Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.09.2021, Az.: 2 A 837/17

Folter; Haftbedingungen; Irak; Kurdistan; PKK; Waffenhandel

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
27.09.2021
Aktenzeichen
2 A 837/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71093
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wegen Waffenlieferungen an die PKK verfolgte Iraker sind aufgrund ihrer Beteiligung an schweren Straftaten vom Flüchtlingsschutz sowie vom subsidiären Schutz ausgeschlossen. Im Falle drohender Festnahme und Inhaftierung gilt für sie jedoch ein Abschiebungsverbot wegen der Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Irak besteht. Der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2017 wird hinsichtlich der Ziffern 4) bis 6) aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/3, der Kläger zu 2/3. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gesamten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist irakischer Staatsangehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-sunnitischen Glaubens aus C. }.

Im Irak besuchte er die Schule bis zur 9. Klasse und verließ sie ohne Abschluss. Danach handelte er u. a. mit Lebensmitteln und Mobiltelefonen und verdiente damit monatlich 350 bis 400 US-Dollar. Bis zu seiner Ausreise lebte er im Dorf D. nahe E. in seinem Elternhaus. Er verließ sein Heimatland am 10.10.2015 und reiste über die Türkei, Griechenland und die Balkanroute am 06.11.2015 nach Deutschland ein. Die Kosten der Reise von 6.000 US-Dollar übernahm sein Vater. Im Irak leben noch seine Eltern, seine neun Geschwister und seine Großfamilie, zu denen er aber nur wenig Kontakt hat.

Der Kläger stellte am 15.08.2017 einen Asylantrag bei der Beklagten. Die persönliche Anhörung des Klägers erfolgte am 28.09.2017.

Der Kläger berichtete, er habe im Irak auch mit Waffen gehandelt. Dies seien Pistolen und Gewehre gewesen, die der sog. „Islamische Staat“ („IS“) nach der Niederlage gegen die Peschmerga zurückgelassen habe. Sie hätten die Waffen von den Peschmerga illegal erworben und dann weiterverkauft. Außerdem habe er Waren an die PKK verkauft, was verboten gewesen sei. Auf Aufforderung der PKK hätten sie dann angefangen, ihnen auch Waffen zu liefern. Dies hätten sie aber nur etwa viermal getan, nur etwa mit insgesamt 15 bis 20 Stück, und alle Aktivitäten hätten innerhalb eines Monats stattgefunden.

Eines Tages, als er und ein Kollege wieder vier bis fünf Waffen an die PKK hätten liefern wollen, sei ihr Fahrzeug, ein Pick-up, den sie von der PKK bekommen hätten, an einem von Kameras überwachten Kontrollpunkt etwa 15 Autominuten von seinem Heimatdorf entfernt überprüft worden. Die Waffen seien im Wagen unter Gras versteckt gewesen. Die Polizisten hätten einen Sack aus ihrem Auto geholt und sie aufgefordert, den Fahrzeugschein vorzuzeigen. Sie hätten die Gelegenheit genutzt und seien mit dem Auto davongefahren.

Daraufhin hätten sie die PKK angerufen und von dem Vorfall berichtet. Man habe ihnen gesagt, sie sollten sich so schnell wie möglich vor dem Heimatdorf des Klägers mit ihnen treffen. Zwei der drei Polizisten seien ihnen gefolgt, bis der Weg zu uneben geworden und die PKK in Sicht gewesen sei. In D. hätten sie das Auto an einen der Männer von der PKK übergeben, der damit Richtung Gebirge gefahren sei. Sie selbst seien mit einem anderen Wagen ebenfalls Richtung Gebirge gefahren, aber auf einer anderen Route.

Bald darauf sei ein Polizist zu ihnen nach Hause gekommen und habe ihm einen Zettel gegeben und ihm mitgeteilt, dass er sich bei der Polizei melden solle. Er vermute, dass die Sicherheitskräfte Fotos von den Überwachungskameras im Dorf herumgezeigt hätten und so seinen Namen herausgefunden hätten.

Als er der Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe seine Familie am 06.10.2015, etwa einen Monat nach dem Vorfall am Kontrollpunkt, einen Brief erhalten. Dabei habe es sich um einen Haftbefehl gehandelt, demzufolge er zu zehn Jahren Haft verurteilt werden sollte. Er legte ein Schreiben in arabischer Sprache vor, das mit „Haftbefehl“ überschrieben ist, und als Aussteller den Justizrat der Region Kurdistan-Irak, die Präsidentschaft des Berufungsgerichts von F. und das Untersuchungsgericht von E. angibt und vom 06.10.2015 datiert. Darin wird ausgeführt, der Kläger werde auf Grundlage des § 165 des Irakischen Strafgesetzbuches in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.

Weil er Angst vor dem Gefängnis gehabt habe, sei er mithilfe der PKK in die Türkei ausgereist. Er gehe davon aus, dass seine Strafe wegen seiner Flucht von zehn auf 20 bis 30 Jahren Gefängnis erhöht werden würde.

Mit Bescheid vom 15.12.2017 lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), des Antrags auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und des subsidiären Schutzes (Ziffer 3) ab, stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten fest (Ziffer 4), drohte die Abschiebung in den Irak an (Ziffer 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (Ziffer 6). Sie begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass der Kläger keine schutzwürdigen Belange geltend gemacht habe. Die Strafverfolgung durch die irakischen Sicherheitsbehörden aufgrund Waffenhandels beruhe nicht auf einem Verfolgungsgrund.

Der Kläger hat am 23.12.2017 Klage erhoben.

Er beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, ferner hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen, und den Bescheid vom 15.12.2017 aufzuheben, sofern er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.

In der mündlichen Verhandlung korrigierte der Kläger, die Waffen, mit denen sie gehandelt hätten, hätten die Peschmerga von ausländischen Staaten bekommen, um damit den „IS“ zu bekämpfen, sie dann jedoch weitergegeben, um Profit zu machen. Er habe gewusst, dass die PKK mit den Waffen gegen die Türkei kämpfen wollte, aber nicht damit gerechnet, dass es auch zu Verletzungen von Zivilisten kommen könne. An dem Kontrollpunkt habe es keinerlei Kameras gegeben. Bei der Kontrolle habe er sein eigenes Fahrzeug, das auch auf ihn zugelassen gewesen sei, gefahren, und über das Autokennzeichen habe die Polizei seinen Namen und seinen Wohnort feststellen und seine Familie in E. aufsuchen können. Er selbst habe zu dem Zeitpunkt schon das Land verlassen und sei deshalb nicht zu Hause gewesen, als die Vorladung zum Gericht angekommen sei. Seine Familienmitglieder seien wegen der Tat verurteilt worden, eine Strafe von 3.000 US-Dollar an den Staat zu zahlen, außerdem hätten sie vor etwa einem Jahr nochmal ein Schreiben von den Behörden erhalten, in dem man nach seinem Verbleib gefragt habe. Sein Beifahrer sei bei dem Versuch, in den Iran zu fliehen, von der Polizei verhaftet und ebenfalls zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte und die elektronische Asylakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2021 teilgenommen hat, weil sie jeweils ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Folge hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) hat der Kläger weder einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Irak gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG besteht. Nur insoweit ist der Bescheid des Bundesamtes vom 15.12.2017 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ein Ausländer ist Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23/12 –; Urteil vom 05.11.1991 – 9 C 118/90 –, juris). Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Es obliegt dabei dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es der Schilderung eines in sich stimmigen Sachverhaltes, aus dem sich bei unterstellter Wahrheit ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist.

Die Einzelrichterin ist nach eingehender Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass seine Schilderungen hinsichtlich des Ablaufes des Waffenhandels und der Polizeikontrolle im Oktober 2015 der Wahrheit entsprechen, und dies, obgleich einige Widersprüche zu den im Protokoll der Anhörung bei der Beklagten dokumentierten Angaben zutage traten. Der Kläger erklärte die Differenzen damit, dass der Dolmetscher des Bundesamtes einen Dialekt des Kurdischen aus dem Iran gesprochen habe, den er nicht richtig verstanden habe, und offenbar habe der Dolmetscher auch ihm nicht richtig folgen können. Ob dies der Fall war, lässt sich im Nachhinein nicht mehr aufklären, doch der Bericht des Klägers in der mündlichen Verhandlung war sehr detailliert und stringent. Unklarheiten wusste der Kläger stets souverän aufzuklären. Zudem zeigt er mit seinem Vortrag hinsichtlich des Waffenhandels bereits eine starke Tendenz zur Selbstbelastung, sodass ein rein asyltaktisches Vorbringen unwahrscheinlich erscheint.

Fraglich ist jedoch bereits, ob für den Kläger ein Verfolgungsgrund vorliegt. Nach eigenen Angaben unterstützte er die PKK nicht aus Überzeugung heraus, sondern ausschließlich, um Geld zu verdienen. Nach § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, jedoch unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Es erscheint zwar möglich, dass die Behörden Kurdistan-Iraks dem Kläger eine Unterstützung der PKK aus politischer Überzeugung heraus unterstellen und er deshalb eine Behandlung erleiden könnte, die härter ist als sie sonst zur Verfolgung ähnlicher – nichtpolitischer – Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat üblich ist (sogenannter „Politmalus“, vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.07.2021 - A 13 S 1563/20 -, juris Rn. 50). Dies braucht an dieser Stelle aber nicht entschieden zu werden. Dem Kläger ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu versagen, denn es liegt jedenfalls der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG vor.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt dies auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

Der auf Art. 12 Abs. 2 und 3 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU und Art. 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention zurückgehende Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG dient dem Ausschluss „gemeiner Straftäter“, denen man den Flüchtlingsschutz vorenthalten wollte, um den Status eines „bona fide refugee“ aus Gründen der Akzeptanz in der internationalen Gemeinschaft nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung. Vielmehr muss der Straftat ein gewisses Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24/08 -, juris Rn. 41). Zugleich muss die Tat nichtpolitisch sein, wozu nach dem Gesetz insbesondere eine grausame Handlung zählt, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als „terroristisch“ bezeichnet werden, regelmäßig der Fall, insbesondere, wenn sie durch Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung gekennzeichnet sind. Die vorsätzliche rechtswidrige und schuldhafte Tötung oder erhebliche Verletzung eines Menschen erweist sich in Bezug auf das behauptete politische Ziel grundsätzlich als unverhältnismäßig und ist daher in aller Regel eine schwere nichtpolitische Straftat (BVerwG, Urteil vom 04.11.2012 - 10 C 13/11 -, juris Rn. 21).

Allein der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der sog. EU-Terrorliste (Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 17.06.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2002/340/GASP - 2002/462/GSAP - ABl EG Nr. L 160 vom 18.06.2002) aufgeführt ist und sie den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, begründet dabei nicht automatisch die Annahme eines Ausschlussgrundes nach dieser Vorschrift. Es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, um zu ermitteln, ob die von der Organisation begangenen Handlungen schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des Ausschlussgrundes sind und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlung zugerechnet werden kann (BVerwG, Urteil vom 07.07.2011 - 10 C 26/10 -, juris Rn. 35; BVerwG, Urteil vom 19.11.2013 - 10 C 26/12 -, juris Rn. 15). Eine solche individuelle Verantwortung für die Verwirklichung der Handlungen der Organisation ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen, wobei die tatsächliche Rolle der betreffenden Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen, ihre Position innerhalb der Organisation, der Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, sowie etwaige Pressionen oder andere verhaltensbeeinflussende Faktoren zu berücksichtigen sind (OVG NRW, Urteil vom 27.05.2016 - 9 A 653/11.A -, juris Rn. 100).

Der betroffene Ausländer muss die schwere nichtpolitische Straftat gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht selbst begangen haben. Er muss für sie aber persönlich verantwortlich sein. Es erfolgt eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts zu Täterschaft und Teilnahme. Auch eine strafrechtlich relevante Beihilfe begründet die Verantwortung für eine schwere nichtpolitische Straftat, wenn der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat entspricht (BVerwG, Urteil vom 07.07.2011 - 10 C 26/10 -, juris Rn. 38). Verantwortlich ist regelmäßig (erst) derjenige, der einen wesentlichen logistischen, organisatorischen oder auch unmittelbar ideologischen Beitrag zur Durchführung entsprechender Verbrechen erbringt (OVG NRW, Urteil vom 27.05.2016 - 9 A 653/11.A -, juris Rn. 104; VG Berlin, Urteil vom 29.01.2019 - 37 K 98.18 A -, juris Rn. 26).

Zur Überzeugung der Einzelrichterin ist aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger vorsätzliche Beihilfe zu schweren nichtpolitischen Straftaten im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Asyl geleistet hat, indem er mithilfe der Waffenlieferungen bewusst einen wesentlichen Beitrag zu den ab dem Jahr 2015 von der PKK begangenen terroristischen Haupttaten erbracht hat.

Die Kurdische Arbeiterpartei PKK („Partya Karkerên Kurdistanê“) unterhält zahlreiche Stellungen im Nordirak, von wo aus sie grenzübergreifende Angriffe auf die Türkei durchführt (European Asylum Support Office (EASO), Country Guidance Iraq, Common analysis and guidance note, Januar 2021, S. 137). Die Türkei reagierte darauf mit zahlreichen Luftschlägen wie auch mit der Einrichtung von militärischen Stützpunkten in der Region Kurdistan. Die Regierung von Kurdistan-Irak hat die Präsenz der PKK in der Region lange toleriert, weil diese gemeinsam mit den Peschmerga gegen den sog. „Islamischen Staat“ gekämpft hatte, unternimmt mittlerweile jedoch zunehmende Anstrengungen, die Gruppe unter Druck zu setzen, ihre historischen Verstecke in den Bergen des Nordiraks zu verlassen (Shelly Kittleson, Foreign Policy, 29.11.2020, https://foreignpolicy.com/2020/11/29/iraqi-kurds-turn-against-the-pkk/). Im September 2020 erklärte sich der Präsident von Kurdistan-Irak Nechirvan Barzani in Ankara bereit, die Türkei im Kampf gegen die PKK zu unterstützen (Daily Sabah, 08.09.2020, https://www.dailysabah.com/politics/war-on-terror/former-krg-president-barzani-slams-pkk-terrorists-for-being-a-burden-on-kurds). Dementsprechend wachsen derzeit die Sorgen vor einem Krieg zwischen der PKK und den Kräften der kurdischen Regionalregierung (Zhelwan Z Wali, Kurdpress, 01.01.2021, https://kurdpress.com/en/news/268/Kurd-vs-Kurd:-Fears-of-full-scale-war-rise-in-northern-Iraq/).

Der PKK wird seit langem von Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International vorgeworfen werde, Jugendliche zu entführen, um sie zu Kämpfern auszubilden, sowie Zivilisten, die der Spionage verdächtigt würden, zu inhaftieren oder zu ermorden (Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zum Irak: Region Kurdistan: Informationen zu Drohungen und/oder Übergriffen der PKK, 31.05.2021).

Die PKK steht derzeit noch auf der EU-Terrorliste, doch mittlerweile ist umstritten, ob sie nicht vielmehr als Kriegspartei oder als nationale Befreiungsbewegung im Konflikt mit der Türkei einzustufen ist. So urteilte am 15.11.2018 das Gericht der Europäischen Union, die PKK sei zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der EU-Terrorliste geführt worden (- T-316/14 -, juris). Der Europäische Gerichtshof verwies den Rechtsstreit mit Urteil vom 22.04.2021 (- C-46/19 -, juris) an das Gericht zurück. Ebenso entschied das belgische Kassationsgericht in Brüssel mit Urteil vom 28.01.2020 (Nr. P.19.0310.N, abrufbar unter https://juportal.be in niederländischer Sprache), die PKK sei als Konfliktpartei im Sinne des humanitären Völkerrechts zu qualifizieren.

Unabhängig davon beging die PKK in dem Zeitraum, in dem der Kläger Waffen an ihre Mitglieder lieferte, mehrere Straftaten, die als terroristisch anzusehen sind.

Im Jahr 2015 kam es zu mehreren tödlichen Angriffen der PKK gegen die türkische Polizei und Armee, in städtischen Gebieten wurden bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der PKK-Jugendorganisation (YDG-H) auf der einen Seite und Polizei und Armee auf der anderen Seite immer wieder unbeteiligte Zivilpersonen getötet. Im September führte die PKK mehrere tödliche Anschläge durch und im Dezember 2015 wurden im Südosten der Türkei bei Zusammenstößen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK zahlreiche unbewaffnete Einwohner getötet (Amnesty International, Amnesty Report 2016 Türkei, 17.02.2016, S. 1). Nach Angaben des türkischen Menschenrechtsvereins İnsan Hakları Derneği (İHD) sind den Kämpfen zwischen der türkischen Regierung und der PKK zwischen dem 24.07.2015 und dem 08.10.2015 113 Zivilpersonen zum Opfer gefallen. Auch im ersten Halbjahr des Jahres 2016 kam es teilweise nahezu täglich zu Anschlägen der PKK, bei denen auch viele Zivilisten zu Schaden kamen. So explodierte etwa am 13.01.2016 in der Stadt Cinar in der Nähe der Stadt Diyarbakır ein Auto vor einem Kommissariat und einem Gebäude, in dem die Familien von Angehörigen der Polizei leben. Die PKK bekannte sich zum Attentat, welches die Leben von einem Polizisten und fünf Zivilpersonen, darunter zwei kleinen Kindern, forderte. Am 04.03.2016 wurden bei einem Angriff gegen einen Polizeiposten und Unterkünfte der Polizei in der Stadt Nusaybin, Provinz Mardin, welcher der PKK zugeschrieben wird, vier Personen getötet und Dutzende weitere, einschließlich Zivilpersonen, verletzt. Eine Autobombe der PKK tötete am 09.04.2016 im Distrikt Derik, Provinz Mardin, einen Polizeibeamten und eine Zivilperson. Am 11.04.2016 verübten die PKK einen Autobombenanschlag auf eine Gendarmerie in der Stadt Hani, Provinz Diyarbakır. Zwei Personen wurden getötet, 47 weitere, einschließlich acht Zivilpersonen, wurden verletzt. Ein mit 15 Tonnen Sprengstoff beladener Wagen der PKK explodierte am 12.05.2016 in einem ländlichen Gebiet der Provinz Diyarbakır. 16 Zivilpersonen kamen ums Leben, 23 weitere wurden verletzt (zum Vorstehenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei: Situation im Südosten, 25.08.2016, S. 14, 26 ff.).

Auch wenn nicht feststellbar ist, wo genau die von dem Kläger an die PKK-Kämpfer gelieferten Waffen zum Einsatz gekommen sind, erbrachte er damit einen Beitrag zur Verstärkung der Kampfkraft der Gruppierung und förderte damit die Durchführung bewaffneter Anschläge. Dieser Beitrag war weder deshalb untergeordneter Natur, weil er, wenn man die Angaben des Klägers auch insofern als glaubhaft unterstellt, lediglich etwa 20 Gewehre und Pistolen umfasste, noch, weil der Kläger nach seinen Angaben nicht für die Organisation, sondern nur für die Ausführung der Transportfahrten verantwortlich war. Mit fast zwei Dutzend Waffen können bereits schwerwiegende Angriffe mit zahlreichen Toten verübt werden. Und dass die wahren „Drahtzieher“ unter den Peschmerga wie unter den PKK-Kämpfern sich im Hintergrund hielten, ändert nichts daran, dass sie zur Durchführung ihrer Geschäfte angewiesen waren auf „Handlanger“ wie den Kläger, die bereit waren, gegen Bezahlung das Risiko der Strafverfolgung auf sich zu nehmen.

Der Kläger hatte auch mindestens bedingten Vorsatz bezüglich seiner Beihilfehandlung zur Körperverletzung und Tötung von Menschen. Ein Gehilfe braucht keine genaue Kenntnis vom genauen Hergang, Ort, Zeit und Opfer der Tat zu haben (VG Berlin, Urteil vom 29.01.2019 - 37 K 98.18 A -, juris Rn. 35). Für die Bestimmtheit des Gehilfenvorsatzes genügt es, dass der Gehilfe den wesentlichen Unrechtsgehalt und die Angriffsrichtung der Haupttat erfasst (Kudlich in: BeckOK StGB, 50. Aufl. 2021, § 27 Rn. 19; Kühl in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 27 Rn. 7). Beihilfe durch kann danach schon begehen, wer dem Täter ein entscheidendes Tatmittel willentlich an die Hand gibt und damit bewusst das Risiko erhöht, dass eine durch den Einsatz gerade dieses Mittels typischerweise geförderte Haupttat verübt wird (BGH, Urteil vom 18.04.1996 - 1 StR 14/96 -, juris Rn. 12). Die Aussage des Klägers, er sei davon ausgegangen, die PKK habe mithilfe der Waffen nur ihre Stützpunkte gegen die Angehörigen des türkischen Militärs verteidigen wollen, ist als Schutzbehauptung zu werten, denn dass die PKK Anschläge mit zivilen Opfern verübte, war bereits im Jahr 2015 hinreichend bekannt. Der Kläger hielt folglich für möglich und nahm billigend in Kauf, dass er sich mit der Lieferung der Waffen an die PKK-Truppen an Körperverletzungs- und Tötungsdelikten beteiligen würde. Eine nähere Kenntnis von den später verübten Taten, die jedenfalls hinsichtlich der beabsichtigten Rechtsgutsverletzungen und der Begehungsform typischer Terrormaßnahmen im Kurdenkonflikt nach bekannt waren, ist für die Bestimmtheit seines Gehilfenvorsatzes nicht erforderlich (vgl. VG Berlin, Urteil vom 29.01.2019 - 37 K 98.18 A -, juris Rn. 35).

Der Kläger ist gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AsylG auch von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, weil die genannten schwerwiegenden Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er sich mit den Waffentransporten an der Begehung schwerer Straftaten beteiligt hat.

Für den Kläger ist jedoch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf den Irak festzustellen.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 32).

Die Einzelrichterin ist aufgrund der Schilderungen des Klägers und den vorliegenden Erkenntnissen der Überzeugung, dass der Kläger aufgrund seiner Taten tatsächlich zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Dies entspricht dem in Art. 165 des Irakischen Strafgesetzbuches vorgesehenen Strafmaß. Dieser bestimmt, dass, wer ohne Erlaubnis der Regierung eine militärische Streitkraft gegen ein fremdes Land mobilisiert oder zu den Waffen greift oder sich in irgendeiner Weise mit den Streitkräften eines anderen Landes in einer Zeit des Krieges mit diesem Land verbündet oder eine andere feindliche Handlung gegen dieses Land begeht, mit Gefängnis bestraft wird. Die Strafe ist lebenslange Haft oder mehrjährige Haft, wenn die Tat gegen einen arabischen Staat begangen wird (zitiert nach: Iraq: Penal Code, No. 111 of 1969, https://www.refworld.org/docid/452524304.html, Zugriff am 27.09.2021). Es muss davon ausgegangen werden, dass ihm während der Haft, auch aufgrund der ihm jedenfalls von den irakischen Sicherheitsbehörden zugeschriebenen Verbindungen zur PKK, bei seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung drohen.

Zum einen ist anzunehmen, dass insbesondere Beschuldigte, denen Verbindungen zur PKK unterstellt werden, in Kurdistan-Irak nicht mit der Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens rechnen können. So wurden am 16.02.2021 fünf Aktivisten und Journalisten, denen man Spionage für die PKK vorwarf, vom zweiten Strafgericht in Erbil zu jeweils sechs Jahren Haft verurteilt. Dabei kam es dabei zu schwerwiegende Verletzungen ihres Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere wegen der Verurteilung aufgrund von Aussagen, die unter Zwang erpresst wurden, und des Versäumnisses, Untersuchungen zu den Foltervorwürfen der Angeklagten anzuordnen (Amnesty International, Kurdistan Region of Iraq: Authorities must end protests related repression, 15.06.2021; United Nations Assistance Mission for Iraq, Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Freedom of Expression in the Kurdistan Region of Iraq, Mai 2021). Wie in den Vorjahren gab es auch im Jahr 2020 glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der PMF Al-Hashd Al-Sha'abi, Personen während der Verhaftung und der Untersuchungshaft sowie nach der Verurteilung misshandelten und folterten. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung in Einrichtungen des Innenministeriums und, in geringerem Umfang, in Hafteinrichtungen des Verteidigungsministeriums (US Department of State (USDOS), 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq Executive Summary). Beobachter berichten, dass Richter die Angeklagten oft hauptsächlich oder ausschließlich aufgrund von Geständnissen verurteilen, die unter Folter oder Zwang erlangt wurden, und nur selten gerichtsmedizinische Untersuchungen anordneten, um Foltervorwürfen nachzugehen (UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, S. 35).

Zum anderen herrschen in den Haftanstalten in Kurdistan-Irak selbst für Häftlinge ohne politische Vorbelastung katastrophale, gelegentlich lebensbedrohliche Bedingungen. In den meisten Haftanstalten werden die Gefangenen in Zimmern oder Lagerhallen festgehalten, in denen es an den grundlegenden Lebensbedürfnissen wie Sonnenschein, Heizung, Licht oder Badezimmern fehlt. Darüber hinaus erhalten die Häftlinge in diesen Zentren keine Mahlzeiten, sondern müssen sich trotz Armut selbst etwas zu essen kaufen. Die Zahl der Inhaftierten ist in den sechs Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak über die vorgesehene Kapazität hinaus gestiegen. Im Erbil Correctional Center, das für die Unterbringung von 900 Gefangenen gebaut wurde, sollten 1.957 Insassen untergebracht sein. Dort starben kürzlich drei chronisch kranke Häftlinge, ohne dass sie aufgrund der Überbelegung der Haftanstalten angemessen medizinisch versorgt wurden. Das begrenzte medizinische Personal war nicht in der Lage, alle Fälle zu behandeln und eine angemessene medizinische Versorgung für alle Gefangenen zu gewährleisten (United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Opposition to the government in the Kurdistan Region of Iraq (KRI), Juni 2021, S. 47 f.; US Department of State (USDOS), 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq Executive Summary).Gemäß Berichten von Inhaftierten wurden innerhalb der Haftanstalten keine oder kaum ausreichende Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 ergriffen. Unbestätigte Berichte sprechen von zahlreichen Infizierten (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 22.01.2021, S. 22). Zudem verzögern die Behörden von Gefängnissen und Haftanstalten manchmal die Freilassung von entlasteten Häftlingen oder Insassen aufgrund fehlender Häftlingsregistrierung oder anderer bürokratischer Probleme, oder sie erpressen Bestechungsgelder von Häftlingen, bevor diese nach Ablauf ihrer Strafe entlassen werden. Internationale und lokale Menschenrechtsgruppen berichteten, dass die Behörden in zahlreichen Fällen Familienbesuche bei Häftlingen und Verurteilten verweigerten. Das Wachpersonal verlangte angeblich Bestechungsgelder oder schlug Gefangene, wenn diese ihre Angehörigen oder ihren Rechtsbeistand anrufen wollten (US Department of State (USDOS), 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq Executive Summary).

Es spricht viel dafür, dass der Kläger direkt bei oder kurz nach seiner Einreise wegen des gegen ihn ergangenen Urteils festgenommen werden würde. In dem Fall besteht die erhebliche Gefahr, dass er von Sicherheitskräften gefoltert werden könnte, um ihn zu zwingen, Informationen über seine Handelspartner und Kontakte bei der PKK wie auch über weitere Beteiligte an den Waffengeschäften, etwa die Verkäufer bei den Peschmerga, preiszugeben. Im Rahmen seines zu erwartenden mindestens zehnjährigen Gefängnisaufenthalts hat er zudem mit schweren Gesundheitsschäden und Verelendung zu rechnen. Angesichts dessen ist es trotz der von ihm begangenen Straftaten nicht vertretbar, den Kläger in den Irak abzuschieben.

Dementsprechend ist dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuzuerkennen und Ziffer 4) des Bescheides aufzuheben, da sie dem entgegensteht. Einer Entscheidung zum nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf es nicht, weil es sich bei den Abschiebungsverboten aus § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris Rn. 17). Damit ist auch die Abschiebungsandrohung rechtswidrig (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG) und es besteht kein Anlass mehr für eine Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot, sodass der Bescheid auch insofern aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.