Landgericht Braunschweig
Urt. v. 02.08.2005, Az.: 8 KLs 33/04
Voraussetzungen des Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten; Bestimmung des Strafrahmens hinsichtlich der Verurteilung wegen Menschenhandelns und Ausbeutung von Prostituierten; Voraussetzungen für die Schaffung einer nicht nur vorübergehenden Einnahmequelle
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 02.08.2005
- Aktenzeichen
- 8 KLs 33/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 28870
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:2005:0802.8KLS33.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 180a Abs. 1 StGB
- § 180b Abs. 1 StGB
- § 223 Abs. 1 StGB
Verfahrensgegenstand
Schwerer Menschenhandel
In der Strafsache
hat die 8. große Strafkammer des Landgerichts in Braunschweig
in den Sitzungen vom 9., 13., 18., 24. u. 26. August,
2., 3., 10., 14.u. 24. September,
21. Oktober,
3. u. 17. November,
1., 8., 15. u. 22. Dezember 2004,
12. u. 26. Januar,
16. Februar,
13., 20. u. 25. April,
13. Mai,
2., 15., 16., 21. u. 29. Juni,
25. Juli und
2. August 2005
an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter xxx am Landgericht als Vorsitzender,
Richterin xxx am Landgericht als beisitzende Richterin,
Herr xxx und Frau xxx als Schöffen
am 2. August 2005
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Angeklagte A. wird wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten sowie wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt.
Der Angeklagte O. wird wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten verurteilt.
Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens und die den Nebenklägerinnen K. und S. erwachsenen notwendigen Auslagen.
Der Angeklagte A. trägt darüber hinaus die der Nebenklägerin R. erwachsenen notwendigen Auslagen.
Angewendete Vorschriften: §§ 180 a As. 1, 180 b Abs. 1, S. 2, Abs. 2 Nr. 1 u. 2, 25 Abs. 2, 52 StGB; betreffend den Angeklagten A. darüber hinaus: §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 1, 53 StGB.
Gründe
(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)
I.
1)
Der Angeklagte A. ist als Viertes von 5 Kindern in Istanbul bei seinen Eltern aufgewachsen. Sein Vater betrieb eine Näherei. Nachdem er 2 oder 3 Jahre lang in der Türkei die Schule besucht hatte, kam er 1971 nach Deutschland. Zuerst hielt sich die Familie auf xxx auf, weil die Mutter des Angeklagten dort Arbeit gefunden hatte. Nach 7 oder 8 Monaten zogen sie 1972 nach Bielefeld. Dort besuchte der Angeklagte die Hauptschule bis zur 8. Klasse. Anschließend absolvierte er das BVJ Metall und Holz. Danach arbeitete er in verschiedenen Firmen, bis er von 1984 bis etwa 1990 als Lkw-Fahrer tätig war. In dieser Zeit begann er, zunächst Haschisch und später Kokain zu konsumieren.
1995 eröffnete er mit dem Angeklagten O. in Bielefeld zunächst die Gaststätte "xxx", später die Gaststätte "xxx". Im Jahre 2000 kamen beide nach Braunschweig. In der Folgezeit richteten sie die Gaststätte "xxx" in G. ein, um dort ein Bordell zu betreiben.
Der Angeklagte A. ist seit 1999 verheiratet. Er hat eine im Jahre 2000 geborene eheliche Tochter, außerdem eine im Jahre 1986 geborene weitere Tochter sowie einen Sohn, der 1996 geboren wurde.
Am 03.05.2001 wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Bielefeld wegen vorsätzlicher gewerbsmäßiger unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafaussetzung wurde widerrufen, ein Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt bis zum 01.05.2005. Weitere Eintragungen weist der Auszug aus dem Bundeszentralregister nicht auf.
Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Braunschweig vom 19.02.2004 am 26.02.2004 vorläufig festgenommen und hat sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft befunden.
2)
Der Angeklagte O. wurde in der Türkei geboren. Er wuchs dort als drittältestes von sieben Kindern auf und besuchte 5 Jahre lang die Schule. 1974 kam er nach Bielefeld, wo er die Hauptschule absolvierte. Mit 15 Jahren begann er, bei einer Möbelfirma zu arbeiten. Daneben besuchte er bis zum 18. Lebensjahr die Berufsschule. Anschließend arbeitete er bis 1990 bei verschiedenen Firmen als Hilfsarbeiter. Zwischendurch und danach war er arbeitslos. Ab 1995 führte er mit dem Angeklagten A. die bereits genannten Gaststätten, ab 2000 renovierte er mit diesem die "xxx", um dort ein Bordell betreiben zu können.
Der Angeklagte O. ist seit 1982 verheiratet, lebt aber seit etwa 10 Jahren von seiner Ehefrau getrennt. Ein 1984 geborener ehelicher Sohn lebt in der Türkei. Außerdem hat der Angeklagte in Bielefeld zwei nicht eheliche, in den Jahren 1988 bzw. 1991 geborene Töchter. Von 1999 bis zu seiner Festnahme lebte der Angeklagte O. mit der Zeugin Z. zusammen, mit der er eine am 16.09.2004 geborene Tochter hat.
Durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 25.11.1999 wurde der Angeklagte O. wegen gewerbsmäßigen Veranstaltens eines illegalen Glücksspiels mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30,-- DM belegt. Darüber hinaus weist der Auszug aus dem Bundeszentralregister keine Eintragung auf.
Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Braunschweig vom 19.02.2004 am 26.02.2004 festgenommen und hat sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft befunden.
II.
Ab Sommer 2001 betrieben die Angeklagten in der in G. ein Bordell, um sich mit den Einnahmen daraus eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen. In dem Bordell gingen ausländische Frauen der Prostitution nach. Sie durften das Bordell zum überwiegenden Teil nicht eigenständig verlassen, sondern wurden - etwa um Einkäufe zu tätigen - jeweils begleitet. Ihre Arbeitszeiten und -leistungen und die zu verlangenden Preise wurden von den Angeklagten festgesetzt und durch diese bzw. von ihnen beauftragte Personen, z.B. durch den bereits verurteilten T., kontrolliert. Eine eigenständige Auswahl der Freier stand den Frauen nicht zu. Die Art ihrer Bekleidung -in der Regel eng anliegende, weitausgeschnittene, kurze Kleider- wurde ihnen von den Angeklagten vorgegeben. Diesen war bewusst, dass die Frauen faktisch völlig hilflos und nicht in der Lage waren zu fliehen, weil sie finanziell mittellos und der deutschen Sprache so gut wie nicht mächtig waren und sich in Deutschland zudem nicht auskannten. Sofern die Frauen sich weigerten, einzelne Freier zu bedienen oder sich zwar prostituierten, hierbei aber ihren Unwillen deutlich machten, wurden sie durch Drohungen und vereinzelt durch Schläge zu einer Änderung ihrer Verhaltensweise gebracht.
Auf die vorbeschriebene Weise wurde im Sommer 2001 über eine Zeitraum von wenigstens mehreren Wochen die Geschädigte R. von dem Angeklagten A. zur Ausübung der Prostitution gezwungen. Wie die Zeugin R. nach Deutschland und in die "xxx" gekommen war, konnte letztlich nicht festgestellt werden.
Die Angeklagten A. und O. zwangen gemeinschaftlich handelnd in der Zeit vom 08.08. bis 26.09.2003 die 23 Jahre alte Ukrainerin K., sich unter den oben beschriebenen Umständen zu prostituieren. Dabei wurde sie von beiden Angeklagten bedroht und von dem Angeklagten A. einmal mit der flachen Hand kräftig ins Gesicht geschlagen.
Zumindest am 26.09.2003 und einige Tage davor wurde die Ukrainerin L. ebenso zur Prostitution gezwungen. Schließlich musste sich auch die gerade 18 Jahre alte Litauerin S. vom 24. bis 26.09.2003 nach den oben beschriebenen Regeln gegen ihren Willen prostituieren, wobei beide Angeklagten wussten, dass sie noch keine 21 Jahre alt war.
III.
Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Geständnissen der Angeklagten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen.
Der Angeklagte A. ist danach des Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten sowie des Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gem. §§ 180 a Abs. 1, 180 b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nrn. 1 u. 2, 223 Abs. 1, 25 Abs. 1 + 2, 52, 53 StGB schuldig.
Der Angeklagte O. ist des Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen gem. §§ 180a Abs. 1, 180b Abs. 1 S. 2, abs. 2 Nrn. 1 u. 2, 25 Abs. 2, 52 StGB schuldig.
Dem Angeklagten A. war darüber hinaus durch die Staatsanwaltschaft zur Last gelegt worden, er habe der Geschädigten R. an einem Tag während ihres Aufenthaltes in der "xxx" nach Eintreten einer Zimmertür mit der flachen Hand eine Ohrfeige gegeben, sie aufs Bett geschubst, mit einer Hand ihre Handgelenke gepackt, mit der anderen Hand den Slip der Geschädigten heruntergezogen und mit dieser trotz ihrer heftigen Gegenwehr den Geschlechtsverkehr vollzogen. Diese Tat konnte dem Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden.
Beiden Angeklagten war durch die Staatsanwaltschaft zur Last gelegt worden, neben den Geschädigten K., L. und S. die vier Litauerinnen D., K., R. und S. nach den beschriebenen Regeln gegen deren Willen zur Ausübung der Prostitution gezwungen zu haben. Auch das konnte den Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden.
IV.
Bei der Bemessung der dem Rahmen des § 180 b Abs. 2 StGB zu entnehmenden Strafen hat die Kammer nach den Grundsätzen des § 46 StGB sämtliche für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände umfassend berücksichtigt.
Dabei sprach für beide Angeklagte insbesondere, dass sie sich schließlich doch noch zu Geständnissen durchgerungen haben und damit die Vernehmung der Zeugin L. und vor allem die weitere Vernehmung der Zeugin R. nicht mehr erforderlich waren. Zu Gunsten der Angeklagten ist auch berücksichtigt worden, dass sie einschlägig bislang nicht bestraft sind und dass sie sich ungewöhnlich lange in Untersuchungshaft befunden haben, wobei der Angeklagte O. erstmals inhaftiert war. Zu Lasten beider Angeklagten musste sich insbesondere die Intensität ihrer Taten auswirken. Gegen den Angeklagten A. sprach zudem, dass er zu den Tatzeiten unter Bewährung stand.
Danach erschien für die erste Tat des Angeklagten A. eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten, für die zweite Tat eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten tat- und schuldangemessen. Unter nochmaliger zusammenfassender Würdigung der Taten und der Täterpersönlichkeit hat die Kammer daraus eine Gesamtstrafe von 3 Jahren 6 Monaten gebildet.
Für die Tat des Angeklagten O. schien eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten angemessen.
V.
Die Entscheidungen über die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerinnen beruhen auf den §§ 465 Abs. 1, 472 As. 1 S. 1 StPO.