Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 03.02.1999, Az.: 1 A 1131/97

Geltendmachung der Rechtswidrigkeit einer Prüfungsentscheidung im Rahmen der Abschlussprüfung zur Industriemechanikerin; Voraussetzungen des prüfungsrechtlichen Fairnessgebotes; Herabwürdigendes Prüferverhalten gegenüber weiblichen Prüfungskandidatinnen

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
03.02.1999
Aktenzeichen
1 A 1131/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29925
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:1999:0203.1A1131.97.0A

Fundstellen

  • AiB 1999, 594 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • AuR 1999, 493-494 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Abschlußprüfung Industriemechaniker

In dem Rechtsstreit
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 03.02.1999
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Bartsch als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, daß der Bescheid des Beklagten vom 31.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1997 rechtswidrig ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin unterzog sich im Winter 1996 der Abschlußprüfung zur Industriemechanikerin.

2

In der Niederschrift vom 31.01.1997 stellte der Prüfungsausschuß bei der Beklagten fest, daß die Klägerin die Prüfung nicht bestanden habe.

3

Ihren dagegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin u.a. damit, daß sich einige Prüfer frauenfeindlich verhalten hätten: So sei während der praktischen Prüfung eine Kollegin gefragt worden, was sie denn überhaupt bei der Prüfung zu suchen habe. Auf deren Antwort, sie wolle den Facharbeiterbrief erwerben, sei dieser Prüfer zu einem weiteren Prüfer gegangen, habe ihm dies erzählt und beide hätten losgelacht. Die Industrie- und Handelskammer wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.1997 nach Anhörung des Prüfungsausschusses zurück, weil die praktische Prüfung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei.

4

Mit ihrer am 07.05.1997 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie habe inzwischen zwar die Wiederholungsprüfung bestanden und arbeite auch in ihrem Beruf, wolle aber den Makel der Wiederholerin beseitigt wissen.

5

Sie beantragt,

festzustellen, daß der Bescheid vom 31.1.1997 und der Widerspruchsbescheid vom 7.4.1997 rechtswidrig sind.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er verteidigt die angegriffenen Prüfungsentscheidungen.

8

Das Gericht hat durch Beschlüsse vom 03.07.1998 und vom 14.1.1999 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 48 der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, der in seinen wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht durch das zwischenzeitliche Bestehen der Wiederholungsprüfung unzulässig geworden. Denn das Bestehen der Erstprüfung ist im Hinblick auf den beruflichen Werdegang des Prüflings etwas qualitativ anderes als das Bestehen der Wiederholungsprüfung.

11

Die Klage ist auch begründet. Die angegriffenen Prüfungsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, weil sie unter Verstoß gegen das prüfungsrechtliche Fairneßgebot zustande gekommen sind.

12

Das Fairneßgebot gebietet einen einwandfreien, die Prüfung nicht unnötig belastenden Prüfungsverlauf. Es ist verletzt, wenn ein Prüfer dem Prüfling in herabsetzender Weise begegnet. Kein Prüfling braucht ein Prüfungsverfahren zu dulden, das ihn der Lächerlichkeit preisgibt, mögen seine Leistungen auch noch so unzulänglich sein (vgl. Niehus, Prüfungsrecht, 3. Aufl., Rn. 185). So liegt es hier. Die Klägerin ist in der praktischen Prüfung durch herabwürdigendes Prüferverhalten verunsichert worden. Dies folgt zur Überzeugung des Gerichts aus der Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme. So hat die Zeugin ... in der mündlichen Verhandlung glaubhaft bekundet, daß sich einige Prüfer in deutlich wahrnehmbarer Weise insbesondere über Ungeschicklichkeiten der weiblichen Prüfungsteilnehmer mokiert haben. In einem von ihr beobachteten Fall hat dann ein Prüfer auch noch einen anderen Prüfer auf die Situation aufmerksam gemacht, so daß dann beide Prüfer die betreffende Prüfungskandidatin belächelt haben. Die ebenfalls glaubhaften Angaben des Zeugen stehen dem nicht entgegen. Er konnte sich hierzu nur allgemein äußern, weil er nicht die gesamte Zeit über anwesend war. Daß es sich insoweit um eine unbeachtliche bloße Ungeschicklichkeit der Prüfer ohne nachhaltige Beeinträchtigung der Prüfungsatmosphäre gehandelt hat, ist nach den weiteren Bekundungen der genannten Zeugin auszuschließen. Sie hat nachvollziehbar ihren durch das genannte Verhalten der Prüfer hervorgerufenen Eindruck geschildert, daß sie als Mädchen von einigen der Prüfer nicht ernstgenommen worden ist. Ein solcher Eindruck ist durchaus geeignet, zu einer leistungsmindernden Verunsicherung des Prüflings zu führen. Hiervon aber war die Klägerin ebenso wie die Zeugin betroffen.

13

Als Unterlegener hat der Beklagte gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5000,00 DM festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Da die Klägerin lediglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Bescheide begehrt, hält das Gericht eine Halbierung des sonst auf 10.000,- DM festzusetzenden Streitwertes für angemessen.

Bartsch