Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.10.1989, Az.: 21 L 279/89

Bindungswirkung eines Übertragungsbeschlusses im Fall der Verweisung an ein anderes Gericht im Asylverfahrensrecht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.10.1989
Aktenzeichen
21 L 279/89
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1989, 12788
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:1013.21L279.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 20.07.1989 - AZ: 6 VG A 443/86

Fundstelle

  • ZAR 1990, 97 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Anerkennung als Asylberechtigter - Nichtzulassungsbeschwerde -.

Prozessführer

Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten, ...

Prozessgegner

Bundesrepublik Deutschland,

Bundesminister des Innern in Bonn,
dieser vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, ...

Sonstige Beteiligte

Der srilankische Staatsangehörige ...,

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat der 21. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
am 13. Oktober 1989
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 6. Kammer Stade - vom 20. Juli 1989 wird zurückgewiesen.

Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Antrag, dem Beigeladenen für das Beschwerdeverfahren Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Schindler zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe

1

Die zunächst auf § 32 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG iVm § 138 Nr. 1 VwGO und später ergänzend auf § 32 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

Der Beigeladene rügt zu Unrecht, der Einzelrichter und nicht die Vollkammer des Verwaltungsgerichts Stade sei für die Entscheidung zuständig gewesen. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der vom Verwaltungsgericht Braunschweig am 23. April 1986 ergangene Einzelrichterbeschluß keine Bindungswirkung über die am 23. Mai 1986 erfolgte Verweisung hinaus entfaltet hat.

3

Die Frage der Bindungswirkung eines Übertragungsbeschlusses im Fall der Verweisung ist sowohl in der Kommentarliteratur zu § 348 ZPO, dem § 31 AsylVfG nachgebildet ist, also auch im asylverfahrensrechtlichen Schrifttum umstritten. So vertreten Zöller/Stephan und Baumbach/Hartmann den Standpunkt, die Übertragung auf den Einzelrichter binde auch das aufnehmende Gericht.

4

Zur Begründung wird ausgeführt, der Prozeß vor und nach Verweisung bilde eine Einheit. Frühere Prozeßhandlungen und gerichtliche Entscheidungen wie Prozeßkostenhilfe-, Beweis- und Einzelrichterbeschlüsse wirkten daher fort (vgl. Zöller/Stephan, ZPO, 15. Aufl., § 348 Rdn. 13 und § 281 Rdn. 15; Baumbach/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., § 348 Anm. 1 A und § 281 Anm. 3 E; ebenso OLG Koblenz, Urt. v. 18.01.1985 - 8 U 90/84 -, MDR 1986, 153). Demgegenüber ist Schumann im Kommentar von Stein/Jonas der Ansicht, Verweisungen hätten ebenso wie Zurückverweisungen stets an die Kammer zu erfolgen, die dann darüber zu befinden habe, ob die Rechtssache erneut auf den Einzelrichter übertragen werden sollte (Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., 2. Bd., Teilbd. 2, § 350 Rdn. 2; so auch OLG Frankfurt, Urt. v. 09.11.1976 - 8 U 62.76 -, NJW 1977, 813).

5

Auch in den Kommentierungen zu § 31 AsylVfG zeichnet sich keine einheitliche Meinung zur Frage der Bindungwirkung ab. Während Molitor von der Fortgeltung des Übertragungsbeschlusses ausgeht und auf den mit der Übertragung bezweckten Beschleunigungseffekt hinweist (in: GK-AsylVfG, § 31 Rdn. 100), halten Kloesel/Christ - ohne allerdings den Fall der Verweisung konkret zu benennen - ein generelles Rückholrecht der Kammer für gegeben (vgl. Deutsches Ausländerrecht, 2. Aufl., § 31 AsylVfG Rdn. 3). Ist nach dieser Auffassung nicht einmal die Kammer, welcher der Einzelrichter angehört, an ihren Übertragungsbeschluß gebunden, so muß dies erst recht für ein anderes Gericht im Falle der Verweisung gelten.

6

Der Senat ist unter Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung der speziellen Problematik des § 31 AsylVfG zu der Ansicht gelangt, daß ein Übertragungsbeschluß Bindungswirkung nur innerhalb der jeweiligen Kammer entfaltet mit der Folge, daß bei einer Verweisung die funktionelle Zuständigkeit der Kammer und nicht die des Einzelrichters begründet wird. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Aus der Formulierung "Die Kammer kann ... den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen ..." wird deutlich, daß es dem jeweils zur Entscheidung berufenen Spruchkörper obliegen soll, ob er den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder zur Entscheidung überträgt oder nicht. Der Einzelrichter im Asylverfahren ist als gesetzlicher Richter nicht von vornherein institutionell vorhanden, sondern bedarf zu seiner Entstehung eines konkreten Willensaktes der Kammer. Die Wirkung dieses Willensaktes ist zudem auf die Mitglieder der beschließenden Kammer begrenzt.

7

Es besteht mithin eine sehr starke persönliche Verknüpfung zwischen der Kammer und dem Einzelrichter. Diese enge persönliche Verknüpfung endet, wenn sich das angerufene Gericht für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht abgibt.

8

Mit dieser engen Verknüpfung zwischen Kammer und Einzelrichter hängt auch der zweite Gesichtspunkt zusammen, der für den Senat bei seiner Entscheidungsfindung maßgeblich gewesen ist. Die Übertragung auf den Einzelrichter nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG steht im Ermessen der Kammer ("kann"). Es besteht also keine Verpflichtung, die Übertragung auch tatsächlich vorzunehmen. Selbst dann, wenn die materiellen Voraussetzungen für eine Übertragung gegeben sind, ist die Kammer nicht gehindert, über den Rechtsstreit in der vollen Besetzung zu entscheiden (vgl. Molitor, a.a.O.., § 31 Rdn. 61 f.). Aus dem der Kammer eingeräumten weiten Ermessen folgt gleichzeitig, daß ein Übertragungsbeschluß immer nur für den konkreten Spruchkörper verbindlich sein kann. Denn die Frage, wann eine Rechtssache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und keine grundsätzliche Bedeutung hat, beruht auf einer subjektiven Bewertung des Prozeßstoffs und wird von Spruchkörper zu Spruchkörper unterschiedlich entsprechend dem jeweiligen Erkenntnisstand und dem angewendeten Beurteilungsmaßstab beantwortet. Würde die Einzelrichterübertragung über die Verweisung hinaus fortbestehen, könnte in dem angerufenen Gericht eine Entscheidungsbildung entsprechend den eigenen Maßstäben nicht mehr stattfinden. Der Einzelrichter wäre auch dann zuständig, wenn die Kammer nach ihrer Spruchpraxis eine Entscheidung durch die Vollkammer für nötig erachten würde (vgl. dazu auch Molitor, a.a.O.., § 31 Rdn. 100, der dieses Problem durch eine Rückübertragung lösen will). Eine derartige Präjudizierung würde den der Kammer nach § 31 AsylVfG eröffneten Ermessensspielraum in unverhältnismäßiger Weise einengen. Die Vorschrift ist deshalb so zu verstehen, daß die Übertragungsbefugnis im Anschluß an eine Verweisung neu entsteht. Für die Kammer, die zur endgültigen Entscheidung über den Rechtsstreit berufen ist, kann es keinen Unterschied machen, ob die Klage direkt bei ihr erhoben wurde oder auf dem Umweg über eine Verweisung zu ihr gelangt ist.

9

Nach alledem liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz nicht vor.

10

Soweit mit der Beschwerde ergänzend geltend gemacht wird, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Frage zu, ob die Bestimmung des Art. 2 (1) (h) des srilankischen Prevention of Terrorism Act (PTA) entsprechend neueren Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes im Sinne einer politischen Verfolgung Andersdenkender angewandt werde, hat der Senat bereits in mehreren dem Prozeßbevollmächtigten der Beigeladenen und den übrigen Beteiligten bekannten Beschlüssen im einzelnen dargelegt, warum diese Frage keiner weiteren Klärung bedarf. Dies gilt auch für die von der Beschwerde behauptete geplante Ergänzung des Gesetzes, durch die der Katalog der nach Sect. 2 für strafbar erklärten Handlungen erweitert werden solle. Der Senat verweist insoweit auf seine Beschlüsse vom 03. August 1989 - 21 L 238/89 - und vom 31. August 1989 - 21 L 257/89. Da aus der Sicht des Senats die in einem Berufungsverfahren maßgeblichen Tatsachen- und Rechtsfragen keiner erneuten Prüfung und Erörterung bedürfen, ist der Senat daran gehindert, die Berufung gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG zuzulassen. Hierzu ist er nur befugt, wenn er selbst eine tatsächliche oder rechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung für klärungsbedürftig hält. Ein solches Klärungsbedürfnis kann sich aus einer Änderung der entscheidungserheblichen Sachlage oder aus rechtlichen Gesichtspunkten ergeben, die eine Neubewertung bereits bekannter Tatsachen erfordern, oder schließlich daraus, daß Hinweise anderer Gerichte die Fehlerhaftigkeit eines bisher verfolgten Lösungsansatzes erkennen oder jedenfalls als möglich erscheinen lassen. Derartige Gesichtspunkte, die eine nochmalige Erörterung der in den genannten Beschlüssen behandelten Fragen nahelegen, läßt die Beschwerde indessen nicht hervortreten. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, daß das Bundesverwaltungsgericht in dem Verfahren 21 OVG A 671/87 die Revision gegen das Urteil des Senats vom 17. März 1989 zugelassen hat, um "die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer Staatsschutz-Strafrechtsbestimmung über die Strafbarkeit einer Unruhe und Gewalttätigkeiten verursachenden Meinungsäußerung politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG darstellt, einer weiteren Klärung zuzuführen" (Beschl. v. 18.09.1989 - BVerwG 9 B 278.89). Diese Begründung läßt zwar deutlich werden, daß das Bundesverwaltungsgericht den genannten Fall zum Anlaß nehmen will, noch einmal grundsätzlich zu dem umrissenen Problem Stellung zu nehmen. Sie läßt dagegen nicht erkennen, ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht das Bundesverwaltungsgericht die Ausführungen des Senats zum Inhalt und zur praktischen Anwendung der in Betracht kommenden Vorschriften des PTA für fehlerhaft hält.

11

Da die Rechtsverfolgung des Beigeladenen keinen Erfolg hat, kann ihm Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt werden (§ 166 VwGO iVm § 114 Satz 1 ZPO).

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.000,00 DM festgesetzt.

Czajka Groepper van Nieuwland