Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 07.03.2019, Az.: 6 U 71/18
Wirksamkeit der Kündigung des Bauvertrages wegen nicht gewährter Leistung einer Sicherheit
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.03.2019
- Aktenzeichen
- 6 U 71/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 63126
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 25.07.2018 - AZ: 14 O 138/17
Rechtsgrundlage
- § 648a Abs. 5 S. 1 BGB
Fundstelle
- IBR 2020, 347
Redaktioneller Leitsatz
1. Ein Bauunternehmer verhält sich widersprüchlich, wenn er den Bauherrn zur Leistung einer Sicherheit auffordert und ankündigt, er werde nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist die Leistung verweigern, er den Bauvertrag aber schließlich wegen der nicht gewährten Sicherheit kündigt.
2. Ein solches Verhalten hat die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, da der Besteller mit der Kündigung nicht rechnen musste.
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2019 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. Juli 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gem. § 648 a Abs. 5 BGB a. F. mit Schreiben vom 3. Mai 2017 erklärte Kündigung des zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen Bauvertrages vom 16. Juni 2016 unwirksam ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.867,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Juli 2017 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 144.000 € (= 80 % von 180.000 €) festgesetzt.
Gründe
A.
Die Klägerin begehrt Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie Feststellung, dass die Bauvertragskündigung der Beklagten vom 3. Mai 2017 unwirksam ist.
Mit "Bauvertrag-Pauschalpreis" vom 16. Juni 2016 (Anlage K1, Anlagenband Klägerin) beauftragte die Klägerin die Beklagte unter Einbeziehung der VOB/B in der jeweiligen neuesten Fassung mit dem Gewerk Heizung/Sanitär/Lüftung für das Bauvorhaben "L." zur Auftragssumme "vorläufig pauschal 1.540.000 €" inklusive gesetzlicher Mehrwertsteuer.
Mit Schreiben ihres Sachbearbeiters D.E. vom 12. April 2017 (Anlage K2, Anlagenband Klägerin) verlangte die Beklagte für das Bauvorhaben "gemäß § 648 a BGB Sicherheit in Höhe von 630.000 (€) netto ... bis spätestens Montag, 24.04.2017" mit dem Hinweis, dass die Beklagte "bei fruchtlosem Ablauf der ... Frist (ihre) Leistung verweigern" werde.
Diese Aufforderung ging der Klägerin am selben Tage per E-Mail und am 13. April 2017 (Gründonnerstag) im Original zu.
Am 24. April 2017 erfolgte eine Besprechung der Parteien, deren Einzelheiten streitig sind.
Mit E-Mail vom 25. April 2017 (Anlage K3 Anlagenband Klägerin) forderte der Prokurist Dr. W. der Beklagten den Geschäftsführer R. der Klägerin um 18:48 Uhr auf, "bis zum 28.04.2017, 12:00 Uhr, die Sicherheit entsprechend (dem) Schreiben vom 12.04.2017 beizubringen."
Mit Schreiben des Geschäftsführers M.E. (Bl. 93 d. A.) vom 3. Mai 2017 (Anlage K6, Anlagenband Klägerin), das der Klägerin laut Eingangsstempel am selben Tag zuging (LGU 4), kündigte die Beklagte gegenüber der Klägerin den Vertrag vom 16. Juni 2016 mit sofortiger Wirkung und forderte die Beklagte auf, die bisherigen Zahlungsrückstände in Höhe von 57.429,28 € bis zum 17. Mai 2017 auszugleichen.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Bankbürgschaft der Bankhaus L. KG vom 3. Mai 2017 (Anlage K7) der Beklagten im Original am 4. Mai 2017 oder erst am 9. Mai 2017 zugegangen ist.
Mit Anwaltsschreiben vom 5. Mai 2017 (Anlage K8) wies die Klägerin gegenüber der Beklagten die Bauvertragskündigung als unwirksam zurück und bat um schriftliche Bestätigung bis zum 8. Mai 2017, dass die Beklagte den Bauvertrag vom 16. Juni 2016 erfüllen werde. Nach Antwort der Beklagten vom 10. Mai 2017 (Anlage K9), an der Kündigung festzuhalten und pauschalierten entgangenen Gewinn zu verlangen, kündigte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 16. Mai 2017 (Anlage K10) gegenüber der Beklagten den Bauvertrag vom 16. Juni 2016 "fristlos mit sofortiger Wirkung" und der Begründung, die Beklagte habe unberechtigt den Vertrag gekündigt und die Werkleistung eingestellt, so dass ihr, der Klägerin, ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar sei.
Die Klägerin zahlte nach einem Gegenstandswert von 1.539.999,99 € an ihre Prozessbevollmächtigten für deren außergerichtliche Tätigkeit 9.867,36 € als Vergütung (S. 14 der Klageschrift, Bl. 14 d. A.).
Die Klägerin ließ die ursprünglich von der Beklagten auszuführenden Werkleistungen durch Dritte fertigstellen. Die ihr dadurch entstandenen Mehrkosten stehen noch nicht endgültig fest.
Mit der Klage hat die Klägerin gegenüber der Beklagten die aus der Urteilsformel ersichtliche Feststellung und Zahlung verlangt.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und vorgetragen, die Bürgschaftsurkunde sei erst am 9. Mai 2017 im Original bei ihr eingegangen. Grund für die Kündigung seien Zweifel an der Bonität der Klägerin gewesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil, auf das der Senat zur näheren Sachdarstellung verweist, wendet die Klägerin sich mit ihrem ursprünglichen Begehren.
Sie beantragt,
1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die von der Beklagten gem. § 648 a Abs. 5 BGB a. F. mit Schreiben vom 3. Mai 2017 erklärte Kündigung des zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen Bauvertrages vom 16. Juni 2016 unwirksam ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.867,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, ihre Kündigung sei nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Dem Geschäftsführer R. der Klägerin sei als Volljurist (Rechtsanwalt und Notar a. D.) bewusst gewesen, dass sich die Geschäftsbeziehung der Parteien ggf. ändern würde. Die panische Zahlung in Höhe von 140.477,65 € vom 27. April 2017 (Bl. 52 d. A.) zeige, dass der Klägerin der Ernst der Lage sehr bewusst gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften erster Instanz vom 8. Februar 2018 und 12. Juli 2018 verwiesen (Bl. 90-96 u. 129-132 d. A.).
B.
Die Berufung ist begründet.
I.
Das Feststellungsinteresse der Klägerin für den Klagantrag zu 1 hat das Landgericht zutreffend bejaht. Einwendungen sind dagegen nicht erhoben worden.
II.
Die von der Beklagten gegenüber der Klägerin mit Schreiben ihres Geschäftsführers M.E. vom 3. Mai 2017 (Anlage K6, Anlagenband Klägerin) erklärte Kündigung des Bauvertrags der Parteien vom 16. Juni 2016 ist unwirksam, weil sie auf widersprüchlichem Verhalten der Beklagten beruht.
1. § 648 a Abs. 5 Satz 1 BGB in der hier anzuwendenden Fassung, die vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2017 gültig war, bestimmt:
"Hat der Unternehmer dem Besteller erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit nach Abs. 1 bestimmt, so kann der Unternehmer die Leistung verweigern oder den Vertrag kündigen."
Diese Vorschrift bestimmt das Recht des Unternehmers, nach fruchtlosem Ablauf der von ihm gesetzten angemessenen Frist "die Leistung (zu) verweigern oder den Vertrag (zu) kündigen". Die in der Vorschrift erfolgte Verknüpfung von Leistungsverweigerung und Kündigung durch das Wort "oder" besagt, dass der Unternehmer nach Fristablauf zwischen beiden Möglichkeiten die Wahl hat. Er ist nicht verpflichtet, sich zunächst auf die Leistungsverweigerung als dem milderen Mittel zu beschränken, sondern kann sogleich die Kündigung aussprechen (Urteil des KG vom 16. Februar 2018 zu 21 U 66/16, zitiert nach juris, dort Rdnr. 52 f.).
Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Fristsetzung überhaupt mit der Androhung der Einstellung der Arbeiten bzw. der Kündigung verbunden wird (vgl. Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl. 2014, 10. Teil, Rdnr. 169). Grundsätzlich muss daher der Besteller jederzeit mit einer Kündigung rechnen, wenn er bis zum Ablauf der gesetzten Frist keine Sicherheit geleistet hat.
2. Die Fristsetzung erfolgte mit Schreiben der Beklagten vom 12. April 2017 (Anlage K2), in dem es am Ende heißt:
"Es wird darauf hingewiesen, dass wir bei fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist unsere Leistung verweigern werden."
Die Besonderheit dieser Fristsetzung besteht darin, dass die Beklagte sich auf die Ankündigung des milderen Mittels beschränkt hat, indem sie lediglich angekündigt hat, sie werde bei fruchtlosem Fristablauf ihre Leistung verweigern. Von einer Kündigung ist nicht die Rede. An dieser Erklärung, die lediglich eine Selbstbeschränkung der Beklagten und keine von § 648 a Abs. 7 BGB erfasste "abweichende Vereinbarung" der Bauvertragsparteien darstellt, muss sich die Beklagte festhalten lassen.
3. Zu dieser Fristsetzung, in der lediglich die Leistungsverweigerung angekündigt war, hat die Beklagte sich durch ihr späteres Verhalten, den Bauvertrag mit der Klägerin durch Schreiben ihres Geschäftsführers vom 3. Mai 2017 ohne vorherige Androhung der Kündigung zu kündigen, in Widerspruch gesetzt. Dieses Verhalten ist unzulässig und hat die Unwirksamkeit der Kündigung zufolge, weil für den Fall, dass der Unternehmer zunächst nur androht, seine Leistung zu verweigern, dann aber nach Fristablauf ohne vorherige Androhung den Vertrag kündigt, die Kündigung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens unwirksam ist, wenn der Besteller mit einer Kündigung des Vertrages nicht rechnen musste (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl. 2014, 10. Teil, Rdnr. 169).
Schutzwürdige Interessen der Beklagten sind nicht verletzt; sie hätte auf die Androhung von Folgen verzichten können (diese ergeben sich aus dem Gesetz), oder nur den Gesetzestext vollständig (also mit der Möglichkeit der Vertragskündigung) abschreiben müssen.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin entgegen der unzweideutigen Ankündigung im Schreiben vom 12. April 2017, die Beklagte werde "bei fruchtlosem Ablauf der Frist (ihre) Leistung verweigern", auch mit einer Kündigung hätte rechnen müssen:
a) Es ist nicht vorgetragen, dass eine Kündigung des Bauvertrages durch die Beklagte Gegenstand der Besprechung der Parteien am 24. April 2017 gewesen ist. Die Erklärung des Geschäftsführers M.E. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 19. Februar 2019, er habe den Eindruck gehabt, dass der Geschäftsführer R. der Klägerin auch mit einer Kündigung des Bauvertrages gerechnet habe, ist mangels konkreter Tatsachen, die den "Eindruck" rechtfertigen, unerheblich.
b) Die E-Mail des Prokuristen der Beklagten Dr. W. vom 25. April 2017 (Anlage K3) enthielt ebenfalls keine Androhung der Kündigung durch die Beklagte gegenüber der Klägerin.
c) Die Erklärung des Geschäftsführers R. der Beklagten mit E-Mail vom 27. April 2017 gegenüber dem Prokuristen Dr. W. (Anlage K4, Anlagenband Klägerin):
"Ihre Entscheidung haben wir zur Kenntnis genommen. Sie war nach unserem Gespräch nicht erwartet. Offenbar legen Sie auf eine weitere Geschäftsbeziehung keinen Wert."
belegt nicht, dass die Klägerin mit einer Kündigung des Bauvertrages gerechnet hat. Der Sinn der Erklärung konnte sich darin erschöpfen, dass das Sicherheitsverlangen der Beklagten mit der angedrohten Leistungsverweigerung zur Folge haben werde, dass die Klägerin keine weiteren Projekte mit der Beklagten durchführen wird. Auch die Beibringung der Sicherheit in Gestalt der Bankbürgschaft vom 3. Mai 2017 (Anlage K7) spricht dagegen.
III.
Gem. § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB kann die Klägerin von der Beklagten wegen ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten Zahlung in Höhe von 9.867,36 € nebst Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit verlangen. Mit der unberechtigten Kündigung hat die Beklagte gegen ihre Pflicht zur Vertragserfüllung verstoßen und sich damit selbst in Verzug gesetzt, so dass die Klägerin zur Wahrnehmung ihrer Interessen berechtigt war, außergerichtlich einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Hierdurch sind ihr die geltend gemachten Kosten entstanden. Gegen den schlüssig dargelegten Anspruch wurden keine Einwendungen erhoben.
IV.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10 und § 711 Satz 1, 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die im Schriftsatz der Beklagten vom 6. März 2019 angeführte Entscheidung des OLG Köln (3 U 124/14) ändert daran nichts; der Sachverhalt ist schon nicht vergleichbar.