Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.11.1999, Az.: 6 T 46/99
Rechtmäßigkeit eines Begehrens auf Annahme von Kindern; Beeinträchtigung von Unterhaltsansprüchen bereits existenter Kinder durch Adoptivkinder
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 29.11.1999
- Aktenzeichen
- 6 T 46/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 30736
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:1999:1129.6T46.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Winsen - 03.07.1999 - AZ: 14 XVI 13/98
Rechtsgrundlage
- § 1745 S. 1 u. 2 BGB
Fundstelle
- Streit 2000, 87-88
Verfahrensgegenstand
Adoptionssache
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
durch
den ... den Richter am Landgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
am 29. November 1999
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Winsen/Luhe vom 03.07.1999 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 10.000,00 DM.
Gründe
Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Annahme der Kinder ... und ... (fortan: die Anzunehmenden) durch den Beteiligten zu 1. (fortan: der Annehmende) abgelehnt.
Gemäß § 1745 Satz 1 BGB darf die Annahme eines minderjährigen Kindes nicht ausgesprochen werden, wenn überwiegende Interessen der Kinder des Annehmenden entgegenstehen. Allerdings bestimmt das Gesetz weiterhin in Satz 2 der Vorschrift, dass vermögensrechtliche Interessen nicht ausschlaggebend sein sollen. Aus diesem Grunde müssen die bereits vorhandenen Kinder des Annehmenden die Konkurrenz des Adoptivkindes als Unterhaltsgläubiger sowie auch als Erbberechtigter grundsätzlich hinnehmen (BGH FamRZ 1984, 378).
Jedoch gilt dies nicht für die Fälle, in denen die bereits vorhandenen Kinder nicht der faktischen Familie des Annehmenden angehören. Gemeint ist die Adoption von Stiefkindern zum Nachteil der beim anderen Elternteil lebenden erstehelichen Kinder des Annehmenden. Diese Kinder müssen es nicht hinnehmen, dass ihre Unterhaltsansprüche durch die Adoption von Stiefkindern insoweit geschmälert oder gar gefährdet werden, als eine Stiefkindadoption auch und gerade deswegen angestrebt wird, um ihre gesetzlichen Unterhaltsansprüche zu verkürzen. So liegt der Fall hier. Im Einzelnen gilt hierzu folgendes:
I.
In Rechtsprechung und Literatur wird die Frage nicht einhaltlich beantwortet, welche konkrete Beeinträchtigung von Unterhaltsansprüchen bei der Stiefkinderadoption nicht mehr hinzunehmen ist, so dass die Adoption zu unterbleiben hat. Der BGH scheint in einem obiter dictum die Grenze bei der drohenden Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu ziehen. Im Übrigen werden in der Rechtsprechung überwiegende, der Adoption entgegenstehende Interessen der erstehelichen Kinder angenommen, wenn zu befürchten ist, dass diese "nicht einmal mehr den gegenwärtig geschuldeten Unterhaltsbetrag in Folge der hinzutretenden Unterhaltsverpflichtung erhalten werden" (LG Mannheim, Die Justiz 1961, 14, 15), bzw. die Rechtsprechung stellt auf eine "erhebliche Beeinträchtigung" der Unterhaltsansprüche ehelicher Kinder ab (OLG Oldenburg Niedersächsische Rechtspflege 1952, 186) oder meint, eine Stiefkindadoption dürfe nicht erfolgen, wenn der Annehmende "ernstliche Versuche unternehme, sich der Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern zu entziehen" (OLG Hamm StAZ 1954, 109). Dagegen ist nach anderer Auffassung der Adoptionsantrag bereits dann abzulehnen, wenn eine Stiefkindadoption primär angestrebt wird, um die gesetzlichen Unterhaltsansprüche vorhandener Kinder zu verkürzen (Staudinger/Frank 12. Ausgabe, BGB, § 1745 Rn. 19; Münchener Kommentar/Lüderitz, BGB, 2. Auflage, § 1745 RN 11; OLG Hamm StAZ 1954, 109).
Die Kammer folgt der letztgenannten Auffassung. Eine objektive Grenze, bis zu der eine Beeinträchtigung von Unterhaltsansprüchen bei der Stiefkindadoption hinzunehmen ist, lässt sich nicht ziehen. Das im Abwägungsprozess zu berücksichtigende Wohl der anzunehmenden Kinder bei einer Stiefkindadoption kann sehr unterschiedlich berührt sein. Eine Stiefkindadoption ändert grundsätzlich nichts daran, dass "dieses Kind in dieser Familie" aufwächst. Dem Beteiligten kommt es nicht in erster Linie auf die Veränderung von Rechtspositionen (Sorgerecht, Unterhalt, Erbrecht), sondern darauf an, dass Kind in einer Art Symbolakt als eigenes "anzunehmen" (Staudinger/Frank, a.a.O., § 1745 Rn. 18). Dabei liegt es nahe, dass der Annehmende in dieser Lage durch Übernahme einer neuen Rechtspflicht die bestehende Unterhaltslast gegenüber seinen erstehelichen Kindern zu verringern sucht. Zu beurteilen ist daher, ob dies das tragende Motiv für die Stiefkindadoption ist. In diesem Fall geht es dem Annehmenden nämlich nicht im Wesentlichen um das Wohl des Stiefkindes. Seine Interessen hieran wiegen jedenfalls geringer gegenüber seiner Verkürzungsabsicht im Hinblick auf die Unterhaltsansprüche seiner erstehelichen Kinder. Die Kammer folgt diesen Grundsätzen und Erwägungen bei der Beurteilung, ob die Unterhaltsinteressen vorhandener Kinder aus einer geschiedenen Ehe der Adoption von Stiefkindern entgegenstehen.
II.
Aus dem Vorbringen und dem Verhalten des Anzunehmenden ist für die Kammer ersichtlich, dass er die Adoption der Annehmenden auch und gerade deswegen anstrebt, um die gesetzlichen Unterhaltsansprüche seiner erstehelichen Kindern, neben dem Unterhaltsanspruch seiner geschiedenen Ehefrau, zu verkürzen. Bei der Beurteilung hierüber ist zwar zu berücksichtigen, dass der Annehmende bislang die Unterhaltsansprüche seiner erstehelichen Kinder entsprechend der Festsetzung nach der Düsseldorfer - Tabelle (Stand: 01.07.1998) unter Berücksichtigung der Einkommensgruppe IV unter Anrechnung des jeweiligen anteiligen Kindergeldes durch vollstreckbare Urkunden des Landkreises ..., Jugenamt, vom 14.05.1999 anerkannt und die entsprechenden Beträge gezahlt hat. Gleichzeitig hat er aber in dem Kindesunterhaltsverfahren vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Winsen/Luhe, Aktenzeichen: 5 F 180/99, durch Schriftsatz vom 14.04.1999 vorgetragen, dass er sich vorbehält, die Höhe des Kindesunterhalts im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht zu überprüfen, sobald dem Adoptionsantrag stattgegeben wird. Dieser Hinweis steht im Einklang mit der Entscheidung des Antragstellers, den Vorschlag der Kammer zur finanziellen Regelung zugunsten der erstehelichen Kinder nicht annehmen zu wollen. Nach diesem Vorschlag sollte er sich verpflichten, den erstehelichen Kindern denjenigen Unterhalt zu zahlen, der ihnen zustünde, wenn es nicht zu einer Adoption der Anzunehmenden kommen würde. Insoweit sollte der geschiedenen Ehefrau gegenüber in einem etwaigen Unterhaltsverfahren lediglich eingewandt werden können, dass nunmehr 5 Kinder vorhanden sind. Dagegen sollte nicht geltend gemacht werden, dass an die 3 erstehelichen Kinder ein erhöhter Unterhalt gezahlt wird, so dass durch diese Erhöhung der Unterhalt der geschiedenen Ehefrau nicht beeinträchtigt würde. Diesen Vorschlag der Kammer ist der Annehmende nicht beigetreten. Im Gegenteil hat er mit Schriftsatz vom 11.10.1999 (Bl. 73 d.A.) gegenüber den Verfahrensbevollmächtigten seiner erstehelichen Kinder erklärt, es müsse zu einer unterhaltsrechtlichen Gleichstufung der Anzunehmenden mit den erstehelichen Kindern kommen und er sei zu keinem Verzicht auf seinen Selbstbehalt bzgl. der erstehelichen Kindern bereit. Gleichzeitig kündigte er für den Fall, dass eine vergleichsweise Regelung nicht möglich sei, die Rücknahme seines Adoptionsantrages an und verwies darauf, dass dies sich einkommensmindernd für die gemeinsamen Kinder unmittelbar auswirken würde. Aus diesem Vorbringen des Anzunehmenden folgt, dass die Minderung der Unterhaltsansprüche sowohl seiner erstehelichen Kinder als auch seiner geschiedenen Ehefrau ein mitausschlaggebendes Motiv für die Adoption der Anzunehmenden war.
Tatsächlich gibt die beabsichtigte Adoption der Anzunehmenden dem Annehmenden auch die Möglichkeit den bisher gezahlten Kindesunterhalt an die erstehelichen Kinder herabzusetzen. Denn mit der Adoption schuldet er zunächst gegenüber seinen dann 5 gleichberechtigten Kindern Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer - Tabelle. Das Hinzutreten von 2 weiteren - adoptierten - Kindern führt nicht nur zur Herabstufung von 2 Einkommesgruppen bei der Anwendung der Düsseldorfer - Tabelle und damit zur Verringerung der Unterhaltsansprüche, sondern auch zu einer weiteren Herabstufung des Unterhaltsanspruches, weil sein monatliches Einkommen von derzeit - bereinigt - 4.244,00 DM (vgl. OLG Celle, Az.: 12 UF 259/98, Urteil vom 9. August 1999), insbesondere auf den Einwand des gro ßen Selbstbehalts von derzeit 1.600,00 DM gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau, nicht zur Deckung des Bedarfs der gleichrangig berechtigten Unterhaltsgläubiger (5 Kinder und eine geschiedene Ehefrau) ausreicht (Mangelfall). In diesem Zusammenhang geht die Ansicht des Annehmenden fehl, dass er gegenüber dem Anzunehmenden ..., der als Auszubildender über eine Ausbildungsvergütung von 600,00 DM monatlich verfügt, keinen Unterhalt leisten müsse. Denn bei Auszubildenden wird die Ausbildungsvergütung auf den Unterhaltsbedarf nach Abzug eines Pauschalbetrages von 150,00 DM angerechnet, wobei diese Pauschale die tatsächlich entstehenden Fahrtkosten als ausbildungsbedingten Mehrbedarf des Kindes nicht berücksichtigt. Unter Zugrundelegung der Einkommungsgruppe II der Düsseldorfer - Tabelle (Stand: 01.07.1999) würde der Annehmende gegenüber dem Anzunehmenden ... Unterhalt in Höhe von monatlich 546,00. DM schulden, der nach den vorgenannten Grundsätzen nicht vollständig durch seine Ausbildungsvergütung abgedeckt wird. Im Übrigen ist das eigene Einkommen des Kindes sowie das Kindergeld nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Celle gegenüber dem barunterhaltspflichten und dem naturalunterhaltspflichtigen Elternteil (Kindesmutter) in der Regel je zur Hälfte anzurechnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 10.000,00 DM.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens war nach § 30 Abs. 3 Satz 2 KostO festzusetzen; bei der Adoption mehrerer Minderjähriger ist der Festbetrag des § 30 Abs. 3 Satz 2 KostO für jeden Minderjährigen anzusetzen (Hartmann, Kostengesetze, 28. Auflage, § 30 KostO, IV B).