Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.12.1999, Az.: L 5 KA 29/99

Unterlassung der Bildung einer Widerspruchsstelle; Zulässigkeit einer sozialgerichtlichen Klage ohne Durchführung des Widerspruchsverfahrens; Subjektives Recht auf Erlass eines Widerspruchsbescheides

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
01.12.1999
Aktenzeichen
L 5 KA 29/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 13792
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:1999:1201.L5KA29.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 17.02.1999 - AZ: S 31 KA 552/98

Prozessführer

1. XXX
2. XXX

Prozessgegner

XXX

Sonstige Beteiligte

1. XXX
2. XXX
3. XXX

Redaktioneller Leitsatz

Die mangelnde Durchführbarkeit eines Vorverfahrens begründet losgelöst von der materiellen Rechtslage einen Anspruch auf Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes im sozialgerichtlichen Verfahren.

Tenor:

Die Berufungen werden zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) haben den Klägern die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht einen Mängelanspruch gegen die Kläger festgesetzt hat.

2

Die zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger betreiben in [.] eine Gemeinschaftspraxis. Am 22. Mai 1996 gliederten sie dem bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten [... ] Teleskopkronen und eine Modellgussprothese im Oberkiefer ein. Nach Angaben des Versicherten stellten sich unmittelbar nach Eingliederung der Prothese Beschwerden ein, die 13 Nachbehandlungen erforderlich machten. Im Mai 1997 holte die Beigeladene zu 1) auf Vorschlag der Kläger und des Versicherten ein Gutachten über die prothetische Versorgung ein. Der Gutachter [... ] kam zu folgendem Ergebnis: Der Röntgenbefund spreche für die durchgeführte Versorgung, die zahntechnische Arbeit an sich gebe keinen Anlass zur Beanstandung. Allerdings liege eine Bisserhöhung gegenüber der entspannten Ruhebisslage sowie der vom Patienten vorgelegten alten Konstruktion vor. Zusammen mit dem Verlust der Stützzone links (die UK-Brücke sei dort zwischenzeitlich entfernt worden) seien die Beschwerden wahrscheinlich auf eine Überlastung der Frontzähne zurückzuführen (Gutachten vom 13. Juni 1997). Am 15. September 1997 wurde der Versicherte [.] erneut von den Klägern behandelt. Eine Beschwerdefreiheit wurde auch dieses Mal nicht erreicht. Im Anschluss daran lehnte der Versicherte eine weitere Behandlung durch die Kläger ab. Die Kläger lehnten ihrerseits ebenfalls eine weitere Behandlung des Versicherten ab. Die Beigeladene zu 1) bat daraufhin mit Schreiben vom 24. November 1997 den Beklagten um Beurteilung. Dieser ließ nach Anhörung der Kläger eine Kontrolluntersuchung durch den Zahnarzt [... ] vornehmen. Der Gutachter stellte fest, dass die Bisshöhe nicht korrekt sei; es bestehe keine Ruheschwebe/-Schlussbissdifferenz. Bei Artikulationsbewegungen beiderseits werde die Prothese abgehebelt. Zudem liege ein Unterfütterungsbedarf vor. Die Unterkieferschneidezähne seien lingual mit Kunststofffüllungen verblockt. Ein Zusammenhang zwischen der Überlastung durch die vorgenommene Bisserhöhung und den Verlust der Brücke im dritten Quadranten könne objektiv nicht nachvollzogen werden (Gutachten vom 18. Februar 1998). Mit Beschluss vom 29. April 1998 gab der Beklagte dem Mängelanspruch statt, da erhebliche Mängel in der Ausführung der Oberkieferprothese erkennbar seien. Eine Nachbesserung sei in der jetzigen Situation nicht mehr möglich. Der Beschluss enthält die Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen ihn die Klage zulässig sei.

3

Eine Widerspruchsinstanz in Angelegenheiten des Prothetik-Einigungsausschusses (PEA) existiert in Niedersachsen bisher nicht.

4

Gegen den ihnen mit Schreiben vom 11. Mai 1998 übersandten Beschluss haben die Kläger am 08. Juni 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und zu deren Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Der Termin der Kontrolluntersuchung sei entgegen § 5 Abs 3 der Verfahrensordnung des Beklagten nicht im Benehmen mit ihnen festgesetzt worden. Zudem sei ihnen entgegen § 5 Abs 4 der Verfahrensordnung des Beklagten nicht eröffnet worden, wo sich ihr Patient der Kontrolluntersuchung unterziehen müsse. Ihnen sei damit ihr Recht, an der Kontrolluntersuchung teilzunehmen, vorenthalten worden. Außerdem habe der in § 4 der Verfahrensordnung des Beklagten vorgesehene Einigungsversuch nicht stattgefunden. Zudem habe weder der Gutachter noch der Beklagte ihnen einen Behandlungsfehler nachgewiesen; es seien nur Mutmaßungen angestellt worden.

5

Die zunächst auch gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Niedersachsen - jetzige Beigeladene zu 3) -erhobene Klage haben die Kläger zwischenzeitlich zurückgenommen.

6

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, sein Beschluss sei in der Sache zutreffend. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensfehler führten allein nicht zu einem anderen Ergebnis. Gern § 42 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) könne die Aufhebung eines Verwaltungsaktes allein aus formellen Gründen nicht verlangt werden, wenn in der Sache eine andere Entscheidung nicht hätte ergehen können. Diese Voraussetzung sei hier bei der Eindeutigkeit des Gutachtens [.] gegeben.

7

Das SG hat mit Urteil vom 17. Februar 1999 unter Zulassung der Berufung den Beschluss des Beklagten vom 29. April 1998 aufgehoben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Gericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Klage sei trotz § 78 Abs l Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Durchführung des Vorverfahrens zulässig. Dies ergebe sich aus Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG). Sie sei zudem begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten sei aufzuheben, da die Kläger durch die unrechtmäßige Unterlassung der Bildung einer Widerspruchsstelle in ihren Rechten verletzt seien. Wegen des Nichtvorhandenseins einer Widerspruchsstelle könne das gesetzlich vorgesehene Vorverfahren nicht durchgeführt werden. Angesichts dessen habe der Beklagte den angefochtenen Bescheid nicht erlassen dürfen. Eine Behörde könne erst dann hoheitlich tätig werden, wenn ein gesetzmäßiger Verfahrensablauf gesichert sei. Es sei nicht hinnehmbar, ein Rechtssubjekt durch eine hoheitliche Entscheidung zu belasten, ohne dass für dieses die Möglichkeit bestehe, das gesetzlich gebotene Rechtsmittel einzulegen.

8

Gegen die ihnen am 01. April 1999 bzw. 06. April 1999 zugestellte erstinstanzliche Entscheidung haben der Beklagte am 06. April 1999 und die Beigeladene zu 1) am 04. Mai 1999 Berufung vor dem Landessozialgericht Niedersachsen eingelegt.

9

Der Beklagte begründet sein Rechtsmittel wie folgt: Die Ausführungen des SG, die Kläger seien durch die unrechtmäßige Unterlassung der Bildung einer Widerspruchsstelle in ihren Rechten verletzt, gingen am Streitgegenstand vorbei. Streitgegenstand sei ein von den Klägern geltend gemachter Anspruch, auf Kassation des angefochtenen Beschlusses. Nur die Verletzung der Kläger in ihren Rechten durch den streitgegenständlichen Bescheid begründe einen derartigen Anspruch. Die "unrechtmäßige Unterlassung der Bildung einer Widerspruchsstelle" könne lediglich dann Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Beschlusses haben, wenn der Adressat dieser Pflicht der beklagte PEA selbst sei und er die Verpflichtung gerade gegenüber den Klägern habe. Dies sei jedoch nicht der Fall. Unter Berücksichtigung des § 4 Abse l und 2 der Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) könnten allenfalls die Vertragspartner auf Bundesebene eine Widerspruchsinstanz schaffen. Voraussetzung für eine Sachentscheidung sei gern § 78 Abs l SGG nur, dass überhaupt ein Vorverfahren stattgefunden habe, nicht dagegen, dass dies auch vor der richtigen Behörde erfolgt sei. Sollte der erkennende Senat die Nachholung eines Widerspruchsverfahrens für erforderlich halten, könne dieses mangels Widerspruchsinstanz von dem Beklagten durchgeführt werden. Sollte der Senat hingegen ohne Vorverfahren zu einer Sachentscheidung gelangen, sei die Klage abzuweisen. Der angefochtene Beschluss sei rechtmäßig. Die Beigeladene zu 1) trägt zur Begründung der von ihr eingelegten Berufung Folgendes vor: Das SG hätte den Klägern die Möglichkeit geben müssen, das Vorverfahren nachzuholen. Das Verfahren sei daher analog § 114 Abs 2 SGG auszusetzen. Für den Fall einer ergehenden Sachentscheidung ist, die Beigeladene zu 1) ebenfalls der Ansicht, dass die Klage abzuweisen sei.

10

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. Februar 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Kläger beantragen,

die Berufungen zurückzuweisen.

12

Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

13

Der Beigeladene zu 2) ist ebenfalls der Ansicht, dass ein Aufhebungsanspruch nicht allein deswegen bestehe, weil eine Widerspruchsstelle nicht vorhanden sei. Dies könne nicht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses zur Folge haben. Der Beklagte sei einerseits nach § 4 Abs l der Anlage 12 zum BMV-Z verpflichtet, geltend gemachte Mängelansprüche zu bearbeiten, andererseits aber nicht befugt, die Voraussetzungen für einen gesetzesmäßigen Verfahrensablauf zu schaffen und eine Widerspruchsstelle einzurichten. Da eine zwingende Prozessvoraussetzung von der klagenden Partei nicht erfüllt werden könne, ohne dass sie dies zu vertreten habe, könne das Gericht nach Art 19 Abs 4 GGüber das materielle Begehren entscheiden.

14

Die Beigeladene zu 3) hat sich dem Antrag des Beklagten angeschlossen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten, die vorgelegen hat und Gegenstand des Verfahrens gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die zumindest Kraft Zulassung gern §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- sowie fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

17

Sie ist jedoch nicht begründet.

18

Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Beschluss zu Recht aufgehoben.

19

Die Klage ist ohne Durchführung eines. Vorverfahrens zulässig. § 78 Abs l SGG steht dem nicht entgegen.

20

Zwar sind nach § 78 Abs l Satz 1 SGG Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes vor Erhebung der Anfechtungsklage in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Auch stellt der Beschluss des beklagten Prothetik-Einigungsausschusses (PEA) einen Verwaltungsakt dar, wenn er - wie hier - eine Entscheidung nach § 4 Abs l der Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) trifft (vgl BSG SozR 1500 § 70 SGG Nr 3, S 4 f), und liegen die in § 78 Abs l Satz 2 Nr l - 3 SGG normierten Fälle, in denen ein Vorverfahren entbehrlich ist, nicht vor.

21

Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ohne Durchführung des Vorverfahrens rechtfertigt sich jedoch aus Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz (GG). Wegen des funktionalen Zusammenhanges zwischen gerichtlicher Kontrolle und staatlichem Entscheidungsprozess (Krebs in: von Münch/Kunig, GG, 4. Aufl 1992, Art 19 Rdnr 66) können sich aus der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 Satz 1 GG Vorwirkungen auf die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens ergeben, das der gerichtlichen Kontrolle voran geht (BVerfGE 61, 82, 110 [BVerfG 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80]) [BVerfG 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80]: Dieses darf nicht so angelegt sein, dass der gerichtliche Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert wird (BVerfGE 61, 82, 110 [BVerfG 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80]) [BVerfG 08.07.1982 - 2 BvR 1187/80].

22

So verhält es sich aber hier.

23

§ 4 Abs l der Anlage 12 zum BMV-Z ermächtigt den PEA über Mängelansprüche bei prothetischen Leistungen zu entscheiden. Dies hat der Beklagte zu Lasten der Kläger getan. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, das nach § 78 Abs l SGG dem gerichtlichen Rechtsschutz vorauszugehen hat, ist ihnen nicht möglich, da keine Widerspruchsstelle existiert, die über einen Widerspruch entscheiden könnte.

24

Eine solche haben die hierfür zuständigen niedersächsischen Landesverbände der Krankenkassen sowie die niedersächsischen landwirtschaftlichen Krankenkassen und die Beigeladene zu 3) bisher nicht vereinbart und eingerichtet.

25

Ihre Zuständigkeit ergibt sich allerdings insoweit nach erneuter Prüfung nicht aus § 106 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) (so Urteil des erkennenden Senats vom 13. Dezember 1995 - L 5 KA 89/94 -). Nach diesen Vorschriften bilden die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassen-(zahn)ärztlichen Vereinigungen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse. Der Regelungsauftrag bezieht sich indessen (nur) auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Kassen(zahn)ärztlichen' Versorgung iSd § 106 SGB V. Hierzu gehört die Feststellung von Mängelansprüchen bei prothetischen Leistungen nicht. Für die mangelnde Anwendbarkeit der Norm spricht überdies, dass zu den Adressaten des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V auch die Verbände der Ersatzkassen gehören. Ein für Mängelansprüche zuständiger PEA iSd § 4 Abs 1 der Anlage 12 zum BMV-Z setzt sich jedoch auf der Krankenkassenseite lediglich aus Vertretern der Landesverbände der Krankenkassen und der landwirtschaftlichen Krankenkassen zusammen. Ein auch die Verbände der Ersatzkassen einbeziehender Beschwerdeausschuss würde dem nicht Rechnung tragen.

26

Eine Zuständigkeit der niedersächsischen Landesverbände der Krankenkassen, der niedersächsischen landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Beigeladenen zu 3) für die Bildung eines Widerspruchsausschusses ergibt sich ferner nicht aus § 4 Abs 2 Satz 1 der Anlage 12 zum BMV-Z. Die Vorschrift erteilt ihnen lediglich eine Regelungskompetenz hinsichtlich des PEA. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm und Satz 2 des Absatzes, der den Regelungsauftrag der Vertragspartner präzisiert. Nach § 4 Abs 2 Satz 1 der Anlage 12 zum BMV-Z regeln die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie die Landesverbände der Krankenkassen und die landwirtschaftlichen Krankenkassen das Nähere über den Prothetik-Einigungsausschuss. § 4 Abs 2 Satz 2 bestimmt, dass bis zu einer Regelung für die Bestellung, die Zusammensetzung, das Verfahren des Prothetik-Einigungsausschusses und die Durchsetzung seiner Entscheidungen die Vorschriften des Bundesmantelvertrages und der Verfahrensordnung gelten. Die Normen sprechen mithin ausdrücklich nur von dem PEA, seiner Bestellung, seiner Zusammensetzung, seinem Verfahren und der Durchsetzung seiner Entscheidungen. Insbesondere der' Hinweis auf Letzteres spricht dafür, dass sich § 4 Abs 2 Satz 1 der Anlage 12 zum BMV-Z nicht auf ein Beschwerdeverfahren, das die Möglichkeit der Kassation eines Beschlusses des PEA in sich trägt, bezieht.

27

Eine Zuständigkeit der og niedersächsischen Vertragspartner ergibt sich jedoch unter dem Gesichtspunkt einer ungeschriebenen Zuständigkeit Kraft Sachzusammenhangs.

28

Im Verhältnis Landeskompetenz - Bundeskompetenz sind ungeschriebene Zuständigkeiten des Bundes Kraft Sachzusammenhangs anerkannt (vgl hierzu Jarass/Pieroth, GG, 4. Aufl 1997, Art 30 RdNr 5; Art 70, RdNr 3 ff; Art 83 RdNr 6; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl 1998, § 22 RdNr 8). Eine derartige Kompetenz liegt vor, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mit geregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerlässliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie (BVerfGE 3, 407, 421 [BVerfG 16.06.1954 - 1 PBvV 2/52]) [BVerfG 16.06.1954 - 1 PBvC 2/52]. Dieses Rechtsinstitut, dem allgemein gültige Überlegungen zu Grunde liegen, ist ebenso bei der Bestimmung von Zuständigkeiten der Kompetenzträger im Bereich der Selbstverwaltung der Vertragszahnärzte und Krankenkassen anwendbar.

29

Die in § 4 Abs 2 Satz 1 der Anlage 12 zum BMV-Z genannten Vertragspartner können das Verfahren vor dem PEA nur dann verständig regeln, wenn sie ein gegen Beschlüsse dieses Ausschusses durchzuführendes Widerspruchsverfahren mit regeln. Ergeht ein Beschluss zu Lasten des Vertragszahnarztes, ist gern § 78 Abs l SGG vor Durchführung des Gerichtsverfahrens die Durchführung eines Vorverfahrens zwingend erforderlich. Diesen gesetzlichen Vorgaben kann nur Rechnung getragen werden, wenn ein Widerspruchsverfahren einschließlich einer Widerspruchsstelle eingerichtet ist. Die Regelung des Widerspruchsverfahrens ist danach unerlässlich für eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Regelung des Verfahrens vor dem PEA.

30

Der Beigeladenen zu 3) fehlt demnach die Kompetenz, allein eine Widerspruchsstelle für Angelegenheiten des PEA1s zu errichten. Eine solche ist sachlich absolut unzuständig; die von ihr getroffenen Widerspruchsentscheidungen sind nichtig (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl zB Urteil vom 14. September 1994 - L 5 KA 16/93 -).

31

Bis zur Einrichtung einer Widerspruchsstelle durch die og niedersächsischen Vertragspartner können auch nicht die in § 20 Abs l BMV-Z aufgeführten Beschwerdeausschüsse die Aufgaben einer Widerspruchsstelle wahrnehmen. Zwar gelten nach § 4 Abs 2 Satz 2 der Anlage 12 zum BMV-Z bis zu einer Regelung für die Bestellung, die Zusammensetzung, das Verfahren des PEA und die Durchsetzung seiner Entscheidungen die Vorschriften des Bundesmantelvertrages und der Verfahrensordnung. Dieser Verweis bezieht sich jedoch nicht auf solche Bestimmungen, die ein Beschwerdeverfahren zum Gegenstand haben. Wie bereits oben dargelegt, betrifft § 4 Abs 2 Satz 2 der Anlage 12 zum BMV-Z nur das Verfahren vor dem PEA und nicht ein gegen seine Beschlüsse gerichtetes Rechtsbehelfsverfahren.

32

Da eine Widerspruchsstelle nicht existiert und die Kläger damit derzeit keine Möglichkeit haben, das nach § 78 Abs l Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren durchzuführen, können sie den Beschluss des Beklagten gern Art 19 Abs 4 SGG direkt mit der Klage. angreifen (im Ergebnis ebenso BSGE 7, 292, 294; differenzierend BSG SozR § 85 SGG Nr 8 und BSGE 38, 40, 42 [BSG 03.07.1974 - 6 RKa 34/73], nach denen die unmittelbare Angreifbarkeit -des Verwaltungsaktes mit der Anfechtungsklage nur solange gilt, als die Verwaltung begründete Zweifel über das Ob und Wie der Errichtung der Widerspruchsstelle haben kann).

33

Die Klage ist auch begründet.

34

Die Kläger sind durch den angefochtenen Beschluss des Beklagten allein deswegen in ihren Rechten verletzt, weil dieser nicht in einem Vorverfahren überprüft werden kann.

35

Die Kläger haben einen Anspruch auf Durchführung eines Vorverfahrens, insbesondere auf Erlass einer Widerspruchsentscheidung.

36

Ein derartiges subjektives Recht ergibt sich aus § 78 Abs l Satz 1, § 85 Abs 2 SGG. Nach diesen Vorschriften sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, so erlässt die Widerspruchsstelle den Widerspruchsbescheid. Danach ist die Verwaltung verpflichtet, einen Widerspruchsbescheid zu erlassen (Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl 1998, vor § 68 RdNr 13; von Schledorn, NVWZ 1995, S 250). Dieser Pflicht korrespondiert ausweislich des Rechtsschutzzweckes des Vorverfahrens auf Seiten des Bürgen ein entsprechendes subjektives Recht. Das Vorverfahren dient nicht nur der Selbstkontrolle der Verwaltung und dem Schutz der Gerichte vor Überlastung. Es dient vielmehr auch der Verbesserung des Rechtsschutzes des Bürgers (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, vor § 77 RdNr 1; Dolde in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattsammlung Stand: März 1999, Vorb § 68 RdNr 15). So erhält der Bürger durch das Widerspruchsverfahren eine weitere Kontrollinstanz. Bei Ermessensentscheidungen und Entscheidungen mit Beurteilungsspielräumen bleibt zudem der gerichtliche Rechtsschutz hinter dem Rechtsschutz des Vorverfahrens zurück. Im Widerspruchsverfahren wird der Verwaltungsakt gern § 78 Abs l Satz 1 SGG auf seine Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit geprüft. Die Kontrollkompetenz der Widerspruchsbehörde ist dabei umfassend; sie hat die gleichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnisse wie die Ausgangsbehörde und ist folglich zur Änderung, Aufhebung und Ersetzung des Ausgangsbescheides einschließlich seiner Begründung und aller Ermessenserwägungen befugt (Dolde aaO § 68 RdNr 36). Der gerichtliche Rechtsschutz ist demgegenüber beschränkt. Eine Überprüfung des Verwaltungsaktes auf seine Zweckmäßigkeit wird von den Gerichten, denen lediglich die Rechtskontrolle obliegt, nicht vorgenommen (vgl § 54 Abs 2 SGG; siehe auch Meyer-Ladewig SGG, 6. Aufl 1998, § 131 RdNr 2). Dementsprechend werden die Zweckmäßigkeitserwägungen der Erstbehörde gleichsam in letzter Instanz von der Widerspruchsbehörde kontrolliert (Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozessrecht, 14. Aufl 1997, S 123 RdNr 183). Darüber hinaus sind die Gerichte im Bereich der Ermessensentscheidungen und der Entscheidungen auf Grund von Beurteilungsspielräumen zudem im Rahmen der Rechtskontrolle eingeschränkt (vgl Meyer-Ladewig aaO § 54 RdNr 27 und 29; § 54 Abs 2 Satz 2 SGG).

37

Für die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Erlass eines Widerspruchsbescheides spricht schließlich § 88 Abs 2 SGG, der bei unterlassenem Widerspruchsbescheid (zumindest auch) eine Klage des betroffenen Bürgers auf Bescheidung schlechthin, d.h. allein auf Bescheidung durch- die Widerspruchsbehörde vorsieht (vgl zum Meinungsstreit Meyer-Ladewig aaO § 88 RdNr 9 b mwN).

38

Die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Erlass eines Widerspruchsbescheides verbietet sich nach Auffassung des Senats auch nicht im Lichte des Art 74 Nr l GG.

39

Nach Art 74 Nr l GG besitzt der Bundesgesetzgeber die Kompetenz zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens. Auf Grund dieser Vorschrift war er zur Einführung des Vorverfahrens zuständig, da es die. Voraussetzung für ein Sachurteil im sozialgerichtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist (BVerfGE 35, 65, 72). Darüber hinaus war der Bundesgesetzgeber zur Ausgestaltung des (Verwaltungs-) Vorverfahrens berechtigt. Dies ergibt sich im Wege einer weiten Auslegung von Art 74 Nr l GG, die unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm und der zur Auslegung dieser Bestimmung heranzuziehenden Gesichtspunkte des Sachzusammenhangs vertreten wird (vgl hierzu Dolde aaO Vorb § 68 RdNr 10 mwN) oder zumindest im Wege einer Annexkompetenz (vgl hierzu Huxholl, die Erledigung eines Verwaltungsaktes im. Widerspruchsverfahren, 1995, S 120 ff, 136). Dementsprechend können die §§ 78 ff SGG auch Regelungen des Verwaltungsverfahrens enthalten und damit Verwaltungsverfahrensrechte begründen (aA VGH Mannheim NVWZ 1995, S 280).

40

Die mangelnde Durchführbarkeit eines Vorverfahrens begründet losgelöst von der materiellen Rechtslage einen Anspruch der Kläger auf Aufhebung des belastenden Verwaltungsaktes des PEA's. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 29, 239, 243) [BVerwG 28.03.1968 - VIII C 22/67] ausgeführt, das formelle Recht auf Bescheidung an sich sei kein Selbstzweck, sondern diene immer nur der Durchsetzung materieller Ansprüche. Ergebe sich von vornherein, dass das nichtbeschiedene Sachbegehren offensichtlich unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben könne, sei die Klage abzuweisen, weil der Kläger nicht in seinen letztlich verfolgten materiellen Rechten verletzt sei.

41

Diese Erwägungen stehen im vorliegenden Fall einem Aufhebungsanspruch allein wegen Verletzung des Rechts auf Widerspruchsbescheidung nicht entgegen.

42

Ob die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung überhaupt auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragbar ist, erscheint dem Senat angesichts der Regelungen in § 88 SGG fraglich. Diese Norm sieht schließlich gerade unabhängig vom materiellen Recht einen Anspruch auf Bescheidung schlechthin vor. Zumindest aber im Bereich der Ermessensentscheidungen und der Entscheidungen mit Beurteilungsspielräumen verbietet sich eine "vorweggenommene" gerichtliche Überprüfung des materiellen Begehrens auf seinen möglichen Erfolg. Die Gerichte können Bescheide nur im Rahmen der ihnen übertragenen Kontrollkompetenz überprüfen. Nur im Fall der Deckungsgleichheit der Kontrollkompetenzen von Gericht und Widerspruchsbehörde kann das Gericht beurteilen, ob das Begehren des Klägers denn wirklich unter keinem Aspekt Erfolg haben kann. Im Bereich der Ermessensentscheidungen und Entscheidungen mit Beurteilungsspielräumen hat aber nur die Widerspruchsbehörde eine umfassende Überprüfungsbefugnis, wohingegen die gerichtliche Kontrollbefugnis beschränkt ist. Demnach könnte die Widerspruchsbehörde einen Bescheid aus Gründen oder Erwägungen aufheben, die das Gericht gar nicht anstellen dürfte. Der Rechtsschutz des Bürgers würde in diesem Fall endgültig verkürzt. Zumindest im Bereich der Ermessensentscheidungen und Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum ist daher das Recht auf Widerspruchsbescheidung isoliert durchsetzbar (so auch Dolde aaO Vorb § 68 RdNr 15; von Schledorn NVWZ 1995, 250, 251; siehe auch Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl 1998, vor § 68 RdNr 13, nach denen auch im Bereich der gebundenen Verwaltung stets ein verfolgbarer Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheides besteht), und damit ein Anspruch auf Aufhebung eines belastenden Ausgangsbescheides allein wegen Undurchführbarkeit des Vorverfahrens begründet.

43

Dem PEA steht ein Beurteilungsspielraum zu.

44

Er ist gern § 2 seiner Verfahrensordnung vom 01. Januar 1976 mit drei von der KZVN bestellten und drei von den Landesverbänden der Krankenkassen und den landwirtschaftlichen Krankenkassen in Niedersachsen bestellten Vertretern besetzt. Das Bundessozialgericht hat den paritätisch besetzten, unabhängigen Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen sowohl im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 -SGB V (u.a. SozR 3-2500 § 106 Nr 6, S 25) als auch im Rahmen der Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 23 Abs l Satz 2 BMV-Z (Urteil vom 28. August 1996 - 6 RKa 88/95 - S 11) einen nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum zugestanden. Für den ebenfalls paritätisch besetzten, unabhängigen PEA (s. hierzu BSG SozR 1500 § 70 Nr 3, S 5) kann danach nichts anderes gelten.

45

Der Ansicht des Beigeladenen zu 2), einem Aufhebungsanspruch wegen Verletzung des Rechts auf Widerspruchsbescheidung stehe entgegen, dass der PEA verpflichtet sei zu handeln, kann nicht gefolgt werden. Der PEA ist als Teil der Verwaltung nach Art 20 Abs 3 GG an das Gesetz gebunden. Er hat das Recht der Kläger, gegen sie gerichtete belastende Verwaltungsakte in einem Vorverfahren überprüfen zu lassen, zu achten. Solange ein derartiges Verfahren nicht durchführbar ist, darf der PEA die Kläger belastende Verwaltungsakte nicht erlassen und kann er den Antrag der Beigeladenen zu 1} nicht bescheiden (vgl zu den Möglichkeiten der Krankenkassen, eine Ergänzung der Verfahrensordnung in Angelegenheiten des PEA zu erreichen, Urteil des erkennenden Senats vom 13. September 1995 - L 5 KA 89/94 -, ). Anderenfalls verletzt er die Rechte der Kläger und handelt damit rechtswidrig.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.