Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.12.2016, Az.: 10 A 5094/16

Familie; Flüchtlingseigenschaft; Grundbesitz; Landnahme; Liberia; Soziale Gruppe; Verfolgungshandlung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
15.12.2016
Aktenzeichen
10 A 5094/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43387
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Keine drohende Verfolgung, wenn der Betroffene nach erfolgter Landnahme durch Nachbarn seinen Lebensunterhalt ohne Nutzung eigenen Landes bestreiten muss.
2. Kein asylrelevanter Zusammenhang zwischen etwaigen Verfolgungshandlungen und der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, wenn Grundbesitz einer Familie durch Nachbarn in Anspruch genommen wird.
3. Die Familie eines Antragstellers stellt mangels deutlich abgegrenzter Identität und durch die umgebende Gesellschaft zugeschriebener Andersartigkeit keine soziale Gruppe im Sinne des § 3 b Abs.1 Nr. 4 AsylG dar, auch wenn sie eine potentielle Erbengemeinschaft bezüglich eines (rechtswidrig genommenen) Grundbesitzes darstellt.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Androhung seiner Abschiebung und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise von internationalem subsidiärem Schutz und die Feststellung von Abschiebungshindernissen.

Er ist liberianischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben im November 2013 mit dem Bus auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist. Bereits 2003 habe er sein Heimatland verlassen und erst mehrere Jahre in Libyen gelebt. Im Jahr 2010 sei er dann mit einem Boot nach Italien gefahren und von dort nach Deutschland gezogen. Hier stellte er am 16. Oktober 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit Schreiben vom 8. September 2014 auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise internationalen subsidiären Schutz oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen beschränkte.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Nachdem die Abschiebung bis zum Ende der Überstellungsfrist nicht erfolgt war, hob die Beklagte den Bescheid auf und setzte das Verfahren in eigener Zuständigkeit fort.

In seiner Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten gab der Kläger im Wesentlichen an, er befürchte im Falle seiner Rückkehr Übergriffe durch ehemalige Farmnachbarn. Während seines Aufenthalts in Libyen sei es zum Streit zwischen seiner Familie und deren Nachbarn gekommen, infolge dessen sein Bruder nun gelähmt sei. Der Bruder lebe jetzt in Guinea, während seine Mutter, ein Bruder und drei Schwestern noch in Liberia seien. Nach Liberia könne er nicht zurückkehren, weil sich die Nachbarn die Farm der Familie angeeignet hätten und er keine Lebensgrundlage habe.

Mit Bescheid vom 24. August 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen einer Anerkennung als Flüchtling und Abschiebungshindernisse nicht vorlägen und forderte den Kläger unter Abschiebungsandrohung nach Liberia auf, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger habe eine asylrelevante Verfolgung nicht dargelegt. Er selbst sei nach seinen eigenen Schilderungen keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Eine andauernde Gefährdungslage auch für den Kläger ergebe sich auch nicht aus dem geschilderten Konflikt um die Farm der Familie. Das zeige schon der Umstand, dass sich die Familie des Klägers nach wie vor in Liberia aufhalte.

Am 6. September 2016 hat der Kläger Klage erhoben und im Wesentlichen auf seine Aussage bei der persönlichen Anhörung Bezug genommen. Der Bescheid der Beklagten sei schon deshalb rechtswidrig, weil darin über die Anerkennung als Asylberechtigter entschieden worden sei, obwohl er sein Schutzgesuch dahingehend zurückgenommen hatte. Er sieht sich weiter einer nichtstaatlichen Verfolgung als Angehöriger einer sozialen Gruppe ausgesetzt, weil man nach dem Land seiner Familie trachte. Internen Schutz habe seine Familie nur um den Preis gefunden, das eigene Land aufzugeben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. August 2016 – – zu verpflichten,

ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm internationalen subsidiären Schutz zuzuerkennen,

weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I. Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. September 2016 zur Entscheidung übertragen hat (§ 76 Abs. 1 AsylG). Sie kann trotz Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung ergehen, weil die Beteiligten form- und fristgerecht geladen worden sind und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).

II. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ebenso wenig hat er Anspruch auf internationalen subsidiären Schutz und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Der ablehnende Bescheid erweist sich insoweit als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, dass er wegen eines der in § 3 b AsylG aufgeführten Gründe in seinem Heimatstaat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a AsylG befürchten muss.

Nach dem tatsächlichen Vorbringen des Klägers kommt hier allein eine drohende Verfolgung im Sinne des § 3 a Abs. 2 AsylG durch nichtstaatliche Akteure in Betracht, namentlich durch die Personen, die sich das Land und die Farm der Familie des Klägers gewaltsam angeeignet haben sollen. Dass dem Kläger eine solche Verfolgung noch droht, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil nach seinem eigenen Vorbringen die behauptete Landnahme längst erfolgt ist und seine Familie die Ländereien verlassen hat. Der Einwand des Klägers, er sei zur Sicherung des Lebensunterhalts für sich und seine Familie gezwungen, sein Erbe und den Anspruch auf die weggenommene Farm geltend zu machen, greift nicht durch. Dem Kläger ist es möglich und zuzumuten, seinen Lebensunterhalt auch ohne Grundeigentum zu bestreiten, wie es zahllose andere Einwohner seines Heimatstaats tun.

Auch eine dem Kläger drohende Verfolgungshandlung würde im Übrigen nur dann einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen, wenn sie mit einem der in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen in Zusammenhang stünde. Das ist hier nicht der Fall, denn es fehlt schon an einem gesetzlich anerkannten Verfolgungsgrund. Soweit der Kläger geltend macht, seine Familie sei eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, folgt ihm das Gericht nicht. Eine Familie mag zwar aufgrund ihrer genetischen Abstammung einen angeborenen Hintergrund im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 lit. a haben. Es fehlt jedoch bei einer Familie jedenfalls an der nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 lit. b AsylG erforderlichen deutlich abgegrenzten Identität als Gruppe, aufgrund derer sie von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Diese Andersartigkeit ergibt sich auch nicht aus dem Umstand des Grundbesitzes. Die Familie des Klägers mag die einzige sein, die einen berechtigten Anspruch auf das Land und die Farm hat. Darin unterscheidet sie sich jedoch nicht von anderen grundbesitzenden Familien im Land. Eine abgegrenzte Identität aufgrund des konkret umstrittenen Grundbesitzes wird der Familie des Klägers nicht von der umgebenden Gesellschaft zugeschrieben, sondern allenfalls von der benachbarten Familie, die ihr den Besitz streitig macht. Insofern knüpft der Streit allein an den Besitz an, nicht an die gesellschaftliche Stellung des Familienverbands. Die behauptete Landnahme stellt sich damit allein als kriminelles Unrecht dar, nicht als asylrelevante Verfolgung.

2. Das Vorbringen des Klägers begründet aus den vorstehenden Gründen auch keinen Anspruch auf internationalen subsidiären Schutz nach § 4 AsylG. Dass dem Kläger angesichts der längst vollzogenen Landnahme noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Nachbarsfamilie droht, ist nicht ersichtlich. Sein Einwand, dass er zur Sicherung seines Lebensunterhalts gezwungen sei, sein Erbe und einen Anspruch auf die verlorengegangene Farm geltend zu machen, ist auch insoweit unbeachtlich.

3. Jedenfalls wäre der Kläger auf die Inanspruchnahme von internem Schutz im Sinne des § 3 e AsylG zu verweisen. Dass ihm eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 a AsylG oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG abseits der ursprünglich bewohnten Farm droht, ist nicht im Ansatz ersichtlich. Insoweit teilt das Gericht die Einschätzung der Beklagten, dass der andauernde Aufenthalt von Teilen der Familie des Klägers in dessen Heimatstaat die grundsätzliche Möglichkeit der Inanspruchnahme von internem Schutz indiziert. Zugleich sind dadurch die Voraussetzungen des § 3 e Abs. 1 Nr. 2 AsylG offensichtlich erfüllt, weil zu erwarten ist, dass auch der Kläger sicher und legal in den Landesteil reisen kann, in dem seine Verwandten leben, und er dort aufgenommen wird und sich niederlassen kann.

4. Tatsächliche Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat der Kläger nicht dargelegt.

5. Ob der Bescheid der Beklagten rechtswidrig ist, weil er hinsichtlich der mit dem Schutzgesuch nicht weiter verfolgten Anerkennung als Asylberechtigter eine materielle Entscheidung trifft, bedarf hier keiner Entscheidung, weil schon nicht erkennbar ist, dass der Bescheid den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzen würde. Eine Rechtsverletzung scheidet grundsätzlich aus, wenn ein Begehren abgelehnt wird, von dem der Antragsteller selbst Abstand genommen hat. Sie kommt allenfalls dann in Betracht, wenn allein aufgrund der materiellen Entscheidung hinsichtlich des zurückgenommenen Antragsteils eine für den Kläger nachteilige Rechtsfolge einträte. Das kann der Fall sein, wenn über ein insgesamt zurückgenommenes Schutzgesuch materiell entschieden wird, weil mit der materiellen Ablehnung eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ergeht, die bei Rücknahme des gesamten Schutzgesuchs nicht getroffen würde. Der Kläger begehrt jedoch weiter die Zuerkennung von internationalem subsidiären Schutz; die Ablehnung dieses Antragsteils zieht die gleichen Rechtsfolgen nach sich wie die Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter, so dass sich die Rechtsposition des Klägers durch die materielle Entscheidung über letztere nicht erkennbar verschlechtert.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden aufgrund von § 83 b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.