Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.07.1996, Az.: V 502/95

Voraussetzungen der Befreiung von der Umsatzsteuer; Umsatzsteuerpflichtigkeit der Tätigkeit von Sprachheilpädagogen

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.07.1996
Aktenzeichen
V 502/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 16467
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:0718.V502.95.0A

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1990

Amtlicher Leitsatz

Die Tätigkeit von Sprachheilpädagogen ist nicht nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit

In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18. Juli 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...
ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides 1990 vom 28. Juni 1995 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 6. November 1995 wird die Umsatzsteuer auf 4.736,24 DM herabgesetzt.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten.

Der Streitwert wird auf 4.826,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Sprachheilpädagoge und führt in einer eigenen Praxis selbständig Sprachheilbehandlungen durch. Er studierte Lehramt an den Universitäten ... und .... An der Universität ... schloß er im Fachbereich Erziehungswissenschaften das Studium mit dem ersten Staatsexamen als Sonderschulpädagoge mit dem Schwerpunkt Sprachbehindertenpädagogik ab. Auch das zweite Staatsexamen absolvierte der Kläger nach der Referendarzeit mit Erfolg. Er ist zu den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen, übt seine selbständige Sprachheiltätigkeit unter der Aufsicht der Gesundheitsämter aus und wird nur auf Anweisungen bzw. Überweisungen von Ärzten tätig.

2

Der Kläger gab für das Streitjahr 1990 keine Umsatzsteuererklärung ab. Der Beklagte setzte deshalb die Umsatzsteuer auf der Grundlage der Gewinnermittlung des Klägers fest und unterwarf die Nettoeinnahmen der Regelbesteuerung. In der Gewinnermittlung des Klägers befand sich u.a. auch der Posten "Praxiskosten-Rückerstattung" i.H.v. 731,58 DM, wobei es sich im wesentlichen um Heizkostenrückerstattungen handelte.

3

Gegen die Besteuerung seiner Umsätze richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren der Kläger mit der Klage. Er vertritt die Ansicht, die von ihm ausgeführten Umsätze seien von der Umsatzsteuer befreit. Er übe eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) aus. Seine Tätigkeit entspreche nicht nur in vollem Umfang der Tätigkeit der von der Umsatzsteuer befreiten Logopäden, sondern seine Berufsausbildung übersteige mit der Ablegung zweier Staatsexamina qualitativ die berufsrechtlichen Anforderungen an die Tätigkeit als Logopäde. Die hohe Qualität der von ihm, dem Kläger, ausgeübten Tätigkeit, könne darüber hinaus in Anbetracht der Überwachung durch die Gesundheitsämter und der Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen nicht in Zweifel gezogen werden. Im übrigen vertritt der Kläger die Ansicht, sei das Verfahren auszusetzen, weil in einem vom Sachverhalt her gleichgelagerten Parallelverfahren eine Verfassungsbeschwerde unter dem Aktenzeichen 1 BvR 2341/95 vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig sei.

4

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteuer 1990 auf 0 DM herabzusetzen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er vertritt die Auffassung, der Kläger übe keinen Beruf aus, der den in § 4 Nr. 14 UStG genannten Katalogberufen ähnlich sei. Kennzeichnend für die Heilberufe sei, daß für sie gesetzliche Zulassungs- und Berufsausübungsregelungen bestünden. Hierbei handele es sich um für die Ähnlichkeit einer heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG unabdingbare Voraussetzungen. Solche staatlichen Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen bestünden aber für den vom Kläger ausgeübten Beruf des Sprachheilpädagogen nicht.

7

Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuernummer ... sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist im wesentlichen unbegründet.

9

Begründet ist die Klage nur insoweit, als in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer ein Betrag i.H.v. 731,58 DM Eingang gefunden hat. Hierbei hat es sich um Heizkostenrückerstattungen gehandelt, die keinen Umsatz des Klägers i.S.d. § 1 Abs. 1 UStG dargestellt haben.

10

Im übrigen ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat der Beklagte die Umsätze des Klägers der Umsatzsteuer unterworfen, weil die von ihm ausgeführten Leistungen nicht von der Umsatzsteuer befreit sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG sind nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung sind die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei. Der Kläger übt keine ähnliche heilberufliche Tätigkeit in diesem Sinne aus. Der Umstand, daß der Kläger sich der Behandlung kranker Menschen widmet, reicht insoweit nicht aus. Die Anerkennung der Ähnlichkeit eines Berufes mit anderen Heilberufen setzt neben der Vergleichbarkeit der Tätigkeiten die Erfüllung weiterer Voraussetzungen voraus. Es reicht nicht aus, daß die zu beurteilende Tätigkeit als Ausübung der Heilkunde angesehen werden kann. Erforderlich ist vielmehr, daß einähnlicher Beruf in wesentlichen Punkten einem der im Gesetz genannten Heilberufe entsprechen muß. Zu diesen wesentlichen Berufsmerkmalen gehören u.a. auch die Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufes knüpft. Hierzu gehört bei Heilberufen auch, daß deren Ausübung einer Erlaubnis bedarf (Urteile des BFH vom 21. Juni 1990 V R 97/84, BStBl II 1990, 804, 805; vom 21. September 1989 IV R 117/87, BStBl II 1990, 153, 154; vom 25. März 1977 V R 144/74, BStBl II 1977, 579, 580; vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BStBl II 1976, 621). Andere, im Gesetz nicht genannte Heilberufe, können daher erst in den Genuß der Umsatzsteuerbefreiung kommen, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufnimmt oder ihnen durch eine Berufsregelung die Ähnlichkeit mit den Katalogberufen verleiht (Urteil des BFH vom 21. Juni 1990 V R 97/84, BStBl II 1990, 804, 805).

11

Es bestehen für den Beruf des Sprachheilpädagogen keine berufsrechtlichen Regelungen, die den für die Katalogberufe ergangenen Gesetzen ähnlich wären (vgl. hierzu Bundesärzteordnung vom 2. Oktober 1961, BGBl I 1961, 857; Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. März 1952, BGBl I 1952, 221; Heilpraktikergesetz vom 17. Februar 1939, RGBl I 1939, 251; Gesetz über die Ausübung des Berufs des Krankengymnasten vom 21. Dezember 1958, BGBl I 1958, 985; Hebammengesetz vom 21. Dezember 1938, RGBl I 1938, 1893). Weder das Zeugnis des wissenschaftlichen Landesprüfungsamtes für Lehrämter vom 19. April 1982 über die erste staatliche Prüfung für das Lehramt an Sonderschulen noch das Zeugnis der Bezirksregierung ... vom 31. August 1983 über die zweite staatliche Prüfung stellen eine Regelung über den Beruf des Sprachheilpädagogen dar. Es handelt sich vielmehr um Nachweise über ein erfolgreich durchgeführtes Hochschulstudium bzw. die mit Erfolg absolvierte Referendarzeit. Auch die Anerkennung durch die gesetzlichen Krankenkassen führt zu keiner anderen Beurteilung, weil diese nur der Abrechnung über die ausgeführten Leistungen, nicht aber der Regelung der Berufserlaubnis oder Berufsaufsicht dient. Die Zulassung und Überwachung durch die Gesundheitsämter kann die erforderliche gesetzliche Regelung nicht ersetzen. Der Senat hält an diesem Erfordernis fest, weil § 4 Nr. 14 UStG nicht jede heilberufliche Tätigkeit schlechthin begünstigen soll. Begünstigt werden sollen vielmehr nur Heilberufe, bei denen im Interesse der Patienten die Qualität durch gesetzliche Regelungen über den Berufszugang und die Berufsausübung sichergestellt ist. Der vom Kläger angestellte Vergleich zwischen dem von ihm ausgeübten Beruf des Sprachheilpädagogen und dem des Logopäden ist im Rahmen der Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG ohne Bedeutung, weil der Beruf des Logopäden selbst kein Katalogberuf ist, sondern seinerseits zu den ähnlichen Heilberufen gehört. Im übrigen erfüllt der Beruf des Logopäden die an die Steuerbefreiung zu stellenden Anforderungen, weil durch das Logopädengesetz vom 7. Mai 1980 (BGBl I 1980, 529) die erforderlichen berufsrechtlichen Regelungen getroffen worden sind.

12

Der Senat hat keine Veranlassung für die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde in dem Verfahren 1 BvR 2341/95 gesehen. Grundsätzlich läßt eine beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfassungsbeschwerde in einem Parallelverfahren zwar eine Aussetzung des Verfahrens als geboten erscheinen, Vorliegend aber hat das Bundesverfassungsgericht bereits in dem Beschluß vom 29. August 1988 (1 BvR 695/88, BStBl II 1988, 975) über die Verfassungsbeschwerde von Atem-, Stimm- und Sprechlehrern zur gleichen Problematik entschieden. Das Abwarten auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der im Kern gleichen Rechtsproblematik hat der Senat als nicht geboten angesehen. Eine Aussetzung des Verfahrens wegen der anhängigen Verfassungsbeschwerde ist auch deshalb nicht geboten gewesen, weil mit der Verfassungsbeschwerde nicht die Verfassungswidrigkeit des § 4 Nr. 14 UStG, sondern die Verfassungswidrigkeit der Auslegung dieser Rechtsnorm durch den Bundesfinanzhof geltend gemacht wird (vgl. Beschluß des BFH vom 26. Juni 1994 V B 31/94, UR 1996, 160 m.w.N.).

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

14

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 13 Abs. 2, 25 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 4.826,00 DM festgesetzt.