Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 11.12.2002, Az.: 15 Qs 38/02

Anordnung eines Arrests wegen Gefahr des Verfalls, des Verfalls des Wertersatzes bzw. der Rückgewinnungshilfe; Wirksamkeit eines dinglichen Arrests wegen Verdachts der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, der Urkundenfälschung und der Steuerhinterziehung

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
11.12.2002
Aktenzeichen
15 Qs 38/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 29431
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2002:1211.15QS38.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 04.09.2002 - AZ: 272 Gs 4048/02

Fundstelle

  • StraFo 2003, 166-167 (Volltext)

Verfahrensgegenstand

Verdacht der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr im besonders schweren Fall der Untreue, der Urkundenfälschung und der Steuerhinterziehung

In dem Ermittlungsverfahren
hat die 4. Strafkammer des Landgerichts Hildesheim - 1. gr. Wirtschaftsstrafkammer -
auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 19.09.2002,
bei Gericht eingegangen am 20.09.2002,
gegen den den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten S. anordnenden Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 04.09.2002 - Az.: 272 Gs 4048/02 -
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, das Beschuldigten und der mutmaßlich Geschädigten
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht Krause sowie
der Richterin am Landgericht Bietendüwel und
des Richters am Landgericht Kauer
am 11.12.2002
beschlossen:

Tenor:

Der durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 04.09.2002 - 272 Gs 4048/02 - angeordnete dingliche Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten wird aufgehoben.

Die in diesem Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Landeskasse.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 310 Abs. 2 StPO).

Beschwerdewert: 165.300 EUR

Gründe

1

Gegen den Beschuldigten wird wegen des Verdachts der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in einem besonders schweren Fall, der Untreue, der Urkundenfälschung und der Steuerhinterziehung ermittelt.

2

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Hannover den dinglichen Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten wegen eines Arrestanspruches in Höhe von 495.896,77 EUR angeordnet (Beschluss des AG Hannover vom 04.09.2002 - 272 Gs 4048/02 -). Ferner wurde erkannt, dass gegen Hinterlegung eines Betrages in vorgenannter Höhe die Vollziehung des Arrestes gehemmt und der Beschuldigte berechtigt werde, die Aufhebung des vollzogenen Arrestes zu beantragen.

3

Auf der Grundlage des Arrestes ist, soweit bekannt, zumindest eine Kontenpfändung bei der Volksbank U. in U. erfolgt (Zahlungen und Leistungen) aus der gesamten Geschäftsverbindung und dem Depot (letzteres: Kto.-Nr. 410.3710.995). Weitere Einzelheiten sind der Kammer nicht bekannt.

4

Mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 19.9.2002 legte der Beschuldigte gegen den Arrestbeschluss Beschwerde ein mit dem Antrag, den Arrest aufzuheben. Der Beschuldigte habe den Schaden der Firma L., jedenfalls den im Arrestbefehl genannten Betrag in Höhe von 495.896,77 EUR, wiedergutgemacht. Über seinen Verteidiger seien 411.000 EUR zur Schadenswiedergutmachung an "die Firma L." überwiesen worden. Darüber hinaus habe der Beschuldigte vier Oldtimer zu einem Gesamtwert in Höhe von ca. 140.000 DM (= 71.581 EUR) sicherungsübereignet. Diese seien zwischenzeitlich verkauft worden. Der Fa. L. seien aus der Verwertung der Oldtimer weitere 108.000 EUR zugeflossen. Dies ergibt einen Gesamtbetrag von 519.000 EUR. Weiterhin sei ein Betrag in Höhe von 150.000 EUR zu Gunsten der Fa. L. bei dem Notar Dr. v.H., Hannover, hinterlegt worden. Dieser Betrag werde bei weiterer, substantiierter Begründung der Schadensersatzforderungen freigegeben. Der Inhalt der Hinterlegungsanweisung, insbesondere die Auszahlungsvoraussetzungen zugunsten der Fa. L., ist der Kammer jedoch nicht zur Kenntnis gebracht worden.

5

Die Staatsanwaltschaft und die Anzeigeerstatter (Fa. L. GmbH & Co KG Wunstorf; Hannover Finanz Immobilien AG & Co. Verwaltungs KG Hillersee; L. Dienstleistung GmbH & Co KG) sind der Auffassung, der dinglichen Arrest sei aufrechterhalten, da nach gegenwärtigem Ermittlungsstand der den Anzeigeerstattern entstandene Gesamtschaden, der auf die strafbaren Handlungen des Beschuldigten zurückzuführen sei, sich auf einen den Arrestanspruch weit übersteigenden Betrag belaufe. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Verfügung vom 01.11.02 den Betrag mit ca. 1,5 Mio EUR angegeben. Auf die zwischenzeitlich geleisteten Zahlungen bzw. Sicherungsübereignungen komme es deshalb nicht an, weil der danach noch verbleibende Schadensbetrag die Arrestsumme immer noch übersteige.

6

Das Amtsgericht Hannover hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde daraufhin mit dem Antrag kostenpflichtiger Verwerfung dem Landgericht Hannover vorgelegt. Das Landgericht Hannover hat das Beschwerdeverfahren am 13.11.2002 der Kammer zur Übernahme vorgelegt. Diese hat das Verfahren nach Anhörung des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21.11.2002 übernommen, da sie nach den §§ 74 c Abs. 1 Nr. 5 a GVG i.V.m. §§ 74 c Abs. 2, 73 GVG als Wirtschaftsstrafkammer zuständig ist.

7

Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

8

Der Beschluss ist aufzuheben, weil der Arrestanspruch nicht mehr besteht.

9

Der Arrestbeschluss vom 04.09.2002 bejahte dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen des Verfalls, Verfalls des Wertersatzes oder der Rückgewinnungshilfe gemäß §§ 73, 73 a StGB gegeben seien, wobei in dem Umfange der in Betracht kommenden Rückgewinnungshilfe ein Verfall ausscheidet (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB).

10

Die Staatsanwaltschaft hat den Arrestantrag auf die wirtschaftlichen Vorteile gestützt, die dem Beschuldigten zum damaligen Ermittlungsstand als Barleistungen (Schmiergelder) und Ausgleich von Privatverbindlichkeiten des Beschuldigten von dritter Seite usw. mit dringendem Tatverdacht zugerechnet wurden. Bei dieser Arrestforderung handelt es sich um den zu sichernden Zahlungsanspruch, der von der Staatskasse auch zur Sicherung des Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB geltend gemacht werden kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner; § 111 d StPO, Rz. 4). Letztlich entspricht dieser durch Arrest zu sichernde Anspruch (sog. Arrestforderung; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., Rz. 2) dem "Arrestanspruch" des § 916 ZPO.

11

Die Kammer hebt den dinglichen Arrest gemäß § 111 d Absatz 2 StPO und sinngemäßer Anwendung des § 923 ZPO auf.

12

Der Arrestanspruch ist in dem Arrestantrag nicht im einzelnen dargelegt worden, stimmt jedoch betragsmässig mit der Endsumme der Forderungszusammenstellung "Vorteilsannahme durch Wolfgang S.", die mit einem Gesamtbetrag in Höhe von 475.869,77 EUR (entsprechend 930.720,38 DM) abschließt (Leitzordner Teil I Band 1 Bl. 69) sowie weiteren "mindestens" 20.000 EUR betragsmäßig genau überein. Letztgenannte Summe soll sich der Beschuldigte unter Ausnutzung seiner leitenden Position durch Forderung und Annahme von Schmiergeldzahlungen von bei Auftragsvergaben pp. bevorzugten Firmen verschafft haben.

13

Der Teilbetrag in Höhe von 475.869,77 EUR entspricht der Summe der in der Tabelle Teil I Bd. 1 Bl. 68 f. ausgewiesenen Zwischensummen der Spalte 7 (596.130 DM, 150.000 DM, 170.590,38 DM und weitere 14.000 DM). Allerdings stimmt die Zwischensumme von 596.130 DM nicht mit den in Spalte 6 der o.g. Tabelle aufgelisteten Einzelposit onen überein. Es fehlt ein Betrag in Höhe von 3.319 DM, der rechnerisch mit dem Rechnungsbetrag vom 24.03.2002 (Reisekostenrechnung TUI) übereinstimmt und bei der Addition vergessen worden sein mag. Rechnerisch nicht nachvollziehbar ist die Zwischensumme von 170.590,38 DM. Diese weist bei Addition der insoweit zuzuordnenden Einzelpositionen einen Fehlbetrag von 8.594,27 DM aus. Eine Addition der Einzelpositionen ergäbe einen den in der Tabelle ausgewiesenen Gesamtbetrag (930.720,38 DM, entsprechend 475.869,77 EUR) noch übersteigenden Betrag von insgesamt 942.633,65 DM (entsprechend 481.960,93 EUR). Hinzu träte noch der im Arrestbeschluss aufgeführte Teibetrag von 20.000 EUR. Der Arrestbeschluss unterschreitet die sich hiernach ergebende Gesamtforderung um 6.091,16 EUR. Die im gegen den Beschuldigten ergangenen Haftbefehl vom 04.09.2002 - 272 Gs 4047/02 AG Hannover - bezifferte Forderung ist noch höher, sie beläuft sich dort unter Einbeziehung weiterer, im Arrestantrag nicht enthaltener Positionen auf 1.447.776,05 DM (entsprechend 740.236,14 EUR). Dem angefochtenen Beschluss läßt sich jedoch entnehmen, dass der strafrechtliche Arrestanspruch 495.896,77 EUR betragen soll.

14

Der Beschuldigte hat im Beschwerdeverfahren unwidersprochen vorgetragen, durch Geldüberweisung und Übertragung von zwischenzeitlich verwerteten Oldtimern Schadenswiedergutmachung geleistet zu haben. Der der Geschädigtenseite auf diese Weise zugeflossene Geldbetrag übersteigt die Arrestforderung des Beschlusses vom 04.09.2002. Der Arrestbeschluss war schon deshalb aufzuheben, weil durch die Zahlung des Beschuldigten auf den arrestbehafteten Teil der (möglicherweise weit höheren) Schadensersatzforderung(en) der Arrestanspruch erloschen ist. Es ist aber nicht möglich, den erloschenen Teil einer Schadensersatzforderung gegen eine neue Forderung auszutauschen, um den gerichtlich angeordneten Arrest (und gegebenenfalls insoweit ausgebrachte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen) rangwahrend zu erhalten (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 88, 319; vgl. auch Zöllner, § 916 ZPO Anm. 3 m.w.N.). Es würde zu einer Bevorzugung der durch einen Arrest gesicherten Gläubiger im Verhältnis zu anderen Forderungsgläubigern führen, wenn man gestatten würde, bei Wegfall des Arrestanspruchs beliebig viele neue Forderungen als Arrestanspruch nachzuschieben, um den Arrest zu erhalten. Mit der erlangten Zahlung hat die mutmaßlich Geschädigte ohnehin mehr als mit dem einstweiligen Rechtsschutz angeordnet erhalten, da der Arrest lediglich zu einer Anspruchssicherung, nicht jedoch zu einer Anspruchserfüllung führen Kann. Der Staatsanwaltschaft bzw. der Geschädigten bleibt es im übrigen unbenommen, wegen weitergehender Forderungen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen den Erlass eines neuen Arrestes zu beantragen.

15

Soweit die einzelnen "zivilrechtlichen Schadenspositionen" nicht im angefochtener Beschluss enthalten sind, kann dem Beschuldigten dies nicht zum Nachteil gereichen.

16

Letztlich bestünde für eine Aufrechterhaltung des Arrestes auch aus anderem Grunde kein Anlass:

17

Der Beschuldigte hat durch seine freiwilligen Zahlungen gezeigt, daß ihm daran gelegen ist, Zwangsmaßnahmen abzuwenden und - im Rahmen seiner Möglichkeiten - einen wirtschaftlichen Ausgleich mit der Firma L. zu suchen, was zumindest zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung der weiteren Annahme eines Arrestgrundes (Sicherungsbedürfnis) aus Sicht des Staates entgegensteht. Ob eine Rückgewinnungshilfe seitens des Staates im Einzelfall geboten erscheint, steht im Ermessen der Beschlagnahmebehörde. Einstweilige Sicherungsmaßnahmen sind auch von vornherein zeitlich befristet (vgl. § 111 b Abs. 3 StPO). Nach Ablauf von nunmehr drei Monaten seit Anordnung des Arrestes vom 04.09.2002 waren die juristisch beratenen und im Wirtschaftsleben sehr erfahrenen mutmaßlich Geschädigten ohne weiteres in der Lage, sich - wiederum bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes - selbst um eine Sicherung bzw. Durchsetzung ihrer (Rest-)Ansprüche zu bemühen.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO. Zwar hebt die Kammer den Arrestbefehl auf, weil nachträglich die Gründe für die Anordnung entfallen sind. Das Amtsgericht hätte auf die sofortige Beschwerde bereits den Arrestbefehl aufheben müssen. Durch den Nichtabhilfebeschluß hat das Amtsgericht zugleich die Aufhebung abgelehnt. Mit weiteren Schriftsätzen - Bl. 7 des Schriftsatzes vom 02.12.2002 beantragt der Beschuldigte die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 165.300 EUR

Den Beschwerdewert hat die Kammer in entsprechender Anwendung des § 3 ZPO auf etwa ein Drittel der Arrestforderung festgesetzt. Sie hat dabei berücksichtigt, dass es in dem Arrestverfahren nur um eine vorläufige Sicherung der zunächst auf 495.896,77 EUR bezifferten Schadensersatzansprüche ging, bezüglich deren die Staatsanwaltschaft Rückgewinnungshilfe geleistet hat. Dieses hinter dem Erfüllungsinteresse zurückbleibende Sicherungsinteresse der Maßnahme war bei der Wertfestsetzung angemessen zu berücksichtigen.

Krause
Bietendüwel
Kauer