Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 03.02.2021, Az.: 3 A 84/18

interner (Kein) Schutz; Journalist; Kolumbien; Verfolgung durch Dritte; politische Verfolgung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
03.02.2021
Aktenzeichen
3 A 84/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die verheirateten Kläger sind kolumbianische Staatsangehörige und lebten vor ihrer Ausreise zuletzt in Sevilla, G.. Der Kläger, in Kolumbien ausgebildeter Volljurist, reiste am 1. Oktober 2017, die Klägerin am 9. November 2017 aus ihrer Heimat aus. Er gelangte am selben Tag auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin, studierte Volkswirtin, reiste am 10. November 2017 auf dem Luftweg ein. Hier stellten die Kläger am 5. Dezember 2017 Asylanträge, zu deren Gründen sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 21. Dezember 2017 angehört worden sind. Zur Begründung gab der Kläger im Wesentlichen an, er und die Familie seiner Frau hätten in Kolumbien Öffentlichkeitsarbeit geleistet. Sie hätten in den Stadtteilen von Sevilla Informationsveranstaltungen durchgeführt. Er sei Anwalt und habe auch rechtliche Hilfe angeboten. Gleichzeitig habe er über eine Stiftung namens Funssaber einen YouTube-Kanal betrieben. Dort sei nicht nur juristische Hilfe angeboten worden, sondern auch Hilfe in anderen Lebenslagen. Auf diesem Kanal sei auch eine Nachrichtensendung gemacht worden. Auf diesem Nachrichtensender hätten sie sich mit politischen Themen beschäftigt. So hätten sie zum Beispiel beim Rathaus über Bildungspläne und allgemein über das Schulsystem nachgefragt. Während einer ihrer Aktionen sei das Fass zum Überlaufen gekommen. Es sei darum gegangen, dass ein Minenkonzern in der Nähe ihrer Heimatstadt eine Mine habe aufmachen wollen, es dort aber viele Wasserquellen gegeben habe. Es haben einen Ex-Senator gegeben, der besonders an diesem Projekt interessiert gewesen sei. Dieser habe intensive Lobbyarbeit im Rathaus betrieben. Im Rathaus habe es eine inoffizielle Veranstaltung gegeben, mit dem Ziel die Genehmigung für die Mine zu erteilen. Sie, der Kläger und die anderen Mitstreiter des Nachrichtenkanals, hätten Informationen über diese inoffizielle Veranstaltung bekommen und veröffentlicht. Darüber sei der Ex-Senator mit Namen H. sehr erbost gewesen. Infolge der Berichterstattung sei nämlich das Projekt gestorben und der Ex-Senator habe viel Geld verloren. Von da an sei die systematische Verfolgung der Mitarbeiter des Kanals losgegangen. Ihnen sei der Zugang zum Rathaus verwehrt worden. Sie hätten auch keinerlei Informationen mehr erhalten. Am 8. September 2017 habe er, der Kläger, unter Adresse ihrer Organisation ein Schreiben erhalten, in dem ihnen für den Fall, dass sie mit ihrer Berichterstattung nicht aufhörten, mit dem Tode gedroht worden sei. Später habe es dann noch Drohanrufe entsprechenden Inhalts gegeben. Er habe sich an die Staatsanwaltschaft und die Polizei gewandt, die jedoch nichts unternommen hätten. Er habe seinen Fall auch einer Nichtregierungsorganisation in Bogota geschildert, die sich um die Organisation der Pressefreiheit kümmere. Ein Mitglied ihrer Organisation habe ihnen gesagt, dass sie „heiß“ seien. Das bedeute in Kolumbien, dass sie kurz davorgestanden hätten, dass ihnen etwas Schlimmes zustößt. An dem Tage habe er entschieden, auszureisen. Sie hätten auch nach Medellin oder in andere Städte Kolumbiens umziehen können, aber der Ex-Senator habe überall in den Bundesstaaten seine Leute. Sie wären dort nicht sicher gewesen.

Die Klägerin bezieht sich bei ihrer Anhörung auf die von ihrem Ehemann, dem Kläger zu 1.), geschilderten Verfolgungshandlungen.

Mit Bescheid vom 31. Januar 2018 lehnte es die Beklagte ab, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und lehnte auch ihre Anträge auf Asylanerkennung ab. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Kolumbien androhte. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Zur Begründung gab die Beklagte im Wesentlichen an, die etwaige Verfolgung durch den Ex-Senator I. knüpfe nicht an ein asylerhebliches Merkmal an. Es sei Rache, die ihn angetrieben habe. Auch einen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes hätten die Kläger nicht, da sie auf staatlichen Schutz zu verweisen seien. Sie hätten ihr Heimatland vor einem Ergebnis zu ihren an die Staatsanwaltschaft und die Polizei gerichteten Anträge verlassen. Im Übrigen stünde den Klägern interner Schutz in der Stadt La Tebaida zur Verfügung, wo der ebenfalls gefährdete Bruder des Klägers zu 1.) lebe. Schließlich sei zwischen dem Eintreffen des Drohbriefs und der Ausreise der Kläger aus Kolumbien nichts passiert, so dass ihre Annahme, sie sollten getötet werden, eine bloße Vermutung darstelle.

Hiergegen haben die Kläger am 12. Februar 2018 Klage erhoben.

Zur Begründung wiederholen und vertiefen die Kläger ihr Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Hierzu legt der Kläger zu 1.) persönliche Stellungnahmen vom 24. April 2018 sowie 13. und 23. November 2020 vor. Wegen des Inhalts des Vortrags wird auf die entsprechenden Schriftstücke Bezug genommen.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,

den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und sie als Asylberechtigte zuzuerkennen,

hilfsweise,

den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass hinsichtlich der Kläger Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,

die Klage abzuweisen.

Die Kläger sind in mündlicher Verhandlung informatorisch zu ihren Asylgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten der Stadt x Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die aus der den Beteiligten mit der Landung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2018 ist rechtswidrig und die Kläger haben die von ihnen mit dem Hauptantrag geltend gemachten Ansprüche auf Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dabei steht der Anspruch der Klägerin zu 2.), der auf die Gewährung von Familienasyl nach § 26 Abs. 1 AsylG gerichtet ist, unter der aufschiebenden Bedingung, dass dieses Urteil rechtskräftig wird.

Dem Kläger zu 1.) ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und er ist als asylberechtigt anzuerkennen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind für beide Rechtspositionen dieselben. Da der Kläger zu 1.) auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, ist sein Asylanspruch nicht nach § 26 a AsylG ausgeschlossen.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – Qualifikationsrichtlinie – (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.

Es obliegt bei alledem dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 – 9 C 32/87; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90, jeweils zitiert nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 – 9 B 405/89, juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90, juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 – 9 C 109.84, zitiert nach juris).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Gemessen an diesen Vorgaben, steht den Klägern ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigte zur Seite.

Sie sind vorverfolgt aus Kolumbien ausgereist.

Nach dem detailreichen und widerspruchsfreien Vortrag insbesondere des Klägers zu 1.) bestand infolge ihrer Tätigkeit als politisch investigative Journalisten unmittelbar bevorstehend Gefahr für ihr Leben infolge ihrer politischen Tätigkeit. Dabei steht die Tätigkeit des Klägers zu 1.) zwar eindeutig im Vordergrund. Jedoch ist auch die Klägerin zu 2.) unmittelbar bedroht worden, so dass ihr ein eigener Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigte zusteht.

Die von beiden Klägern übereinstimmend und emotional betroffen vorgetragenen telefonischen und schriftlichen Bedrohungen entsprechen zur Überzeugung des Gerichts der Wahrheit. Auch ohne dass die Kläger konkret an Leib oder Leben angegriffen worden wären, muss davon ausgegangen werden, dass ein solcher Angriff mit möglicherweise tödlichen Folgen für die Kläger unmittelbar bevorgestanden hat. Der Kläger hat, bestätigt durch das Vorbringen seiner Frau in der mündlichen Verhandlung, eindringlich vorgetragen, dass er im Rahmen seiner Stiftung Funssaber nicht nur landesweit über einen youtube-Kanal juristische Beratung vorgenommen, sondern auch politische Informationen an die Öffentlichkeit weiter gegeben hat. Er hat in seiner Eigenschaft als investigativ tätiger Journalist auf politische Missstände, insbesondere Korruption aufmerksam gemacht. Die die persönliche Bedrohung auslösende Berichterstattung war diejenige über ein Minenprojekt in der Nähe seiner Heimatstadt, das die Trinkwasserversorgung der Stadt hätte gefährden können. Durch seine Berichterstattung ist die Bevölkerung der Stadt auf das Projekt aufmerksam geworden und ist dagegen auf die Straße gegangen. Dadurch wurde das Projekt bis heute verhindert. Mentor dieses Projekts, möglicherweise auch persönlicher Nutznießer, war und ist der ehemalige kolumbianische Senator H.. Infolge der Berichterstattung erhielten die Kläger sodann die telefonischen und schriftlichen Bedrohungen sowie Angriffe über die sozialen Medien. All dies haben die Kläger im Einzelnen nachvollziehbar und widerspruchsfrei und damit überzeugend vorgetragen. Auch den Zusammenhang der Bedrohung mit der Berichterstattung nimmt das Gericht mit den Klägern an. Es gab keine andere Veranlassung für die Drohung mit dem Tode, sollte man nicht mit der berichterstattenden Tätigkeit aufhören, als die Meldungen über das geplante, aber vor der Öffentlichkeit geheim gehaltene Minenprojekt. Die sehr detaillierten Schilderungen der Kläger decken sich mit den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln. Danach kommt es gerade auch in der Heimatregion der Kläger, der Provinz Valle del Cauca, immer wieder neben Kämpfen um Drogenanbaugebiete auch und gerade zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um bestimmte Minenprojekte (OHCR, Situation of human rights in Colombia, vom 08.05.2020 S. 3; HRW World Report 2020, S. 1, 3; KAS Länderbericht Kolumbien, 2/2019, S. 3).

Auch die Person des Ex-senators I. ist nach dem überzeugenden Vorbringen der Kläger einerseits und nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln andererseits bekannt. Sie fügt sich in das von den Klägern geschilderte Bild eines korrupten und skrupellosen Politikers. Die Kläger schilderten in mündlicher Verhandlung zahlreichen Medienberichte über, aber auch von Prozessen gegen diesen Politiker. Zu letzteren legten sie eine Prozessliste der beim Obersten Gerichtshof gegen I. anhängigen Verfahren vor. Die Berichte bringen I. immer wieder in Verbindung mit Paramilitärs einerseits und Drogenclans andererseits. Der Kläger zu 1.) schilderte darüber hinaus – emotional sichtlich betroffen, aber ohne zu übertreiben – die Ermordung eines befreundeten politischen Mitstreiters in der Vergangenheit, die mit der Person des I. in Verbindung zu bringen gewesen ist. Zu einer strafrechtlichen Verfolgung ist es seinerzeit jedoch nicht gekommen. Über die Kontakte des I. mit Paramilitärs und Drogenclans berichtet auch die spanische Wikipediaseite (https.//es.wikipedia.org/wiki/Luis Arenas I.).

Diese Verfolgung hatte einen politischen Anknüpfungspunkt. Gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Verfolgung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3 c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Die Berichterstattung des Klägers und seiner Stiftung beruhte auf dieser Grundhaltung. Sie war auf Transparenz der politischen Entscheidungsprozesse und gegen die allfällige Korruption auf staatlicher Ebene gerichtet. Sie unterminierte damit die Einflussmöglichkeiten des politisch tätigen Ex-senators I. und das von ihm unterstützte Minenvorhaben. Anders als die Beklagte meint, ist das Verfolgungsmotiv ebenso wenig wie die Berichterstattung des Klägers unpolitisch und von persönlichen Motiven gelenkt. Sie ist politisch.

Eine Gefahr für Leib, Leben oder Gesundheit der Kläger stand unmittelbar bevor. Die Drohungen gewannen nach den auch insoweit überzeugenden klägerischen Angaben immer mehr an Intensität und es war den Klägern nicht zuzumuten, abzuwarten, bis ihnen tatsächlich etwas zustieß. Bei lebensnaher Betrachtung handelt es sich nicht um eine bloße Vermutung, sondern in Anbetracht der Gesamtumstände um eine naheliegende Gefahr.

Da die Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weiter voraus (§ 3 c Nr. 3 AsylG), dass der kolumbianische Staat in der Lage und willens ist, i. S. d. § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Dies ist für die Heimatregion der Kläger nicht der Fall.

Gemäß § 3 d Abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gemäß Satz 2 der Vorschrift gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Einen vollständigen Schutz vor jeglichen kriminellen Übergriffen vermag kein Staat zu bieten. Verlangt wird durch die genannten Vorschriften, dass der Staat die Verfolgungsgefahr durch effektiven Schutz minimiert. Selbst wenn es nicht ausreichen sollte, dass die zuständigen Behörden ihr Bestes tun, wenn der Ausländer darlegen kann, dass das Beste ineffektiv ist und er glaubhaft gemacht hat, dass der Staat zur erforderlichen Schutzgewährung nicht fähig ist (vgl. in diesem Sinne Marx, a. a. O. § 3 d Rn. 33), kann hier von einer solchen Gefahr nicht ausgegangen werden.

Unbestritten ist, dass der kolumbianische Staat über entsprechende Schutzgesetze gegen Übergriffe Dritter verfügt. Ebenso unbestritten und durch die Erkenntnislage belegt ist aber auch, dass der kolumbianische Staat in Gebieten, in denen es nach dem Rückzug der Farc-Rebellen infolge des Friedensabkommens 2016 zu Territorial- und Streitereien um Drogen und Rohstoffe gekommen ist, kaum effektive Präsenz auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zeigt. Er ist in den Bereichen der Strafverfolgung in diesen Gebieten quasi nicht existent (vgl. USDOS, Trafficking in Persons Report vom 25.06.2020, S. 1 f.; USDOS, Colombia 2019 Human Rights Report, S. 18; OHCR, Situation of human rights in Colombia, vom 08.05.2020 S. 3; BFA, Länderbericht Kolumbien vom 25.10.2018. S. 7, 11). Zu diesen Gebieten gehört die Provinz Valle del Cauca, die Heimatregion der Kläger. Hier ringen bekanntermaßen bewaffnete organisierte Gruppen um Einfluss und finden Übergriffe auf die dortige Bevölkerung statt, ohne das der Staat dagegen wirksamen Schutz bietet.

Bestätigt wird dies durch die vom Kläger zu 1.) in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Auskunftsschreiben des kolumbianischen Innenministeriums, an deren Echtheit zu zweifeln das Gericht keinerlei Anhalt hat. Der Kläger hat in seiner Eigenschaft als Vorstand der Stiftung Funssaber beim Innenministerium nachgefragt, ob er konkret und ob soziale Führer generell unter staatlichen Schutz gestellt werden könnten. Er erhielt darauf die schriftliche Antwort, dass dies mangels staatlicher Kapazitäten nicht möglich sei. Darüber hinaus ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass in den umkämpften Regionen selbst Personen, denen ein solcher Schutz gewährt worden ist, getötet worden sind.

Schließlich steht den Klägern interner Schutz i. S. v. § 3 e Abs. 1 AsylG nicht zur Seite, so dass ihre Ansprüche nicht nach dieser Norm ausgeschlossen sind.

Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und

2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Ein solch interner Schutz steht kolumbianischen Staatsangehörigen nach der Rechtsprechung der Kammer grundsätzlich in den kolumbianischen Großstädten zur Verfügung, die nicht zu dem Einflussbereich der zwischen der Guerilla und der Regierung umstrittenen Gebieten Kolumbiens gehören. Sämtliche dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel berichten von gezielten Übergriffen von Banden und Guerilleros auf die Zivilbevölkerung lediglich in den nach Rückzug der Farc-Rebellen umkämpften Regionen Kolumbiens. Hierzu gehört insbesondere die Hauptstadt Bogota nicht. Deshalb geht das Gericht grundsätzlich davon aus, dass kolumbianischen Staatsangeörigen etwa in Bogota, aber auch in jeder anderen kolumbianischen Großstadt, die nicht in den umstrittenen Gebieten liegen eine Wohnsitznahme möglich und zumutbar ist. Auf jeden Fall finden die Kläger hier effektiven Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG (vgl. zuletzt Urteil vom13.10.2020 -3 A 304/18-; ebenso VG Braunschweig, Urteil vom 09.07.2019 -3 A 187/19-).

Die Kläger können indes nicht auf diese Möglichkeit verwiesen werden. Sie wären in keiner kolumbianischen Großstadt sicher. Die Besonderheit ihres Falles liegt darin begründet, dass ihr Verfolger, der Ex-Senator I., einerseits ein staatsnaher Politiker ist, der der regierenden Demokratischen Partei des Präsidenten Duque angehört, andererseits aber über gute Kontakte zur nationalen Polizei ebenso wie zu Paramilitärs und Drogenclans unterhält. Der Verfolger der Kläger ist daher nicht nur in deren Heimatregion, sondern über Partei und Staatsapparat in ganz Kolumbien gut vernetzt und in der Lage, überall Einfluss auszuüben. Ist bei einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure dieser Akteur mit dem Staat verbunden und arbeitet sogar mit den Behörden zusammen, kann von einem Verfolgten vernünftigerweise nicht erwartet werden, internen Schutz in Anspruch zu nehmen (vgl. Marx, a.a.O., § 3 e Rn. 18). Hinzu kommt die landesweite Bekanntheit des Klägers zu 1.). Der Kläger hat hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass er über seinen Youtube-Kanal und die dort betriebene internetgestützte Rechtsberatung in ganz Kolumbien bekannt ist. Sein Gesicht ist ein öffentliches und er selbst, wie er es beschreibt, eine öffentliche Person. Es ist daher davon auszugehen, dass er nicht lange unerkannt bleibt, wenn er sich in einer kolumbianischen Stadt niederlässt. Ist der Kläger zu 1.) erst einmal identifiziert, befindet sich auch die Klägerin zu 2.) in Gefahr neuer und weiterer Verfolgung. Beide Aspekte zusammen (landesweite Einflussmöglichkeiten des Verfolgers und allgemeine Bekanntheit des Verfolgten) rechtfertigen es, hier von der ständigen Rechtsprechung der Kammer und der Annahme interner Schutzmöglichkeiten abzuweichen.

Da die Kläger vorverfolgt ausgereist sind und sie bei einer Rückkehr nach Kolumbien nicht hinreichend vor weiterer Verfolgung sicher sind und ihnen interner Schutz nicht zur Seite steht, haben sie einen Anspruch darauf, als Asylberechtigte anerkannt zu werden und darauf, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.