Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.04.2022, Az.: 3 K 20/22

Ablehnung der Änderung eines Einkommensteuerbescheides zwecks Gewährung der Tarifermäßigung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
06.04.2022
Aktenzeichen
3 K 20/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 40580
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • DStR 2023, 8
  • DStR 2023, 595-598
  • StX 2022, 551-552

Tatbestand

Streitig ist die Möglichkeit der Änderung eines Einkommensteuerbescheides zwecks Gewährung der Tarifermäßigung nach § 32c Einkommensteuergesetz (EStG).

Die Kläger sind verheiratet. Sie wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte wie bereits in den vorangegangenen Jahren Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Diese Einkünfte ermittelte er nach § 4 Abs. 1 EStG mit einem vom 1. Juli bis 30. Juni laufenden abweichenden Wirtschaftsjahr.

Der Einkommensteuerbescheid für 2019 vom 25. Juni 2021 erging erklärungsgemäß. In dem Bescheid wurde Einkommensteuer i.H.v. 0 EUR festgesetzt.

Am 10. August 2021 ging beim Beklagten die bereits von den Klägern am 4. Mai 2021 unterzeichnete Anlage 32c ein, in welcher sie die Tarifermäßigung nach § 32c EStG beantragten. Der Anlage war eine Berechnung über einen Steuerermäßigungsbetrag i. H. v. 5.500 EUR beigefügt.

Der Beklagte lehnte die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2019 mit Bescheid vom 16. August 2021 ab. Der Einkommensteuerbescheid sei bereits bestandskräftig und könne nicht mehr geändert werden. Er sei insbesondere nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen.

Gegen den Ablehnungsbescheid legten die Kläger am 15. September 2021 Einspruch ein. Der Einkommensteuerbescheid sei nicht wirksam bekannt gegeben worden, da in den Erläuterungen kein Hinweis enthalten sei, dass bisher kein Antrag auf Tarifglättung nach § 32c EStG gestellt worden sei.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Der Beklagte wies ihn mit Bescheid vom 3. Februar 2022 als unbegründet zurück. Die Tarifermäßigung nach § 32c EStG könne nur bei Vorliegen einer Änderungsmöglichkeit des Einkommensteuerbescheides gewährt werden. Mit § 32c EStG habe der Gesetzgeber keine Änderungsmöglichkeit für bereits bestandskräftig gewordene Steuerbescheide geschaffen. Im Streitfall sei der Einkommensteuerbescheid 2019 bestandskräftig und könne nicht mehr geändert werden.

Dass in den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid kein Hinweis auf einen bisher nicht gestellten Antrag auf Tarifglättung enthalten sei, führe weder zu einer Unwirksamkeit des Bescheides noch sei deswegen Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist zu gewähren. Zum Verständnis des streitigen Einkommensteuerbescheides sei kein Hinweis auf einen bislang fehlenden Antrag nach § 32c EStG erforderlich gewesen. Zwar solle die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen nach § 89 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) angeregt werden, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben seien. Es müsse aber offensichtlich sein, dass ein Antrag nur versehentlich unterblieben sei. Bei einem unterbliebenen Antrag nach § 32c EStG sei dies jedoch nicht offensichtlich. Die Inanspruchnahme der Tarifermäßigung sei an die in § 32c EStG genannten Voraussetzungen geknüpft. Ob diese gegeben seien oder aus welchen Gründen der Antrag bewusst nicht gestellt worden sei, sei für die Finanzbehörde anhand der eingereichten Steuererklärung nicht offensichtlich. Da die Einkommensteuererklärung 2019 von steuerlichen Beratern erstellt worden sei, habe keine Verpflichtung bestanden, auf einen fehlenden Antrag zur Tarifermäßigung nach § 32c EStG hinzuweisen. Dem deutschen Steuerberaterverband sei vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) bereits mit Schreiben vom 14. Mai 2020 mitgeteilt worden, dass die Regelungen zur Tarifermäßigung seit dem 30. Januar 2020 in Kraft seien und Anträge auf Tarifermäßigung gestellt werden könnten. Die Kläger hätten ausreichend Zeit gehabt, die Tarifermäßigung zu beantragen. Zwar haben Steuererklärungen für 2016 und 2019 bis zum 30. April 2021 unter einem maschinellen Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO festgesetzt werden sollen. Im Streitfall sei der Einkommensteuerbescheid jedoch erst am 25. Juni 2021 ergangen. Ein maschineller Vorbehalt der Nachprüfung sei daher darin nicht mehr aufzunehmen gewesen. Auch das BMF-Schreiben zur Tarifermäßigung vom 18. September 2020 habe zum Zeitpunkt der Steuerveranlagung für das Streitjahr bereits vorgelegen. Dies hätte den steuerlichen Beratern der Kläger bekannt sein müssen.

Auch aus Billigkeitsgründen könne eine Änderung der Steuerfestsetzung gem. § 163 AO nicht erfolgen. Hierfür sprechende individuelle Umstände des Einzelfalls hätten die Kläger nicht vorgetragen.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger weiter die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2019 und die Berücksichtigung einer Tarifermäßigung nach § 32c EStG.

Die Tarifermäßigung nach § 32c EStG werde auf Antrag gewährt. Das Verfahren sei in der Norm selbst geregelt. In § 32c EStG werde aber nicht geregelt, innerhalb welcher Frist ein solcher Antrag zu stellen sei. Auch im BMF-Schreiben vom 18. September 2020 laute es unter Textziffer 4 Satz 3 "Der Antrag kann grundsätzlich i.R.d. Steuererklärung oder bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt (und auch zurückgenommen) werden." Auch das BMF spreche dort nur von "grundsätzlich". Folglich wäre eine Antragstellung auch nach Eintritt der Bestandskraft möglich. Für den in Textziffer 17 des BMF-Schreibens beschriebenen Fall äußere sich das BMF auch in der Weise, dass es von "grundsätzlich" spreche.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Ablehnungsbescheid vom 16. August 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Antrag auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG für den Veranlagungszeitraum 2019 stattzugeben und den Einkommensteuerbescheid für 2019 entsprechend zu ändern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage hat keinen Erfolg.

Der angegriffene Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

Der Beklagte hat die Änderung des Einkommensteuerbescheides zur Berücksichtigung der Tarifermäßigung nach § 32c EStG zu Recht abgelehnt, denn der Einkommensteuerbescheid kann verfahrensrechtlich nicht mehr geändert werden. Er ist nämlich formell (§ 122 AO) und materiell (§ 124 AO) rechtskräftig.

1. Der Einkommensteuerbescheid ist materiell rechtskräftig.

Der Einkommensteuerbescheid 2019 ist trotz fehlendem Hinweis auf die nicht in Anspruch genommene Tarifermäßigung nach § 32c EStG wirksam.

a) Der Bescheid ist nicht nichtig.

Gem. § 124 Abs. 3 AO ist ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam. Ein Verwaltungsakt ist gem. § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, die für eine Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 2019 sprechen. Insbesondere ergibt sich die Nichtigkeit nicht aus einem fehlenden Hinweis in den Erläuterungen, dass bisher kein Antrag auf Tarifglättung nach § 32c EStG gestellt worden sei. Ein solcher Hinweis ist gesetzlich nicht vorgesehen und muss daher nicht erteilt werden. Er ist auch nicht aus Gründen der Fürsorge nach § 89 Abs. 1 AO erforderlich, denn es liegt grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen, die richtigen Anträge zu stellen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. August 2012 IX R 14/11, BFH/NV 2012, 1934). Das Fehlen eines solchen Hinweises würde auch allenfalls zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des Bescheides führen.

b) Der Bescheid ist wirksam.

Gem. § 124 AO wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Da der Steuerbescheid vorliegend postalisch bekannt gegeben wurde, richtet sich die Bekanntgabe nach § 122 AO. Nach der von den Klägern nicht bestrittenen Darstellung des Beklagten wurde der auf den 25. Juni 2021 datierte Einkommensteuerbescheid noch am selben Tag zur Post gegeben. Er gilt damit gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am 28. Juni 2021 bekannt gegeben. An der ordnungsgemäßen Bekanntgabe des Verwaltungsaktes bestehen keine Zweifel. Weder wurden dagegensprechende Gründe vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.

2. Der Bescheid ist auch formell rechtskräftig.

Der Bescheid ist bestandskräftig und kann nicht geändert werden.

a) Den Klägern war keine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu gewähren.

Zwar konnte der beim Beklagten am 10. August 2021 eingegangene Antrag der Kläger auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid gewertet werden. Allerdings muss ein Einspruch gem. § 355 Abs. 1 Satz 1 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt werden. Der angefochtene Verwaltungsakt wird unanfechtbar und seine formelle Bestandskraft tritt ein, wenn der Einspruch nicht innerhalb der Einspruchsfrist eingelegt wird (vgl. Gosch/Werth, AO/FGO, 166. Ergänzungslieferung 2/2022, § 355 AO Rz 26).

Ausgehend von der unwidersprochenen Bekanntgabe des Verwaltungsaktes am 28. Juni 2021 (s.o. unter I. 1. b) endete die Einspruchsfrist gem. § 355 Abs. 1 Satz 1 AO am 28. Juli 2021. Der am 10. August 2021 beim Beklagten eingegangene Antrag auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG war daher verspätet.

Zu Recht hat der Beklagte auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO gewährt, da die einmonatige Einspruchsfrist nicht ohne Verschulden versäumt wurde. Es ist nicht erkennbar, dass der steuerliche Vertreter der Kläger die Einspruchsfrist schuldlos versäumt hat. Entsprechende Gründe sind weder - erst recht nicht in der Frist des § 110 Abs. 2 Sätze 1, 2 AO - vorgetragen worden. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere musste dem steuerlichen Vertreter die bereits mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlichen Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I 2019, 2451) getroffene Neuregelung des § 32c EStG bekannt gewesen sein. Diese Norm trat bereits am 30. Januar 2020 in Kraft, nachdem die Europäische Kommission die Vereinbarkeit der Tarifermäßigung nach § 32c EStG mit dem Binnenmarkt festgestellt hatte. Hierüber war seitens des BMF mit Schreiben vom 18. September 2020 informiert worden (BStBl I 2020, 952). Den Klägern und ihren steuerlichen Vertretern war es daher möglich, den Antrag auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG sowohl bereits zusammen mit der am 26. April 2021 beim Beklagten eingereichten Steuererklärung als auch spätestens innerhalb der Einspruchsfrist zu stellen. Dieses Verschulden ihrer steuerlichen Vertreter müssen sich die Kläger gem. § 110 Abs. 1 Satz 2 AO zurechnen lassen.

Die Einspruchsfrist gilt auch nicht wegen § 126 Abs. 3 Satz 1 AO als unverschuldet versäumt, weil dem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt. Der Beklagte hat den Einkommensteuerbescheid ausreichend begründet und unter anderem darauf hingewiesen, dass sich eine mögliche Steuerermäßigung nach § 35a EStG angesichts einer festgesetzten Einkommensteuer i.H.v. 0 EUR nicht ausgewirkt hat. Auf den nicht gestellten Antrag zur Tarifermäßigung nach § 32c EStG war durch den Beklagten nicht hinzuweisen. Daher liegt auch kein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Beklagten gem. § 89 Abs. 1 Satz 1 AO vor (s.o. unter I. 1. a).

b) Die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides kann nicht durchbrochen werden.

Bei dem Antrag auf Tarifermäßigung nach § 32c Abs. 1 Satz 1 EStG handelt es sich um ein unbefristetes Wahlrecht, das grundsätzlich bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden kann. Allerdings müssen die Voraussetzungen für die Änderung des betreffenden Steuerbescheides vorliegen. Insoweit ergibt sich eine zeitliche Begrenzung der Wahlrechtsausübung aus dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Institut der Bestandskraft. Könnten antragsgebundene Vergünstigungen des EStG ohne Weiteres nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung geltend gemacht werden, liefe dies auf eine Aushöhlung der Vorschriften der AO über die Korrektur von Steuerbescheiden hinaus (BFH-Urteile vom 28. September 1984 VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117; vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960; vom 24. März 1998 I R 20/94, BFHE 185, 451, BStBl II 1999, 272; vom 30. August 2001 IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49 und vom 12. Mai 2015 VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806).

Vorliegend ist keine allgemeine gesetzliche Berichtigungs- oder Änderungsnorm einschlägig, die erfolgreich zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheides zur Berücksichtigung der Tarifermäßigung nach § 32c EStG führen kann.

aa) Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO kommt nicht in Betracht, da der Bescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO stand.

bb) Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ebenfalls nicht einschlägig, da den Klägern eine rechtzeitige Stellung des Antrags möglich war.

Nach § 173 Abs. 1 Nr.2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen und Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Dabei steht nach ständiger Rechtsprechung des BFH die erstmalige Ausübung eines nicht fristgebundenen steuerlichen Wahlrechts nach Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht entgegen (BFH-Urteile vom 28. September 1984 VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117; vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960 und vom 12. Mai 2015 VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806).

Der nach Eintritt der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides gestellte Antrag auf Tarifbegünstigung nach § 32c EStG ist nach Auffassung des Senats als Verfahrenshandlung keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache. Dies wäre der der Steuervergünstigung zugrundeliegende Sachverhalt, der zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheides führen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2015 VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806 m.w.N.). Dies ist im vorliegenden Fall die Tatsache, dass der Kläger in mindestens zwei Jahren des Betrachtungszeitraums 2016 bis 2019 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielt hat.

Aber selbst wenn der Antrag auf die Tarifermäßigung als neue Tatsache zu werten wäre, führte dies nicht zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Diese nachträglich bekannt gewordene Tatsache würde zu einer niedrigeren Steuer führen. Eine Änderung des Bescheides wäre nur möglich, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel treffen würde.

Das Gericht geht hier jedoch davon aus, dass die nicht rechtzeitige Stellung des Antrags auf ein grobes Verschulden der Kläger bzw. ihres steuerlichen Vertreters zurückzuführen ist. Grobes Verschulden setzt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 9. Mai 2001 XI R 25/99, BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817). Die Kläger haben keine Gründe vorgetragen, weshalb sie den Antrag auf Tarifermäßigung nicht bereits vor Eintritt der Bestandskraft gestellt haben. Insoweit obliegt ihnen die Feststellungslast dafür, dass sie nicht grob schuldhaft gehandelt haben. Tragen sie keine Gründe vor, kann das Gericht lediglich die aus den Akten ersichtlichen Umstände würdigen. Hier vermag das Gericht angesichts der gesetzlichen Regelung und des hierzu ergangenen BMF-Schreibens vom 18. September 2020 (BStBl I 2020, 952) keine Gründe zu erkennen, die dagegensprechen, dass der steuerliche Vertreter des Klägers durch die erst nach Bestandskraft des Steuerbescheides erfolgte Stellung des Antrags auf Tarifermäßigung die ihm obliegende und zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat.

cc) Der Einkommensteuerbescheid kann auch nicht unter Anwendung von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden.

Danach ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

Unter Ereignis ist jede Begebenheit zu verstehen, die den Sachverhalt oder einen Teil des Sachverhaltes ausfüllt, der den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht (§ 38 AO; Koenig/Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 175 Rz 38, vgl. auch Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl. 2020, § 175 Rz 51). Ein Antrag, der selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands ist und insofern unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt, ist ein Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. Gosch/von Wedelstädt, AO/FGO, 166. Ergänzungslieferung 2/2022, § 175 AO Rz 50). Kein Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist hingegen ein erstmalig, aber nachträglich ausgeübtes oder geändertes Wahlrecht, das aus verfahrensrechtlichen Gründen Voraussetzung für eine von mehreren steuerlichen Folgen für einen bestimmten Tatbestand ist.

Das Ereignis muss zudem steuerlich zurückwirken. Rückwirkende Ereignisse sind nur solche, die den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt verändern, obwohl sie erst im Nachhinein eingetreten sind; ein Besteuerungstatbestand also zunächst verwirklicht worden ist. Aufgrund steuergesetzlicher Anordnung sollen sie in die Vergangenheit zurückwirken, weil ein Bedürfnis besteht, eine schon endgültig getroffene steuerliche Regelung an die Sachverhaltsänderung anzupassen (Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl. 2020, § 175 Rz 54). Ob ein Ereignis zurückwirkt, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden Steuergesetz (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; vgl. BFH-Urteil vom 12. Januar 1994 II R 72/91, BFHE 173, 226, BStBl II 1994, 302).

Vorliegend ist der Antrag auf Tarifermäßigung kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO.

Bei dem Antrag handelt es sich nach Ansicht des Senats um eine Verfahrensmaßnahme, die zu treffen in den Händen des Steuerpflichtigen liegt. Es handelt sich nur um die Möglichkeit zur Ausübung eines Wahlrechts. Zwar ist der Antrag insofern Teil des Tatbestandsmerkmals der Tarifermäßigung, als ohne ihn eine solche nicht gewährt wird. Er gehört aber nicht zum materiell-rechtlichen Tatbestand der Tarifermäßigung nach § 32c Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 EStG. Dazu gehört lediglich, dass der Steuerpflichtige in mindestens zwei Jahren eines Betrachtungszeitraums (hier 2017 bis 2019) Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielt hat. Das Antragserfordernis gibt dem Steuerpflichtigen lediglich ein Wahlrecht, die Tarifermäßigung zu begehren oder nicht.

Da die Voraussetzungen für eine Ausübung des Wahlrechts zugunsten der Tarifermäßigung nach § 32c EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides vorliegen, besteht kein Bedürfnis, den erst nach Eintritt der Bestandskraft gestellten Antrag zurückwirken zu lassen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2015 VIII R 14/13, BFHE 52, 64, BStBl II 2015, 806). Bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Dies trifft auch auf den vorliegend verwirklichten Sachverhalt einer begehrten Tarifermäßigung nach § 32c EStG zu. Anders als bei nachträglich neu von außen eintretenden Umständen handelt es sich bei dem Antrag um eine Maßnahme, die der Steuerpflichtige selbst in der Hand hatte und bis zur Bestandskraft des Steuerbescheides hätte treffen können. Angesichts der vom Gesetzgeber grundsätzlich vorgesehenen Bestandskraft von Steuerbescheiden ist es vorliegend nicht erforderlich, dem Steuerpflichtigen die Änderung des Einkommensteuerbescheides zur Berücksichtigung einer Tarifermäßigung nach § 32c EStG auch nach Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheides zu ermöglichen.

dd) Auch § 32c EStG selbst ermächtigt nicht zur Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides zugunsten der erstmaligen Berücksichtigung der Tarifermäßigung.

Entgegen der Rechtsansicht der Kläger enthält § 32c EStG keine spezielle Regelung zur Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden zum Zweck der erstmaligen Berücksichtigung der Tarifermäßigung.

Zwar hat der Gesetzgeber in § 32c Abs. 6 EStG eine Rechtsgrundlage für die Korrektur von Einkommensteuerbescheiden geschaffen, denen bereits eine Tarifermäßigung gem. § 32c Abs. 1 EStG zugrunde liegt. Diese Änderungsvorschrift betrifft jedoch nur Fälle bestandskräftiger Steuerbescheide, in denen die Tarifermäßigung bereits gewährt wurde. Diese Änderungsvorschrift soll trotz tatsächlicher Änderung der Voraussetzungen für die Berechnung der Tarifermäßigung dafür sorgen, dass die gewährte Tarifermäßigung nicht in rechtswidriger Höhe bestandskräftig wird, sondern entsprechend angepasst werden kann.

Anders verhält es sich bei der erstmaligen Berücksichtigung eines Antrags auf Tarifermäßigung. Dabei geht es nicht um die Berichtigung eines rechtswidrigen Steuerbescheides, sondern um die antragsmäßige Berücksichtigung einer gesetzlich normierten Beihilfe. Die Norm des § 32c EStG enthält keine Berichtigungs- oder Änderungsvorschrift zwecks der erstmaligen Berücksichtigung der Tarifermäßigung. Dies lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck als auch dem Willen des Gesetzgebers entnehmen. Der Gesetzgeber hat die Norm bewusst so ausgestaltet, dass die Tarifermäßigung von einem Antrag des Steuerpflichtigen abhängig ist (BT-Drs. 19/13436, 126). Dabei hat er keine Regelung insoweit getroffen, dass der Antrag jederzeit und auch nach Bestandskraft des betreffenden Einkommensteuerbescheides gestellt werden könnte. Dies dürfte der Gesetzgeber angesichts der bereits im Gesetz enthaltenen Regelungen der formellen und materiellen Bestandskraft des Verwaltungsaktes und der Berichtigungs- und Änderungsvorschriften für nicht nötig gehalten haben, da sie dem Steuerpflichtigen ausreichend Zeit lassen, einen Antrag auf Tarifermäßigung nach § 32c EStG auch nach Ergehen des Bescheides bis zu dessen Bestandskraft noch nachzuholen.

Auch dem BMF-Schreiben zur Tarifermäßigung bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft nach § 32c EStG vom 18. September 2020 (BStBl I 2020, 952) lässt sich nichts Anderes entnehmen. Die von den Klägern vorgetragenen Fundstellen des BMF-Schreibens besagen genau das Gegenteil ihres Vortrags. So wird unter Textziffer 4 ausgeführt: "Der Antrag kann grundsätzlich i.R.d. Steuererklärung oder bis zum Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung gestellt (...) werden.". Ergänzend ist in Textziffer 17 ausgeführt: "Sofern (...) der Einkommensteuerbescheid (...) ohne Berücksichtigung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft bereits bestandskräftig geworden ist, kann grundsätzlich keine Tarifermäßigung gewährt werden." Zwar lässt sich der Formulierung "grundsätzlich" entnehmen, dass von dem Regelfall der Berücksichtigung (nur) bis zur Bestandskraft Ausnahmen möglich sind. Dazu ist im BMF-Schreiben unter Textziffer 17 im zweiten Satz die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung im Billigkeitswege benannt. Im Normalfall kann jedoch nach Bestandskraft des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides keine Tarifermäßigung nach § 32c EStG mehr gewährt werden. Dass vorliegend ein von dem Regelfall abweichender Ausnahmefall vorliegt, ist nicht erkennbar. Hierzu haben die Kläger auch nichts vorgetragen.

ee) Es ist nicht ersichtlich, dass die Durchbrechung der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides nach anderen Normen erfolgen kann.

3. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides und die Gewährung der Tarifermäßigung kommt auch nicht aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO in Betracht.

Die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung nach § 163 AO ist nach ständiger Rechtsprechung Gegenstand eines besonderen Verwaltungsverfahrens (BFH-Urteil vom 21. September 2000 IV R 54/99, BFHE 193, 301, BStBl II 2001, 178 m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, dass die Kläger im Einspruchs- oder im Klageverfahren einen ausdrücklichen Antrag auf eine derartige Billigkeitsmaßnahme gestellt haben. Dahinstehen bleiben kann, ob der Beklagte im Einspruchsbescheid eine (erstmalige) Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme getroffen oder sich nur im Rahmen eines obiter dictum geäußert hat. Es sind jedenfalls insbesondere mit Hinweis auf die zuvor getätigten Ausführungen keine Gründe ersichtlich, die für eine Änderung des Steuerbescheides aus Billigkeitsgründen sprechen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.