Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.01.2018, Az.: L 10 SB 114/17 B

Zulässigkeit der Auferlegung von Gutachtenskosten im sozialgerichtlichen Verfahren wegen unterlassener Ermittlungen im Verwaltungsverfahren; Überprüfbarkeit von Ermessensfehlern bei der Feststellung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
08.01.2018
Aktenzeichen
L 10 SB 114/17 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 45718
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 28.06.2017 - AZ: S 61 SB 99/16

Amtlicher Leitsatz

1. Ermessensentscheidungen sind im Beschwerdeverfahren nach § 176 SGG nur auf Ermessensfehler zu überprüfen.

2. Zu den Voraussetzungen für die Auferlegung von Gutachtenskosten in Anwendung von § 192 Abs. 4 SGG.

Redaktioneller Leitsatz

Sachliche Voraussetzung für die Ermessensausübung des Sozialgerichts ist zunächst, dass die Behörde im Verwaltungsverfahren erkennbare und notwendige Ermittlungen unterlassen hat. Notwendig in dem vorgenannten Sinn sind solche Ermittlungen, deren Kenntnis für die anstehende Sachentscheidung auf der Grundlage des geltenden Rechtes und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unabdingbar sind (hier im Falle der Feststellung des Grades der Behinderung sowie der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" im Schwerbehindertenrecht).

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Juni 2017 wird aufgehoben.

Dem Beschwerdegegner werden die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers auferlegt.

Gründe

I.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Auferlegung von Kosten gemäß § 192 Abs. 4 SGG.

Der Beschwerdeführer hatte bei dem 1947 geborenen Kläger des Hauptsacheverfahrens mit Bescheid vom 31. Juli 2003 einen GdB von 40 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen 1. operativ eingesteifte Lendenwirbelsäule, Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizungen, Polyneuropathie (Einzel-GdB 30) 2. obstruktive Atemwegserkrankung (Einzel-GdB 20) festgestellt. Im Mai 2015 hatte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB sowie der Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "aG" und "B" unter Hinweis auf eine inzwischen eingetretene Versteifung der Wirbelsäule sowie das Hinzutreten einer COPD-Erkrankung, eines chronischen Pleuraemphysems und eines Diabetes beantragt. Der Beschwerdeführer hatte Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Der Kläger hatte im Widerspruchsverfahren ärztliche Unterlagen vorgelegt. Aufgrund einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Allgemeinmedizinerin Dr. D. vom 8. Dezember 2015 hatte der Beschwerdeführer ein Gutachten von dem Internisten und Pneumologen Dr. E. eingeholt, das dieser unter dem 19. Dezember 2015 nach Aktenlage erstattet hat. Darin hat er abschließend vorgeschlagen, die Lungenfunktionseinschränkung des Klägers mit einem Einzel-GdB von 70 zu bewerten. Die Voraussetzungen des Merkzeichens "B" lägen vor, die des Merkzeichens "aG" nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2016 hatte der Beschwerdeführer daraufhin bei dem Kläger einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B" festgestellt, den weitergehenden Widerspruch hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" aber zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Braunschweig erhoben, mit der er den Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" weiterverfolgt hat. Das Sozialgericht hat den Kläger von dem Internisten und Lungenarzt Prof. Dr. F. begutachten lassen. Aufgrund des unter dem 6. März 2017 erstatteten Gutachtens hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10. Mai 2017 ein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass er die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" ab dem 28. Mai 2015 feststelle. Außerhalb des Rechtsstreites hat er zudem seit demselben Zeitpunkt den GdB mit 90 festgestellt. Der Kläger hat das Anerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Mit Beschluss vom 28. Juni 2017 hat das Sozialgericht den Beschwerdeführer gemäß § 192 Abs. 4 SGG die dem Gericht angefallenen Kosten für das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. F. vom 6. März 2017 auferlegt. Zur Begründung hat es insbesondere die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführer sei im Rahmen seiner Amtsermittlung gehalten gewesen, weitere Ermittlungen zu Gehfähigkeit des Klägers zu unternehmen. Das bloß formale Kriterium, dass dem Kläger ein Rollstuhl nicht verschrieben worden sei, habe der Beschwerdeführer zur Entscheidung nicht ausreichen lassen dürfen. Vielmehr habe er ermitteln müssen, inwieweit der Kläger beim Gehen noch auf fremde Hilfe angewiesen sei bzw. unter welchen Anstrengungen er noch Gehstrecken zurücklegen könne.

Im Hinblick auf die Gleichstellung in Bezug auf Krankheiten der Atmungsorgane habe der Beschwerdeführer erkennbar notwendig den Versuch unternehmen müssen, den Grad der Einschränkung der Lungenfunktion sicher zu ermitteln.

Gegen den ihm am 4. Juli 2017 zugestellten Beschluss wendet sich die am 28. Juli 2017 bei dem Sozialgericht eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers. Er wendet sich gegen den Vorwurf des Sozialgerichts, er sei gehalten gewesen, ein weiteres Gutachten einzuholen. Vielmehr sei der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Entscheidung ausreichend aufgeklärt gewesen, um über die Feststellung des streitbefangenen Merkzeichens "aG" zu entscheiden. Ihm sei lediglich der Vorwurf zu machen, dass der von ihm beauftragte Gutachter nach Aktenlage zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt sei, das der Beschwerdeführer für seine Entscheidung übernommen habe.

Der Beschwerdeführer beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß

den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Juni 2017 aufzuheben.

Der Beschwerdegegner beantragt schriftsätzlich,

die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Juni 2017 aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtakte und der Verwaltungsakte des Beschwerdeführers Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht das Verbot eines In-sich-Prozesses entgegen. Zwar ist im Beschwerdeverfahren auf beiden Seiten das Land Niedersachsen beteiligt. Dies steht der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes aber nicht entgegen, weil keine verwaltungsinterne Möglichkeit besteht, den Streit beizulegen. Das wäre insbesondere der Fall, wenn die beiden Beteiligten eine gemeinsame übergeordnete Behörde hätten, deren Weisung sie zur Klärung der umstrittenen Frage einholen könnten (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 15). Daran fehlt es jedoch.

Der Beschwerde fehlt auch nicht das Rechtsschutzinteresse deswegen, weil der Beschwerdeführer etwa ungeachtet des Bestandes des angefochtenen Beschlusses nicht zu Zahlungen herangezogen werden könnte. Ein solches Ergebnis folgt nicht aus der unmittelbaren Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Voraussetzungen des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG für die Anwendung des Gerichtskostengesetzes lagen bei dem Hauptsacherechtsstreit nicht vor, weil der dortige Kläger in seiner Eigenschaft als behinderter Mensch an dem Verfahren beteiligt war, § 183 Satz 1 SGG. In solchen Verfahren gilt § 2 GKG gemäß § 184 Abs. 3 SGG nur im Hinblick auf die von den anderen Verfahrensbeteiligten etwa zu zahlenden Pauschgebühren entsprechend. Um solche handelt es sich bei den hier streitigen Kosten nach § 192 Abs. 4 SGG nicht.

Die Beschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts.

Gemäß § 192 Abs. 4 SGG kann das Gericht der Behörde die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden. Damit ist dem Gericht ein Ermessen eröffnet. In derartigen Fällen hatsich die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung im Beschwerdeverfahren auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Ermessensausübung und für den Fall der Bejahung dieser Frage auf Ermessensfehler zu beschränken (vergleiche BeckOK SozR/Jungeblut SGG § 176 RdNr. 4-5 ausführlich zum Streitstand; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O, § 176 RdNr. 4).

Sachliche Voraussetzung für die Ermessensausübung des Sozialgerichts ist zunächst, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erkennbare und notwendige Ermittlungen unterlassen hat. Notwendig in dem vorgenannten Sinn sind solche Ermittlungen, deren Kenntnis für die anstehende Sachentscheidung auf der Grundlage des geltenden Rechtes und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unabdingbar sind (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 192 RdNr. 18b). Insoweit stützt das Sozialgericht seine Entscheidung auf zwei Gesichtspunkte. Einerseits hält es weitere Ermittlungen des Beschwerdeführers zu der konkreten Gehfähigkeit des Klägers für notwendig, andererseits eine ambulante Begutachtung - gemeint ist offenbar eine Begutachtung nach ambulanter Untersuchung des Klägers - zu der Ausprägung seiner Lungenfunktionsstörung.

Mit der von dem Beschwerdeführer in dem Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2016 getroffenen Entscheidung ist er lediglich hinsichtlich der Ablehnung der Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" hinter dem mit dem Widerspruch geltend gemachten Begehren des Klägers zurückgeblieben, so dass sich die Frage der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ausschließlich im Hinblick auf die Voraussetzungen des genannten Merkzeichens stellen konnte.

Maßgebliche rechtliche Grundlage der Entscheidung des Beschwerdeführers waren die zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides geltenden Fassungen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 SchwbAwV i.V.m. Abschnitt II Nr. 1 (Randnummern 129 und 130) der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (AVwV) sowie die von dem Sozialgericht genannten Regelungen von Teil D Nr. 3 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (Anlage). Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 29. März 2007, Az.: B 9a 5/05 R, BehindertenR 2008, 138) kann es im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage, ob die Gehfähigkeit in einer dem Maß der Beeinträchtigungen eines Doppeloberschenkelamputierten (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015, Az.: B 9 SB 2/14 R, SozR 4-3250 § 69 Nr. 19) vergleichbaren Maß beeinträchtigt ist, auf die Intensität der Erschöpfungszustände, der Schmerzen und/oder der Luftnot, die Dauer der erforderlichen Pausen sowie auf die Umstände ankommen, unter denen der Behinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Allerdings sind die vorgenannten Gesichtspunkte nicht objektiv messbar und daher einer unmittelbaren Beweiserhebung nicht zugänglich. Zudem gilt für die Prüfung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" dasselbe, was das Bundessozialgericht bereits in Bezug auf das Merkzeichen "G" festgestellt hat (vgl. insoweit zu der Vorgängervorschrift des § 60 Abs. 1 SchwbG: Urteil des BSG vom 27. August 1998, Az.: B 9 SB 13/97 R, Die Versorgungsverwaltung 1999, 47), nämlich dass das Gehvermögen eines Menschen keine statische Größe, sondern der Einwirkung verschiedener Faktoren (etwa anatomische Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, Trainingszustand, Tagesform, Witterungseinflüsse, Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale) unterliegt, von denen aber nur manche schwerbehindertenrechtlich relevant sind, andere aber nicht. Das bedeutet zugleich, dass vorstellbar ist, dass ein Behinderter tatsächlich nicht mehr oder nur äußerst mühsam gehen kann, ihm das Merkzeichen aber gleichwohl nicht zusteht, weil die Beschränkung der Wegstrecke - auch - auf anderen als den in Teil D Nr. 1 der Anlage genannten Gründen beruht. Vor diesem Hintergrund sind auch alle irgendwie gearteten Gehtestungen nicht zielführend. Dies gilt darüber hinaus auch deshalb, weil es andererseits auch vorstellbar ist, dass eine Gehtestung in dem Sinn positiv verläuft, dass ein behinderter Mensch eine nennenswerte Gehstrecke zu Fuß zurücklegt. Wenn er dabei aber unzumutbar viel Energie aufwenden muss oder unzumutbare Schmerzen hinnimmt, würde ihm gleichwohl das Merkzeichen zustehen.

Vor diesem Hintergrund hat die Prüfung von den bei dem jeweiligen Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auszugehen und sich dann auf die Frage zu erstrecken, wie sich derartige Gesundheitsstörungen typischerweise auf das Gehvermögen eines Menschen auswirken. Im Falle des Klägers ergaben sich zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung keine Anhaltspunkte dafür, dass sein Gehvermögen durch andere Gesundheitsstörungen als die Lungenerkrankung in einer im Rahmen des streitigen Merkzeichens möglicherweise relevantem Umfang eingeschränkt gewesen sein könnte. Ermittlungen in andere Richtungen als wegen der Ausprägung der Lungenerkrankung waren vor diesem Hintergrund ohnehin nicht erforderlich. Hinsichtlich der Ausprägung der Lungenerkrankung waren weitere Ermittlungen des Beschwerdeführers ebenfalls nicht erforderlich, worauf noch einzugehen sein wird. Damit verblieb für den Beschwerdeführer allein noch eine Bewertung von Tatsachen, nicht aber deren Ermittlung. Eine wie auch immer geartete weitere Ermittlung des Beschwerdeführers zur Aufklärung des Gehvermögens ist deshalb nicht möglich gewesen und war daher auch nicht erforderlich. Wenn auch die Verwaltungsakte des Beschwerdeführers nicht wirklich erkennen lässt, dass die vorstehend skizzierten Überlegungen von ihm oder von dem beauftragten Gutachter angestellt worden wären, so liegt darin jedoch kein Mangel der Ermittlung im Sinn von § 192 Abs. 4 SGG.

Das Sozialgericht hat zutreffend in seine Erwägungen die Überlegung einbezogen, ob weitere Ermittlungen des Beschwerdeführers zu der Ausprägung der Lungenfunktionsstörung des Klägers erforderlich waren. Das streitige Merkzeichen ist gemäß Teil D Nr. 3 Absatz c) der Anlage auch zuzuerkennen gewesen, wenn der Kläger unter einer Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades gelitten hat. Für die Einstufung des Grades der Lungenfunktionsstörung kommt es gemäß Teil B Nr. 8.3 der Anlage auf drei Aspekte an: Das Ausmaß der Atemnot, die Beurteilung der Lungenfunktionsprüfung sowie die Blutgaswerte. In seinem Gutachten vom 19. Dezember 2015 hat sich der Gutachter Dr. E. u.a. auf den in der Verwaltungsakte befindlichen Befundbericht des Dr. G. vom 16. Oktober 2015 bezogen, aus dem sich Erkenntnisse zu allen drei Aspekten ergaben: Es war eine massive Atemnot bei geringer körperlicher Belastung beschrieben; es fanden sich vollständige Wiedergaben der Ergebnisse der Lungenfunktionsuntersuchung sowie der Blutgasanalyse. Die Befunde waren auch relativ neu: Sie datierten wohl von Anfang Oktober 2015. Im Zusammenwirken mit den zudem in der Akte befindlichen Befunden des genannten Arztes vom 15. Juni 2015 sowie der Lungenklinik H. von Juni 2015 und der Befundübersicht des Dr. G. auf Bl. 146 der Verwaltungsakte war auch eine Einschätzung des Verlaufes der Erkrankung möglich, so dass die Zuverlässigkeit der Messwerte von Oktober 2015 beurteilt werden konnte. Soweit das Sozialgericht darauf hinweist, dass der Sachverständige Prof. Dr. F. nur sehr wenige Befunde zur Gehfähigkeit in der Akte habe finden können, verwundert dies zunächst mit Rücksicht darauf nicht, dass es rechtlich relevante "Befunde zur Gehfähigkeit" nach den obigen Ausführungen ohnehin nicht geben kann. Allerdings hat der Sachverständige auch nur das Fehlen "ärztlicher Äußerungen zur möglichen Gehstrecke" beklagt, was insoweit falsch ist, als Dr. G. in dem Befundbericht vom 16. Oktober 2015 ausdrücklich mitteilt, die Gehstrecke des Klägers liege unter 15 m, was der Sachverständige aber offenbar übersehen hat.

Es bleibt allein die Frage, ob etwa die aktenkundigen Befunde Anlass geboten haben, eine Untersuchung des Klägers deshalb zu veranlassen, weil ein gravierendes Fortschreiten der Lungenfunktionseinschränkungen nach Oktober 2015 zu befürchten gewesen ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die ärztliche Beraterin Dr. D. dem Gutachter Dr. E. in ihrer Stellungnahme vom 8. Dezember 2015 ausdrücklich ermächtigt hatte, eine Begutachtung - gemeint ist offenbar eine Untersuchung - für den Fall durchzuführen, dass die erforderlichen Befunde nicht ausreichten. Zwar hat Dr. E. sich zu dieser Fragestellung nicht ausdrücklich erklärt; vor dem Hintergrund der Umstände der Gutachtenanforderung kann dieses Schweigen aber nicht anders als dahin gedeutet werden, dass Dr. E. eine Untersuchung nicht für erforderlich gehalten hat. Diese Einschätzung ist auch nicht eindeutig fehlerhaft, was dem Beschwerdeführer ja ebenfalls anzulasten wäre. Dr. E. hatte durchaus gesehen, dass bei dem Kläger im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in der Lungenklinik H. eine respiratorische Globalinsuffizienz diagnostiziert worden war. Allerdings hat er auch den Zusammenhang zwischen diesem sehr schlechten Befund und der akuten Bronchialeiterung gesehen und zur Kenntnis genommen, dass in der Folgezeit bei dem Kläger nur noch eine respiratorische Partialinsuffizienz vorgelegen hatte, also eine Besserung der Lungenfunktion erfolgt war. Gegenüber den Befunden der Lungenfunktionsprüfung vom 9. September 2015 war dann bis Anfang Oktober eine leichte Verbesserung eingetreten, so dass sich die Annahme einer in kurzer Zeit eintretenden gravierenden Verschlechterung der Leistungsfähigkeit nicht aufdrängen musste.

Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer überhaupt berechtigt gewesen wäre, den Kläger zu einer Untersuchung einzubestellen. Dies erscheint mit Rücksicht darauf zweifelhaft, dass § 62 SGB I keine Anwendung finden konnte, weil es sich bei den von dem Kläger beantragten Feststellungen eines GdB von 80 und der Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "aG" und "B" nicht um Sozialleistungen im Sinn von § 62 SGB I gehandelt haben dürfte (vgl. dazu BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989, Az.: 9 RVs 4/89, SozR 3870 § 4 Nr. 4; Urteil vom 29. Mai 1991, Az.: 9a/9 RVs 11/89; Urteil vom 7. November 2001, Az.: B 9 SB 3/01 R, SozR 3-3870 § 59 Nr. 1). Der Verweis in § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (bzw. § 152 Abs. 1 Satz 3 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden neuen Fassung - n.F.) dürfte eine Aufforderung zur Untersuchung ebenso wenig rechtfertigen, wie § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX (§ 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX n.F.) in Verbindung mit §§ 20 ff. SGB X, wobei hier der Gesetzesvorbehalt des § 21 Abs. 2 Satz 2 SGB X zu beachten ist. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX (§ 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX n.F.) in Verbindung mit § 12 Abs. 2 KOVVfG erlaubt ebenfalls nicht die Einbestellung zu einer Untersuchung.

Bei dem vorliegenden Beschwerdeverfahren handelt es sich um ein von dem Hauptsacheverfahren verschiedenes Nebenverfahren (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az.: L 10 SB 122/15 B, zitiert nach juris). Die Kostenentscheidung beruht im Hinblick darauf auf der Anwendung von § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 VwGO. Über die Tragung von Gerichtskosten ist nicht zu entscheiden, weil beide Beteiligte hiervon befreit sind, § 2 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.