Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.01.2018, Az.: L 4 KR 147/14

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.01.2018
Aktenzeichen
L 4 KR 147/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73920
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 31.01.2014 - AZ: S 10 KR 617/12

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger die Kosten für Dolmetscher- und Übersetzertätigkeiten zu erstatten sind.

Am 11. November 2010 bevollmächtigte der bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversicherte J. (geb. 1941 in Serbien; im Folgenden: Versicherter) den Kläger, ihn „in allen behördlichen Angelegenheiten, insbesondere beim Finanzamt, Ordnungsamt, Versorgungsamt und bei der Krankenkasse“ zu vertreten. Der Kläger führte im Zeitraum vom 11. November 2010 bis zum 5. Januar 2011 regelmäßig Dolmetscher- und Übersetzertätigkeiten für den Versicherten durch. Der Versicherte verstarb am 21. Januar 2011.

Unter dem 3. Dezember 2010 beantragte der Kläger erstmals bei der Beklagten eine Entschädigung für seine Dolmetscher- und Übersetzertätigkeiten in der Zeit vom 11. November 2010 bis zum 3. Dezember 2010. Er rechnete 17 Tage à 3 Stunden zu 40,-- Euro zuzüglich Fahrkosten in Höhe von 76,90 Euro ab und verlangte insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.116,90 Euro. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab und begründete die Ablehnung damit, dass die Dolmetscher- und Übersetzertätigkeit keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei.

Unter dem 22. Dezember 2010 beantragte der Kläger erneut eine Entschädigung für seinen Aufwand als Dolmetscher und Übersetzer in der Zeit vom 4. Dezember 2010 bis zum 5. Januar 2011. Er stellte 23 Tage á 3 Stunden zu 40,-- Euro zuzüglich Fahrkosten in Höhe von 46,50 Euro, insgesamt 2.806,50 Euro, in Rechnung. Dem Antrag war eine ärztliche Bescheinigung der Fachärzte für Innere Medizin K. vom 21. Dezember 2010 beigefügt, aus der sich ergibt, dass der Versicherte an den Folgen einer konsumierenden Bluterkrankung leide. Für notwendige Behördengänge, Arztbesuche und Begleitung zur Strahlentherapie sei ein Dolmetscher notwendig. Ohne die Hilfe des Dolmetschers sei die Versorgung des Versicherten gefährdet. Mit Bescheid vom 2. März 2011 lehnte die Beklagte auch diesen Antrag ab. Am 09. März 2011 erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2011 zurückwies. Die Beklagte verwies zur Begründung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Mai 1995 (1 RK 20/94). In der GKV versicherte Personen könnten, auch dann, wenn eine Verständigung zwischen ihnen und dem Arzt nicht möglich sei, nicht verlangen, dass auf Kosten der GKV zur ambulanten Untersuchung oder Behandlung ein Dolmetscher hinzugezogen werde.

Der Kläger hat am 12. Juli 2012 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Seine Tätigkeit als Dolmetscher sei erforderlich geworden, weil der Versicherte insbesondere in medizinischen Angelegenheiten der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei. Er habe bereits mehrfach medizinisch gedolmetscht und übersetzt und sei bereits seit 1979 als vereidigter Dolmetscher beim Landgericht (LG) Hannover und auch bundesweit eingetragen. Eine medizinische Versorgung des Versicherten wäre ohne seine Übersetzung gefährdet gewesen.

Das SG hat mit Urteil vom 31. Januar 2014 die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Für den geltend gemachten Anspruch bestünden keinerlei Anspruchsgrundlagen. Zwischen der Beklagten und dem Kläger sei keinerlei Vertrag geschlossen worden, aus dem sich ein Anspruch ergeben könnte. Ein solcher Vertragsschluss sei auch nicht dadurch zustande gekommen, dass einige der Ärzte des Klägers sein Anliegen unterstützt und Stempel und Unterschrift auf den Antrag auf Aufwandsentschädigung für einen Dolmetscher und Übersetzer gesetzt hätten. KKen müssten sich derartiges Verhalten von Ärzten nicht zurechnen lassen. Eine etwaige falsche Beratung des Arztes bezüglich des Bestehens eines Anspruchs könnte allenfalls zu einem Schadensersatzanspruch gegen die Ärzte, nicht jedoch zu einem Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse führen. Ebenso wenig bestehe ein gesetzlicher Anspruch. Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) enthalte weder eine ausdrückliche Regelung über die Gestellung eines Dolmetschers noch ermächtige das Gesetz, eine derartige Leistung durch Rechtsverordnung oder Kassensatzung vorzusehen. Der geltend gemachte Anspruch könne nicht aus § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V hergeleitet werden. Unter „ärztliche Behandlungen und Tätigkeiten eines Arztes“ würden nur die Maßnahmen fallen, die der Arzt selbst durchführe, nicht aber die Tätigkeiten von Hilfspersonen. Soweit ein Arzt die Hilfeleistung anderer Personen in Anspruch nehme, könne dies auf Kosten der GKV nur geschehen, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V erfüllt seien. Danach gehöre zur ärztlichen Behandlung die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet oder von ihm zu verantworten sei. Aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang mit der Regelung in Satz 1 der Vorschrift ergebe sich, dass die Hilfeleistung eine Tätigkeit sein müsse, die der ärztlichen Berufsausübung zuzurechnen sei. Hierzu könnten jedoch nur Tätigkeiten gerechnet werden, die den Zielen einer Krankenbehandlung dienen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V verantworten könne. § 28 Abs. 1 Satz 2 erfasse demnach nur Tätigkeiten, die ihrer Natur nach unmittelbar zur ärztlichen Behandlung zählen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens überwachen und leiten könnte. Daher dürfe das Tätigwerden von Personen, die für ihre Berufsausübung ein ganz anderes Fachwissen benötigten, nicht als eine zur ärztlichen Behandlung gehörende Hilfeleistung gerechnet werden, z.B. handwerklich-technische Leistungen eines Optikers. Dabei sei es unerheblich, ob die Tätigkeit dieser Person im weitesten Sinne der ärztlichen Behandlung diene oder ob sie für die ärztliche Behandlung als notwendig angesehen werden könne. Die Tätigkeit eines Dolmetschers sei nicht Teil der ärztlichen Behandlung, weil der Arzt sie aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten könnte. Zwar seien im SGB V auch Leistungen vorgesehen, die nur im Zusammenhang mit einer Krankenbehandlung stehen, aber nicht Teil der ärztlichen Behandlung seien. Zu derartigen akzessorischen Nebenleistungen zähle z.B. bei stationärer Behandlung die aus medizinischen Gründen notwendige Mitaufnahme einer Begleitperson. Der Gesetzgeber habe diese Nebenleistungen aber ausdrücklich geregelt und sie auf einige wenige Fälle beschränkt. Eine Regelung über die Hinzuziehung von Dolmetschern sei im SGB V nicht enthalten. Dabei handele es sich auch nicht um eine planwidrige Regelungslücke, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber das Problem übersehen habe. Vielmehr habe er einen Leistungsanspruch auf Gewährung von Dolmetscherleistungen bewusst im SGB V nicht geregelt. Ein Anspruch folge auch nicht aus § 17 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Dieser Anspruch sei auf Gebärdendolmetscher beschränkt und nicht analog auf Sprachdolmetscher anwendbar. Dies ergebe sich aus dem Verweis auf § 19 Abs. 2 Satz 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), der vorsehe, dass die Behörde bei Erforderlichkeit einen Sprachdolmetscher beauftragen könne, und regele, wie dieser zu entschädigen sei. Die analoge Anwendung einer Vorschrift setze das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke voraus. Da die Regelung zu den Gebärdendolmetschern einen Verweis in eine Vorschrift, die die Vergütung von Sprachdolmetschern regele, enthalte, könne nicht unterstellt werden, der Gesetzgeber hätte die Regelungslücke übersehen. Vielmehr habe der Gesetzgeber den Sprachdolmetscher dem Gebärdendolmetscher bewusst nicht gleichstellen wollen.

Gegen das am 14. März 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. April 2014 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Die Dolmetschertätigkeit sei im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung Versicherter zwingend erforderlich gewesen. Dies sei auch ärztlicherseits bestätigt worden. Im Ergebnis habe es sich also um eine Hilfeleistung des Dolmetschers gehandelt, die vom Arzt angeordnet und von ihm auch zu verantworten sei. Insofern sei eine Analogie zu den sonstigen anerkannten Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Leistungsumfang der GKV gegeben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 31. Januar 2014 sowie die Bescheide der Beklagen vom 13. Dezember 2010 und 2. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die Dolmetscher- und Übersetzertätigkeiten für den Versicherten J. im Zeitraum vom 11. November 2010 bis zum 5. Januar 2011 in Höhe von insgesamt 4.923,40 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die bisherige Entscheidung weiterhin für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den gesamten Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senates gewesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erteilt haben.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zutreffend mit Urteil vom 31. Januar 2014 einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung von Kosten für Dolmetscher- und Übersetzertätigkeiten abgelehnt. Bezüglich der Begründung der Entscheidung kann vollumfänglich auf die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen werden (§ 153 Abs. 2 SGB V).

Zusammenfassend heißt dies:

Eine vertragliche Anspruchsgrundlage des Klägers oder des verstorbenen Versicherten (abgetretenes Recht) gegen die Beklagte besteht nicht.

Wie das SG zutreffend festgestellt hat, besteht für das Begehren des Klägers auch keine gegen die Beklagte gerichtete gesetzliche Anspruchsgrundlage. Das SGB V enthält weder eine ausdrückliche Regelung über die Gestellung eines Sprachdolmetschers bei ärztlichen Untersuchungen noch ermächtigt das Gesetz, eine derartige Leistung durch Rechtsverordnung oder Satzung vorzusehen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch kann nicht aus § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V hergeleitet werden. Die Norm spricht von der „ärztlichen Behandlung“ und der „Tätigkeit des Arztes“. Darunter fallen alle Maßnahmen, die der Arzt selbst durchführt, nicht aber die Tätigkeit von Hilfspersonen.

Soweit der Arzt die Hilfeleistung anderer Personen in Anspruch nimmt, kann dies auf Kosten der GKV nur geschehen, wenn die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V erfüllt sind. Danach gehört zur ärztlichen Behandlung die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet oder von ihm zu verantworten ist. Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V und dem Sinnzusammenhang mit der Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergibt sich, dass die Hilfeleistung eine Tätigkeit sein muss, die der ärztlichen Berufsausübung zuzurechnen ist. Hierzu können jedoch nur Tätigkeiten gerechnet werden, die den Zielen einer Krankenbehandlung dienen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V verantworten kann. Erfasst § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V demnach nur Tätigkeiten, die ihrer Natur nach unmittelbar zur ärztlichen Behandlung zählen und die der Arzt aufgrund seines Fachwissens verantworten, d.h. überwachen und leiten kann, so darf das Tätigwerden von Personen, die für ihre Berufsausübung ein ganz anderes Fachwissen benötigen, nicht als eine zur ärztlichen Behandlung gehörende Hilfeleistung gerechnet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Tätigkeit dieser Personen im weiteren Sinne der ärztlichen Behandlung dient oder ob sie für die ärztliche Behandlung als notwendig angesehen werden kann. Nichts anderes gilt für Dolmetscher. Ihre Tätigkeit ist nicht Teil der ärztlichen Behandlung, weil der Arzt sie aufgrund seines ärztlichen Fachwissens weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten kann.

Wie bereits das SG zutreffend unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 10. Mai 1995 (1 RK 20/94; vgl. aber auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31. August 2006, L 7 VG 9/05) festgestellt hat, besteht insoweit auch keine (planwidrige) Gesetzeslücke, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden kann. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben. Dass die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die Krankenbehandlung beispielsweise eines Ausländers gelegentlich notwendig oder zumindest dienlich sein kann, ist den für die Gesetzgebung Verantwortlichen vor Inkrafttreten des Gesetzes bekannt gewesen. Ebenso wenig kann unterstellt werden, der Gesetzgeber habe der Rechtsprechung die Lösung des Problems überlassen wollen. Hierfür ergeben sich - wie bereits das SG zutreffend festgestellt hat - aus den Gesetzesmaterialien keine Hinweise.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Kläger gehört nicht dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis an.

Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.Vm. § 63 Abs. 2, § 52 Abs.1 und 3 sowie § 47 Gerichtskostengesetz (GKG).