Amtsgericht Vechta
Beschl. v. 02.08.2007, Az.: 12 F 117/07 S

Bestimmung des Streitwertes in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten (hier: Ehestreitigkeiten); Einbeziehung des Ausmaßes der prozessvorbereitenden Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten bei Bemessung des Streitwertes für die Gerichtskosten

Bibliographie

Gericht
AG Vechta
Datum
02.08.2007
Aktenzeichen
12 F 117/07 S
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 36495
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGVECHT:2007:0802.12F117.07S.0A

Fundstellen

  • AGS 2008, 37-39 (Volltext mit red. LS)
  • FamRZ 2008, 535-537 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

In der Familiensache ... wird der Streitwert wie folgt festgesetzt:

Scheidung: 4.560,00 EUR

Versorgungsausgleich: 1.000,00 EUR

Folgesache UE 4.164,00 EUR

Gesamt: 9.724,00 EUR

Der Streitwert für den geschlossenen Vergleich wird auf 4.164 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Für das Scheidungsverfahren war der Streitwert in Abweichung von der bisher an der Rechtsprechung des OLG Oldenburg angelehnten Praxis des Gerichts, die nach den Entscheidungen des BVerfG (Beschlüsse vom 23.08.2005, 1 BvR 46/05, FamRZ 2006, 24;vom 28.03.2006, 1 BvR 838/05;vom 21.02.2007, 1 BvR 2407/06 und 2679/06, FamRZ 2007, 1080 und 1081) nicht mehr aufrechterhalten werden kann, wie aus dem Tenvom 21.02.2007, 1 BvR 2407/06 und 2679/06, FamRZ 2007, 1080 und 1081) nicht mehr aufrechterhalten werden kann, wie aus dem Tenor ersichtlich festzusetzen.

2

In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfanges und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und der Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen, § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG. Dabei ist in Ehesachen für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen, § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG. Für die Wertermittlung maßgeblich ist der Zeitpunkt der Einreichung des Scheidungsantrages, 40 GKG (vgl. auch OLG Celle OLGR 2002, 153-154; Zöller/Herget, ZPO, § 3 Rn. 16 "Ehesachen"). Im Einzelnen gilt Folgendes:

3

Zum "Nettoeinkommen" gehören nicht staatliche Sozialleistungen wie die Sozialhilfe (h.M.; vgl. z.B. OLG Celle FamRZ 2006, 1690, 1691; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1135 [OLG Karlsruhe 14.12.2001 - 5 Wf 190/01]; OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1676 [OLG Brandenburg 24.03.2003 - 9 WF 21/03]; OLG Dresden FamRZ 2004, 1225 [OLG Dresden 20.11.2003 - 10 WF 745/03]; Zöller/Herget, ZPO § 3, Rn. 16, Stichwort Ehesachen; Madert/Müller-Rabe, Kostenhandbuch Familiensachen, Abschnitt B, Rn. 16; a.A. Hartmann, Kostengesetze, GKG § 48 Rdnr. 38) oder Arbeitslosengeld II (OLG Celle, a.a.O.; Zöller/Herget, a.a.O.). Denn das Gesetz knüpft hinsichtlich der Gebührenberechnung mit der Bezugnahme auf das Einkommen (und das Vermögen) der Eheleute ersichtlich an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eheleute an. Diese individuelle Belastbarkeit wird aber nicht durch Sozialleistungen bestimmt. Vielmehr sind diese staatlichen Zuwendungen gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger. Auch Kinder- und Erziehungs- bzw. Elterngeld sind nicht Ausdruck eigener Leistungsfähigkeit und sind deshalb bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen.

4

Da es auf die Leistungsfähigkeit der Eheleute ankommt, sind Tilgungsraten auf Kreditverbindlichkeiten dann abzusetzen, wenn ihnen keine Vermögenswerte gegenüberstehen und die Kreditraten Ausdruck beengter wirtschaftlicher Verhältnisse sind. (OLG Celle FamRZ 1999, 604 [OLG Celle 13.02.1998 - 10 WF 23/97]; OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 255 [OLG Zweibrücken 27.06.2001 - 5 WF 40/01]-256; generell gegen eine Berücksichtigung: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.2006,16 WF 204/06; a.A. OLG Koblenz, JurBüro 1999, 475). Insbesondere Tilgungsraten auf Hauskredite sind daher nicht abzusetzen (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.).

5

Nach überwiegender Auffassung sind von dem Einkommen Abzüge für Kinder vorzunehmen (vgl OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.2006,16 WF 204/06; OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.10.2005, 7 WF 942/05; OLG Dresden FamRZ 2003, 1677 [OLG Dresden 02.09.2002 - 22 WF 115/02]-1679). Dem schließt sich das Gericht an. Die Pauschale bemisst sich in Übereinstimmung mit den soeben genannten Entscheidungen auf 250 EUR pro Kind (für konkreten Abzug dagegen OLG Celle, NdsRpfl 1998, 175-176).

6

Der Ausgangsbetrag für die Streitwertermittlung errechnet sich danach vorliegend wie folgt:

Nettoeinkommen des Ehemannes: 1.771,00 EUR
Nettoeinkommen der Ehefrau: 0,00 EUR
zusammengerechnetes Nettoeinkommen: 1.771,00 EUR
abzüglich zu berücksichtigende Verbindlichkeiten: 0,00 EUR
abzüglich 250 EUR pro Kind: 250,00 EUR
Differenz: 1.521,00 EUR
Ausgangswert für die Streitwertbestimmung (obiger Betrag x 3 - gerundet): 4.560,00 EUR
7

Vermögen, das diesen Ausgangswert erhöhen konnte, ist nicht vorhanden.

8

Nach § 48 Abs. 2 Satz 2 GKG ist der Streitwert von diesem Ausgangspunkt aus nach Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfanges und der Bedeutung der Sache festzusetzen.

9

Für den Umfang der Sache ist nicht entscheidend, welche - dem Gericht nicht immer erkennbare - Arbeit ein beteiligter Anwalt für die vorgerichtliche Betreuung der Sache oder auch während deren Anhängigkeit außerhalb des gerichtlichen Verfahrens aufgewendet hat (OLG Dresden FamRZ 2003, 1677 [OLG Dresden 02.09.2002 - 22 WF 115/02]-1679). Denn die Vorschrift des § 48 GKG regelt den Streitwert für die Gerichtskosten. Die Maßgeblichkeit des Wertansatzes für die Anwaltsgebühren nach § 23 RVG ist lediglich eine Nebenfolge dieser Streitwertfestsetzung. Bei der Bemessung des Streitwertes für die Gerichtskosten kann es aber nur darauf ankommen, welchen Umfang die Sache für das Gericht hat (vgl. OLG Köln, JurBüro 1976, 1538 ff., 1540). Es wäre sachwidrig, wenn - über die Bemessung des Streitwertes - die Höhe der gerichtlichen Gebühren in irgendeiner Weise von Art und Ausmaß der prozessvorbereitenden Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Parteien abhängig gemacht würde. Auch können Art, Anzahl und Umfang anhängig gemachter Folgesachen den Umfang der eigentlichen Ehesache nicht beeinflussen, zumal sie jeweils einen eigenen Streitwert haben (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 1997, 34 [OLG Brandenburg 28.12.1995 - 10 WF 49/95]).

10

Dagegen können in Betracht zu ziehen sein etwa der Umfang der Akten, die Aufbereitung des Stoffes durch die Parteien, die Dauer des Ehescheidungsverfahrens (ohne Berücksichtigung einer etwaigen Verzögerung beim Versorgungsausgleich), die Erforderlichkeit von Terminsverlegungen, die Durchführung einer Beweisaufnahme, die Kürze oder die Länge der Ausführungen einer Partei, der Umfang der zu prüfenden Beiakten oder die notwendige Einbeziehung ausländischen Rechts (vgl. OLG Dresden a.a.O.).

11

Was unter diesen Voraussetzungen als "normaler" Aufwand anzusehen ist, muss nach Auffassung des Gericht anhand eines durchschnittlichen Falls der erstinstanzlichen Praxis ermittelt werden. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die eigentliche Scheidung nach der Erfahrung des Gerichts - und dies wird durch die einschlägigen Statistiken belegt - in der Regel nach einjähriger Trennungszeit mit Zustimmung des anderen Ehegatten erfolgt. In der Regel sind in diesen Verfahren die Schriftsätze der Parteien - was die eigentlichen Scheidungsvoraussetzungen angeht - kurz. Die Sache läst sich in einem Termin erledigen, das Urteil wird in der Regel nach einer kurzen Anhörung der Parteien verkündet. Das Urteil beschränkt sich zum Scheidungsausspruch in der Regel auf wenige - formalisierte - Sätze. Da dies - wie ausgeführt - den Regelfall darstellt, erscheint es verfehlt, aus diesen Umständen Anhaltspunkte für eine Herabsetzung des Streitwertes abzuleiten (so aber OLG Dresden a.a.O., dessen Ausführungen möglicherweise von der zweitinstanzlichen Praxis geprägt sind). Schon gar nicht kann allein der Umstand, dass die Scheidung einverständlich erfolgt, zu einer Streitwertherabsetzung führen (OLG Dresden a.a.O.; OLG Brandenburg, FamRZ 97, 34; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 97, 35; OLG Köln, FamRZ 98, 310 f., 311; OLG Thüringen, FamRZ 99, 1678; OLG Hamm in FamRZ 2001, 238 f. und 431 f.; OLG Naumburg, OLG-Report 1999, 111; anderer Ansicht: OLG Koblenz in FamRZ 99, 1678 und OLG Dresden, 20. Zivilsenat, JurBüro 1997, 479 f.).

12

Nach dem Gesetz kann für die Streitwertfestsetzung in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich auch die Bedeutung der Sache für die Parteien von maßgeblich sein. Dies erweist sich indessen in Ehesachen nicht als geeignetes Kriterium. Die Bedeutung der Scheidung für die Parteien hängt von den jeweiligen Lebensumständen und Befindlichkeiten der Parteien ab. Eine nähere Aufklärung durch das Gericht ist hier schlechterdings nicht möglich. Es erscheint verfehlt, wenn das Gericht hier zum Zwecke der Streitwertbemessung Motivforschung betreiben müsste. Insbesondere gibt es auch keinen Erfahrungssatz, dass die Bedeutung der Scheidung für die Parteien mit zunehmender Ehezeit steigt. Für einen Ehegatten, der nach dreijähriger Ehe in einer neuen Beziehung lebt, aus dieser ein Kind erwartet und deswegen eine neue Ehe anstrebt, wird die Scheidung bedeutsamer sein als für einen Ehegatten, der sich nach 10-jähriger Ehe und dreijähriger Trennungszeit scheiden lassen will ohne eine neue Bindung eingegangen zu sein.

13

Aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Schlussfolgerungen für den Streitwert zu ziehen, ist verfassungswidrig (BVerfG a.a.O.). Das Ziel der Schonung öffentlicher Kassen stellt eine an sich vernünftige Erwägung des Gemeinwohls dar, ist aber bereits umfassend bei den spürbar reduzierten Vergütungssätzen der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte gem. § 49 RVG berücksichtigt. Die am Klägerinteresse orientierte Wertermittlung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten entzieht sich einer Berücksichtigung der Reduzierung öffentlicher Ausgaben (so ausdrücklich BVerfG, a.a.O.).

14

Es ist nicht zu verkennen, dass sich bei Anwendung der soeben genannten Grundsätze Diskrepanzen insbesondere zur Bewertung von FGG-Folgesachen in § 48 Abs. 3 Satz 3 GKG ergeben. Warum bei der Regelung einer im Vergleich zur Scheidung für die beteiligten Eltern und Kinder in der Regel erheblich bedeutsameren Angelegenheit lediglich ein Streitwert von 900 EUR festzusetzen ist, ist selbst den Parteien kaum zu vermitteln. Gleiches gilt - wenn auch im abgeschwächter Form - für isolierte Sorge- und Umgangsrechtsverfahren, in denen der Streitwert regelmäßig 3.000 EUR beträgt. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Gerichts zu entscheiden, ob hier etwa eine Korrektur in der Form geboten ist, dass der Streitwert für die Scheidung unabhängig vom Einkommen vereinheitlicht, dafür für die genannten Folgesachen deutlich erhöht wird. Darüber zu befinden ist vielmehr Sache des Gesetzgebers.

15

Die vorliegende Sache entspricht dem beschriebenen Normalfall. Es war daher weder eine Herabsetzung noch Erhöhung des Ausgangswertes veranlasst.

16

Dem Streitwert für die Ehesache war der Streitwert für das Versorgungsausgleichsverfahren hinzusetzen. Dieser beträgt gem. § 49 Nr. 1 GKG 1.000 EUR. Ferner war hinzusetzten der Streitwert für die Folgesache UE. Hier beträgt der Streitwert angesichts des geltend gemachten monatlichen Unterhaltes von 347 EUR gem. § 42 GKG 4.164 EUR. Auf diesen Betrag war auch der Streitwert für den Vergleich festzusetzen.

Dr. Möller, Richter am Amtsgericht