Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 10.07.2019, Az.: 8 A 6/18

Arbeitsmarkt; Sozialhilfe; Wohnraum

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
10.07.2019
Aktenzeichen
8 A 6/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69791
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Beurteilung, ob sog. Dublin-Rückkehrern in Bulgarien eine Art. 4 GRC verletzende Behandlung droht, ist auch die Situation von Schutzsuchenden nach der Beendigung ihres Asylverfahrens in den Blick zu nehmen.

Anerkannten Schutzberechtigten und abgelehnten Schutzsuchenden droht in Bulgarien eine gegen Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Aufhebung des Bescheides, mit dem ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden ist.

Die im Jahr 1998 geborene Klägerin ist irakische Staatsangehörige, reiste am 12. November 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. November 2017 einen Asylantrag. Sie war zunächst der Erstaufnahmeeinrichtung in D. zugewiesen, wurde dann jedoch nach E. in die dortige Aufnahmeeinrichtung umverteilt.

In ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4. Dezember 2017 gab sie an, in Deutschland Verwandte zu haben und mit ihrem minderjährigen Bruder hierher geflohen zu sein. In Bulgarien hätten sie nicht bleiben wollen.

Eine EURODAC-Abfrage des Bundesamtes ergab, dass die Klägerin bereits in Bulgarien internationalen Schutz beantragt hat. Das Bundesamt stellte gegenüber den bulgarischen Behörden am 5. Dezember 2017 ein Wiederaufnahmeersuchen, welches diese am 11. Dezember 2017 annahmen.

Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 21. Dezember 2017 den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete ihre Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, dass nach der Dublin III-Verordnung Bulgarien für den Asylantrag der Klägerin zuständig sei. Auch bestünden keine Abschiebungsverbote, weil in Bulgarien keine systemischen Mängel vorlägen, welche die Vermutung der zuverlässigen Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention dort widerlegen würden.

Gegen den ihr am 4. Januar 2018 ausgehändigten Bescheid hat die Klägerin am 9. Januar 2018 Klage erhoben. Ihr würden in Bulgarien menschenrechtswidrige Verhältnisse drohen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 9. Juli 2018 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2017 angeordnet (8 B 10/18).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Klägerin war gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen, weil sie die Kosten der Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat sowie nicht mutwillig erscheint. Die Beiordnung erfolgte nach § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2, Abs. 3 ZPO.

Das Verwaltungsgericht Lüneburg ist gem. § 52 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 3 Satz 2 VwGO örtlich zuständig. Zwar war die Klägerin ausweislich der Aufenthaltsgestattung vom 20. November 2017 zunächst der Erstaufnahmeeinrichtung in D. zugewiesen, diese Zuweisung wurde jedoch durch die Umverteilung der Klägerin nach E. in die dortige Aufnahmeeinrichtung, wo sie sich auch während des familiengerichtlichen Vormundschaftsverfahrens im Dezember 2017 aufgehalten und auch den angegriffenen Bescheid am 4. Januar 2018 ausgehändigt bekommen hat, aufgehoben. Damit ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz hatte. Die Klägerin wohnte in E. im Landkreis F., der im Bezirk des Verwaltungsgerichts Lüneburg liegt (§ 73 Abs. 2 Nr. 4 Niedersächsisches Justizgesetz).

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2017 ist in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrages der Klägerin als unzulässig wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Denn die Bundesrepublik Deutschland ist gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 VO (EU) 604/2013 (im Folgenden: Dublin III-VO) für die Prüfung des Asylantrages der Klägerin zuständig.

Zwar war zunächst gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO Bulgarien für die Prüfung zuständig, weil die Klägerin dort zuerst einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Die Zuständigkeit ist jedoch gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Beklagte übergegangen. Denn es liegen wesentliche Gründe für die Annahme vor, dass die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in Bulgarien systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta (im Folgenden: GRC) bzw. dem übereinstimmenden (vgl. Nds OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 26) Art. 3 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) mit sich bringen und kein anderer Mitgliedsstaat als zuständig bestimmt werden kann (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO).

Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der EMRK sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht sowie keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens", vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 82, und Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417 [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]; BVerwG, Urt. v. 09.01.2019 - 1 C 36.18 -, juris Rn. 19; Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (ABl. 2013, L 180/96), die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (ABl. 2011, L 337/9) oder die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (ABl. 2013, L 180/60) genügen, um die Überstellung eines Schutzsuchenden an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (BVerwG, Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Kann einem Mitgliedstaat hingegen nicht unbekannt sein, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, hat eine Überstellung zu unterbleiben (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 85; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Systemische Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 92).

Für das in Deutschland durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK. Das Gericht muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Schutzsuchenden stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GRC sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Schutzsuchende wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im obigen Sinne ausgesetzt wird (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 28). Das Gericht muss auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte feststellen, dass dieses Risiko für diesen Antragsteller gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn 98). Der Nachweis obliegt dem Schutzsuchenden (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 95).

Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen eines Übergangs der Zuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO vorliegen, ist über systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen hinaus auch die Situation von Schutzsuchenden nach der Beendigung des Asylverfahrens in den Blick zu nehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17-, juris Rn. 87 - 89; so auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.05.2019 - A 4 S 1329/19 -, juris Rn. 16; VG Trier, Beschl. v. 05.04.2019 - 7 L 1263/19.TR -, juris Rn. 25; vgl. auch VG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 17.04.2019 - 8 L 1075/18.A -, juris Rn. 28; anders noch: Beschl. d. Gerichts v. 25.01.2019 - 8 B 194/18 -, juris Rn. 42). Das Gericht hat im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17-, juris Rn. 90 f.).

Bei einer Gesamtwürdigung der aktuell vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. BVerfG, Stattg. Kammerbeschl. v. 21.04.2016 - 2 BvR 273/16 -, juris Rn. 11) ist dies für Bulgarien im Falle der Klägerin, über deren Antrag auf internationalen Schutz in Bulgarien noch nicht entschieden wurde, festzustellen (anders noch für einen männlichen Schutzsuchenden und vor der Entscheidung des EuGHs v. 19.03.2019 - C-163/17: Beschl. d. Gerichts v. 25.01.2019 - 8 B 194/18 -, juris Rn. 20).

Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des bulgarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen (vgl. dazu ausführlich etwa Beschl. d. Gerichts v. 22.02.2019 - 8 B 29/19 -, juris Rn. 17, 20 ff.) droht der Klägerin jedenfalls bei einer Gewährung internationalen Schutzes (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 89) in Bulgarien eine Art. 4 GRC verletzende Behandlung (vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.05.2018 - 4 LB 17/17 -, juris Rn. 57 ff.; OVG Saarland, Urt. v. 19.04.2018 - 2 A 737/17 -, juris Rn. 18 ff.; vgl. für eine Mutter mit zwei Kleinkindern: Thüringer OVG, Urt. v. 21.12.2018 - 3 KO 337/17 -, juris; VG Chemnitz, Urt. v. 27.05.2019 - 4 K 3563/16.A -, juris Rn. 11; VG Magdeburg, Urt. v. 06.02.2019 - 8 A 42/19 -, juris Rn. 20 ff.; offengelassen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2018 - OVG 3 S 87.18 -, juris; a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.05.2019 - A 4 S 1329/19 -, juris Rn. 28; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22.08.2018 - 3 L 50/17 -, juris Rn. 14 ff.; VG Cottbus, Urt. v. 21.05.2019 - 5 K 1980/15.A -, juris Rn. 31 ff.; Schleswig-Holsteinisches VG, Gerichtsbescheid v. 07.05.2019 - 10 A 628/18 -, juris Rn. 26 ff.). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 29. Januar 2018 (Az. 10 LB 82/17; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 13.08.2018 - 1 B 24.18 -, juris) ausgeführt:

„aa) Anerkannten Schutzberechtigten droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit, weil sie in der Regel faktisch keinen Zugang zu Wohnraum haben.

Anerkannte Flüchtlinge haben nach Art. 32 Abs. 3 des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes (LAR) der Republik Bulgarien sechs Monate lang Anspruch auf staatliche finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vom 18. Juli 2017, im Folgenden: AA 18.07.2017, S. 8). Dieser Anspruch wird aber in der Praxis nicht umgesetzt (aida, Country Report: Bulgaria, 31.12.2016, S. 68). Stattdessen hat sich etabliert, dass die anerkannten Schutzberechtigten auf Antrag und abhängig von der Belegungsrate für bis zu sechs Monaten, in besonderen Einzelfällen auch länger in den Flüchtlingsunterkünften bleiben dürfen, denen sie zur Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen wurden. Diese Praxis wird aber nicht auf anerkannte Schutzberechtigte und Dublin-Rückkehrer angewandt, die aus welchen Gründen auch immer zwischenzeitlich diese Unterkünfte verlassen haben. Deshalb besteht gerade für diese die Gefahr, in Bulgarien obdachlos zu werden (Expertise der Rechtsanwältin Valeria Ilareva, PhD, vom 07.04.2017, im Folgenden: Ilareva 07.04.2017, S. 8 f.; AA 18.07.2017, S. 8). Aus diesen Gründen vermag sich der Senat auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnislage nicht der gegenteiligen Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt anzuschließen, wonach anerkannte Schutzberechtigte entweder in Asylunterkünften untergebracht würden oder doch zumindest an einer Kurzzeitunterbringung durch die Flüchtlingsbehörde partizipieren könnten (Beschluss vom 31.08.2016 – 3 L 94/16 –, juris Rn. 12).

Der Vertreter der Beklagten hat dieser Einschätzung des Senats in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf eine von ihm behauptete „Auskunft der Agentur für soziale Unterstützung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2016“ widersprochen, wonach es für Bedürftige die Möglichkeit geben soll, in zwei kommunalen „Krisenzentren“ in Sofia während der Wintermonate bis zu 170 Personen unterzubringen. Ferner stünde für bis zu 607 Personen eine kostenlose Unterkunft in einem von landesweit zwölf „Zentren für temporäre Unterbringung“ zur Verfügung, allerdings nur für maximal drei Monate. Diese Auskunft hat der Senat indes nicht überprüfen können. Die angegebene Internetseite mit weiteren Informationen (http://www.asp.government.bg/ASP_Client/ClientServlet?cmd=add_content&lng=1&sectid=24&s1=23&selid=23) ist nämlich nicht (mehr) aufrufbar (so auch bereits VG Göttingen, Urteil vom 11.12.2017 – 3 A 186/17 –, juris Rn. 44). Abgesehen davon, dass es zweifelhaft erscheint, ob die behaupteten „kommunalen Krisenzentren“ bzw. „Zentren für temporäre Unterbringung“ auch rückübererstellten anerkannten Schutzberechtigten und nicht lediglich bulgarischen Obdachlosen offenstehen und ob sie in der Lage wären, eine größere Zahl von rücküberstellten Schutzberechtigten aufzunehmen, sind die von der Beklagten zum Beleg der behaupteten Unterkunftsmöglichkeiten genannten Erkenntnismittel aber jedenfalls veraltet bzw. überholt. Sie stammen nämlich aus den Jahren 2001 (National Legislative Bodies/National Authorities, 2001, Bulgaria: Regulations for Implementation of the Law for Social support - diese Quelle ist von der Beklagten zusätzlich angeführt worden) und 2016 (siehe oben). Dem Senat liegen mit den zitierten Auskünften, insbesondere des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2017 und der Rechtsanwältin Dr. Ilareva vom 7. April 2017 jüngere Erkenntnismittel vor, die keinen Hinweis auf die von der Beklagten angeführten Unterbringungsmöglichkeiten enthalten. Danach können rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte die zur Verfügung stehenden Unterkünfte, z. B. in den Aufnahmezentren der staatlichen Flüchtlingsagentur, gerade nicht in Anspruch nehmen und sind deshalb von Obdachlosigkeit bedroht (Ilareva 07.04.2017, S. 8 f.).

Es existieren auch keine staatlichen Wohnbeihilfen, damit sich anerkannte Schutzberechtigte außerhalb der Flüchtlingszentren eine Unterkunft auf dem privaten Wohnungsmarkt beschaffen können (AA 18.07.2017, S. 7). Es besteht zwar eine sehr begrenzte Auswahl von Sozialwohnungen (AA 18.07.2017, S. 8). Nach bulgarischem Recht entscheidet jedoch jede Gemeinde selbständig über die Gewährung einer Sozialwohnung. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialwohnungen können Flüchtlinge (etwa im Raum Sofia) realistischerweise nicht erfüllen (vgl. Ilareva 07.04.2017, S. 9).

Die Bemühungen der Republik Bulgarien, die Situation anerkannter Schutzberechtigter auch im Hinblick auf deren Unterbringung auf kommunaler Ebene mit Hilfe der Gemeinden zu verbessern, sind bislang unzureichend. Am 12. August 2016 verabschiedete die Republik Bulgarien die „Verordnung über die Bedingungen und das Verfahren für den Abschluss, die Umsetzung und die Aufhebung eines Abkommens über die Integration von Ausländern mit gewährtem Asyl oder internationalem Schutz“. Danach konnte zwischen einem anerkannten Schutzberechtigten und einer Gemeinde ein Integrationsabkommen abgeschlossen werden. Diese Verordnung wurde am 31. März 2017 aufgehoben. Keine Gemeinde hatte Interesse am Abschluss einer solchen Vereinbarung gezeigt (Ilareva 07.04.2017, S. 5 f.). Am 25. Juli 2017 wurde eine neue Verordnung mit identischem Titel erlassen (http://dv.parliament.bg/DVWeb/showMaterialDV.jsp?idMat=116399, zuletzt aufgerufen am 20.11.2017). Nach der neuen Verordnung muss der Bürgermeister, der mit einem Flüchtling eine Integrationsvereinbarung abschließt, Unterstützung bei der Unterbringung des Ausländers und seiner Familienangehörigen leisten (AA 18.07.2017, S. 8). Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat den Erlass der Verordnung in einer Erklärung vom 24. Juli 2017 begrüßt (http://www.unhcr.org/bg/3272-агенцията-на-оон-за-бежанците-приветс.html, zuletzt aufgerufen am 20.11.2017, übersetzt mit google translate), aber bemängelt, dass auch die neue Verordnung darauf basiere, dass sich die Kommunen zum Abschluss einer Integrationsvereinbarung bereit erklärten. An dieser Bereitschaft fehle es. Zudem biete die Verordnung keine wesentliche Unterstützung für einige der bedeutendsten und wichtigsten Hindernisse für eine effektive Integration, etwa dem Zugang von Flüchtlingen zu Sozialwohnungen. Die Staatliche Agentur für Flüchtlinge hat überdies laut einem Pressebericht im November 2017 mitgeteilt, keine Gemeinde habe im Zeitraum seit Erlass der neuen Verordnung im Juli 2017 – wie auch bereits unter Geltung der Vorgänger-Verordnung – den erforderlichen Antrag gestellt, um mit einem anerkannten Schutzberechtigten eine Integrationsvereinbarung abzuschließen (http://econ.bg/Новини/Нито-една-община-не-е-пожелала-да-интегрира-бежанци_l.a_i.752825_at.1.html, zuletzt aufgerufen am 21.11.2017, übersetzt mit google translate). Soweit in Artikel 18 der neuen Verordnung dem Ausländer im Falle einer teilweisen oder vollständigen Nichterfüllung der Vereinbarung ein Widerspruchsrecht eingeräumt ist, setzt dieses Widerspruchsrecht den Abschluss einer solchen Integrationsvereinbarung voraus, der jedoch an der fehlenden Bereitschaft der Gemeinden scheitert. Dies zeigt, dass auch die neue Verordnung von vornherein kein geeignetes Instrument ist, die Situation anerkannter Schutzberechtigter u. a. im Hinblick auf ihre Versorgung mit einer Unterkunft zu verbessern, und der bulgarische Staat keine geeigneten Maßnahmen zur Erreichung dieses Zwecks ergreift. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass sich die anerkannten Schutzberechtigten, die sich in einer gravierenden Mangel- und Notsituation befinden und von staatlicher Unterstützung vollständig abhängig sind, letztlich staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sehen.

Die Beschaffung von Wohnraum am freien Wohnungsmarkt ist auch dann nach Darstellung des UNHCR ein großes Problem, wenn finanzielle Mittel zur Anmietung von Wohnraum vorhanden sind (UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10). Durch den Mangel an gezielter Unterstützung im Wohnungswesen müssten sich Statusinhaber durch Immobilienagenturen, Landsleute, Rechtsanwälte und Freiwillige ihren eigenen Wohnraum suchen. Die Vermittler nutzten häufig die Unerfahrenheit der Begünstigten mit den örtlichen Verhältnissen, ihr fehlendes bulgarisches Sprachwissen und ihren verzweifelten Bedarf an Wohnraum aus und verlangten von ihnen höhere Provisionen oder Mieten für Räume, denen es selbst am Nötigsten fehle (vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 23.07.2015, S. 2). Einen Vermieter zu finden, der bereit sei, eine Wohnung an Familien von vier oder mehr Personen zu vermieten, sei oft eine Herausforderung. Da keine nachhaltige Lösung existiere, seien vor allem besonders gefährdete Personen von Obdachlosigkeit bedroht (UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10). Bereits im Jahr 2014 stellte das Bulgarische Flüchtlingskomitee fest, dass die Beschaffung von privatem Wohnraum allenfalls für Personen eine Option sei, deren Verwandte ihnen Geld überweisen könnten oder die über eine Arbeitsstelle verfügten. Hinzu komme, dass Vermieter die Vermietung aus Gründen der Rasse, der Nationalität, der Religion oder wegen der Anzahl der Kinder der Flüchtlinge ablehnen würden (Bulgarian Council on Refugees and Migrants, Monitoring Report on the Integration of Beneficiaries of International Protection in the Republic of Bulgaria In 2014, S. 53; AA 18.07.2017, S. 9).

Auch die Nichtregierungsorganisationen, die in Einzelfällen bei der Wohnungssuche helfen (AA 18.07.2017, S. 9), sind nach Einschätzung des Senats nicht in der Lage, den in Deutschland lebenden anerkannten Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Bulgarien Unterkünfte zu verschaffen, da deren Hilfen (u. a. Beratung bei der Unterkunftssuche) sich nur im begrenzten Rahmen der jeweiligen Projektfinanzierung bewegen können (Ilareva 07.04.2017, S. 3 ff.).

Im Ergebnis ist die Erlangung des Schutzstatus nach einer Rückkehr daher faktisch in der Regel gleichbedeutend mit Obdachlosigkeit (so ausdrücklich Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 23.07.2015, S. 2). Soweit das Saarländische Oberverwaltungsgericht ebenfalls erhebliche Probleme bei der Unterkunftssuche sieht und deshalb eine Abschiebung nur für zulässig erachtet, wenn die Betroffenen in Bulgarien während einer angemessenen “Anlaufzeit“ eine als Meldeadresse geeignete Unterkunft zur Verfügung haben und auf eine solche Anlaufadresse für angemessene Zeit zugreifen können (Saarländisches OVG, Urteil vom 13.12.2016 – 2 A 260/16 –, juris Rn. 28), bestätigt dies im Ergebnis die Auffassung des Senats.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Bulgarien abweichend von der dargestellten allgemeinen Einschätzung auf (irgend)eine Unterkunft zugreifen kann, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt auch keine Zusicherung des Bundesamtes vor, dass dem Kläger in Bulgarien eine konkrete Unterkunft zur Verfügung steht.

bb) Anerkannte Schutzberechtigte haben zudem große Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu erlangen, um die für Wohnraum und den übrigen Lebensbedarf benötigten Mittel zu erwirtschaften.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist anerkannten Schutzberechtigten auch und gerade deshalb versperrt, weil sie über keine Unterkunft verfügen. Die Jobcenter der Agentur für Arbeit unterstützen die eigenen Anstrengungen bei der Arbeitssuche durch Bereitstellung von Informationen über verfügbare Stellen, Möglichkeiten zur Weiterbildung, Berufsausbildung sowie Berufsorientierungskurse und haben eine unter anderem ins Arabische übersetzte Informationsbroschüre herausgegeben. Ohne Unterkunft können sich die Schutzberechtigten aber nicht bei einem Jobcenter der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend melden. Eine solche Anmeldung erfordert nämlich ein Ausweisdokument. Dieses wiederum kann nur beantragt werden, wenn der Schutzberechtigte eine Meldebestätigung vorweisen kann. Für die Meldebestätigung muss er jedoch eine Unterkunft nachweisen können (Ilareva, Bericht über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien, 27.08.2015, im Folgenden: Ilareva 27.08.2015, S. 3; Ilareva 07.04.2017, S. 6). Doch selbst nach erfolgreicher Registrierung erweist es sich für die anerkannten Schutzberechtigten als fast unlösbare Aufgabe, ohne Kenntnisse der bulgarischen Sprache einen Arbeitsplatz zu finden (AA 18.07.2017, S. 6; UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10; UNHCR, Bulgarien als Asylland, April 2014, S. 12 f.).

Ohne Registrierung beim Jobcenter können anerkannte Schutzberechtigte zwar möglicherweise am lokalen Arbeitsmarkt Beschäftigung finden. Sie verdienen dort aber nur den Mindestlohn bzw. einen Betrag, der nicht ausreicht, um die monatlichen Ausgaben zu decken (Ilareva 27.08.2015, S. 3; UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10; insofern in der deutschen Übersetzung der Stellungnahme von Ilareva 07.04.2017, S. 6, unzutreffend wie folgt zitiert: „erhalten […] einen minimalen Lohn, der aber ausreicht, um ihre monatlichen Kosten zu decken.“ Im Original des UNHCR-Berichts und in der Stellungnahme von Ilareva heißt es hingegen: „earning the minimum wage, which is insufficient to cover […]“; vgl. auch Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015, S. 35). Auch diese Beschäftigungsverhältnisse bieten also keine Gewähr dafür, eine Unterkunft und den übrigen Lebensbedarf finanzieren zu können (a. A. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.08.2016 – 3 L 94/16 –, juris Rn. 14, jedoch ohne Auseinandersetzung mit der Stellungnahme von Ilareva vom 27.08.2015).

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger abweichend von dieser allgemeinen Einschätzung bessere Möglichkeiten hat, eine seinen Lebensbedarf deckende Arbeitsstelle in Bulgarien zu finden, sind nicht erkennbar.

cc) Die erheblichen Probleme bei der Erlangung einer Unterkunft und einer den Lebensbedarf deckenden Beschäftigung bergen zugleich die Gefahr der Verelendung, da auch kein Zugang zu Sozialhilfe besteht.

Denn die bereits erörterte Registrierung beim Jobcenter ist neben dem Ausweisdokument eine der Voraussetzungen, um einen Antrag auf Sozialhilfe stellen zu können (Saarländisches OVG, Urteil vom 10.01.2017 – 2 A 330/16 –, juris Rn. 30; Ilareva 27.08.2015, S. 4; Ilareva 07.04.2017, S. 7). Ohne Unterkunft besteht für die Schutzberechtigten also auch kein Zugang zu Sozialhilfe, ohne die sie andererseits keine Unterkunft (auf dem freien Wohnungsmarkt) erlangen können (Ilareva 27.08.2015, S. 4). Der Zugang zu einer Meldeadresse ist daher der „Dreh- und Angelpunkt“ für die Schutzberechtigten in Bulgarien (Saarländisches OVG, a.a.O.).

Selbst wenn es anerkannten Schutzbedürftigen möglicherweise mit Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen, die – wie ausgeführt – im Einzelfall helfen, gelingt, Wohnraum zu erlangen, besteht das Risiko, dass die Wohnortgemeinden dennoch nicht bereit sind, die Schutzbedürftigen bei der behördlichen Registrierung zu unterstützen (Ilareva 07.04.2017, S. 10).

Dementsprechend stellte das Bulgarische Flüchtlingskomitee bereits im Jahr 2014 fest, dass anerkannte Schutzberechtigte, die über keine Unterstützung von im Ausland lebenden Verwandten verfügen, in größter Armut leben (Bulgarian Council on Refugees and Migrants, Monitoring Report on the Integration of Beneficiaries of International Protection in the Republic of Bulgaria In 2014, S. 38).

Nach dem oben dargestellten Maßstab sind anerkannte Schutzberechtigte zwar nicht besser zu behandeln als die inländische Bevölkerung. Die Lage der anerkannten Schutzberechtigten unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Lebenssituation der bulgarischen Bevölkerung. Sie haben keine sozialen Kontakte, können nicht auf wirksame familiäre oder nachbarschaftliche Hilfe zurückgreifen, sind weitestgehend auf sich allein gestellt und haben vor allem keinen Zugang zu Unterkunft, Arbeitsmöglichkeiten und Sozialhilfe. Hinzu kommen Verständigungsprobleme, da sie die bulgarische Sprache nicht beherrschen und die Angestellten in den Behörden üblicherweise keine Fremdsprache sprechen (Ilareva 27.08.2015, S. 3).“

Diese Ausführungen, denen das Gericht folgt, gelten in vollem Umfang auch für die Klägerin. Die Beklagte hat weder Umstände vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich, die in ihrem Fall zu einer anderen Beurteilung führen würden. Auch ist weder von der Beklagten dargelegt noch sonst zu erkennen, dass sich die Umstände in Bulgarien seit dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2018 in entscheidungserheblicher Weise verändert hätten. Vielmehr ist etwa auch noch den aktuellen Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass selbst diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die bis zu sechs Monate in einer Aufnahmeeinrichtung verbleiben dürfen, weiter akute Schwierigkeiten haben, sich eine Unterkunft zu sichern und die Hindernisse beim Zugang zu Sozialhilfeleistungen fortbestehen (aida, Country Report: Bulgaria, 2018 Update, v. 31.12.2018, S. 76 f.). Der Zugang zu Sozialwohnungen für Personen mit Schutzstatus ist weiterhin unmöglich, selbst Familien mit Kindern bleiben lediglich Obdachlosenunterkünfte (Thüringer OVG, Urt. v. 21.12.2018 - 3 KO 337/17 -, juris Rn. 57 f.). Auch das Auswärtige Amt geht davon aus, dass eine Aufnahme von Rückkehrern, die grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Unterkunft haben, in Flüchtlingsunterkünfte lediglich in Ausnahmefällen erfolgen kann (Anfragebeantwortung AA v. 26.04.2018, S. 2) bzw. aktuell „durchaus möglich“ sei (Anfragebeantwortung AA v. 25.03.2019, S. 2). Auf welche Erkenntnisse sich die Annahme des Auswärtigen Amtes stützt, dass es in Bulgarien kaum obdachlose Flüchtlinge gebe (Anfragebeantwortung AA v. 25.03.2019, S. 2, und vom 16.01.2019, S. 2), ist nicht erkennbar. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen berichten, dass alleinstehende Frauen und Familien mit Kleinkindern am ehesten von Armut und Obdachlosigkeit betroffen sind (BAMF, Länderinformationsblatt Bulgarien, 05.2018, S. 8). Auch nach der Auffassung des UNHCR besteht für Schutzberechtigte das Risiko der Obdachlosigkeit (BAMF, Länderinformationsblatt Bulgarien, 05.2018, S. 9).

Auch der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. August 2018 (Az. 3 L 50/17) sind insoweit keine Erkenntnisse zu entnehmen, die zu einer anderen Beurteilung führen. Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass nicht erkennbar sei, dass mittellose Schutzberechtigte ohne private oder familiäre Netzwerke in Bulgarien nicht ihre elementaren Bedürfnisse (Unterkunft, Versorgung) mit Hilfe von Dritten befriedigen könnten (juris, Rn. 14), tritt das Gericht dieser Auffassung nicht bei. Es ist nicht ersichtlich, dass die in der Entscheidung aufgeführten Hilfen der Nichtregierungsorganisationen tatsächlich in der Praxis dazu beitragen würden, die oben dargestellten Schwierigkeiten von anerkannten Schutzberechtigten, insbesondere bei dem Zugang zu Obdach und zum Arbeitsmarkt bzw. zur Sozialhilfe, zu überwinden (vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 06.02.2019 - 8 A 42/19 -, juris Rn. 24 f.).

Dies gilt gleichsam für den Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 27. Mai 2019 (Az. A 4 S 1329/19). Das in der Entscheidung zitierte Verwaltungsgericht Karlsruhe geht davon aus, dass Schutzberechtigte spätestens nach Ablauf von sechs Monaten, in denen ihnen noch Unterbringungsplätze zur Verfügung stünden, ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten könnten (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.05.2019 - A 4 S 1329/19 -, juris Rn. 22). So führt das Verwaltungsgericht Karlsruhe aus: „Auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt bestehen für erwerbsfähige anerkannte Schutzsuchende tatsächliche Möglichkeiten, existenzsichernde Arbeit zu finden. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes können anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien eine Arbeitsstelle finden. In der jüngeren Vergangenheit erkundigten sich zunehmend Unternehmer danach, Flüchtlinge zu beschäftigen. Im Bereich der Landwirtschaft und der Gastronomie könnten gering qualifizierte Arbeiter ohne bulgarische Sprachkenntnisse unterkommen. Dies gelte insbesondere in ländlichen Gebieten. Bisweilen mangele es allerdings an der Bereitschaft der Flüchtlinge, sich dort niederzulassen (AA v. 26.04.2018, S. 3 f., BAMF v. 01.05.2018, S. 10)“ (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.05.2019 - A 4 S 1329/19 -, juris Rn. 25). Die von dem Verwaltungsgericht Karlsruhe zitierten Erkenntnismittel führen daneben jedoch auch aus, dass mehrere Nichtregierungsorganisationen davon berichten, dass nur wenige anerkannte Schutzberechtigte eine Arbeit finden können, die zudem auch entweder schlecht bezahlt sei oder es sich um einen unqualifizierten Job bzw. einen Arbeitgeber aus dem gleichen Herkunftsland handele (BAMF, Länderinformationsblatt Bulgarien, 05/2018, S. 10). Die Möglichkeiten, über die staatliche Arbeitsagentur einen Platz vermittelt zu bekommen, seien sehr beschränkt (a.a.O, S. 10). Selbst wenn daher für anerkannte Schutzberechtigte in Einzelfällen die Möglichkeit besteht, insbesondere in ländlichen Gebieten eine Arbeitsstelle zu finden, ist nicht ersichtlich - wie auch bereits das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 29. Januar 2018 (Az. 10 LB 82/17) ausgeführt hat -, dass dabei ein Einkommen erwirtschaftet werden könnte, das die monatlichen Kosten deckt. Auf welche Umstände sich die Annahme des Auswärtigen Amtes, es sei „sicherlich möglich, dass der Lohn für einige geringqualifizierte Tätigkeiten zur Deckung des Lebensbedarfs und Finanzierung einer Unterkunft ausreicht“ (Anfragebeantwortung AA v. 26. April 2018, S. 4), stützt, ist nicht erkennbar. Die Lebenshaltungskosten werden in Bulgarien im Landesschnitt mit 305 Euro beziffert (Anfragebeantwortung AA v. 16.01.2019, S. 3). Soweit der Verwaltungsgerichtshof zudem ausführt, dass die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts noch nicht die verschärften Maßstäbe der EuGH-Rechtsprechung berücksichtigen konnte und nach dieser auch nicht darauf abgestellt werden könne, dass Flüchtlinge auch bei rechtlicher Gleichbehandlung mit der inländischen Bevölkerung dennoch in einer grundlegend anderen Lebenssituation sind, insbesondere, weil sie unter anderem nicht auf wirksame familiäre Hilfe zurückgreifen können (a.a.O. Rn. 28), hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht an der zitierten Stelle darüber hinaus „vor allem“ darauf abgestellt hat, dass anerkannte Schutzberechtigte keinen Zugang zu Unterkunft, Arbeitsmöglichkeiten und Sozialhilfe haben (Rn. 53, vgl. auch Rn. 36 ff., 45 ff., 49 ff.). Ohne einen solchen Zugang droht anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien eine Situation extremer materieller Not und damit auch nach und unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 19. März 2019 (Az. C-163/17) eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRC.

Zudem erwartet die Klägerin in Bulgarien auch bei einer Ablehnung ihres Antrages auf internationalen Schutz eine Art. 3 EMRK verletzende Behandlung, weil in diesem Fall keine staatlichen Unterstützungsleistungen vorgesehen sind (vgl. Beschl. d. Gerichts v. 22.02.2019 - 8 B 29/19 -, juris Rn. 37).

Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung und der Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Asylantrages der Klägerin waren auch die Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Bulgariens, die Abschiebungsanordnung nach Bulgarien (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) sowie die Bestimmung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.