Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.01.2020, Az.: 12 K 213/19

Anspruch auf Akteneinsicht in die Einkommensteuerakte nach den Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.01.2020
Aktenzeichen
12 K 213/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 70538
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Streitig ist das Bestehen eines Anspruchs auf Akteneinsicht der Kläger nach den Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Die Kläger begehrten mit Schreiben vom ... 2019 unter Hinweis auf die Vorschrift des Art. 15 Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 2 DSGVO die Einsicht in ihre Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums ... beim beklagten Finanzamt .... Bereits zuvor hatten sie Klage gegen das Finanzamt (FA) gegen die Ablehnung der Gewährung von Akteneinsicht nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) in ihre Einkommensteuerakte für den Veranlagungszeitraum ... nach insoweit erfolglos gebliebenem Vorverfahren erhoben. Dieses Klageverfahren, über das eine Entscheidung noch aussteht, wird beim Niedersächsischen Finanzgericht unter dem Az. 7 K ... geführt.

Mit Bescheid vom ... 2019 lehnte das beklagte FA den auf die Vorschriften der DSGVO gestützten Antrag der Kläger ab. Es verwies darauf, dass eine Auskunft zu den von den Klägern gewünschten Daten unzulässig sei, da Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigt werden dürften, da diese Rechte und Freiheiten durch das Steuergeheimnis geschützt seien. Ferner scheitere ein Auskunftsanspruch am Ausnahmetatbestand des § 32c Abs. 1 Nr. 3a AO, da hinsichtlich der Einkommensteuer ... bereits Bestandskraft eingetreten sei.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer mit Schriftsatz vom ... 2019 erhobenen Klage. Zwar sei es zutreffend, dass ihnen gegenüber hinsichtlich des Veranlagungszeitraums ... unter dem ... ein Einkommensteuerbescheid ergangen sei, der bestandskräftig geworden sei. In diesem Bescheid sei ... abgewichen worden. Dieser Einkommensteuerbescheid sei den vormaligen steuerlichen Beratern der Kläger (wirksam) bekanntgegeben worden. Insoweit habe es wohl wechselseitigen Schriftverkehr und einige Telefonate zwischen den vormaligen steuerlichen Beratern und dem beklagten FA gegeben, der den Klägern jedoch unbekannt geblieben sei. Es sei beabsichtigt, die ursprünglich für die Kläger tätigen Steuerberater ggf. auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung dafür sei, dass im Rahmen der Steuerfestsetzung, insbesondere des in Bezug genommenen "wechselseitigen Schriftverkehrs" durch die vormaligen Steuerberater Fehler gemacht worden seien, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Rückfragen des beklagen FA offenbar nicht vollumfänglich beantwortet worden seien. Um sich einen Überblick über den wechselseitigen Schriftverkehr, insbesondere die mit den ehemaligen Steuerberatern diskutierte Problematik verschaffen zu können, sei dann erstmalig mit anwaltlichem Schreiben vom ... und nunmehr erneut mit Schreiben vom ... 2019 ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt worden.

Den Klägern stehe ein Anspruch auf Akteneinsicht nach Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 DSGVO zu. Denn ab dem 25. Mai 2018 bestehe für alle Steuerpflichtigen grundsätzlich ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht nach der DSGVO bei der Finanzbehörde, insoweit sei es nicht entscheidend, dass das Akteneinsichtsrecht nicht ausdrücklich in der DSGVO geregelt worden sei. Ein solcher Anspruch ergebe sich aus der zuvor erwähnten Vorschrift, wonach ein Auskunftsanspruch über sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten existiere. Auch sei der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO nicht nach Art. 2 Abs. 2 ausgeschlossen. Zwar gelte die Verordnung grundsätzlich nur für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Anwendungsbereich des Unionsrechts, was bei nicht harmonisierten Steuern wie der Einkommen- oder Körperschaftsteuer zweifelhaft sei. Jedoch solle die DSGVO nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder zugunsten der Betroffenen entgegen der Gesetzeslage für sämtliche Steuerarten anwendbar sein. Dies lasse sich dem entsprechenden BMF-Schreiben vom 12. Januar 2018, BStBl I 2018, 185 (Rz. 3 und 22) entnehmen. Darüber hinaus bestehe ein Anspruch der Kläger auf Informationszugang aus der Selbstbindung der Verwaltung. Hierbei handele es sich auch nicht um eine Ermessensentscheidung der jeweiligen Finanzbehörde.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom ... 2019 das beklagte FA ... zu verpflichten, ihnen Einsicht in die Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums ... zu gewähren.

Das beklagte Finanzamt ... beantragt,

die Klage abzuweisen.

Aus der seit dem 25. Mai 2018 gültigen DSGVO ergebe sich vorliegend kein Anspruch der Kläger auf Akteneinsicht. Insoweit greife zunächst der Ausnahmetatbestand nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 30 AO, da Daten dritter Personen, vorliegend die Daten der Steuerberatung ..., nach § 30 AO zu schützen seien. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht scheitere bereits daran, dass das Verwaltungsverfahren mit der bestandskräftigen Steuerfestsetzung abgeschlossen sei. Insoweit fehle es dem für dieses Verfahren erforderlichen Interesse an der Kenntnis der Unterlagen. Es sei nicht zu beanstanden, dass das FA seinem Interesse an einer grundsätzlich bestehenden Geheimhaltung der Akten während des Verwaltungsverfahrens den Vorrang gegenüber dem Interesse des Steuerpflichtigen an der Beschaffung von Erkenntnissen für einen Regressprozess eingeräumt habe. Im Falle der Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den ehemaligen Steuerberater durch die Kläger werde dieser zu einem Dritten i.S.d. § 30 AO. Dementsprechend unterlägen die Daten der Steuerberatung ... dem Steuergeheimnis nach § 30 AO.

Darüber hinaus greife auch der Ausnahmetatbestand des § 32c Abs. 1 Nr. 3a AO im Streitfall, da die personenbezogenen Daten in Form der streitbefangenen Unterlagen aufgrund der bereits eingetretenen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides ... nur deshalb gespeichert (bzw. aufbewahrt) würden, weil sie aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht (bzw. vernichtet) werden dürften.

Die Kläger haben hierzu ausgeführt, dass sich das beklagte FA nicht auf die von ihm angeführten Ausnahmetatbestände berufen könne. Es stelle sich bereits die Frage, welche "Daten" der Steuerberatung ... im Streitfall zu schützen seien. Denn es handele sich bei dieser Kanzlei um die ehemaligen Steuerberater der Kläger, die insofern auch lediglich die Daten der Kläger, nicht jedoch ihre eigenen Steuerdaten übermittelt hätten. Die Berufung auf das Steuergeheimnis in § 30 AO gehe überdies fehl, weil es sich bei Geheimhaltungsvorschriften gerade nicht um die Regelung über den Zugang zu amtlichen Informationen handele, sondern um eine Regelung zu dessen Begrenzung. Über einen Anspruch des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzbehörde auf Mitteilung der über ihn gespeicherten Daten besage diese Vorschrift nichts.

Auch würden die personenbezogenen Daten der Kläger selbstverständlich nicht ausschließlich aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften gespeichert. Denn der Einkommensteuerbescheid ... sei nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig ergangen, sodass vorliegend nicht ausschließlich Aufbewahrungsvorschriften entsprochen werde. In diesem Zusammenhang komme es auch nicht entscheidend darauf an, ob der Einkommensteuerbescheid ... vom ... bereits in Bestandskraft erwachsen sei, als die Kläger einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt hätten. Denn insoweit bestehe unter anderem eine Korrekturmöglichkeit nach § 153 AO. Hierzu sei allerdings ebenfalls Einsicht in die Einkommensteuerakte erforderlich.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg, sie war als unbegründet abzuweisen.

I. Der von den Klägern mit ihrer Klage geltend gemachte und auf die Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gestützte Anspruch auf Akteneinsicht in ihre beim beklagten Finanzamt ... geführte Einkommensteuerakte für den Veranlagungszeitraum ... besteht nicht. Denn der sachliche Anwendungsbereich der Vorschriften der DSGVO erstreckt sich nicht auf das Gebiet der Einkommensteuer.

1. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a DSGVO findet diese Verordnung keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten

im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

2. a) Dementsprechend sind die Vorschriften der DSGVO im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern, wie etwa die der Umsatzbesteuerung, anwendbar, nicht dagegen auf dem Gebiet der Einkommensbesteuerung natürlicher Personen. Denn insoweit fehlt es an einer entsprechenden Harmonisierung im Bereich der Europäischen Union (vgl. Tipke/Kruse-Drüen, Kommentar zur AO und FGO, Rdziff. 6 zu § 2 a AO m. w. N.).

b) Der nationale Gesetzgeber hat den sachlichen Anwendungsbereich der Norm des Artikels 2 DSGVO auch nicht auf den Bereich nicht harmonisierter Steuern ausgedehnt.

Insbesondere kann der Vorschrift des § 2a AO keine solche Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs entnommen werden, da sich diese Vorschrift nicht mit Fragen der sachlichen Anwendung der Datenschutzgrundverordnung auf die einzelnen Steuerarten, wie etwa die der Einkommensbesteuerung, befasst.

Der von Krumm insoweit im Wege einer analogen Anwendung des § 2a Abs. 5 AO vertretenen gegenteiligen Ansicht, wonach sich der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO auch auf die nicht harmonisierten Steuern erstrecke (vgl. Grundfragen des steuerlichen Datenverarbeitungsrechts, Der Betrieb 2017, 2182 (2186 f)), vermag das Gericht nicht zu folgen. Denn selbst wenn der Gesetzgeber mit der Regelung in § 2a Abs. 5 AO angestrebt haben sollte, ein einheitliches Datenverarbeitungsrecht für das gesamte Steuerverfahrensrecht anzustreben, lässt sich der dortigen Regelung - auch nicht im Wege der Analogie - entnehmen, dass der Gesetzgeber den sachlichen Anwendungsbereich in Bezug auf die nicht harmonisierten Steuern hat ausdehnen wollen. Das Gericht erachtet dies angesichts insoweit fehlender aussagekräftiger Formulierungen in § 2a AO als rein spekulativ. Die in dieser Vorschrift vorgenommene Einbeziehung von

"... 1. verstorbene natürliche Personen oder

2. Körperschaften, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Personenvereinigungen oder Vermögensmassen."

sieht es jedenfalls nicht als ausreichend an, um den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO insgesamt zu erweitern.

c) Soweit sich die Kläger hinsichtlich eines auch auf die Einkommensbesteuerung erstreckenden sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO auf das BMF-Schreiben vom 12. Januar 2018, BStBl I 2018, 185 (Randziffern 3 und 22; ersetzt durch BMF-Schreiben vom 13. Januar 2020 IV A 3-S 0130/19/10017:004, 2019/1129406, Nachweis unter JURIS) berufen, vermag ihnen das Gericht ebenfalls nicht zu folgen.

Denn es erachtet es schon nicht als zulässig, wenn die Finanzverwaltung und nicht der hierzu gegebenenfalls aufgerufene und befugte Gesetzgeber im Wege eines (bloßen) BMF-Schreibens den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO auf nicht harmonisierte Steuern ausdehnte. Die Finanzverwaltung darf - auch nicht zu Gunsten eines Steuerpflichtigen - von gesetzlichen Bestimmungen nicht abweichen. Insoweit können sich die Kläger mit Erfolg auch nicht auf eine Selbstbindung der Verwaltung berufen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 3. Juli 2019 VI R 49/16, BFH/NV 2019, 1404 (1407) m. w. N.).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).