Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.08.2013, Az.: 1 Ws 304/13

Möglichkeit einer erneuten Strafaussetzung zur Bewährung nach bereits erfolgtem Widerruf der Strafe bzw. des Strafrestes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.08.2013
Aktenzeichen
1 Ws 304/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 43681
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0813.1WS304.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 11.07.2013 - AZ: 75 StVK 97/13

Fundstellen

  • NStZ-RR 2014, 61-62
  • StRR 2013, 402
  • StV 2014, 101-102

Amtlicher Leitsatz

Der Umstand, dass eine Strafe bzw. ein Strafrest bereits widerrufen worden ist, steht - auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Februar 2012 [5 AR (VS) 40/11] - einer erneuten Strafaussetzung und somit dem Erfordernis einer gemeinsamen Entscheidung hierüber grundsätzlich nicht entgegen.

In der Strafvollstreckungssache
gegen B. S., geb. K.,
geboren am xxxxxx 1976 in H.,
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt H.,
Verteidiger: Rechtsanwalt D., H.
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis u.a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 11. Juli 2013 nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 13. August 2013
beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 11. Juli 2013 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Entscheidung an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie hierdurch verursachte notwenige Auslagen des Verurteilten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Der Verurteilte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, mit welcher diese seinen Antrag auf Strafaussetzung nach Maßgabe von § 57 Abs. 1 StGB als unzulässig abgelehnt hat mit der Begründung, er sei verfrüht, weil zunächst in zwei anderen Verfahren Strafreste, hinsichtlich derer die Strafaussetzung widerrufen worden war, die Strafvollstreckung erfolgen müsse; diese nähmen an einer nach Maßgabe von 454b Abs. 2 Satz 1 StPO an sich gebotenen gemeinsamen Entscheidung über die Strafaussetzung daher nicht teil. Eine Entscheidung über die Strafaussetzung in vorliegender Sache könne daher erst gegen Ende der Vollstreckung in den anderen Verfahren getroffen werden.

II.

Das Rechtsmittel des Verurteilten ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest einstweilen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer durfte den Antrag auf Strafaussetzung nicht als unzulässig verwerfen.

Nach Maßgabe von § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO ist über eine Strafaussetzung in mehreren zur Vollstreckung anstehenden Freiheitsstrafen grundsätzlich gemeinsam, und zwar zum sog. gemeinsamen Zweidrittelzeitpunkt zu entscheiden. Hiervon geht - insoweit zutreffend - auch die Strafvollstreckungskammer aus. Soweit die Kammer indessen meint, Verfahren, in denen nach Widerruf einer Strafaussetzung eine Strafvollstreckung erfolge, nähmen an dieser gemeinsamen Entscheidung nicht teil, kann dem nicht gefolgt werden. Die Kammer stützt ihre Entscheidung auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. Februar 2012 (BGHSt 57, 155), der sich jedoch - auf einen Antrag nach § 23 EGGVG - allein mit der Frage der angefochtenen Vollstreckungsreihenfolge nach Maßgabe von § 43 StVollstrO befasst, der jedoch die Frage, ob eine erneute Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrests nach dessen Widerruf generell ausscheidet, ausdrücklich offen lässt. Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der gemeinsamen Entscheidung über eine Strafaussetzung lassen sich - auch wenn der hierzu veröffentlichte Leitsatz diese Annahme nahe legen könnte - aus dieser Entscheidung somit nicht herleiten.

Nach nahezu einhelliger Auffassung steht vielmehr der Umstand, dass eine Strafe bzw. ein Strafrest bereits widerrufen worden ist, einer erneuten Strafaussetzung grundsätzlich nicht entgegen (OLG Stuttgart, MDR 1983; OLG Frankfurt, StV 1983, 71; OLG Karlsruhe, StV 2003, 348; LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 454 Rn. 101; KK-Appl, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 454 Rn. 40; HK-StPO-Pollähne, 4. Aufl., § 454 Rn. 36; Radtke/Hohmann-Baier, Strafprozessordnung, § 454 Rn. 47; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 56. Aufl., § 454 Rn. 52; Fischer, Strafgesetzbuch, 60. Aufl., § 57 Rn. 8), selbst vor Beginn der Vollstreckung. Ob dies immer sinnvoll ist, und ob hierdurch ein erfolgter Widerruf einer Strafaussetzung faktisch leerlaufen kann, kann hierbei indessen dahin stehen. Hieraus folgt aber zugleich, dass diese Verfahren an der gemeinsam zu treffenden Entscheidung über die Strafaussetzung teilzunehmen haben. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Verurteilte in allen derzeit zur Vollstreckung anstehenden Verfahren einen Antrag nach § 57 Abs. 1 StGB gestellt hatte - über welche die Kammer in den übrigen Verfahren gar nicht entschieden hat. Der Antrag auf Strafaussetzung war hiernach jedenfalls nicht verfrüht.

III.

Die Sache war daher unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zur gemeinsamen Entscheidung über die beantragte Strafaussetzung zurückzuverweisen - wobei in dem Verfahren betreffend die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 4. Juli 2007 zwischenzeitlich infolge vollständiger Vollstreckung Erledigung eingetreten sein dürfte. In der Sache kann der Senat nicht nach § 309 Abs. 2 StPO selbst entscheiden, weil die nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO gebotene persönliche Anhörung des Verurteilten nicht erfolgt ist, die der Senat im Beschwerdeverfahren nicht nachholen kann (vgl. hierzu nur Meyer-Goßner, § 309 Rn. 8 m.w.N.).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.