verhältnis zu Freiheitsstrafe mildere Sanktion sei, nicht als ausgleichspflichtige Härte, sondern im Gegenteil als Vorteil für den Angeklagten dar.

2 Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. In der Gegenerklärung vom 09.11.2018 führt er aus, die Beweiswürdigung der Kammer - insbesondere zur Feststellung der Täterschaft - sei fehlerhaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision erweist sich im tenorierten Umfang als erfolgreich. Darüber hinaus war das Rechtsmittel zu verwerfen.

1. Die Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, so dass der Senat die Revision insoweit gemäß § 349 Abs. 2 StPO verwirft. Die Revisionsrechtfertigung in der Fassung der Gegenerklärung deckt insbesondere keinen Mangel der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Kammer hat die Umstände der Lichtbildvorlage kritisch gewürdigt und im Rahmen einer Gesamtschau der Beweismittel überzeugend die Feststellung der Täterschaft des Angeklagten frei von Widersprüchen und Verstößen gegen Denkgesetze begründet.

2. Zum Rechtsfolgenausspruch unterlag das Urteil jedoch der Aufhebung. Die zur Begründung der verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten angeführten Erwägungen zur unterbliebenen Vornahme eines sogenannten Härteausgleichs wegen der bereits vollständig vollstreckten Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 29.12.2014 halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Zutreffend hat die Berufungskammer erkannt, dass aufgrund der zeitlichen Abfolge die Strafe aus dem genannten Strafbefehl die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nach § 55 StGB erforderlich gemacht hätte. Dem stand hier jedoch entgegen, dass die Geldstrafe zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung bereits vollständig bezahlt war. In Fällen wie diesem ist aufgrund der fehlenden Möglichkeit einer - für den Angeklagten meist günstigen - nachträglichen Gesamtstrafenbildung ein Ausgleich für die sich ergebenden Nachteile zu gewähren (Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 55 Rn. 21). Dies geschieht üblicherweise im Rahmen der Zumessung der Einzel- bzw. Gesamtstrafe (a.a.O. Rn. 22a).

Der Senat verkennt nicht, dass nach einer verbreiteten Rechtsauffassung einem Angeklagten kein ausgleichsfähiger Nachteil entstehen soll, wenn - wie hier - im Rahmen einer eigentlich notwendigen nachträglichen Gesamtstrafenbildung die Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe unterbleiben muss, weil die Geldstrafe bereits bezahlt ist (vgl. a.a.O. Rn. 21a). Zu Begründung wird dabei angeführt, dass der Angeklagte durch die unterbliebene Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe grundsätzlich keinen Nachteil erlitten habe (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2017 - 1 StR 442/17 -, juris; BGH StV 2013, 73, juris Rn. 22; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 4 StR 488/10 -, juris Rn. 18).

Es ist jedoch fraglich, ob diese Auffassung weiterhin vertreten werden wird, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem mit überzeugenden Argumenten entgegen getreten ist (vgl. BVerfG StraFo 2018, 106-109 [BVerfG 20.12.2017 - 2 BvR 2312/17], juris Rn. 21-26). Unter Zugrundelegung der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Auffassung ist hier von Folgendem auszugehen:

Auch hier wäre im Rahmen der - zutreffend unterbliebenen - Gesamtstrafenbildung unter nachträglicher Einbeziehung der am 29.12.2014 verhängten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zwar eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden gewesen als die jetzt ausgeurteilte Freiheitsstrafe. Diese Gesamtfreiheitsstrafe hätte jedoch nach den Grundsätzen der Gesamtstrafenbildung nach §§ 53, 54 StGB nicht die Summe aus der Freiheitsstrafe von sechs Monaten und aus der Anzahl von 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe erreichen dürfen. Im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung hätte sich die Gesamtstrafenbildung - trotz der nominell höheren Gesamtfreiheitsstrafe - für den Angeklagten danach als vorteilhaft erwiesen, weil aufgrund der vorangegangenen Bezahlung der Geldstrafe diese nach § 51 StGB obligatorisch und vollständig - also in Höhe von 30 Tagen - auf die Gesamtstrafe anzurechnen gewesen wäre. Durch diesen Anrechnungsüberhang hätte sich die tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe für den Angeklagten damit unter die verhängte Einsatzfreiheitsstrafe von sechs Monaten Dauer verkürzt (vgl. a.a.O. Rn. 21).

Im Ergebnis wäre die nicht mehr durchführbare Gesamtstrafenbildung für den Angeklagten daher entgegen den Ausführungen des angefochtenen Urteils günstig gewesen. Entsprechend hätte sich die Berufungskammer im Rahmen der Strafzumessung zur Frage eines Härteausgleichs zu verhalten gehabt.

Nach § 353 StPO ist daher das angefochtene Urteil hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. In diesem Umfange ist die Sache nach § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an eine andere Berufungskammer des Landgerichts Hannover zurückzuverweisen.

An einer eigenen Entscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO ist der Senat gehindert. Es bedarf ergänzender Feststellungen zur Strafzumessung wie etwa zum konkreten Tatvorwurf des Strafbefehls vom 29.12.2014. Darüber hinaus wird durch das Tatgericht eine Abwägung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 StGB (vgl. a.a.O. Rn. 25) sowie eine Erörterung der in Anwendung des § 47 StGB angemessenen Strafform zu erfolgen haben.

III.

Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst. Sie ist an dem abschließenden Ergebnis in der Sache zu orientieren und bleibt deshalb der erneuten erstinstanzlichen Entscheidung vorbehalten.