Sozialgericht Braunschweig
v. 27.04.2023, Az.: S 59 KR 1277/21

Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung i.R. der gesetzlichen Ktankenversicherung; Enstehen der Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse, unabhängig von einer Kostenzusage, unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
27.04.2023
Aktenzeichen
S 59 KR 1277/21
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2023, 34892
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2023:0427.S59KR1277.21.00

In dem Rechtsstreit
Städtisches Klinikum A-Stadt gGmbH,
vertreten durch die Geschäftsführung,
A-Straße, A-Stadt
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte D.,
B-Straße, B-Stadt
gegen
E.,
vertreten durch den Vorstand,
F. r
- Beklagte -
hat die 59. Kammer des Sozialgerichts A-Stadt am 27. April 2023 gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch G. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 1.294,85€ festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die klagende Trägerin eines nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassenen Krankenhauses in A-Stadt behandelte die 1988 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte H. (im Folgenden: Versicherter) stationär vom 10. bis 11. Juli 2019. Sie berechnete hierzu die Fallpauschale D67Z (Erkrankungen von Zähnen und Mundhöhle). Dem lag die Hauptdiagnose chronische apikale Parodontitis (K04.5) und der OPS (5-131.00) Operative Zahnentfernung: Tiefzerstörter Zahn zugrunde.

Die Versicherte war als Notfall bei der Klägerin zunächst ambulant behandelt worden. Unter Lokalanästhesie konnte keine ausreichende Schmerzfreiheit erreicht werden. Daher wurde die Versicherte zur Durchführung der Behandlung unter Vollnarkose stationär aufgenommen. Die Behandlung wurde dann um 15:05 Uhr fortgesetzte und die Versicherte um 15:25 Uhr in den Aufwachraum gebracht, um dann um 16:25 Uhr auf die Station gebracht zu werden. Es erfolgte eine Therapie mit Antibiotikum.

Die Klägerin rechnete den Behandlungsfall ab. Die Beklagte beglich zunächst die Rechnung, beauftragte allerdings den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung und Notwendigkeit einer vollstationären Durchführung.

Der MDK vertrat die Auffassung, dass entgegen der Abrechnung der Klägerin, dass es sich um einen Eingriff der Kategorie I des AOP-Kataloges nach § 115b SGB V handelte. Hinweise auf Komplikationen, wesentliche Begleiterkrankungen oder andere Tatbestände gemäß G-AEP-Kriterien ergaben sich nicht. Der Eingriff hätte daher ambulant erfolgen können.

Die Klägerin bringt neben der Behandlung unter Vollnarkose und Antibiotikatherapie eine Sprachbarriere und fehlende Wohnortnahe Versorgung vor. Aus der Patientenakte folgt die Telefonnummer des Ehemannes und eine Andresse der Versicherten in I.. Weiterer Vortrag bleibt aus.

Die Beklagte kürzte am 06.05.2020 schließlich die Rechnung um 1.294,85€ und rechnete gegen eine andere unstreitige Rechnung der Klägerin auf.

Am 29. Dezember 2021 hat die Klägerin Klage erhoben und begehrt die Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 1.294,85€.

Sie trägt zudem vor, dass eine Aufrechnung mit einem unstreitigen Behandlungsfall aus dem Jahre 2020 erfolgt sei. Dies sei durch § 109 Abs. 6 SGB V aber ausgeschlossen. Eine in Art. 1 der "Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V gemäß § 17c Abs. 2 KHG" vom 10.12.2019, welche eine weitere Aufrechnung auch gegenüber Fällen ab dem 1. Januar 2020 ausdrücklich zulässt, hält die Klägerin nicht für einschlägig, da die Vertragsparteien die vom Gesetzgeber eingeräumte Regelungskompetenz überschritten hätten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.294,85€ nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen des MDK. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, sowie die von dem Beklagten als Verwaltungsvorgänge vorgelegten Unterlagen und die Patientenakte der Versicherten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Nach Anhörung mit Verfügung vom 22. März 2023, den Beteiligten zugegangen am 22. und 23. März 2023 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis (Bl. 36, 40 der Gerichtsakte) konnte das Gericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 SGG entscheiden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt.

Die erhobene echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) ist zulässig aber unbegründet.

Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Vergütung der Behandlung einer anderen Versicherten ist in Höhe des streitigen Betrages von 1.294,85€ erloschen, da die Beklagte wirksam mit ihrem Erstattungsanspruch wegen der Überzahlung der Vergütung für die Behandlung der Versicherten aufgerechnet hat.

Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund der Behandlung einer anderen Versicherten zunächst Anspruch auf diese abgerechnete Vergütung hatte; eine nähere Prüfung der Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B. BSG, Urt. v. 19.4.2016 - B 1 KR 28/15 R - juris Rn. 8 m.w.N.). Dieser Vergütungsanspruch erlosch dadurch (§ 389 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), dass die Beklagte wirksam nach §§ 387 f. BGB mit ihrem öffentlichen-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen der Überzahlung der Vergütung für die Behandlung der Versicherten die Aufrechnung erklärte (zur Anwendung des öffentlichen-rechtlichen Erstattungsanspruch auf überzahlte Krankenhausvergütung: BSG, Urt. v. 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris Rn. 9 ff.).

Der Aufrechnung steht nicht die Regelung in § 109Abs. 6 SGB V entgegen. Danach können Krankenkassen nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen gegen Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1. Januar 2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind aufrechnen.

Zwar liegen die Voraussetzung von § 109 Abs. 6 S. 2 SGB V nicht vor. Danach ist die Aufrechnung abweichend von Satz 1 möglich, wenn die Forderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird oder rechtskräftig festgestellt wurde.

Aber die Vertragsparteien haben mit Art. 1 "Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V gemäß § 17c Abs. 2 KHG" vom 10.12.2019 eine Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) abweichende Regelungen vorgesehen.

Nach § 17c KHG regeln der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.

In Art. 1 der Übergangsvereinbarung haben die Vertragsparteien vorgesehen, dass für die Überprüfung bei Patienten, die ab dem 01.01.2020 in ein Krankenhaus aufgenommen werden, die PrüfvV vom 03.02.2016 mit den Maßgaben nach Nr. 1 bis 7 dieser Übergangsvereinbarung und im Übrigen unverändert fort gilt. Damit finden insbesondere die Regelungen zur Korrektur von Datensätzen nach § 5 Absatz 1 und § 7 Absatz 5 PrüfvV sowie die Aufrechnungsregeln nach § 10 PrüfvV weiterhin Anwendung.

Nach der Gesetzbegründung zur Einführung des § 109 Abs. 6 SGB V durch das sog. MDK-Reformgesetz (19/13397, 19/13547) sollten die Ausnahmen in Satz 2 und 3 dazu dienen, den Vertragspartnern über § 17c KHG zu ermöglichen in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 KHG Ausnahmen vom Verbot der Aufrechnung vorzusehen, sofern eine Aufrechnung in einzelnen Fallgestaltungen ausnahmsweise sachgerecht ist, wie etwa bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Vergütungsforderungen der Krankenhäuser.

Hier sind die Vertragspartner tatsächlich darüber hinausgegangen, da eine Fortgeltung der Aufrechnungsmöglichkeit unbeschränkt fortbestehen soll. Gleichwohl beschränkt sich die Eröffnungsklausel über § 17c KHG gerade nicht auf solche Fälle, in denen ein Prüfverfahren eröffnet wurde. Ansonsten würde die Möglichkeit Ausnahmen für vergleichbare Fälle, wie unbestrittene Vergütungsforderungen zu regeln, leerlaufen. Denn auch hier wird kein Prüfverfahren eingeleitet. Insoweit kann die Beschränkung auf die Anwendbarkeit der PrüfVV für den abzurechnenden und den aufzurechnenden Abrechnungsfall nicht als Bedingung vom Gesetzgeber vorausgesetzt sein. Auch hat eine Einschränkung der Abweichungsmöglichkeit gerade keinen Niederschlag in der Gesetzesformulierung von § 109 Abs. 6 S. 3 SGB V gefunden.

Die Voraussetzungen des Gegenanspruchs der Beklagten auf Erstattung in Höhe von 1.294,85€ waren erfüllt. Die Die Klägerin erhielt in dieser Höhe Krankenhausvergütung ohne Rechtsgrund, da ein entsprechender Vergütungsanspruch für die stationäre Behandlung der Versicherten nicht bestand.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz. Dieser Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (insbesondere den Fallpauschalenvereinbarungen) und von der XXX GmbH zertifizierte Groupierungsprogramme konkretisiert. Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, neben den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) und der deutschen Fassung der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10-GM) zudem die Klassifikation des vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen OPS (zum Vorstehenden ausführlich etwa BSG, Urt. v. 14.10.2014 - B 1 KR 34/13 R - juris Rn. 13 f.; BSG, Urt. v. 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris Rn. 19 ff.).

Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rspr. z.B. BSG, aaO., Rn. 13 m.w.N.).

In Anwendung der vorstehenden Grundsätze hat die Klägerin keinen weiteren Vergütungsanspruch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen (AOP-Katalog) und sonstiger stationsersetzender Eingriffe gemäß § 115b SGB V im Krankenhaus und den Vorgaben der G-AEP-Kriterien als Grundlage für die Beurteilung der Notwendigkeit stationärer Behandlungen.

Die hier von der Klägerin an der Versicherten vorgenommen Operation ist vom AOP-Katalog in der Kategorie I umfasst. Weder aus diesem noch aus den G-AEP-Kriterien folgt, dass die Notwendigkeit einer Vollnarkose ein Kriterium bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung ist. Kriterien wären, schwere Erkrankungen, Intensität der Behandlung oder intensive Betreuung, die im Zusammenhang mit einer Vollnarkose stehen können, hier von der Klägerin aber nicht vorgetragen wurden und auch nicht aus der Patientenakte ersichtlich sind.

Dass sich die Sprachbarriere als sozialer Faktor auswirkt und eine Wohnortnaheversorgung nicht gegeben war, erschließt sich nicht. Die Telefonnummer des Ehemannes der Versicherten war hinterlegt. Sie wohnt in I. und damit ca. 20 bis 25 min vom nächsten Krankenhaus in J., in K. und dem Haus der Klägerin entfernt.

Weitere Gründe dafür, dass eine stationäre Aufnahme nach dem Eingriff erforderlich war, welche zudem Niederschlag in den G-AEP-Kriterien gefunden hat, sind nicht ersichtlich und wurden von der Klägerin auch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 43 Abs. 2, 47 Abs. 1 und 2, 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).