Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.04.2022, Az.: 11 K 91/21

Verlängerung der Gewährung von Kindergeld für ein volljähriges Kind (hier: Verlängerung der Regelstudienzeit)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.04.2022
Aktenzeichen
11 K 91/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 40792
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstelle

  • RdW 2022, 897

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für das Kind M ab Mai 2021.

Die Beklagte hatte auf den Antrag der Klägerin vom 5. Mai 2021 für das Kind M, geboren am 4. April 1996, die Gewährung von Kindergeld ab dem Monat Mai 2021 abgelehnt. Gegen diesen Ablehnungsbescheid hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Mai 2021 Einspruch eingelegt.

Die Beklagte hatte vorab bereits einen Bescheid vom 8. April 2021 erlassen. Mit diesem Bescheid hatte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld für das Kind M ab Mai 2021 aufgehoben. Gegen diesen Bescheid hatte die Klägerin am 4. Mai 2021 Einspruch eingelegt.

Am 20. Mai 2021 wies die Beklagte den Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 8. April 2021 als unbegründet zurück. In der Sache hat sie hierin darauf verwiesen, dass für das Kind M Kindergeld nicht mehr gewährt werden könne, weil die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG nicht mehr vorlägen.

Soweit die Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 6. Mai 2021 Einspruch eingelegt hatte, hat die Beklagte diesen Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2021 auch als unbegründet zurückgewiesen. Sie hat darin ebenfalls darauf verwiesen, dass für das Kind M Kindergeld ab Mai nicht mehr gewährt werden könne, weil die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG nicht vorlägen.

Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit ihrer Klage wendet sie sich "gegen den Bescheid über Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) vom 6.5.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.5.2021."

Mit ihrer Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Beklagte zu Unrecht die Gewährung von Kindergeld für das Kind M ab Mai 2021 abgelehnt habe. M habe zwar mit Ablauf des Monats April 2021 das 25. Lebensjahr vollendet. Damit lägen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG formal nicht vor. Die Regelung in § 32 Abs. 4 EStG widerspreche jedoch dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Dies betreffe sowohl die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2021 mit dem Bescheid vom 8. April 2021 als auch die Ablehnung der Gewährung von Kindergeld für M ab dem Monat Mai 2021. M studiere an der Humboldt-Universität Berlin Rechtswissenschaften. Fast alle Bundesländer hätten coronabedingt die individuelle Regelstudienzeit um bis zu drei Semester aufgrund der einschneidenden Nachteile durch die Corona-Pandemie verlängert. Genauso wie das BAföG diene auch das Kindergeld volljährigen Kindern der Unterstützung während ihrer Berufsausbildung, wie sich aus § 32 Abs. 4 EStG ergebe. Zur Wahrung der Gleichbehandlung von BAföG-Beziehern mit Kindergeld-Beziehern sei es geboten, auch die Bezugsberechtigung von Kindergeld für die Zeiten zu verlängern, um die sich die Regelstudienzeit in der Corona-Pandemie verlängere.

Dass der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, verletze die Klägerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten. Es werde deshalb angeregt, das Verfahren auszusetzen und die Sache nach Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid über Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz vom 8. April 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2021 aufzuheben und für das Kind M, geboren am 4. April 1996, über den Monat Mai 2021 hinaus Kindergeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei bereits unzulässig, weil die Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2021 nicht den Bescheid vom 6. Mai 2021, sondern vom 8. April 2021 beinhalte.

Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Das Kind M habe mit Ablauf des April 2021 die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG nicht mehr erfüllt. Ab Mai 2021 sei mithin kein Kindergeld mehr zu gewähren. Die Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nummer 2 EStG beinhalte u.a. das Alter als für alle gleich geltendes Ausschlusskriterium für die Gewährung des Kindergelds. Durch die Reduzierung auf das Alter als erhebliches Kriterium für die Berücksichtigung liege eine Gleichbehandlung vor. Soweit das Land Berlin eine Verlängerung der Regelstudienzeit nach dem Berliner Hochschulgesetz verfügt habe, handele es sich dabei auch um einen anderen Hoheitsträger. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sei jedenfalls nicht zu erkennen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin hat zwar in ihrer Klageschrift vom 16. Juni 2021 fälschlicherweise auf den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 6. Mai 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2021 verwiesen. Hierbei handelt es sich jedoch ganz offensichtlich um eine Verwechslung, die die Klage nicht unzulässig macht. Zutreffend hat die Klägerin auf die Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2021 verwiesen. In dieser Einspruchsentscheidung hat die Beklagte auf den Bescheid vom 8. April 2021 verwiesen. Soweit die Klägerin hier versehentlich auf den Bescheid vom 6. Mai 2021 verwiesen hat, hält der erkennende Senat dies für unschädlich. Dies macht jedenfalls die Klage nicht unzulässig.

Die Klage ist aber unbegründet.

Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten hinsichtlich der Gewährung von Kindergeld für M ab Mai 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Für ein Kind, dass das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht ein Anspruch auf Kindergeld nur dann, wenn es eine der in § 32 Abs. 4 EStG aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Danach wird ein volljähriges Kind berücksichtigt, wenn es unter anderem noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Im Streitfall lagen diese Berücksichtigungsvoraussetzungen ab dem Monat Mai 2021 nicht mehr vor. Denn das Kind M hatte mit Ablauf des Monats April 2021 das 25. Lebensjahr vollendet. Damit hat die Beklagte zutreffend entschieden, dass ab Mai 2021 für dieses Kind kein Kindergeld mehr gewährt werden kann. Auch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG lagen im Streitfall - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - nicht vor.

Soweit der Gesetzgeber die Berücksichtigungsvoraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld über das 25. Lebensjahr des jeweiligen Kindes hinaus nicht verlängert hat, verstößt dies nach Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Es steht letztendlich im Ermessen des Gesetzgebers, ob und in welcher Form er im Zuge der Corona-Pandemie Veränderungen/Vergünstigungen beim Kindergeld vornimmt. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, dass er im Zuge des sogenannten 2. und 3. Corona Steuerhilfegesetzes jeweils einen Kinderbonus von 300 € (2020) bzw. 150 € (2021) für jedes Kind gewährt hat. Dass er darüber hinaus keine Anpassung an die gegebenenfalls verlängerten Regelstudienzeiten vorgenommen hat, hält der erkennende Senat nicht für verfassungswidrig. Zutreffend verweist die Beklagte insofern darauf, dass die Gewährung von Kindergeld dem Bund zusteht. Demgegenüber obliegt eine gegebenenfalls vorzunehmende Verlängerung der Regelstudienzeit den Bundesländern. Dass dies seitens des Landes Berlin erfolgt ist, hat keinen Einfluss auf die Verlängerung der Gewährung des Kindergelds. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Regelstudienzeit - soweit erkennbar - nicht von allen Bundesländern verlängert worden ist. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass von der Regelung in § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG nicht nur Studierende, sondern alle Auszubildenden betroffen sind, für die es vergleichbare Regelungen nicht gibt. Schon vor diesem Hintergrund kann eine Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht angenommen werden.

Eine Vorlage des Verfahrens an das Bundesverfassungsgericht kam deshalb nicht in Betracht.

Die Klage war damit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.