Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.06.2006, Az.: 12 B 2843/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 06.06.2006
- Aktenzeichen
- 12 B 2843/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2006:0606.12B2843.06.0A
Amtlicher Leitsatz
§ 14 a Abs. 2 AsylVfG gilt nicht für Kinder, die vor dem 1.1.2005 eingereist oder in Deutschland geboren worden sind (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung der 12. Kammer, entgegen Nds.OVG, Urt. v. 15.03.2006 -10 LB 7/06-)
Gründe
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 75 AsylVfG zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (12 A 2842/06) gegen die im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für die Migration und Flüchtlinge vom 9. Mai 2006 verfügte Abschiebungsandrohung ist begründet, da an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ernstliche Zweifel bestehen, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG.
Gemäß § 34 Abs. 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt in Fällen der Rücknahme des Asylantrages eine Woche, § 38 Abs. 2 AsylVfG, ansonsten - mit Ausnahme der Fälle der Unbeachtlichkeit oder der Unbeachtlichkeit und der offensichtlichen Unbegründetheit - einen Monat, § 38 Abs. 1 AsylVfG. Im Falle der Antragsrücknahme oder des Verzichts gem. § 14 a Abs. 3 AsylVfG stellt das Bundesamt fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob die in § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung vorliegen, § 32 S. 1 AsylVfG. Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des alleinpersonensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Voraussetzung für die Ablehnung eines Asylantrages nach § 30 AsylVfG ist, dass der Betroffene den für die Anwendbarkeit des Asylverfahrensgesetzes erforderlichen Asylantrag nach § 1 Abs. 1 AsylVfG gestellt hat. Da die Vertreter des minderjährigen Antragstellers für diesen keinen Asylantrag gestellt haben, wie sich aus der Mitteilung der Ausländerbehörde an das Bundesamt vom 15. Februar 2006 ergibt, richtet sich die Frage der Antragstellung allein nach § 14 a AsylVfG, der in bestimmten Fällen für minderjährige Kinder eine Fiktionswirkung regelt.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin dürfte die mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in Kraft getretene Regelung des § 14 a Abs. 2 AsylVfG nicht für die vor dem 1. Januar 2005 geborenen bzw. eingereisten Kinder gelten.
Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift. Die Formulierung in § 14 a Abs. 2 Satz 1 folgt durchgehend nicht nur im Präsenz bzw. Futur, sondern knüpft insbesondere an einen erst seit dem 1. Januar 2005 bestehenden Aufenthaltstitel (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG) an. Die Anzeigepflicht muss zudem unverzüglich erfolgen. Diese Voraussetzung kann für bereits vor dem 1. Januar 2005 eingereiste oder hier geborene Kinder entgegen der Auffassung des 10. Senats des OVG Lüneburg (Urteil vom 15. März 2006 - 10 LB 7/06 -) nicht mehr erfüllt werden. Die Pflicht "unverzüglich", d.h. grundsätzlich "ohne schuldhaftes Zögern", zu handeln, ist nach der Formulierung in § 14a AsylVfG auf bestimmte Ereignisse bezogen. Die Bestimmung des Begriffs "unverzüglich" kann deshalb nicht ohne den Bezug auf die in der Vorschrift genannten und in Bezug genommenen Ereignisse der Einreise bzw. der Geburt der Kinder erfolgen. An das Inkrafttreten der Neuregelung wird entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (aaO) nicht angeknüpft. Unter den Begriff der Unverzüglichkeit fielen bei der vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg (aaO) vorgenommenen Auslegung selbst die Anträge von Kindern, die sich seit vielen Jahren, theoretisch bis zu 16 Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Eine solche Auslegung entspricht nicht dem Wortsinn des § 14 a Abs. 2 AsylVfG.
Hinreichende Anhaltspunkte für eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 14 a Abs. 2 AsylVfG über den Wortsinn dieser Regelung hinaus lassen sich zum anderen weder der Entstehungsgeschichte noch dem Regelungsziel entnehmen. Der auch in den Materialien wiedergegebene Sinn und Zweck der Regelung (Straffung des Asylverfahrens, Begegnen des Missbrauchs von mehreren gestellten Asylverfahren) betrifft die neuen und noch nicht abgeschlossenen Asylverfahren (vgl. §§ 87, 87 a AsylVfG). Weder aus den Gesetzesbegründungen noch aus dem Zweck der Regelung lässt sich ableiten, dass auch die langjährig hier lebenden Kinder von Eltern, deren Asylverfahren abgeschlossen sind und deren Aufenthalt lediglich geduldet wird, erfasst werden sollten. Hierzu besteht auch kein Bedürfnis, weil den offensichtlich missbräuchlich gestellten Anträgen mit den Instrumentarien der §§ 30, 36 ggf. 71 AsylVfG begegnet werden kann. Hätte der Gesetzgeber die sukzessive Asylantragstellung der ledigen minderjährigen Kinder auch vor deren Einreise und Geburt vor dem 1. Januar 2005 erfassen wollen, hätte er dies ausdrücklich, ggf. in einer Übergangsvorschrift, regeln müssen. Denn die Antragstellung ist eine verfahrensgestaltende Handlung, die grundsätzlich der Dispositionsbefugnis des Antragstellers bzw. seines Vertreters untersteht. Der Gesetzgeber hat das Verhältnis des Asylantrages der Eltern zu dem ihrer Kinder auch an anderer Stelle geregelt. In der Neufassung des § 26 AsylVfG in der Fassung vom 1. Juli 1992, die insoweit auch nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 nicht geändert worden ist, ist bestimmt, dass die Regelung des Familienasyls nicht für Kinder von Asylberechtigten gilt, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung das erste Lebensjahr bereits vollendet hatten (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 389/94 -, InfAuslR 1995, 301 = NVwZ 1995, 791). Mangels Übergangsregelung ist die Vorschrift für über einjährige Kinder nicht anwendbar, obwohl diese bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres den Antrag auf Familienasyl mangels gesetzlicher Regelung gar nicht stellen konnten. Dies gilt auch für die Neuregelung des Familienabschiebeschutzes nach § 26 Abs. 4 AsylVfG (vgl. VG Neustadt a. d. W., Urteil vom 22. September 2005 - 4 K 997/05 -). Es ist nicht ersichtlich, weshalb diese klare Trennung nicht auch im umgekehrten Fall der Ablehnung des Asylantrages der Eltern - hier soll die Anzeige nach § 14 a AsylVfG sogar unverzüglich erfolgen - gelten sollte.
Da das Verwaltungsverfahren also noch nicht in Gang gesetzt ist, dürften auch die von der Antragsgegnerin herangezogenen Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts keine Anwendung finden, weil diese nur für bereits begonnene Verfahren gelten.
§ 14 a Abs. 2 AsylVfG ist deshalb aller Voraussicht nach im vorliegenden Fall unanwendbar (so auch VG Oldenburg, Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - 12 B 2211/05 - und 4. April 2006 - 12 B 1730/06 -, Verwaltungsgericht Göttingen, Urteil vom 20. April 2006 - 3 A 456/05 -, a. A., OVG Lüneburg, Urteil vom 15. März 2006 - 10 LB 7/06 - jeweils mit weiteren Nachweisen).