Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 28.11.2011, Az.: 32 Ss 148/11
Nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafenbildung durch ein Berufungsgericht bei Unkenntnis eines Erstrichters über einbeziehungsfähige Strafen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 28.11.2011
- Aktenzeichen
- 32 Ss 148/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 31396
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:1128.32SS148.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 02.02.2011 - AZ: 221 Ds 96/10
- LG Hannover - 05.08.2011 - AZ: 60 Ns 70/11
Rechtsgrundlagen
- § 331 Abs. 1 StPO
- § 55 StGB
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Waren dem Erstrichter eine oder mehrere einbeziehungsfähige Strafen unbekannt geblieben oder hatte er die Notwendigkeit der Einbeziehung übersehen, so ist das Berufungsgericht nach § 331 Abs. 1 StPO grundsätzlich nicht daran gehindert, eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden.
- 2.
In diesem Fall darf jedoch das neue Gesamtstrafübel - unter Abzug der einzubeziehenden Strafen - nicht über dem des Urteils erster Instanz liegen.
In der Strafsache gegen A.F., geboren am xxxxxx 1970 in H., wohnhaft in H., L.-V.-A., - Verteidiger: Rechtsanwalt F., H. - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a. hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 05.08.2011 nach Anhörung und teilweise auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den Richter am Landgericht xxxxxxxx am 28.11.2011 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Ausspruch über die verhängten Gesamtstrafen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten am 02.02.2011 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, wegen Diebstahls und wegen Erschleichens von Leistungen in 4 Fällen mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten belegt. Die Einzelfreiheitsstrafen hat es auf 6 Monate, 1 Monat, 4 Monate und viermal jeweils 1 Monat festgelegt. Zudem hat es den Verfall eines Geldbetrags von 25,- EUR angeordnet.
Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hannover am 05.08.2011 mit der Maßgabe verworfen, dass es unter Einbeziehung weiterer Strafen auf drei nebeneinander bestehende Gesamtfreiheitsstrafen erkannt hat und zwar wie folgt: Es hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 08.01.2010 (40 Tagessätze) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Ferner hat es ihn wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, wegen Diebstahls und wegen Erschleichens von Leistungen in 2 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 19.08.2010 (ebenfalls 40 Tagessätze) mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten belegt und schließlich wegen Erschleichens von Leistungen in 2 Fällen mit einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Monat und 2 Wochen. Die Einzelstrafen hat die Kammer genauso bemessen wie das Amtsgericht. Auch der Verfall wurde bestätigt. Die Nichtanwendung des § 64 StGB hatte der Angeklagte vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er beantragt, die angefochtene Entscheidung mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge lediglich zum Rechtsfolgenausspruch über die verhängten Gesamtstrafen Erfolg. Zum Schuldspruch und zu den verhängten Einzelstrafen verwirft der Senat die Revision des Angeklagten auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO, weil die Nachprüfung des Urteils auf die erhobene allgemeine Sachrüge insoweit keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufdeckt.
Die getroffenen Feststellungen der Kammer zur Sache tragen den Schuldspruch und beruhen auf einer rechtsfehlerfrei vorgenommenen Beweiswürdigung. Soweit die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden ist und die Kammer insoweit auf die Feststellungen des Amtsgerichts Bezug genommen hat, tragen diese ebenfalls den Schuldspruch. Auch die Zumessungserwägungen der Kammer hinsichtlich der verhängten Einzelfreiheitsstrafen begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das gleiche gilt für die Anordnung des Verfalls.
Allein der Ausspruch über die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen kann keinen Bestand haben. Zwar erfolgte die Verhängung dreier nebeneinander bestehender Gesamtstrafen unter Einbeziehung der Strafen aus den Vorverurteilungen vom 08.01. und vom 19.08.2010 gem. § 55 StGB dem Grund nach zu Recht. Jedoch verstößt das Urteil in der Höhe der Summe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen gegen das Verbot der Schlechterstellung nach § 331 Abs. 1 StPO.
War dem Erstrichter eine oder mehrere einbeziehungsfähige Strafen unbekannt geblieben oder hatte er die Notwendigkeit der Einbeziehung übersehen, so ist das Berufungsgericht nach § 331 Abs. 1 StPO zwar grundsätzlich nicht daran gehindert, eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., 2011, § 331, Rdnr. 20, m.w.N.). Jedoch darf das neue Gesamtstrafübel - unter Abzug der einzubeziehenden Strafen - nicht über dem des Urteils erster Instanz liegen.
Das Amtsgericht hat auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten erkannt. Einbezogen hat das Landgericht zweimal 40 Tagessätze. Diese entsprechen insgesamt einer Freiheitsstrafe von etwa 2 Monaten und 3 Wochen. Das Gesamtstrafübel darf danach unter Beachtung von § 331 Abs. 1 StPO mithin 1 Jahr und 3 Wochen nicht überschreiten. Die Summe der vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafen beträgt jedoch 1 Jahr 1 Monat und 2 Wochen.
Die Entscheidung über die Gesamtstrafen konnte darüber hinaus - trotz ihrer dem Grund nach korrekten Bildung durch das Landgericht - insgesamt keinen Bestand haben. Denn der Senat kann nicht ausschließen, dass bis zur erneuten Berufungshauptverhandlung noch eine oder mehrere weitere - durch einen anderen Tatrichter verhängte - einbeziehungsfähige Strafen hinzukommen, die bei der erneuten Gesamtstrafenbildung sodann zu berücksichtigen sind. Dies erscheint insbesondere angesichts der Vielzahl und der hohen Frequenz der bisher verhängten Strafen nicht fernliegend.
III.
Ergänzend bemerkt der Senat, dass - trotz der eingetretenen Teilrechtskraft - das neue Berufungsgericht den Tenor zur Klarstellung insgesamt neu fassen sollte.