Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.07.1996, Az.: VI 814/92
Rechtmäßigkeit der Einbehaltung eines Steuerabzugsbetrags; Steuerliche Behandlung von Vergütungen für durchgeführte künstlerische Veranstaltungen ; Voraussetzungen für die Steuerfreiheit inländischer Einkünfte
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.07.1996
- Aktenzeichen
- VI 814/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 22909
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:0709.VI814.92.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 KStG
- § 8 Abs. 1 KStG
- § 50a EStG
Verfahrensgegenstand
Steuerabzug nach § 50 a Abs. 3 EStG Einkommensteuer 1990 und 1991
Amtlicher Leitsatz
Die Einbehaltung des Steuerabzugsbetrages gemäß § 50 a Abs. 4 EStG und die Möglichkeit der Durchführung eines Freistellungsverfahrens gemäß § 50 d Abs. 3 EStG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG steht im Einklang mit dem DBA zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich.
Der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9. Juli 1996,
an der mitgewirkt haben:
1. Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtliche Richterin ... Regierungsoberamtsrätin
5. ehrenamtlicher Richter ... Malermeister
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Stadt L. einen Steuerabzugsbetrag gemäß § 50 a Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) von Vergütungen einbehalten durfte, die sie für von der Klägerin durchgeführte künstlerische Veranstaltungen gezahlt hat.
Die Klägerin ist eine in Österreich ansässige Konzertdirektion, die u.a. deutschen Veranstaltern Künstler, Künstlergruppen und ganze Aufführungen verschiedenster Art vermittelt. Die Klägerin schloß im Jahr 1990 Verträge mit der Sadt L., worin sie sich verpflichtete, verschiedene Schauspiel- und Tanzveranstaltungen durchzuführen. In Erfüllung dieser Verträge ließ die Klägerin am 6. November 1990 einen Ballettabend "Kameliendame", am 19. Februar 1991 eine Veranstaltung mit dem Volklore-Ensemble RUS und am 16. April 1991 einen Schauspielabend "Dibbuk" in L. durchführen. Die Klägerin erhielt hierfür von der Stadt L. Honorare in Höhe von 23.800 DM, 11.600 DM bzw. 9.700 DM, insgesamt 34.660 DM. Das Kulturamt der Stadt L. nahm einen Steuerabzug gemäß § 50 a Abs. 4 Nr. 1 EStG in Höhe von 15 v.H. der von ihm an die Klägerin zu zahlenden Vergütungen vor und führte die Abzugsbeträge von 3.570 DM, 1.740 DM bzw. 1.455 DM, insgesamt 6.765 DM an das Finanzamt (FA) O. ab; die Stadt L. gab dem FA am 16. Juli 1991 für diese Veranstaltungen eine entsprechende Steueranmeldung ab.
Mit der Klage begehrt die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahrens eine Bescheinigung über die fehlende Steuerpflicht nach § 50 a Abs. 4 EStG. Zur Begründung trägt sie vor: Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und Österreich bestehe kein Besteuerungsrecht für Deutschland; das DBA sei wie innerstaatliches Recht zu beachten. Die Frage nach dem Rangverhältnis zwischen den Vorschriften des DBA und des innerstaatlichen Rechtes sei in der Weise zu beantworten, daß die Vorschriften des Abkommens als leges speziales vorrangig zu beachten seien. Das nach Art. 15 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 DBA fehlende Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland habe zur Folge, daß kein Raum für die Durchführung eines Freistellungsverfahrens nach§ 50 d EStG sei. Ein Freistellungsverfahren könne nur für Abgaben durchgeführt werden, für die eine Steuerpflicht bestehe. Die Verfahrensweise der Finanzbehörde habe zur Folge, daß diese eine Steuerpflicht feststelle, die aufgrund der Regelungen des DBA nicht gegeben sei.
Abgesehen davon sei durch die Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich in einem Verständigungsverfahren im Jahre 1984 festgestellt, daß ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland für die Klägerin nicht bestehe. Das Ergebnis des Verständigungsverfahrens binde die Finanzbehörden beider Länder.
Die Klägerin beantragt,
das Finanzamt zu verurteilen, eine Bescheinigung auszustellen, daß die Einkünfte der Klägerin nach Art. 4 DBA Österreich keiner Steuerpflicht nach§ 49 EStG unterliegen und deshalb keine Steuerpflicht nach§ 50 a Abs. 4 EStG besteht.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Gemäß § 50 d Abs. 1 EStG seien die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer durch den Schuldner der Vergütung ungeachtet eines bestehenden DBA anzuwenden, soweit es sich um Einkünfte handele, die dem Steuerabzug gemäß § 50 a EStG unterlägen. § 50 d EStG, eingeführt durch Steuerreformgesetz 1990 (BGBl 1988, 1093; 1989, 1267), stelle für eine derartige Verfahrensweise eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar. Die Klägerin könne ein Freistellungsverfahren gemäß § 50 d Abs. 3 EStG beim Bundesamt für Finanzen beantragen und auf diese Weise eine Freistellung von der Steuer erreichen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Das FA hat zu Recht auf die Steueranmeldung der Stadt L. die von dieser einbehaltenen und abgeführten Abzugssteuer vereinnahmt und keine Freistellung ausgesprochen.
Die Klägerin ist als juristische Person mit Sitz und Geschäftsleitung in Österreich (Art. 4 Abs. 3 DBA-Österreich) eine "Person mit Wohnsitz" inÖsterreich im Sinne des Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich. Sie hat in der Bundesrepublik Deutschland Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen erzielt. Es handelt sich dabei um Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 d EStG in Verbindung mit§§ 7, 8 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG).
Für diese Einkünfte steht gemäß Art. 4 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 DBA-Österreich der Republik Österreich als Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht zu. Die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, die inländischen Einkünfte der Klägerin steuerfrei zu belassen. Das DBA, insbesondere dessen Art. 4, trifft jedoch keine Regelung darüber, wie die Steuerbefreiung durch die Bundesrepublik Deutschland verfahrensmäßig zu erfolgen hat. Der Umstand, daß das DBA nur eine materiell-rechtliche Regelung über die Steuerpflicht enthält, nicht jedoch verfahrensrechtliche Regelungen, läßt nicht den Schluß zu, daß die Bundesrepublik Deutschland sich jeglicher Regelung über die Freistellung zu enthalten hat oder die Handhabung der Steuerbefreiung in die Hände der in der Bundesrepublik Deutschland Einkunftserzielenden selbst gelegt ist. Vielmehr bleibt die verfahrensrechtliche Regelung der Freistellung von in der Bundesrepublik Deutschland erzielten Einkünften der Bundesrepublik Deutschland vorbehalten, ohne daß hierdurch ein Widerspruch zu den materiell-rechtlichen Regelungen über die Steuerbefreiung im DBA aufträte. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich gemäß §§ 50 a, 50 d EStG für ein Verfahren entschieden, wonach u.a. bei der Erzielung von Einkünften aus der Ausübung oder Verwertung einer Tätigkeit als Künstler Steuern in einem Abzugsverfahren erhoben werden und eine Freistellung durch ein gesondertes Freistellungsverfahren erfolgt, für dessen Durchführung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) das Bundesamt für Finanzen zuständig ist. Sinn und Zweck dieser Ausgestaltung des Freistellungsverfahrens ist es, die gleichmäßige Behandlung gleichgearteter Fälle im ganzen Bundesgebiet sicherzustellen. Auch die Interessen des ausländischen Vergütungsgläubigers oder der ausländischen Steuerbehörde, die sich bei Zweifelsfragen nur an eine einzige Behörde wenden müssen, sprechen für eine derartige Regelung.
Gegen die Ausgestaltung des Abzugsverfahrens und des Freistellungsverfahrens bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
§ 50 d Abs. 1 EStG stellt eine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für das Steuerabzugs- und anmeldungsverfahren in den Fällen des § 50 a EStG dar (vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Mai 1995 I B 183/94, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1995, 781 m.w.N.).
Soweit das Freistellungsverfahren gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG dem das Bundesamt für Finanzenübertragen ist, handelt es sich um eine zulässige Übertragung von Aufgaben der Länderfinanzverwaltung auf eine Bundesbehörde. Denn gemäß Art. 108 Abs. 4 Grundgesetz (GG) kann durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, die Verwaltung der Steuern durch Bundesfinanzbehörden vorgesehen werden, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird.
Die Klägerin kann von dem beklagten FA auch keine Befreiung von der Steuerpflicht sowie der Anmeldung von Steuer wegen eines zwischen dem deutschen dem österreichischen Bundesminister der Finanzen durchgeführten Verständigungsverfahrens beanspruchen. Die von Klägerin vorgelegten Unterlagen vom 1. April 1985 und 21. August 1984 beziehen sich nur darauf, daß die von der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland bezogenen Entgelte mangels einer in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Betriebsstätte nicht dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland unterliegen. Eine Aussage über das Verfahren, in welcher Weise die Freistellung von der deutschen Steuer zu erfolgen hat, ist darin nicht enthalten. Die Klägerin kann deshalb nicht daraus ableiten, daß das Anmeldungs- und Abzugsverfahren gemäß § 50 d Abs. 1 EStG keine Anwendung finde und daß das beklagte FA berechtigt ist, über die Steuerfreistellung zu befinden.
Wenn sie eine Freistellung von der Steuer erreichen will, so hat sie den nach § 50 d Abs. 3 EStG in Verbindung mit§ 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG vorgesehenen Weg des Freistellungsverfahrens durch das Bundesamt für Finanzen zu beschreiten.
Die Klage war nach alledem abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO); die Klägerin ist die unterlegene Beteiligte.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich aus der unterschiedlichen Freistellungspraxis der Finanzbehörden.