Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 02.04.2004, Az.: 2 Qs 35/04

Beschwerde eines Verteidigers auf Grund Herabsetzung der für die erste Instanz zu erstattenden Gebühren; Gebührenfestsetzung für selbstständige schon eröffnete Verfahren

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
02.04.2004
Aktenzeichen
2 Qs 35/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 34899
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2004:0402.2QS35.04.0A

Fundstelle

  • StraFo 2004, 254 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Gefährliche Körperverletzung

Tenor:

In der Strafsache auf die Beschwerde des Verteidigers wird der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 16. Februar 2004 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Erinnerung der Landeskasse gegen die durch Beschluss vom 19.11.2003 festgesetzte Pflichtverteidigervergütung wird zurückgewiesen.

Auf die Erinnerung des Verteidigers und auf seinen Antrag vom 29.11.2003 in der Fassung des Antrags vom 11.12.2003 wird die aus der Landeskasse für das Berufungsverfahren an ihn zu erstattende Pflichtverteidigervergütung auf 295,80 EUR festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

I.

Am 17.9.2003 verhandelte das Amtsgericht gegen die Angeklagte Pescatore in dem Verfahren 55 Ls 500 Js 48656/02 wegen versuchter Körperverletzung und Beleidigung. Der Verteidiger war der Angeklagten schon zuvor beigeordnet worden. Während der Verhandlung wurde das ebenfalls anstehende Verfahren 55 Ls 500 Js 41668/03 zugelassen und nach Verzicht auf die Einhaltung sämtlicher Ladungs- und Einlassungsfristen seitens der Angeklagten und des Beschwerdeführers konkludent aufgerufen und mitverhandelt, bevor es zeitgleich zur förmlichen Verbindung beider Verfahren kam. Zuvor war der Beschwerdeführer der Angeklagten auch in dem verbundenen Verfahren beigeordnet worden.

2

Durch Urteil vom 17.9.2003 wurde die Angeklagte schuldig gesprochen. In Übereinstimmung mit dem Antrag der Verteidigung wurde die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe ausgesetzt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte zunächst Berufung eingelegt, die sie später zurückgenommen hat, nachdem sie erfahren hatte, dass die Staatsanwaltschaft, die im Verhandlungstermin nicht auf Rechtsmittel verzichtet hatte, kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts eingelegt hatte.

3

Am 17.9.2003 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von 568,34 EUR als Gebühren und Auslagen für seine erstinstanzliche Tätigkeit 2x 200,- EUR Hauptverhandlungsgebühr, 44,95 EUR für 183 Kopien, 3x 15,- EUR Auslagenpauschale nebst anteiliger Umsatzsteuer in Höhe von 78,39 EUR).

4

Das Amtsgericht setzte durch Beschluss vom 19.11.2003 die zu erstattende Pflichtverteidigervergütung auf 550,94 EUR fest, weil die Auslagenpauschale nur 2x entstanden war und sich die Umsatzsteuer entsprechend reduzierte.

5

Am 29.11.2003 nahm der Beschwerdeführer die Berufung namens und in Vollmacht für seine Mandantin zurück, nachdem er erfahren hatte, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hatte. Zugleich beantragte er die Festsetzung von 249,40 EUR für seine Tätigkeit in der Berufungsinstanz (200,- EUR vor Beginn der Hauptverhandlung gem. §§ 97 I S.1, 84 II, 83 I 3, 12 BRAGO, 15,- EUR Auslagenpauschale sowie anteilige Umsatzsteuer von 34,40 EUR). Durch Beschluss vom 4.12.2003 setzte das Amtsgericht die Gebühren auf lediglich 156,60 EUR fest, weil der Verteidiger in der Berufungsinstanz lediglich außerhalb der Hauptverhandlung tätig geworden sei und hierfür Gebühren gem. §§ 85 III, 97 BRAGO lediglich in Höhe von 120,-- EUR entstanden seien.

6

Mit Schriftsatz vom 11.12.2003 wandte der Beschwerdeführer sich gegen die Herabsetzung seiner Gebühren und korrigierte seinen Erstattungsantrag zugleich durch Erhöhung auf 295,80 EUR 240,- EUR als volle Betragsrahmengebühr gemäß §§ 85 IV, 84 II i.V.m. § 83 I BRAGO für seine Mitwirkung an der Rücknahme der Berufung nebst Auslagenpauschale von 15,- EUR und anteiliger Umsatzsteuer von 40,80 EUR.

7

Am 6.1.2004 legte die Landeskasse Erinnerung gegen die Pflichtverteidigervergütung für die erste Instanz vom 19.11.2003 ein, weil der Beschwerdeführer für das verbundene Verfahren vor der Verbindung nicht beigeordnet worden sei. Die Berufung sei aus sachfremden Erwägung eingelegt worden.

8

Durch Beschluss vom 16.2.2004 hat das Amtsgericht die Erinnerung des Verteidigers gegen die Gebührenfestsetzung im Beschluss vom 4.12.2003 zurückgewiesen. Die Zubilligung lediglich der halben Gebühr für die Berufungsinstanz sei gerechtfertigt, weil die Einlegung der Berufung keinen praktischen Nutzen für die Angeklagte hätte haben können. Auf die Erinnerung der Landeskasse hat das Amtsgericht die Pflichtverteidigervergütung für die erste Instanz um 200,- EUR nebst anteiliger Umsatzsteuer gekürzt.

9

Hiergegen richtet sich die sinngemäß eingelegte Beschwerde des Verteidigers vom 22.2.2004.

10

II.

Die Beschwerde des Verteidigers ist zulässig, §§ 98 III BRAGO, 304 StPO, und begründet.

11

Die Herabsetzung der für die erste Instanz zu erstattenden Gebühren war nicht gerechtfertigt, weil der Beschwerdeführer der Verurteilten ausweislich Band I Blatt 129R (Bl.7 des Protokolls der Hauptverhandlung vom 17.9.2003) ausdrücklich auch für das später hinzu verbundene Verfahren 55 Ds 500 Js 41668/03 beigeordnet worden und in diesem Verfahren verhandelt worden ist, bevor es zur Verbindung gekommen ist.

12

In Literatur und Rechtsprechung besteht Einigkeit, dass für selbstständige schon eröffnete Verfahren, die nach jeweiligem Aufruf der Sache in einer Hauptverhandlung miteinander verbunden werden, jeweils eine volle Gebühr gemäß § 83 I BRAGO festzusetzen ist. Dies muss auch für den Fall gelten, in dem das später verbundene Verfahren erst während der Verhandlung des führenden Verfahrens zugelassen, konkludent aufgerufen und zur gemeinsamen Verhandlung mit dem zunächst anverhandelten Verfahren verbunden wird. Denn im Augenblick des Verbindungsbeschlusses sind bei einer solchen Konstellation Aufruf der Sache und Beginn der Verhandlung auch in dem neuen Verfahren als erfolgt anzusehen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 20.3.2000 - 1 Ars 18/00). Eine andere Sichtweise würde im Ergebnis einer raschen und ökonomischen Erledigung anhängiger Verfahren entgegen wirken, weil sie sich nachteilig auf die Bereitschaft zum Verzicht auf Ladungs- und Erklärungsfristen auswirken könnte.

13

Für die Berufungsinstanz kann der Beschwerdeführer auch die mit Schriftsatz vom 11.12.2003 geltend gemachten Gebühren in Höhe von 295,80 EUR verlangen.

14

Durch die Mitwirkung des Verteidigers bei der Zurücknahme der Berufung ist eine volle Betragsrahmengebühr - in Höhe von 240,00 EUR (zuzüglich 15,- EUR Auslagenpauschale und anteiliger Umsatzsteuer in Höhe von 40,80 EUR) - gemäß §§ 85 IV, 84 II Nr.3 BRAGO entstanden.

15

In Ermangelung näherer Angaben zu Art und Intensität des hierfür notwendigen anwaltlichen Mitwirkungsbeitrages in der gesetzlichen Bestimmung genügt nach der Rechtsprechung der Kammer jeder Beitrag mitursächlicher Art (vgl. Beschl. vom 10.3.2003 - 32 Qs 38/03 - unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren abweichenden Kammerrechtsprechung). Zwar gilt dies nicht, wenn bereits die Einlegung des Rechtsmittels von vornherein aus sachfremden Erwägungen erfolgt ist. Dieser Ausnahmefall ist jedoch vorliegend nicht gegeben. Die Einlegung der Berufung stellte sich aus der Sicht der Angeklagten und ihres Verteidigers zumindest als geeignetes Mittel dar, für die nach Lage der Dinge in Betracht kommende Berufungsverhandlung für prozessuale Waffengleichheit mit der Anklagebehörde zu sorgen. Denn wegen des seitens der Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin bei dem Amtsgericht nach der Urteilsverkündung unterbliebenen Rechtsmittelverzichts musste die Angeklagte damit rechnen, dass die Staatsanwaltschaft, die sich überdies mit ihrem weiter gehenden Antrag auf Verhängung einer Jugendstrafe beim Amtsgericht nicht hatte durchsetzen können, das Urteil angreifen würde.

16

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 98 IV BRAGO.

Teiwe, VRiLG
Neef, RiLG
Dr. Ostendorp, Ri'inLG