Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.08.2006, Az.: 5 V 10096/06
Einstufung der Einkünfte eines Berufsbetreuers als freiberufliche Einkünfte bei der Durchführung einer Außenprüfung; Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes; Einordnung der Einkünfte eines Berufsbetreuers als gewerblich; Möglichkeit der rückwirkenden Festsetzung einer Gewerbesteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 21.08.2006
- Aktenzeichen
- 5 V 10096/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 26314
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2006:0821.5V10096.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
- § 69 Abs. 2 S. 2 FGO
- § 69 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 FGO
- § 2 Abs. 1 GewStG
- § 1896 BGB
- § 1897 BGB
Fundstellen
- BtPrax 2007, 37-38 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2006, 1923 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB direkt 2007, 9
- Jurion-Abstract 2006, 228632 (Zusammenfassung)
Amtlicher Leitsatz
Hat das Finanzamt nach einer in 2003 durchgeführten Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2000 die Einkünfte eines Berufsbetreuers als freiberufliche i.S. des § 18 EStG eingestuft, so kommt auch im Hinblick auf die BFH-Entscheidung v. 04.11.2004 IV R 26/03 (BStBl II 2005, 288) die rückwirkende - erstmalige - Festsetzung von Gewerbesteuer nicht in Betracht. Denn mit der Durchführung der Außenprüfung hat das Finanzamt einen Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen der Antragsteller nicht mehr mit einer Festsetzung von Gewerbesteuer rechnen musste.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren 5 K 10095/06 über die rückwirkende Festsetzung von Gewerbesteuermessbeträgen für die Streitjahre 1998 und 1999.
Der Antragsteller (Ast.) erzielte in den Streitjahren Einkünfte als Berufsbetreuer. Aufgrund der Entscheidung des BFH v. 04.11.2004 (IV R 26/03) sah der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) die Einkünfte als gewerblich an und forderte den Ast. zur Abgabe von Gewerbesteuererklärungen auf. Diese gingen im November 2005 beim FA ein. Gegen die entsprechenden Festsetzungen hat sich der Ast. mit seiner Klage gewandt. Gleichzeitig hat er die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide beantragt.
Der Ast. stellt die Einordnung der Einkünfte eines Berufsbetreuers als gewerblich nicht grundsätzlich in Frage. Allerdings sei die rückwirkende Festsetzung bis ins Jahr 1998 zurück auf der Grundlage einer erst im Jahr 2004 ergangenen BFH-Entscheidung rechtswidrig. Er habe auf der Grundlage der Einkommensteuerfestsetzungen davon ausgehen müssen, dass das FA die Einkünfte nicht der Gewerbesteuer unterwerfen werde. Einkommensteuerlich habe das FA - selbst nach durchgeführter Außenprüfung in 2003 für die Veranlagungszeiträume 1997 bis 2000 - die Einkünfte als freiberuflich iSd § 18 EStG eingestuft. Im Hinblick auf diese Einordnung nach Außenprüfung habe das FA einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Ast. habe nicht damit rechnen können, dass nachträglich noch Gewerbesteuer - für einkommensteuerlich geprüfte Veranlagungszeiträume - festgesetzt werde. Insofern sei eine Verwirkung des Steueranspruchs eingetreten.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 1998 und 1999 jeweils vom 12.12.2005 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das FA habe im Streitfall keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Tatbestand der Verwirkung sei nicht erfüllt. Insbesondere schaffe die einkommensteuerliche Qualifizierung der Einkünfte (hier § 18 EStG) keinen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Nichtgeltendmachung des Gewerbesteueranspruchs. Außerdem habe das FA auch nicht durch ein bestimmtes Verhalten das Vertrauen des Ast. begründet oder gar gestärkt, dass der Gewerbesteueranspruch nicht mehr geltend gemacht werde.
Gründe
II.
Der Antrag ist begründet.
1.
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
a)
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 04.11.2004 (IV R 26/03, BStBl II 2005, 288) die Einkünfte eines Berufsbetreuers als gewerblich i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG qualifiziert. Er hat dabei insbesondere darauf abgestellt, dass die Tätigkeit eines Berufsbetreuers nicht nur eine vermögensverwaltende Tätigkeit beinhalte; ein Berufsbetreuer habe darüber hinaus auch weitergehende Aufgaben wahrzunehmen, §§ 1896, 1897 BGB. Die Tätigkeit sei deshalb keine sonstige selbstständige Tätigkeit iSd § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung können die Einkünfte des Ast. ab dem VZ 2004 als gewerblich eingestuft werden.
b)
Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass die rückwirkende Festsetzung der Gewerbesteuer - jedenfalls bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung des Sachverhalts - bis ins Jahr 1998 zurück rechtswidrig ist und den Ast. in seinen Rechten verletzt. Entgegen der Auffassung des FA ist der Senat der Meinung, dass im vorliegenden Fall das Rechtsinstitut der Verwirkung (§ 242 BGB) einschlägig ist. Das FA hat im Streitfall einen Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen der Ast. nicht mehr mit einer Festsetzung der Gewerbesteuer rechnen musste. Maßgebend dafür ist nicht nur der Umstand, dass das FA die Einkünfte des Ast. über Jahre hinweg einkommensteuerlich als sonstige selbstständige Einkünfte i.S.d. § 18 EStG qualifiziert hat; dies allein würde nach Meinung des Senats nicht ausreichen, um den Tatbestand der Verwirkung zum tragen kommen zu lassen. Im vorliegenden Fall kommt jedoch hinzu, dass das FA auch im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 1997 - 2000 im Jahr 2003 nicht herausgestellt hat, dass eine Einordnung der Einkünfte des Ast. als gewerblich in Betracht kommen könnte. Dieser Umstand ist für den Senat für den Tatbestand der Verwirkung von ausschlaggebender Bedeutung (im Ergebnis so auch BFH-Urt. v. 05.03.1970 - IV 213/65, BStBl II 1970). Dies geschah zu einem Zeitpunkt als nicht nur im Schrifttum, sondern insbesondere auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte die rechtliche Einordnung der Tätigkeit von Berufsbetreuern bereits kontrovers diskutiert wurde (vgl. z.B. FG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 25.08.1999 - 1 K 472/98, EFG 1999, 1080 - gewerbliche Betätigung; a.A. FG Thüringen, Urt. v. 27.09.2000 - IV 1485/98, DStRE 2001, 965). Aufgrund dieser Umstände hat das FA im Streitfall einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der den Senat zumindest im summarischen Verfahren der AdV veranlasst, die Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide 1998 und 1999 auszusetzen.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht (22.3.2006) lag eine ablehnende AdV-Entscheidung des FA zwar noch nicht vor; diese erfolgte erst mit Bescheid vom 19.07.2006. Gleichwohl ist der Senat der Meinung, dass die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO - Anrufung des Gerichts erst, wenn eine ablehnende Entscheidung der Finanzbehörde vorliegt - hier erfüllt ist. Das Gesetz schreibt nämlich eine bestimmte Form der Ablehnung nicht vor (vgl. dazu Koch, in Gräber, Kommentar zur FGO, 6. Aufl. 2006, § 69 Rz 75 m.w.N.). Im Streitfall hat das FA im Rahmen des Einspruchsverfahrens zumindest durch das Schreiben an den Ast. vom 10.01.2006 zu erkennen gegeben, dass es nicht gewillt ist, die Gewerbesteuermessbescheide aufzuheben und damit eine AdV zu gewähren. Die Kosten des Verfahrens waren deshalb dem Antragsgegner aufzuerlegen.