Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.10.1989, Az.: 22 L 79/89

Politisches Asyl; Asyl; Polen; Politische Verfolgung; Gewerkschaftstätigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.10.1989
Aktenzeichen
22 L 79/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 12793
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:1016.22L79.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade 02.03.1989 - 4 A 621/88
nachfolgend
BVerwG - 28.06.1990 - AZ: BVerwG 9 B 15/90

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer - vom 2. März 1989 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind polnische Staatsbürger. Sie reisten im Mai 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten politisches Asyl.

2

In einer bei ihrer Einreise gefertigten eigenhändigen Erklärung begründeten die Kläger ihren Asylantrag mit Verfolgung in Polen durch den Staatssicherheitsdienst und die Miliz wegen ihrer Tätigkeit für die Gewerkschaft Solidarität. Die Klägerin zu 2) habe an ihrer Arbeitsstelle Flugblätter der Solidarität fotokopiert und der Kläger zu 1) habe diese dann verteilt. Trotz des Amnestiegesetzes in Polen seien sie weiter verfolgt worden. Die Reisepässe hätten sie sich nur illegal beschaffen können.

3

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) begründete der Kläger zu 1) seinen Antrag im wesentlichen wie folgt: Er sei Berufsradrennfahrer und bis 1984/85 Mitglied der polnischen Nationalmannschaft gewesen. Aus Altersgründen sei er dann ausgeschieden und anschließend in Stargard als Taxifahrer tätig gewesen. Während seiner Sportlerzeit sei er - u.a. zu Wettkämpfen - mindestens achtmal in Berlin gewesen. Aber auch danach habe er sich zu Besuchszwecken wiederholt in Berlin aufgehalten, und zwar mal für einen, mal für zwei und manchmal auch für drei Monate. Das letzte Mal sei er im Juli/August 1987 in Berlin gewesen. Damals habe er seine Ehefrau nachholen wollen, sie habe aber keinen Paß erhalten. Deshalb sei er zurückgekehrt. Seine Ehefrau habe vor zwei Jahren einen Paß bekommen und sei allein in Berlin gewesen. Sie wollten schon seit drei oder vier Jahren gemeinsam einreisen, hätten aber bis jetzt nicht beide gleichzeitig einen Reisepaß besessen. Er habe seinen Paß regulär erhalten, seine Ehefrau ihren über Beziehungen, die Pässe der Kinder hätten sie für je 200,-- DM gekauft.

4

Seine Ehefrau habe in einem großen Bezirksunternehmen für Transportangelegenheiten und Straßenmaschinen bis 1980 und - nach der Geburt ihrer beiden Kinder - wieder ab 1984 gearbeitet. Dort sei sie für die Solidarität aktiv gewesen, indem sie auf einem Fotokopierer, zu dem sie Zugang hatte, Flugblätter von Solidarität vervielfältigt habe. Er selbst sei nicht Mitglied von Solidarität gewesen, habe aber diese Flugblätter zusammen mit dem Solidaritäts-Vorsitzenden im Betrieb seiner Frau, Marek Gluch, in seinem Privatwagen und ab 1986 im Taxi etwa zehn- bis zwölfmal in verschiedene Städte transportiert. Die Tätigkeit für Solidarität von ihnen beiden sei dem Sicherheitsdienst bekanntgeworden. Daraufhin seien sie beide des öfteren zur Miliz bestellt worden, er selbst das letzte Mal am Vortag seiner Ausreise, und es sei mehrmals ihre Wohnung nach Flugblättern durchsucht worden, zuletzt im April 1987.

5

Von 1979 bis 1981 habe er seinen Militärdienst abgeleistet. Als Sportler sei er jedoch vom Wehrdienst freigestellt worden. Seine Zeit als Amateurradfahrer sei auf den Wehrdienst angerechnet worden. Bei seiner Anhörung durch die Alliierten in Berlin sei er etwa 20 bis 30 Minuten nur von den Amerikanern befragt worden. Es sei um nichts Besonderes gegangen, man habe ihn auch nach seinem Wehrdienst befragt. Auf die abschließende Frage nach Ergänzungen zu seinem Vorbringen erklärte der Kläger zu 1), es gebe noch etwas, er wisse aber nicht, ob das wichtig sei. Im März 1988 habe er Fahrgäste nach Stettin gebracht und sei dann im Hotel wegen des Verdachts illegalen Devisenhandels festgenommen worden. Er sei dann von der Polizei zum Kommissariat gebracht worden. Man habe ihn ohne konkrete Beschuldigungen zunächst bis zum nächsten Morgen festgehalten. Bei einem anschließenden Verhör sei ihm wiederum nicht eröffnet worden, wessen man ihn genau bezichtige. Man habe ihm lediglich bedeutet, ganz Stargard sei schon hier gewesen und man werde mit ihnen schon fertig werden. Nach zwei Nächten und insgesamt 40 Stunden Haft sei er freigelassen worden. Ein Strafverfahren sei danach nicht gegen ihn eingeleitet worden, aber seine Ehefrau sei noch einmal zur Miliz vorgeladen worden, und kurz vor ihrer Ausreise habe ihm seine Frau erzählt, daß ... seit drei Tagen nicht mehr zur Arbeit erschienen sei.

6

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt machte die Klägerin zu 2) ergänzend folgende Angaben: Sie und ihr Ehemann hätten die Pässe für eine im Februar 1988 beantragte Reise nach Jugoslawien bekommen, die Pässe für ihre beiden Kinder nur gegen ein Schmiergeld. Ihre Tätigkeit für die Solidarität habe im Kopieren von Flugblättern bestanden. Sie habe die Flugblätter von zwei Angehörigen ihres Betriebes erhalten, die gewünschte Stückzahl angefertigt und die Kopien noch am selben Tag wieder zurückgegeben. Sie habe in der Telefonzentrale ihres Betriebes gearbeitet und dort auch Zugang zu einem Kopiergerät gehabt. Das Papier hierfür habe sie von ... erhalten, ein Zählwerk habe der Kopierer, dessen Fabrikat ihr nicht bekannt sei, nicht gehabt. Die Stückzahl sei unterschiedlich gewesen, mal nur 100 oder 200, manchmal aber auch 5.000 Exemplare. Auch die Häufigkeit der Kopieraufträge sei sehr unterschiedlich gewesen, mal einen pro Woche, mal monatelang überhaupt keinen. Allerdings sei der hohe Papierverbrauch aufgefallen, und sie sei das erste Mal im Mai 1985 zum Direktor bestellt worden. Dort habe bereits ein Milizionär gesessen. Ihr Zimmer sei durchsucht worden, und sie sei zum Verhör zur Miliz mitgenommen worden. Sie habe aber alles abstreiten können. Danach sei sie ständig beobachtet worden und habe daraufhin ihren Arbeitsplatz innerhalb des Betriebes gewechselt und nur noch gelegentlich, nämlich im August 1985 und im August 1986, Flugblätter kopiert. Im Januar 1987 sei eine erste Durchsuchung ihrer Privatwohnung wegen der Flugblätter durchgeführt worden. Anschließend sei sie mehrmals zur Miliz vorgeladen worden, in einem anonymen Brief sei u.a. auch sie der illegalen Flugblattherstellung bezichtigt worden. Man habe ihr aber nichts nachweisen können. Am 1. Mai 1987 habe eine zweite und im März 1988 noch eine dritte Hausdurchsuchung stattgefunden. Sie habe dann keine Flugblätter mehr kopiert, auch habe ab April 1988 neben dem Gerät ein Heft gelegen, in das Kopien eingetragen werden mußten. Dieses sei auch kontrolliert worden. Als ihr Ehemann im März 1988 ohne Ankündigung zwei Tage verschwunden gewesen sei, habe sie sich große Sorgen gemacht. Hinterher habe er ihr erzählt, ihm sei vorgehalten worden, mit ... unterwegs gewesen zu sein. Von ihrer Mutter habe sie erfahren, daß zu Hause für sie und ihren Mann eine Vorladung zur Miliz liege.

7

In Berlin sei sie von den Amerikanern zusammen mit ihrem Ehemann kurz angehört worden. Sie habe man nichts weiter gefragt, ihr Mann habe auf eine entsprechende Frage erklärt, er sei einmal vom Sicherheitsdienst vorgeladen worden, nachdem er das letzte Mal aus Berlin gekommen sei. Man habe wissen wollen, wer hier für seinen Lebensunterhalt aufkomme und mit wem er Kontakt habe.

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Mit Bescheid vom 7. September 1988 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger ab. Die Kläger zu 1) und zu 2) hätten nicht davon überzeugen können, daß sie bis zu ihrer Ausreise fortgesetzt für die Gewerkschaft Solidarität in einer Weise aktiv gewesen seien, daß dieses zu asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen durch die polnischen Behörden geführt habe. Die Darstellung der Kläger zu 1) und zu 2) sei zu unpräzise, die Darstellung der Klägerin zu 2), wie sie auf dem Fotokopiergerät ihres Betriebes unbemerkt und ungehindert tausende von Flugblättern hergestellt haben wolle, sei schlicht realitätsfern. Die vom Kläger zu 1) durchaus nachvollziehbar geschilderte Inhaftierung für 40 Stunden lasse einen asylrechtlichen Bezug nicht erkennen und habe auch keine weiteren Konsequenzen gehabt. Nach Aufhebung des Kriegsrechtes und Erlaß der Amnestiegesetze seien einfache Mitglieder der Solidarität - wie die Kläger zu 1) und zu 2) - keiner konkreten Gefährdung mehr ausgesetzt, sofern sie sich bis zum Ablauf des 31. Dezember 1986 nicht erneut regimefeindlich betätigt hätten. Zu diesem Personenkreis gehörten die Kläger zu 1) und zu 2) jedoch nicht, da angesichts der Geringfügigkeit ihres politischen Wirkens politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen ihnen gegenüber nicht zu erwarten seien. Den Klägern stünden auch keine Nachfluchtgründe zur Seite. Weder der Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Reisepässe, ihr verlängerter Auslandsaufenthalt noch die Stellung eines Asylantrages ziehe asylrelevante Maßnahmen im Falle der Rückkehr nach sich. Die Befragung durch alliierte Dienststellen in Berlin lasse eine Bestrafung gemäß Art. 124 § 1 Polnisches StGB nicht befürchten. Danach drohe demjenigen Freiheitsentzug von mindestens fünf Jahren oder gar die Todesstrafe, der einem fremden Geheimdienst angehöre oder einem solchen Informationen erteile. Von Informationen i.S. dieser Bestimmung könne nur dann die Rede sein, wenn sie wegen des in ihnen enthaltenen Wissensbestandes für den fremden Nachrichtendienst von Interesse sein könnten. Davon sei angesichts der persönlichen Verhältnisse sowie des beruflichen Werdeganges der Kläger nicht auszugehen. Auch sei ihrem Sachvortrag nichts dafür zu entnehmen, daß sie vor ihrer Ausreise aus Polen zu irgendeinem Zeitpunkt als Sicherheitsrisiko betrachtet worden wären. Zwar sei eine Bestrafung aufgrund dieser Bestimmung theoretisch nicht auszuschließen, praktisch sei diese Möglichkeit aber so gering, daß sie vernachlässigt werden könne. Die Kläger zu 1) und zu 2) hätten sich in der Vergangenheit nicht in einem Maße als Regimegegner profiliert, daß sie mit politischer Verfolgung in ihrem Heimatland zu rechnen hätten. Für die beiden minderjährigen Kläger zu 3) und zu 4) seien keine gesonderten Asylgründe vorgetragen, sie würden sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang ergeben.

9

Den Klägern wurde der Bescheid des Bundesamtes zusammen mit dem Bescheid des Beklagten zu 2) zugestellt, in dem sie in Anwendung des § 28 AsylVfG aufgefordert wurden, die Bundesrepublik spätestens einen Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Asylbescheides wieder zu verlassen.

10

In der gegen beide Bescheide erhobenen Klage wiesen die Kläger zunächst darauf hin, daß sie bereits 1980 Flugblätter fotokopiert bzw. transportiert hätten und daß das dafür verwendete Papier immer von Marek Gluch gestellt worden sei. Die Würdigung im Bescheid des Bundesamtes, die von den Klägern geschilderten Geschehnisse seien "unpräzise" bzw. "realitätsfern", treffe nicht zu. Daß sie im Falle der Rückkehr ein Strafverfahren zu erwarten hätten, ergebe sich im übrigen aus einem polnischen Schriftstück vom 9. Januar 1989. Darin werde der Kläger zu 1) aufgefordert, sich beim Strafgericht in Szczecin zu melden. Mehrere solcher Vorladungen bzw. amtlichen Schriftstücke seien an die Eltern des Klägers zu 1) adressiert und diesen auch zugegangen. Allerdings hätten diese, da sie mit diesen Angelegenheiten nichts zu tun haben wollten, die Schriftstücke entweder zurückgeschickt oder vernichtet. Das vorliegende Schreiben sei den Klägern von den Eltern der Klägerin zu 2) zugeschickt worden, die es bei den Eltern des Klägers zu 1) anläßlich eines Besuches vorgefunden hätten. Die Eltern der Klägerin zu 2) hätten insgesamt acht Briefe an ihre Tochter geschrieben, lediglich vier seien davon angekommenen, was auf eine exakte Postkontrolle schließen lasse.

11

Das Verwaltungsgericht hat nach persönlicher Anhörung der Kläger zu 1) und zu 2) die Klage mit Urteil vom 2. März 1989 insgesamt abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Die Fotokopiertätigkeit der Klägerin zu 2) sei nicht herausgekommen und seit April 1988 habe sie auch das Fotokopieren eingestellt. Eine aktuelle Verfolgungsfurcht aus diesem Grunde lasse sich also nicht begründen. Abgesehen davon erscheine dieser Vortrag wenig glaubhaft, weil die Klägerin zu 2) vor dem Bundesamt erklärt habe, es sei aufgefallen, daß sie so viel Papier verbrauche, und es nunmehr in der Klagebegründung heiße, die Klägerin habe überhaupt kein Papier des Betriebes verbraucht, sondern von der Solidarität zur Verfügung gestelltes Papier benutzt. Die Festnahme des Klägers zu 1) durch die Miliz im März 1988 für mehr als 40 Stunden sei nicht asylrelevant, da der Kläger zu 1) selbst eingeräumt habe, man habe ihm als Grund der Festnahme den Verdacht des illegalen Devisenhandels genannt. Die wiederholten Vorladungen zur Miliz und die Hausdurchsuchungen würden ebenfalls keine politische Verfolgung begründen können, da es sich dabei zwar um nervlich belastende Schikanen gehandelt habe, die aber nicht mit einer Existenzbedrohung verbunden gewesen seien. Auch hätte jedenfalls der Kläger zu 1) sein Heimatland völlig legal mit einem Reisepaß verlassen können. Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Vorladung vom 9. Januar 1989 rechtfertige keine andere Entscheidung, da es sich dabei lediglich um eine Vorladung des Klägers zu 1) als Zeuge in einem ihn selbst nicht betreffenden Verfahren handele. Die Klage gegen die Verfügung des Beklagten zu 2) sei ebenfalls unbegründet, da dieser Bescheid in zutreffender Weise die Voraussetzungen des § 28 AsylVfG konkretisiere.

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Gegen dieses Urteil legten die Kläger Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Berufung ein. Das angefochtene Urteil sei in einem wesentlichen Punkt "nicht mit Gründen versehen", da die von den Klägern bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragene geheimdienstliche Befragung durch die Alliierten in Berlin in dem Urteil keinerlei Erwähnung finde. Das Verwaltungsgericht hätte sich aber mit dieser Frage auseinandersetzen müssen, da die geheimdienstliche Befragung von der Rechtsprechung der Instanzgerichte teilweise ohne jede Einschränkung als asylbegründend (objektiver Nachfluchtgrund) gewertet werde und das OVG Lüneburg diesem Fragenkomplex sogar grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 32 Abs. 2 Ziff. 1 AsylVfG als Berufungszulassungsgrund einräume. Auch müßten die Kläger zu 2) bis 4) befürchten, wegen der politischen Verfolgung des Klägers zu 1) geiselähnlich in dessen Verfolgung einbezogen zu werden. Auch sei die Ablehnung des Prozeßkostenhilfe-Antrages der Kläger erst einen Tag vor der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts erfolgt, so daß darauf nicht mehr angemessen habe reagiert werden können.

13

Trotz einer sofort dagegen erhobenen Beschwerde, verbunden mit einem Vertagungsantrag, habe das Verwaltungsgericht dennoch in der Sache entschieden. Diese begründe die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs.

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Mit Beschluß vom 3. Juli 1989 gab der seinerzeit für die Asylverfahren polnischer Staatsbürger zuständige 11. Senat des Gerichts der Beschwerde statt (11 L 349/89). Zum einen hätten die Kläger mit der Beschwerde dargelegt, daß ihnen rechtliches Gehör versagt worden sei, womit ein Verfahrensmangel im Sinne des § 32 Abs. 2 Ziff. 3 AsylVfG iVm § 138 Ziff. 3 VwGO vorliege. Zum anderen hätten sie innerhalb der Frist des § 32 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, daß sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs weiter zur Frage der nachrichtendienstlichen Befragung vorgetragen hätten. Dieser Themenkomplex sei aber bisher weder vom zuständigen Senat noch vom Bundesverwaltungsgericht abschließend entschieden worden. Auch dem angekündigten Vortrag, ob die Kläger zu 2) bis 4) im Falle der Rückkehr geiselähnlich in Anspruch genommen werden könnten, hätte bei einer Sachentscheidung über die Klage ebenfalls nachgegangen werden müssen.

15

Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 1989 ergänzten die Kläger zu 1) und zu 2) ihren bisherigen Vortrag dahingehend, daß sie anläßlich ihrer Vorprüfung vom US-amerikanischen, englischen und französischen Geheimdienst befragt worden seien. Die Befragung durch die Engländer habe etwa eine dreiviertel Stunde gedauert, die durch die Amerikaner und Franzosen jeweils etwa eine halbe Stunde. Der Kläger zu 1) habe anläßlich dieser Befragung seine knapp zweitägige Verhaftung im März 1988 geschildert. Die Klägerin zu 2) habe berichtet, daß sie in ihrem Betrieb mit den Militärangelegenheiten der Mitarbeiter beschäftigt gewesen sei. Der in ihrem Betrieb verantwortliche Mitarbeiter für Militärangelegenheiten der Betriebsangehörigen habe Wisniewski geheißen. Er habe von Zeit zu Zeit Berichte bzw. Statistiken über die militärischen Angelegenheiten der Mitarbeiter an die Wehrersatzbehörden schicken müssen. Die Klägerin zu 2) habe dabei als Sekretärin fungiert. Weiterhin habe sie angegeben, daß ihr Schwager als Unteroffizier bei der polnischen Marine insbesondere für den politischen Unterricht zuständig gewesen sei.

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Die Kläger beantragen,

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das angefochtene Urteil zu ändern und

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1. den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 7. September 1988 aufzuheben und die Beklagte zu 1) zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen,

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2. den Bescheid des Beklagten zu 2) vom 9. November 1988 aufzuheben.

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Die Beklagte zu 1), der Beklagte zu 2) und der Beteiligte beantragen jeweils,

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die Berufung zurückzuweisen.

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In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger beantragt, durch Einholung von Sachverständigengutachten darüber Beweis zu erheben, daß 1. der Kläger zu 1) sich dadurch strafbar gemacht habe, daß er anläßlich seiner Befragung in Berlin Informationen über seine Haft vom 22. bis 24. März 1988 weitergegeben habe, 2. die Klägerin zu 2) sich dadurch strafbar gemacht habe, daß sie bei der gleichen Gelegenheit über die Militärangelegenheiten von Betriebsangehörigen berichtet habe und daß 3. die Kläger zu 3) und zu 4) im Falle ihrer Rückkehr nach Polen wegen der gegen ihre Eltern erhobenen Strafvorwürfe nach Art einer Geisel inhaftiert und mißhandelt würden, um auf ihre Eltern dahingehend Druck auszuüben, ebenfalls nach Polen zurückzukehren. Diese Beweisanträge wurden in der mündlichen Verhandlung abgelehnt.

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Dem Senat haben neben den Gerichts- und Verwaltungsakten, auf die zur weiteren Sachdarstellung und zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen ergänzend Bezug genommen wird, die im Terminsprotokoll vom 16. Oktober 1989 bezeichneten Erkenntnismittel vorgelegen. Diese sind als Informationsmaterial Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, als Asylberechtigte anerkannt zu werden.

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Als politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt derjenige Asyl, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet (BVerwG, Urt. v. 17. 5. 1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184 (185 f.) [BVerwG 17.05.1983 - 9 C 36/83]). Dem Asylsuchenden muß - abgestellt auf den Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung - politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, weshalb ihm eine Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist (BVerfG, Beschl. v. 2. 7. 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341 (360)). Hat der Flüchtling bereits einmal politische Verfolgung erlitten, so kann ihm asylrechtlicher Schutz grundsätzlich nur verwehrt werden, wenn im Rahmen der zu treffenden Zukunftsprognose eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (BVerfG, aaO, S. 316 f., u. BVerwG, Urt. v. 25. 9. 1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 ff.).

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1. Bei Anwendung dieser Maßstäbe haben die Kläger nicht glaubhaft gemacht, bereits in Polen politisch verfolgt worden zu sein. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Kläger Polen aus aktueller Verfolgungsfurcht heraus verlassen haben. Der Kläger zu 1) hat sich nach seinen eigenen Angaben bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt des öfteren - zuletzt im Juli/August 1987 - in West-Berlin aufgehalten, teilweise über mehrere Monate (Bl. 2 des Bundesamtsprotokolls). Er ist stets nach Polen zurückgekehrt und hat damit den bereits erreichten Schutz aufgegeben, obwohl er gleichzeitig angibt, auch schon zu dieser Zeit durch Vorladungen zur Miliz und durch Hausdurchsuchungen bedrängt worden zu sein. Darüber hinaus sind die Schilderungen der Kläger zu 1) und zu 2) über die Paßerlangung in einem Maße widersprüchlich, daß sie überhaupt nicht mehr miteinander zu vereinbaren sind. Der Paß des Klägers zu 1) ist am 9. Juni 1987 ausgestellt worden, der Paß der Klägerin zu 2) am 10. Pazo 1985 und am 24. März 1988 noch einmal verlängert worden. Der Kläger zu 1) führt in seiner eigenen handschriftlichen Erklärung aus, daß alle Pässe der Familie nur auf illegalem Weg beschafft werden konnten. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gibt der Kläger zu 1) an, er habe seinen Paß "normal" bekommen, den für seine Ehefrau habe er nur über Beziehungen erhalten. Die Klägerin zu 2) gibt wiederum bei ihrer Befragung vor dem Bundesamt an, daß sie und ihr Ehemann ihre Pässe legal bekommen hätten, nämlich aufgrund einer schon im Februar beantragten Reise nach Jugoslawien. Dieses wiederum paßt aber mit den Ausstellungsdaten der beiden Pässe nicht zusammen.

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Letztlich können diese Zweifel aber auf sich beruhen, weil die Kläger wegen der von ihnen behaupteten Aktivitäten für die Solidarität keinerlei asylrechtsbegründenden Maßnahmen vor ihrer Ausreise ausgesetzt gewesen sind. Denn die angeführten Hausdurchsuchungen und Verhöre durch die Miliz haben keine asylbegründende Intensität erreicht. Unter diesen Umständen bedürfen auch die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin zu 2) keiner weiteren Vertiefung, wenn sie bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt einerseits angibt, daß der hohe Papierverbrauch durch die für die Solidarität angefertigten Kopien aufgefallen sei und sie andererseits ausführt, das Papier sei von der Solidarität gestellt worden. Hierauf hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend hingewiesen. Die gleiche rechtliche Bewertung gilt für die 40stündige Festnahme des Klägers zu 1) im März 1988, wobei insofern noch hinzu kommt, daß der politische Charakter dieser Maßnahme zweifelhaft ist, da der Kläger zu 1) sie selbst in Zusammenhang mit einem Verdacht wegen Devisenvergehens gebracht hat und sich daran keine weiteren Maßnahmen bzw. Strafverfahren angeschlossen haben. Die behaupteten Vorladungen zum Strafgericht in Szczecin stehen damit offenkundig nicht im Zusammenhang, wie die vom Verwaltungsgericht veranlaßte Übersetzung der allein vorgelegten Ladung vom 9. Januar 1989 ergeben hat (Vorladung des Klägers zu 1) als Zeuge in einem ihn selbst nicht betreffenden Verfahren). Angesichts der veränderten innenpolitischen Verhältnisse in Polen, die gekennzeichnet sind durch eine zunehmende Liberalisierung des innenpolitischen Klimas, die Zulassung auch von radikalen Oppositionsgruppen, die Beteiligung der Solidarität an der Regierungsgewalt und dem Verlust des alles beherrschenden Einflusses der PVAP ist eine politisch motivierte Verfolgung der Kläger im Falle ihrer Rückkehr deswegen ohnehin nicht mehr zu erwarten.

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2. Die Kläger zu 1) und zu 2) können sich auch nicht mit Erfolg auf Nachfluchtgründe berufen. Das Bundesamt hat bereits in seinem angefochtenen Bescheid zutreffend darauf hingewiesen, daß weder ein illegales Verbleiben im Ausland noch die Stellung eines Asylantrages im Falle der Rückkehr nach Polen mangels entsprechender Strafbarkeit asylrelevante Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Dieses wird durch neuere Untersuchungen und Erkenntnisse bestätigt (Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Polen vom 3.1. und 29. 8. 1989; Lammich, Spionage und andere Staatsschutzdelikte im polnischen Recht, in: Recht in Ost und West, 1988 S. 265 ff; Kuss, Gutachten für das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen v. 2. 1. 1989).

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Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger kommt eine Bestrafung nach Art. 124 § 1 pStGB ebenfalls nicht in Betracht. Danach wird mit Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren oder mit dem Tode bestraft, wer einem fremden Nachrichtendienst angehört oder einem solchen Informationen erteilt.

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Die Dienststellen der Alliierten, durch die Kläger zu 1) und zu 2) angehört worden sind, fallen unter den Begriff "fremde Nachrichtendienste" (Lammich, S. 268). Formal ist der Tatbestand des Art. 124 § 1 pStGB auch von den Klägern zu 1) und zu 2) erfüllt worden, da sie im Rahmen ihrer Befragung "Informationen erteilt" haben, denn eine tatbestandsmäßige Einschränkung hinsichtlich der Qualität der Informationen enthält diese Bestimmung nicht. Eine solche Einschränkung erfolgt aber zum einen durch Art. 116 pStGB. Danach wird eine nach Art. 124 § 1 pStGB begangene Straftat eines Polen im Ausland nur dann verfolgt, wenn der Generalstaatsanwalt dieses anordnet. Dabei ist er an keinerlei gesetzliche Vorgaben gebunden, er entscheidet vielmehr allein nach dem Opportunitätsprinzip, wobei er neben der Schwere der Tat und der Person des Täters zu berücksichtigen hat, wie es in einem polnischen Strafrechtskommentar heißt, "in welchem Maße die Handlung eine Gefahr für das polnische staatliche oder gesellschaftliche Interesse mit sich bringt" (zitiert nach Kuss, S. 32). Diese Bestimmung ermöglicht also eine flexible Rechtspraxis und eine Einbeziehung der jeweiligen innen- und außpolitischen Situation (Kuss, S. 31 f.; Lammich, S. 266). Diese ist aber auf absehbare Sicht gekennzeichnet durch eine zunehmende Liberalisierung der innenpolitischen Verhältnisse, wie sie oben kurz skizziert worden ist.

31

Zum anderen ist durch die Rechtsprechung des Obersten Polnischen Gerichtshofes eine tatbestandlich jedenfalls etwas schärfere Fassung des Informationsbegriffes erfolgt ("Unter Nachrichten im Sinne dieser Vorschrift sind Informationen über Tatsachen zu verstehen, die - ohne Rücksicht auf ihre äußere Gestalt - wegen des in ihnen enthaltenen Wissens für den fremden Nachrichtendienst von Nutzen sein können", zitiert nach Kuss, S. 7). Entscheidend ist also nicht mehr die Tatsache der Information allein, sondern der Nutzen für den fremden Nachrichtendienst und der damit korrespondierende (vermutete) Schaden für die polnischen Sicherheits-, Wirtschafts- oder sonstigen wichtigen Interessen.

32

Auch die bekanntgewordene Rechtspraxis läßt eine zunehmend einschränkende Auslegung erkennen. So wird danach differenziert, ob lediglich Angaben zur persönlichen, familiären und beruflichen Lage gemacht werden und ob allein auf eine Befragung geantwortet oder ob die Absicht erkennbar wird, für einen fremden Nachrichtendienst tätig zu werden (Kuss, S. 9 f.). Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes werden "allein die Tatsache einer Befragung, der offenbar jeder Asylbewerber ausgesetzt ist, und eine entsprechende Auskunftserteilung über Angelegenheiten allgemeiner Natur, d.h. über Angelegenheiten, über die grundsätzlich jeder polnische Staatsangehörige berichten könnte, von den polnischen Behörden nicht mehr als Grundlage für eine Strafverfolgung nach Art. 124 pStGB angesehen". Allerdings dürfte dem Inhalt der erteilten Anworten dann Bedeutung zukommen, wenn - bei entsprechendem Wissen des Asylbewerbers - Staats- oder Militärgeheimnisse übermittelt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht v. 16. 8. 1989).

33

Unter Berücksichtigung des Opportunitätsprinzips (Art. 116 pStGB), das eine Einbeziehung der veränderten innenpolitischen Verhältnisse in Polen ermöglicht, der schärferen Fassung des Informationsbegriffes des Art. 124 § 1 pStGB in der polnischen Rechtsprechung und Literatur sowie einer festzustellenden restriktiveren Rechtspraxis müssen nach Überzeugung des Senats nur solche Asylbewerber mit einer Bestrafung nach Art. 124 § 1 pStGB rechnen, bei denen sich den polnischen Behörden die Vermutung aufdrängt, daß sie bei ihrer Anhörung Informationen von nachrichtendienstlicher Bedeutung preisgegeben haben könnten. Das betrifft aber allein solche Personen, die aufgrund ihrer Stellung im politischen, gesellschaftlichen oder beruflichen Leben in der Lage sind, Auskünfte über innerstaatliche Machtstrukturen, Funktionszusammenhänge oder andere Details preiszugeben, deren Bekanntwerden im Ausland für den polnischen Staat Nachteile bringt. Dazu gehören vor allem solche Führungskräfte, die in der staatlichen Verwaltung, Armee oder Wirtschaft herausgehobene Positionen bekleiden, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen maßgebliche Funktionen ausüben oder die aus anderen Gründen imstande sein könnten, dem ausländischen Staat bedeutsame, d.h. insbesondere auch aktuelle Erkenntnisse über z.B. die militärische Stärke, die innere Sicherheit, die Wirtschaftskraft, den sonstigen technischen Standard oder sonstige für eine Lagebeurteilung bedeutsame Faktoren zu vermitteln. In diesem Sinn nachrichtendienstlich relevant kann - wie in jedem anderen Staat auch - jede Auskunft eines Angehörigen des oben näher bezeichneten Personenkreises sein, die nicht der Öffentlichkeit allgemein zugängliche Bereiche betrifft, insbesondere Organisationsstruktur und Arbeitsweise von für die innere und äußere Sicherheit bedeutsamen Behörden und Betrieben, vertrauliche Produktionszahlen, militärische Daten oder sonstige Mitteilungen, denen entsprechendes Gewicht zukommt (ähnlich: OVG Koblenz, Urt. v. 12. 3. 1987 - 11 A 45/84 -; OVG Berlin, Urt. v. 14. 8. 1986 - 3 B 335/85 -; HessVGH, Urt. v. 15. 5. 1986 - 10 OE 104/83 -).

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Klägerin zu 2) bereits deshalb nicht zu dem in diesem Sinne gefährdeten Personenkreis gehört, weil ihre erstmals mit Schriftsatz vom 9. Oktober 1989 vorgetragenen Tatsachenbehauptungen unglaubhaft sind. Bisher war stets davon die Rede, daß die Klägerin zu 2) in ihrem Betrieb (Bezirksunternehmen für Transport- und Straßenbau) in der Telefonzentrale gearbeitet habe (Bl. 1 des Bundesamtsprotokolls). Die nunmehr erstmals - nach nahezu eineinhalbjähriger Verfahrensdauer - aufgestellte Behauptung, sie sei in ihrem Betrieb "mit den Militärangelegenheiten der Mitarbeiter beschäftigt" gewesen, stellt demgegenüber sowohl ein gesteigertes als auch widersprüchliches Vorbringen dar. Da hierfür keinerlei plausible Erklärung abgegeben wurde, ist es als nicht hinreichend glaubhaft gemacht und damit unbeachtlich anzusehen.

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Für glaubhaft gemacht hält der Senat allein eine übliche Routinebefragung, wobei Zweifel hinsichtlich der zunächst geschilderten Zeitdauer (kurze Anhörung) und der Anzahl der Anhörungsstellen (nur Amerikaner) und dem jetzigen Vortrag (Befragung durch Engländer eine dreiviertel Stunde, Amerikaner und Franzosen jeweil eine halbe Stunde) offenbleiben können, da bei Anwendung der o.a. Kriterien, insbesondere dem einschlägigen Personenkreis verbunden mit dem entsprechenden Kenntnisstand, eine Bestrafung nach Art. 124 § 1 pStGB jedenfalls unter den jetzigen innenpolitischen Verhältnissen in Polen von vornherein nicht in Betracht kommt. Das gleiche gilt, soweit die Klägerin zu 2) erstmals mit Schriftsatz vom 9. Oktober 1989 vorträgt, sie habe bei ihrer Anhörung angegeben, ihr Schwager sei als Unteroffizier bei der polnischen Marine für den politischen Unterricht zuständig gewesen. Ein Nutzen dieser Mitteilung für westliche Nachrichtendienste ist bereits nicht ersichtlich. Der Einholung entsprechender Sachverständigengutachten, wie von der Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung beantragt, bedurfte es also mangels Glaubhaftmachung der tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür nicht.

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Eine Strafbarkeit des Klägers zu 1) gemäß Art. 124 § 1 pStGB scheidet zur Überzeugung des Senats ebenfalls aus. Selbst wenn er bei seiner Anhörung durch die Alliierten Einzelheiten über seine Verhaftung und Verhöre in Stettin mitgeteilt haben sollte - bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt war davon noch nicht die Rede (Bl. 10 des Bundesamtsprotokolls) -, führt dieses nicht zu einer Anwendung des Art. 124 § 1 pStGB. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers zu 1) kommt es auf die Erteilung von Informationen allein nicht an. Diese müssen - wie oben dargelegt - westlichen Nachrichtendiensten von Nutzen sein, insbesondere von einem Personenkreis stammen, der aktuelle Erkenntnisse über militärische, wirtschaftliche oder auch die innere Sicherheit betreffende Fragen vermitteln kann. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger zu 1) als Taxifahrer nicht. Angesichts der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel auch aus jüngster Zeit (Lageberichte des Auswärtigen Amtes v. 3. 1. u. 29. 8. 1989; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht v. 16. 8. 1989; Lammich, aaO; Kuss aaO), mit denen sich die vom Kläger zu 1) aufgeworfene Beweisfrage einer auf seine Person bezogenen strafrechtlichen Verfolgung gemäß Art. 124 § 1 pStGB bereits hinreichend beantworten läßt, bedurfte es nicht der - in der mündlichen Verhandlung beantragten - Einholung von weiteren Sachverständigengutachten. Auch ansonsten konnte der Kläger zu 1) bei seiner Anhörung durch die Alliierten keinerlei interessante Nachrichten mitteilen, weil er dem entsprechenden Kreis von Informationsträgern nicht angehörte.

37

Da die Voraussetzungen einer Bestrafung wegen Spionagetätigkeit weder bei dem Kläger zu 1) noch bei der Klägerin zu 2) vorliegend gegeben sind, sind keine weiteren Ausführungen zu der Frage mehr erforderlich, inwieweit eine solche Bestrafung angesichts der veränderten innenpolitischen Verhältnisse in Polen auch als Ausdruck einer politischen Verfolgungsmotivation anzusehen wäre, sie also den Zweck verfolgte, politische Gegner zu disziplinieren, oder ob die nunmehr praktizierte restriktive Anwendung nicht vielmehr durch die legitimen Staatsschutzinteressen eines jeden Staates gerechtfertigt ist. Auch eines weiteren Eingehens auf die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um einen beachtlichen subjektiven Nachfluchtgrund im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 21. 6. 1988 - 9 C 5/88 -, NVwZ 89, 68; Urt. v. 30. 8. 1988 - 9 C 80/87 -, InfAuslR 88, 337) handeln würde (verneinend: OVG Berlin, Urt. v. 23. 2. 1989, aaO), bedurfte es unter diesen Umständen nicht.

38

3. Die Kläger zu 3) und zu 4) haben keine eigenen Asylgründe geltend gemacht, sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Mangels asylrechtlich-relevantem Sachvortrag ihrer Eltern, der Kläger zu 1) und zu 2), kommt auch eine geiselähnliche Inanspruchnahme von vornherein nicht in Betracht. Die Einholung von Sachverständigengutachten zu dieser Frage, wie in der mündlichen Verhandlung beantragt, war demgemäß nicht geboten.

39

4. Der Bescheid des Beklagten zu 2) begegnet keinerlei rechtlichen Bedenken. Die Ausreiseaufforderung verbunden mit der Abschiebungsanordnung stellt eine zutreffende Konkretisierung der Voraussetzungen des § 28 AsylVfG dar. Einwände, insbesondere (vorläufige) Bleiberechte im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, sind von den Klägern nicht dargelegt worden.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten aus § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 ZPO.

41

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

42

Dr. Hamann

43

Willikonsky

44

Dr. Beyer