Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.03.2018, Az.: 1 WF 33/18

Voraussetzungen der Aussetzung eines Sorgerechtsverfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
06.03.2018
Aktenzeichen
1 WF 33/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 17385
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 22.01.2018 - AZ: 246 F 155/17

Fundstelle

  • FamRZ 2018, 1157

Amtlicher Leitsatz

Ein wichtiger Grund zur Aussetzung eines Sorgerechtsverfahrens kann auch eine "Vorgreiflichkeit im weiteren Sinne" zur Klärung des Sachverhalts sein.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Aussetzungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 22.01.2018 in der Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 12.02.2018 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Verfahrenswert wird auf 500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die nach §§ 567 ff ZPO, 21 Abs. 2 FamFG statthafte Beschwerde der Antragstellerin, die unter Einhaltung der Zweiwochenfrist form- und fristgerecht gegen den Aussetzungsbeschluss des Amtsgerichts vom 22.01.2018 eingelegt worden ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Gericht kann gemäß § 21 Abs. 1 FamFG das Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen, wobei es diese Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen und die sachlichen Gründe abzuwägen hat, die für oder gegen ein Abwarten der Entscheidung sprechen (vgl. BGH, NJW 2012, 3784; Kammergericht, FamRZ 2011, 393; OLG Köln, FamRZ 2013, 719; Keidel/Sternal, FamFG, 19. A., § 21 Rn 21; Zöller/Geimer, ZPO, 32. A., § 21 FamFG, Rn 2). Im Beschwerdeverfahren darf das Beschwerdegericht deshalb keine eigene Ermessensentscheidung treffen, vielmehr hat es allein zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund vorliegt und die Aussetzungsentscheidung auf Verfahrens- oder Ermessensfehler beruht (vgl. Keidel/Sternal, a. a. O. § 21 Rn 32a, m. w. N.).

Das in § 21 FamFG für einen wichtigen Grund zur Aussetzung des Verfahrens genannte Regelbeispiel der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens (im engeren Sinne) liegt ersichtlich nicht vor, weil die Entscheidung über den Antrag der Kindesmutter, ihr die Alleinsorge für die gemeinsamen Töchter zu übertragen, nicht unmittelbar von dem Ausgang des gegen den Kindesvaters geführten strafrechtlichen Verfahrens wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Tochter Friederike abhängt. Dies hat das Amtsgericht allerdings auch nicht angenommen, vielmehr als wichtigen Grund im Sinne des § 21 Abs. 1 FamFG in den Blick genommen, dass in dem betreffenden Strafverfahren Erkenntnisse zu erwarten sind, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entscheidung im vorliegenden Sorgerechtsverfahren haben. Dies ist in zweierlei Hinsicht nicht zu beanstanden.

Zunächst besteht eine Abhängigkeit beider Verfahren in dem Sinne, dass die im Strafverfahren zu erwartende Beweiserhebung voraussichtlich Einfluss auf das laufende Sorgerechtsverfahren haben wird. Diese "Vorgreiflichkeit im weiteren Sinne" zeigt sich etwa darin, dass Erkenntnisse im Strafverfahren unmittelbar auch für die Frage der Erziehungs- und Bindungsfähigkeit der Kindeseltern Bedeutung haben, jedenfalls aber aussagekräftig dafür sein können, ob der Kindesvater die sog. Restsorge für seine Töchter ausüben kann. Zwar hat das Familiengericht in Kindschaftssachen den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, was aber nicht ausschließt, im Wege des Freibeweises auch Erkenntnisse aus anderen gerichtlichen Verfahren zu verwerten. Hinzu kommt, dass den Kindern durch die Aussetzung des Verfahrens eine weitere Anhörung in der vorliegenden Sorgerechtssache erspart bleiben kann, wenn die Feststellungen im strafrechtlichen Verfahren ergiebig sind. Dies entspricht gerade auch der Intention der Kindesmutter, die Kinder wegen deren schon bestehenden Belastung keiner weiteren Anhörung zu unterziehen, wie es im anwaltlichen Schreiben vom 08.12.2017 an die Verfahrensbeiständin seinen Niederschlag gefunden hat.

Darüber hinaus kann eine Aussetzung des Verfahrens insbesondere in Sorgerechtssachen zulässig sein, um allgemein eine Klärung des Sachverhalts abzuwarten, etwa wenn die Familienverhältnisse noch in der Entwicklung begriffen sind und nicht abschließend gewürdigt werden können (vgl. KG, a. a. O., Rn 6; KG, a. a. O., Rn 6, jeweils mit weiteren Nachweisen). Auch dieser Fall liegt hier vor.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand sowie den Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes nicht ohne Weiteres die nachgesuchte Übertragung der Alleinsorge begründet.

Nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist die elterliche Sorge einem Elternteil allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entsprechen. Das Familiengericht muss sich dabei unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte von Eltern und Kindern bemühen, wobei bei kollidierenden Interessen die des Kindes Vorrang haben (BVerfG, Beschluss vom 09.03.1999, 2 BvR 420/99 - juris 22). Die erforderliche Abwägung hat sich daher stets zunächst am Kindeswohl zu orientieren und erst nachrangig an dem elterlichen Verhalten oder den Kompetenzen der Eltern. Dem Antrag ist mithin stattzugeben, wenn die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge aus Kindeswohlgründen ausscheidet und die für die Zuweisung des alleinigen Sorgerechts grundsätzlich maßgebenden Kriterien mit einem für das Kindeswohl entscheidenden Übergewicht beim Antragsteller vorhanden sind.

Hierzu hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass der Aufenthalt der gemeinsamen Töchter nicht im Streit ist, die Kinder vielmehr nach dem beiderseitigen Willen der Kindeseltern ihren Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter haben sollen. Außerdem haben die Eltern Ende des Jahres 2016 einen Vergleich in dem durch die Antragstellerin beantragten Wohnungszuweisungsverfahren und einen weiteren - wenn auch nicht zum Tragen gekommenen - Umgangsvergleich geschlossen und hat die Antragstellerin noch mit an den Antragsgegner gerichtetem Email-Schreiben vom 15.04.2017 erwogen, ob sie das Sorgerecht für die Tochter H. an den Kindesvater "abtreten" soll. Anfang des Jahres 2017 haben die Beteiligten zudem in Aussicht genommen, das im Eigentum der Antragstellerin stehende, vormals als Familienwohnung genutzte Hausgrundstück in Braunschweig an den Antragsgegner zu veräußern, weil nach der nicht bestrittenen Behauptung des Antragsgegners zu dieser Zeit noch angedacht war, dass er dort wohnen bleiben sollte. Hiernach ist auch unter Berücksichtigung der durch die Antragstellerin - allerdings eher pauschal - vorgetragenen Beleidigungen und körperlichen Übergriffe des Antragsgegners jedenfalls derzeit nicht ausgeschlossen, dass die Kindeseltern sich über die Sorgerechtsangelegenheiten ihrer Töchter austauschen können werden, auch vor dem Hintergrund, dass die beschriebenen Übergriffe sich bereits vor oder im Zusammenhang der Trennung der Kindeseltern ereignet haben und sich erfahrungsgemäß im Laufe der Zeit eine Entspannung auf der Beziehungsebene ergibt. Darüber hinaus ist vorliegend lediglich die sog. elterliche Restsorge streitbefangen, d. h. dass die Antragstellerin nach § 1687 S. 3 BGB in Angelegenheiten des täglichen Lebens von vornherein die Alleinentscheidungsbefugnis hat und nur Sorgerechtsangelegenheiten von erheblicher Bedeutung einer Mitwirkung des Antragsgegners bedürfen. Sollten solche Entscheidungen für die Kinder in Kürze anstehen, ist der Antragsgegner nach den Ausführungen des Jugendamtes im Bericht vom 23.01.2018 zur Kooperation bereit und steht für den Fall, dass sich die Kindeseltern nicht einigen können, das Verfahren nach § 1628 BGB für die Klärung der jeweiligen Sorgerechtsangelegenheit zur Verfügung. Damit geht einher, dass das Verfahren auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes nach § 155 FamFG nicht in einer Weise eilbedürftig ist, dass eine sofortige Entscheidung geboten wäre. Vielmehr kann der Antragstellerin deren Verzögerung aus den genannten Gründen zugemutet werden, wird allerdings das Amtsgericht die Dauer des Strafverfahrens im Blick zu behalten und zu einem späteren Zeitpunkt ggfs. die Aufhebung der Aussetzung zu erwägen haben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Gründen des Kindeswohls. Selbst wenn die Kinder derzeit einen Kontakt zu ihrem Vater ablehnen, werden sie in ihren Lebensgewohnheiten, Beziehungen und sonstigen Umständen von der Frage der elterlichen Restsorge nicht erheblich berührt.

Nach allem lässt die auf dieser Grundlage getroffene Entscheidung des Amtsgerichts, das Sorgerechtsverfahren zunächst auszusetzen, um die weitere Entwicklung abzuwarten, Ermessensfehler nicht erkennen und ist die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG in Verbindung mit § 1 S. 2 FamGKG, Nr. 1912 KV-Fam.

Der Verfahrenswert ist nach §§ 40, 42 FamGKG festgesetzt worden.